Kosten behinderungsbedingter Heimunterbringung als außergewöhnliche Belastungen
Leitsatz
1. Kosten für die behinderungsbedingte Unterbringung in einer sozial-therapeutischen Einrichtung können außergewöhnliche Belastungen sein.
2. Ist das FG auf Grund eines von einem fachkundigen Arzt erstellten Gutachtens von der Notwendigkeit der Unterbringung überzeugt, bedarf es nicht mehr eines amtsärztlichen Attestes.
Gesetze: EStG § 33
Instanzenzug: (EFG 2009, 1647) (Verfahrensverlauf)
Gründe
I.
1Der 1939 geborene Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist durch Beschluss des Amtsgerichts (AG) X vom wegen Geistesschwäche entmündigt worden. 1993 bestellte das AG Y seine Schwester zur Regelung aller Angelegenheiten als Betreuerin. Auf Anforderung des AG Y erstellte der Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie am ein „nervenärztliches Gutachten” über den Kläger. Darin heißt es u.a.:
2„Das Denkvermögen ist aufgrund der Intelligenzminderung eingeschränkt. Kompliziertere Denkvorgänge kann Herr…nicht vollziehen. Er kann seinen Namen schreiben, kann auch einfache Drei-Wort-Sätze schreiben. Auch einfache Rechenaufgaben im Zahlenbereich bis 20 kann er durchführen und er kann bis über 100 zählen. Er kann mit Messer und Gabel essen, muss zur Körperpflege nicht besonders angehalten werden, räumt sein Zimmer auf und hält Ordnung.
3Die intellektuellen Umstellungsfähigkeiten sind gering. Ausgeprägt neue Aufgaben kann er nicht selbständig lösen. Er ist hier auf die Hilfe der Betreuer und auf ein förderndes und stabiles Umfeld angewiesen.
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Insgesamt
möchte ich die an mich gestellten Fragen wie folgt beantworten:
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1. | Bei
Herrn…liegt eine geistig und seelische Behinderung vor. | |
2. | Diagnostisch
handelt es sich um eine frühkindliche Hirnschädigung mit
intellektueller Einschränkung vom Grad einer Imbezilität. | |
3. | Meine Diagnosen
beruhen auf der Kenntnis des Untersuchten seit 1977 und erneuten
nervenärztlichen Untersuchungen am 30.8. und . | |
4. | Herr…ist
nicht in der Lage, die nachfolgenden Bereich[e] selbst zu besorgen:
Gesundheitsfürsorge, Bestimmung des Aufenthaltes, Wohnungsangelegenheiten
und Vermögensangelegenheiten. | |
... | ||
6. | Die
seelisch-geistige Behinderung wird bei Herrn…lebenslang bestehen. | |
7. | Weitere
Hilfsmöglichkeiten, die eine Betreuung ganz oder teilweise entbehrlich
machten, bestehen nicht." | |
5Der Kläger lebt seit 1977 in einer sozial-therapeutischen Einrichtung für geistig behinderte Menschen in Y. Durch seine Arbeit in den sozial-therapeutischen Werkstätten dieser Einrichtung bezog er im Streitjahr Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Daneben erzielte er Einkünfte aus Rentenbezügen, Gewerbebetrieb und Kapitalvermögen. In seiner Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (2003) machte er die Kosten der Heimunterbringung in Höhe von 20.420 € als außergewöhnliche Belastung geltend. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) lehnte dies ab, weil der Kläger seine Pflegebedürftigkeit nicht hinreichend nachgewiesen habe.
6Das Finanzgericht (FG) gab der Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 1647 veröffentlichten Gründen statt.
7Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung des § 33 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
8Das FA beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
9Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
10Die Revision des FA ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.
11Das FG hat zu Recht die streitigen Heimunterbringungskosten des Klägers als außergewöhnliche Belastung nach § 33 EStG berücksichtigt.
12Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen (außergewöhnliche Belastung). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) sind Aufwendungen außergewöhnlich, wenn sie nicht nur ihrer Höhe, sondern auch ihrer Art und dem Grunde nach außerhalb des Üblichen liegen. Die üblichen Aufwendungen der Lebensführung, die in Höhe des Existenzminimums durch den Grundfreibetrag abgegolten sind, können nicht nochmals nach § 33 EStG berücksichtigt werden (, BFHE 229, 206, BStBl II 2010, 794, m.w.N.). Krankheitskosten sind regelmäßig eine außergewöhnliche Belastung i.S. des § 33 EStG.
13a) Zu den üblichen Aufwendungen der Lebensführung rechnen regelmäßig auch die Kosten für die altersbedingte Unterbringung in einem Altersheim. Liegt ein durch Krankheit veranlasster Aufenthalt in einem Heim vor, stellen sich die Aufwendungen für die Heimunterbringung als Krankheitskosten dar (, BFHE 191, 280, BStBl II 2000, 294; vom III R 24/01, BFHE 199, 296, BStBl II 2002, 567; vom III R 15/00, BFHE 199, 135, BStBl II 2003, 70; s. auch R 33.3 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Einkommensteuer-Richtlinien 2008). Es gelten die allgemeinen Grundsätze über die Abziehbarkeit von Krankheitskosten (Schmidt/Loschelder, EStG, 29. Aufl., § 33 Rz 35, Stichwort Altersheim).
14b) Nach diesen Grundsätzen sind die Aufwendungen des Klägers als Krankheitskosten abziehbar. Das FG hat unter Bezugnahme auf das im Rahmen des Betreuungsverfahrens vorgelegte ärztliche Gutachten nach § 118 Abs. 2 FGO für das Revisionsgericht bindend festgestellt, dass der Kläger im Streitjahr krankheitsbedingt im Heim untergebracht war. Das FG hat zu Recht kein amtsärztliches Attest verlangt (BFH-Urteil in BFHE 199, 296, BStBl II 2002, 567; s. im Übrigen zur Notwendigkeit der Vorlage eines amtsärztlichen Attests Senatsentscheidung vom VI R 17/09, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2011, 503). Dem Abzug der Kosten steht nicht entgegen, dass dem Kläger keine Pflegekosten in Rechnung gestellt worden sind (vgl. Senatsentscheidung vom VI R 38/09, BFHE 231, 158).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2011 II Seite 1011
BFH/NV 2011 S. 892 Nr. 5
BFH/PR 2011 S. 222 Nr. 6
BStBl II 2011 S. 1011 Nr. 21
DB 2011 S. 6 Nr. 12
DB 2011 S. 685 Nr. 12
DStR 2011 S. 569 Nr. 12
DStR 2011 S. 8 Nr. 12
DStRE 2011 S. 461 Nr. 7
DStZ 2011 S. 302 Nr. 9
EStB 2011 S. 144 Nr. 4
HFR 2011 S. 547 Nr. 5
KÖSDI 2011 S. 17380 Nr. 4
NWB-Eilnachricht Nr. 13/2011 S. 1034
StB 2011 S. 138 Nr. 5
StBW 2011 S. 296 Nr. 7
StC 2011 S. 7 Nr. 6
RAAAD-78887