BGH Beschluss v. - XII ZB 118/10

Betreuung: Anforderungen an eine zulässige Unterbringung

Leitsatz

Zu den Anforderungen an eine zulässige Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom , XII ZB 236/05, FamRZ 2006, 615, 616 und vom , XII ZB 248/09, FamRZ 2010, 365 Tz. 14) .

Gesetze: § 1906 Abs 1 Nr 1 BGB, § 1906 Abs 1 Nr 2 BGB

Instanzenzug: LG Schwerin Az: 5 T 63/10 Beschlussvorgehend AG Schwerin Az: 81 XVII 221/09

Gründe

I.

1Der Betroffene leidet an Schizophrenie; er befindet sich in einem akuten psychotischen Zustand. Seit 2007 war der Betroffene wiederholt untergebracht - zuletzt aufgrund von Beschlüssen des (Beschwerdeentscheidung des ; Unterbringung bis ), vom (Beschwerdeentscheidung des ; Unterbringung bis ), vom (Unterbringung bis ) und vom (Beschwerdeentscheidung des ; Unterbringung bis ). Den die Unterbringung genehmigenden Beschlüssen lagen jeweils Gutachten (vom - Stationsärztin H. und Dr. P., vom - Dr. P., vom und - beide Dipl.-Med. M.) zugrunde, die u. a. von einer Selbsttötungsgefahr bzw. der Gefahr erheblicher Eigengefährdung für den Betroffenen ausgehen, ferner eine ärztliche Stellungnahme im Rahmen einer Anhörung am (Stationsärztin H.).

2Auf Antrag der Betreuerin hat das Amtsgericht (mit Beschluss vom ) erneut die Unterbringung des Betroffenen - nunmehr bis zum - genehmigt. Die Beschwerde des Betroffenen hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3Das zulässige Rechtsmittel ist nicht begründet.

41. Nach Auffassung des Landgerichts liegen die Voraussetzungen für eine Unterbringung des Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB vor. Aufgrund der Schizophrenie bestehe die Gefahr, dass der Betroffene sich und anderen Personen erheblichen Schaden zufügen könne. Dies sei bedingt durch die bei dem Betroffenen bestehende psychotische Symptomatik mit erheblichen Änderungen im Affekt. In erster Linie liege eine Eigen- und Fremdgefährdung vor, die dazu führen könne, dass der Betroffene sich in für ihn schwierige Situationen hineinbegibt und sich sein Zustand durch die ausgesetzte Medikation weiter verschlechtere. Das Landgericht stützt seine Beurteilung auf ein weiteres von ihm eingeholtes Sachverständigengutachten des Dipl.-Med. M. (vom ), auf die ärztliche Stellungnahme des den Betroffenen behandelnden Oberarztes Dr. P. vom sowie auf den persönlichen Eindruck, den das Gericht von dem Betroffenen bei dessen persönlicher Anhörung am gewonnen hat. Der Betroffene habe dabei erklärt, dass er aus politischen Gründen verfolgt werde, keine Medikamente benötige und sie nach seiner Entlassung aus der Klinik auch nicht mehr einnehmen werde. Der Betroffene verfüge nach Überzeugung der Kammer über keine Einsicht in seine Krankheit und sei in seiner verfestigten Überzeugung, ohne Medikamente gleich gut leben zu können und keiner Heilbehandlung zu bedürfen, nicht zu beeinflussen.

52. Diese Ausführungen halten im Ergebnis der rechtlichen Nachprüfung stand.

6a) Zwar ist richtig, dass - wie die Rechtsbeschwerde rügt - die Feststellungen des Landgerichts eine Unterbringung des Betroffenen nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB allein nicht zu tragen vermögen.

7Nach dieser Vorschrift ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer zulässig, wenn eine Heilbehandlung notwendig ist, die ohne die Unterbringung nicht durchgeführt werden kann und der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann. Da eine Unterbringung nach dieser Vorschrift gerade nicht an die engeren Voraussetzungen des § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB (Suizidgefahr, erhebliche Gesundheitsbeschädigung) gebunden ist, kommt - wie der Senat dargelegt hat - dem Verhältnismäßigkeitsprinzip bei der Anwendung dieser Regelung als notwendigem Korrektiv für Eingriffe in das Freiheitsrecht besondere Bedeutung zu. Für eine die Unterbringung rechtfertigende Heilbehandlung muss deshalb im Einzelfall eine medizinische Indikation bestehen und der mögliche therapeutische Nutzen der Behandlung gegen die Gesundheitsschäden abgewogen werden, die ohne die Behandlung entstehen würden (Senatsbeschluss vom - XII ZB 236/05 - FamRZ 2006, 615, 616).

