EuGH Urteil v. - C-461/08

Lieferung eines Grundstücks, auf dem ein teilweise abgerissenes Gebäude steht, an dessen Stelle ein Neubau errichtet werden soll - Befreiung von der Mehrwertsteuer

Leitsatz

Art. 13 Teil B Buchst. g in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass die Lieferung eines Grundstücks, auf dem noch ein altes Gebäude steht, das abgerissen werden muss, damit an seiner Stelle ein Neubau errichtet werden kann, und mit dessen vom Verkäufer übernommenen Abriss schon vor der Lieferung begonnen worden ist, nicht unter die in der ersten dieser beiden Bestimmungen vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer fällt. Solche aus Lieferung und Abriss bestehenden Umsätze bilden mehrwertsteuerlich einen einheitlichen Umsatz, der unabhängig davon, wie weit der Abriss des alten Gebäudes zum Zeitpunkt der tatsächlichen Lieferung des Grundstücks fortgeschritten ist, in seiner Gesamtheit nicht die Lieferung des vorhandenen Gebäudes und des dazugehörigen Grund und Bodens zum Gegenstand hat, sondern die Lieferung eines unbebauten Grundstücks.

Instanzenzug: Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) - Entscheidung vom (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 Teil B Buchst. g in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im Folgenden: Sechste Richtlinie).

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Don Bosco Onroerend Goed BV (im Folgenden: Don Bosco) und dem Staatssecretaris van Financiën (Staatssekretär für Finanzen) wegen Befreiung von der Grunderwerbsteuer für den Erwerb einer Immobilie, die nach niederländischem Recht an die Mehrwertsteuerpflichtigkeit des betreffenden Umsatzes gebunden ist.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

Nach Art. 2 Nr. 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen der Mehrwertsteuer "Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt".

Art. 4 Abs. 3 der Sechsten Richtlinie bestimmt:

"Die Mitgliedstaaten können auch solche Personen als Steuerpflichtige betrachten, die gelegentlich eine der in Absatz 2 genannten Tätigkeiten ausüben und insbesondere eine der folgenden Leistungen erbringen:

a) die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor dem Erstbezug erfolgt. Die Mitgliedstaaten können die Einzelheiten der Anwendung dieses Kriteriums auf Umbauten von Gebäuden und den Begriff 'dazugehöriger Grund und Boden' festlegen.

Die Mitgliedstaaten können andere Kriterien als das des Erstbezugs bestimmen, z. B. den Zeitraum zwischen der Fertigstellung des Gebäudes und dem Zeitpunkt seiner ersten Lieferung, oder den Zeitpunkt zwischen dem Erstbezug und der späteren Lieferung, sofern diese Zeiträume fünf bzw. zwei Jahre nicht überschreiten.

Als Gebäude gilt jedes mit dem Boden fest verbundene Bauwerk;

b) die Lieferung von Baugrundstücken.

Als Baugrundstücke gelten erschlossene oder unerschlossene Grundstücke entsprechend den Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten."

Art. 13 der Sechsten Richtlinie ("Steuerbefreiungen im Inland") sieht vor:

"...

B. Sonstige Steuerbefreiungen

Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:

...

g) die Lieferungen von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe a) bezeichneten Gegenstände;

h) die Lieferungen unbebauter Grundstücke mit Ausnahme der in Artikel 4 Absatz 3 Buchstabe b) bezeichneten Baugrundstücke.

..."

Gemäß Art. 13 Teil C Abs. 1 Buchst. b der Sechsten Richtlinie können die Mitgliedstaaten "bei den Umsätzen nach Teil B Buchstaben d), g) und h) ... ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, für eine Besteuerung zu optieren".

Nationales Recht

In Art. 11 des Gesetzes von 1968 über die Umsatzsteuer (Wet op de omzetbelasting 1968) in seiner 1999 geltenden Fassung (im Folgenden: Umsatzsteuergesetz) heißt es:

"(1) Unter den durch Verordnung festzulegenden Voraussetzungen sind von der Steuer befreit:

a) die Lieferung von Immobilien und Rechten daran, ausgenommen:

1. die Lieferung von Gebäuden oder Gebäudeteilen und dem dazugehörigen Grund und Boden, wenn sie vor oder spätestens zwei Jahre nach dem Erstbezug erfolgt, sowie die Lieferung von Baugrundstücken;

2. andere Lieferungen als die Lieferungen im Sinne von Nr. 1 an Personen, die die Immobilie zu Zwecken nutzen, die nach Art. 15 in vollem oder nahezu vollem Umfang zum Steuerabzug berechtigen, sofern der Unternehmer, der die Lieferung ausführt, und derjenige, an den sie ausgeführt wird, gemeinsam einen entsprechenden Antrag beim Inspecteur gestellt haben und im Übrigen die durch ministerielle Regelung festzulegenden Voraussetzungen erfüllen;

...

(3) Für die Anwendung von Abs. 1 Buchst. a Nr. 1 gilt

a) als Gebäude: jedes mit dem Boden fest verbundene Bauwerk;

b) als Erstbezug: der Bezug eines Gebäudes nach seinem Umbau, wenn aufgrund des Umbaus ein umgestaltetes Grundstück entstanden ist;

c) als dazugehöriger Grund und Boden: der Grund und Boden, der nach der Verkehrsanschauung zu dem Gebäude gehört oder ihm dient.

(4) Für die Anwendung von Abs. 1 Buchst. a Nr. 1 gilt als Baugrundstück jedes unbebaute Grundstück,

a) an dem Arbeiten vorgenommen werden oder wurden,

b) in Bezug auf das Maßnahmen getroffen werden oder wurden, die ausschließlich dem Grundstück dienen,

c) in dessen Umgebung Maßnahmen getroffen werden oder wurden oder

d) für das eine Baugenehmigung erteilt worden ist,

damit das Grundstück bebaut werden kann."

Nach Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Verkehrsteuern (Wet op belastingen van rechtsverkeer; im Folgenden: Verkehrsteuergesetz) wird "unter der Bezeichnung 'Grunderwerbsteuer' ... eine Steuer auf den Erwerb von in den Niederlanden belegenen Immobilien oder Rechten daran erhoben".

Gemäß Art. 15 Abs. 1 Buchst. a dieses Gesetzes ist unter den durch Verordnung festzulegenden Voraussetzungen der Erwerb "durch umsatzsteuerpflichtige Lieferung im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a Nr. 1 des Umsatzsteuergesetzes 1968 ..." von der Grunderwerbsteuer befreit, "sofern das Grundstück als Betriebsvermögen genutzt wird und der Erwerber die Umsatzsteuer nach Art. 15 des Umsatzsteuergesetzes 1968 ganz oder teilweise abziehen kann".

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Im Jahr 1998 verkaufte die Stichting Leusderend (im Folgenden: Verkäufer) an Don Bosco eine Parzelle, auf der zwei alte Gebäude standen, in denen zuvor eine Schule mit Internat untergebracht war (im Folgenden: Immobilie).

Don Bosco hatte die Absicht, diese beiden Gebäude vollständig abreißen zu lassen, um auf dem dadurch frei gewordenen Gelände Neubauten zu errichten. Hierzu war vereinbart worden, dass der Verkäufer eine Abrissgenehmigung beantragen, mit einem Unternehmer einen Vertrag über den Abriss der betreffenden Gebäude schließen und sich die dafür anfallenden Kosten in Rechnung stellen lassen sollte. Nach der Vereinbarung zwischen dem Verkäufer und Don Bosco sollte Don Bosco diese Kosten durch Erhöhung des Kaufpreises tragen, ausgenommen die Kosten der Asbestbeseitigung, die für Rechnung des Verkäufers erfolgen sollte.

Am erteilte die Gemeinde Leusden (Niederlande) dem Verkäufer eine Abrissgenehmigung u. a. mit der Auflage, den Abriss erst nach der Asbestbeseitigung in den betreffenden Gebäuden vorzunehmen.

Nach Vorlage eines Angebots für die Asbestbeseitigung und die Abrissarbeiten an den Verkäufer am begann das hiermit beauftragte Unternehmen am Morgen des 30. September 1999 mit den Arbeiten.

Am Mittag desselben Tages wurde die Immobilie an Don Bosco geliefert. Zu diesem Zeitpunkt waren ein Teil der Pflasterung zwischen den Gebäuden entfernt und ein Teil eines seitlichen Giebels eines dieser Gebäude mit Hilfe eines hydraulischen Krans eingedrückt worden, und es waren dort Rahmen, Fensterbänke und Mauerwerk zertrümmert und entfernt worden.

Der vorhandene Asbest wurde erst nach der Lieferung der Immobilie entfernt, und danach wurde mit dem Abriss der Gebäude fortgefahren. Anschließend wurden auf der betreffenden Parzelle im Auftrag und für Rechnung von Don Bosco neue, für Büros vorgesehene Gebäude errichtet.