8Dem landgerichtlichen Beschluss sind Erörterungen zur Verhältnismäßigkeit nach diesen Maßstäben nicht zu entnehmen; insbesondere werden - von der Rechtsbeschwerde beanstandet - die konkret beabsichtigte Therapie und die Aussichten, die der Krankheitsverlauf mit und ohne diese Therapie nehmen würde, dort nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich, benannt. Zwar durfte das Landgericht davon ausgehen, dass sich Behandlungsbedürftigkeit, Therapie und Unterbringungsnotwendigkeit aus den mehreren umfänglichen Gutachten, die im Laufe der aufeinander folgenden Unterbringungsverfahren erstellt worden sind, mit hinreichender Verlässlichkeit und Aktualität erschließen lassen - so zuletzt aus dem vom Landgericht ausdrücklich in Bezug genommenen Gutachten des Dipl.-Med. M. vom . Auch finden sich bereits in den vorangegangenen Beschwerdeentscheidungen des (Seite 2) und vom (Seite 2) hierzu nähere Hinweise, deren stete Wiederholung grundsätzlich als unnötige Förmelei erachtet werden könnte. Indes unterscheidet sich die angefochtene Entscheidung von den vorangegangenen Beschlüssen durch die nunmehr vorgesehene Unterbringungsdauer von einem halben Jahr nicht unerheblich; angesichts dieses Unterschiedes bedurfte es einer Darlegung, inwieweit auch die jetzt genehmigte längerfristige Unterbringung unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit von den bisherigen Befunden gedeckt und durch das therapeutische Konzept gerechtfertigt wird. An einer solchen - zumindest summarischen - Darlegung fehlt es in dem angefochtenen Beschluss.

9b) Indes erweist sich die angefochtene Entscheidung gleichwohl im Ergebnis als richtig. Denn das Landgericht hat seine Entscheidung auch auf § 1906 Abs. 1 Nr. 1 BGB gestützt. Diese Begründung rechtfertigt das gefundene Ergebnis.

10Wie der Senat ebenfalls dargelegt hat, verlangt diese Vorschrift - im Gegensatz zur öffentlich-rechtlichen Unterbringung - keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten. Notwendig ist allerdings eine ernstliche und konkrete Gefahr für dessen Leib und Leben (Senatsbeschluss vom - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Tz. 14), wobei die Anforderungen an die Voraussehbarkeit einer Selbsttötung oder einer erheblichen gesundheitlichen Eigenschädigung jedoch nicht überspannt werden dürfen. Die Prognose ist im Wesentlichen Sache des Tatrichters (Senatsbeschluss vom - XII ZB 248/09 - FamRZ 2010, 365 Tz. 14).

11Das Landgericht ist insoweit dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Med. M. vom gefolgt, nach dem "weiterhin die Gefahr [besteht], dass der Betroffene sich selbst erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt". Es hat sich außerdem auf die gutachtliche Stellungnahme des den Betroffenen behandelnden Oberarztes Dr. P. gestützt, der anlässlich seiner Anhörung vor dem Landgericht die Ergebnisse der Begutachtung durch Dipl.-Med. M. ausdrücklich bestätigt hat. Beiden sachverständigen Äußerungen ist zu entnehmen, dass ohne die Fortsetzung der bisherigen Medikation die Gefahr einer erheblichen Eigenschädigung des Betreuten besteht, der Betreute in der Vergangenheit die Einnahme der Medikamente stets abgesetzt hat und deshalb die Unterbringung zur kontinuierlichen Fortführung der Medikation erforderlich ist. Weiterer Erkundungen bedurfte es - auch im Hinblick auf die in den vorangehenden Genehmigungsverfahren eingeholten gutachtlichen Stellungnahmen, die für den Fall einer Unterbrechung der Therapie einhellig von der Gefahr einer erheblichen gesundheitlichen Eigenschädigung des Betroffenen ausgehen - nicht. Insbesondere bedurfte es danach keiner Ermittlung besonderer tatsächlicher Vorkommnisse aus der jüngeren Vergangenheit, die sichere Rückschlüsse auf die Gefahr der Eigenschädigung ermöglichen könnten; ebenso war es - angesichts der auch in den Gutachten geschilderten Lebenssituation des Betroffenen - verzichtbar, weil fernliegend, ausdrücklich auch der Frage nach möglichen Alternativen zur Unterbringung nachzugehen.

12Aus der von der Rechtsbeschwerde angeführten Stellungnahme der Stationsärztin H., die diese am - anlässlich einer Anhörung im vorangehenden Genehmigungsverfahren - abgegeben hat, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Danach hält die Stationsärztin zum damaligen Zeitpunkt einen Suizid "grundsätzlich für möglich"; die Suizidgefahr sei "jedoch nicht mehr das vordergründige Thema". Früher habe es Suizidhandlungen gegeben. "Durch seine Verweigerungshaltung" sei der Betroffene "in eine perspektivlose Situation geraten". Es sei daher "in der Tat die schlimmste Befürchtung, dass derartiges passieren könne". Es ist rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden, wenn das Landgericht diesen Ausführungen keine Bedeutung zugemessen hat, die den zuvor wiedergegebenen Darlegungen des Dipl.-Med. M. und des Oberarztes Dr. P. widerstreiten.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
NJW-RR 2010 S. 1370 Nr. 20
JAAAD-47718