Wegen Erwerbs der Immobilie erging an Don Bosco ein Bescheid über die Nacherhebung von Grunderwerbsteuer. Der hiergegen gerichtete Einspruch wurde mit Entscheidung des Inspecteur der belastingen zurückgewiesen.

Don Bosco erhob gegen diese Entscheidung Klage und machte geltend, dass im vorliegenden Fall die Lieferung der Immobilie mehrwertsteuerpflichtig und Don Bosco deshalb nach Art. 15 Abs. 1 Buchst. a des Verkehrsteuergesetzes von der Grunderwerbsteuer befreit sei.

Diese Klage wurde vom Gerechtshof te Amsterdam als unbegründet abgewiesen, weil die Lieferung der Immobilie gemäß Art. 11 Abs. 1 Buchst. a des Umsatzsteuergesetzes von der Umsatzsteuer befreit sei.

Don Bosco legte gegen das Urteil des Gerechtshof te Amsterdam Kassationsbeschwerde ein und führte zur Begründung aus, die Sechste Richtlinie und insbesondere deren Art. 13 Teil B Buchst. h und Art. 4 Abs. 3 Buchst. b seien dahin auszulegen, dass die Lieferung der Immobilie der Mehrwertsteuer unterliegen müsse.

Das vorlegende Gericht stellt sich die Frage, ob es sich bei der Lieferung eines im Hinblick auf die Errichtung eines Neubaus teilweise abgerissenen Gebäudes noch um die Lieferung dieses alten, schon früher erstmals in Gebrauch genommenen Gebäudes handelt oder ob jede Lieferung in der Phase des Abrisses dieses Gebäudes oder der Phase der Errichtung des Neubaus als Lieferung des Neubaus vor seinem Erstbezug anzusehen ist.

Es verweist hierzu auf den Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer und führt aus, die Mehrwertsteuerpflichtigkeit der Lieferung einer Immobilie in dem Zeitraum zwischen dem Beginn des Abrisses des alten Gebäudes und dem Erstbezug des Neubaus hätte zur Folge, dass die für den Abriss, die Herstellung der Baureife und den Neubau berechnete Mehrwertsteuer abgezogen werden könnte, so dass jede Lieferung bis zum Erstbezug "frei" von Mehrwertsteuer sei. Wäre die Lieferung eines Grundstücks mit einem ganz oder teilweise abgerissenen Gebäude dagegen steuerfrei, wäre die Mehrwertsteuer auf den Abriss Teil des Preises des Neubaus.

Die Frage der Neutralität der Mehrwertsteuer sei jedoch kaum oder gar nicht berührt, wenn der Käufer - und nicht der die abzureißende Immobilie liefernde Verkäufer - den Auftrag zum Abriss erteile und sich die dafür anfallenden Kosten in Rechnung stellen lasse. Das gelte erst recht, wenn nicht der Verkäufer, sondern der Käufer die Pläne für den Neubau entwickelt habe. In einem solchen Fall dürfte vielmehr anzunehmen sein, dass der Verkäufer in Wirklichkeit das alte Gebäude liefere.

Der Hoge Raad der Nederlanden ist der Auffassung, dass die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung der Sechsten Richtlinie abhängt, und hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Ist Art. 13 Teil B Buchst. g in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie so auszulegen, dass die Lieferung eines Gebäudes, das im Hinblick auf seinen Ersatz durch ein neu zu errichtendes Gebäude teilweise abgerissen worden ist, mit Mehrwertsteuer belastet ist?

2. Ist es für die Beantwortung dieser Frage erheblich, ob der Verkäufer oder der Käufer des Gebäudes den Auftrag zum Abriss gegeben hat und sich die dafür anfallenden Kosten in Rechnung stellen lässt, und zwar in dem Sinne, dass die Lieferung nur dann der Mehrwertsteuer unterliegt, wenn der Verkäufer den Auftrag zum Abriss gegeben hat und sich die Abrisskosten in Rechnung stellen lässt?

3. Ist es für die Beantwortung der ersten Frage erheblich, ob der Verkäufer oder der Käufer des Gebäudes die Neubaupläne entwickelt hat, und zwar in dem Sinne, dass die Lieferung nur dann der Mehrwertsteuer unterliegt, wenn der Verkäufer die Neubaupläne entwickelt hat?

4. Falls die erste Frage bejaht wird, unterliegt dann jede Lieferung nach dem Zeitpunkt, zu dem die Abrissarbeiten tatsächlich begonnen worden sind, oder nach einem späteren Zeitpunkt, insbesondere nach dem Zeitpunkt, zu dem der Abriss erheblich fortgeschritten ist, der Mehrwertsteuer?

Zu den Vorlagefragen

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 13 Teil B Buchst. g in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Lieferung eines Grundstücks, auf dem ein Gebäude steht, das abgerissen werden muss, damit an seiner Stelle ein Neubau errichtet werden kann, und mit dessen Abriss schon vor der Lieferung begonnen worden ist, von der Mehrwertsteuer befreit ist.

Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung die Begriffe, mit denen die in Art. 13 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen umschrieben sind, eng auszulegen sind, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen, dass jede Lieferung und jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt. Die Auslegung dieser Begriffe muss jedoch mit den Zielen in Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und den Erfordernissen des Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gemeinsame Mehrwertsteuersystem beruht. Daher entspricht es nicht dem Sinn dieser Regel einer engen Auslegung, wenn die zur Umschreibung der in Art. 13 genannten Befreiungen verwendeten Begriffe so ausgelegt werden, dass sie den Befreiungen ihre Wirkung nehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Haderer, C-445/05, Slg. 2007, I-4841, Randnr. 18, vom , Stichting Centraal Begeleidingsorgaan voor de Intercollegiale Toetsing, C-407/07, Slg. 2008, I-0000, Randnr. 30, und vom , TNT Post UK, C-357/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 31).

Die in Art. 13 Teil B Buchst. g der Sechsten Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung setzt zunächst voraus, dass die betreffende Lieferung ein Gebäude oder einen Gebäudeteil und den dazugehörigen Grund und Boden zum Gegenstand hat.

Nach Art. 4 Abs. 3 Buchst. a UnterAbs. 3 der Sechsten Richtlinie gilt als Gebäude jedes mit dem Boden fest verbundene Bauwerk.

Im Hinblick auf den Wortlaut dieser Definition des Begriffs "Gebäude" macht die niederländische Regierung geltend, dass im Fall der Lieferung eines Grundstücks, auf dem ein Gebäude stehe, das ersetzt werden solle und zu diesem Zweck schon teilweise abgerissen worden sei, dieses Gebäude ein solches Bauwerk darstelle, solange es nicht vollständig beseitigt worden sei. Ein teilweise abgerissenes Gebäude sei immer noch ein altes, bereits genutztes Gebäude, so dass seine Lieferung gemäß Art. 13 Teil B Buchst. g der Sechsten Richtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sei.

Dagegen trägt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften in ihren schriftlichen Erklärungen - insoweit von Irland in der mündlichen Verhandlung im Wesentlichen unterstützt - vor, dass in einer Situation wie der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils beschriebenen das Grundstück den Hauptbestandteil der Lieferung darstelle, während das vorhandene Gebäude ein bloßer Nebenbestandteil der Lieferung sei. Denn es sei von Anfang an vorgesehen gewesen, dieses Gebäude abzureißen und dementsprechend ein Grundstück zu liefern, um dort einen Neubau zu errichten.

Daher ist zu prüfen, ob der Umstand, dass das alte Gebäude oder ein Teil davon zum Zeitpunkt der Lieferung der Immobilie tatsächlich vorhanden ist, das entscheidende Kriterium für die Anwendung der in Art. 13 Teil B Buchst. g der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung ist oder ob andere Umstände, wie sie in der zweiten und der dritten Vorlagefrage erwähnt sind, berücksichtigt werden können oder müssen.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Auslegung der betreffenden Bestimmung weder auf den ursprünglichen noch auf den geänderten Vorschlag der Kommission für die Sechste Richtlinie gestützt werden kann. Diese Vorschläge enthielten in Bezug auf die Lieferung von Immobilien eine abschließende Regelung und insbesondere eine gemeinsame Bestimmung des Begriffs der Baugrundstücke. Darüber hinaus war die Befreiung von der Mehrwertsteuer nicht auf die Lieferungen unbebauter Grundstücke beschränkt. Der Rat der Europäischen Union ist jedoch diesen Vorschlägen nicht gefolgt und hat einen anderen Ansatz gewählt. Insbesondere hat er in Bezug auf den Begriff des Baugrundstücks letztlich die Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten gelten lassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Gemeente Emmen, C-468/93, Slg. 1996, I-1721, Randnr. 21).

Ferner geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass im Ausgangsverfahren der Verkäufer nicht nur die Parzelle, auf der bei Vertragsschluss zwei Gebäude standen, verkauft und geliefert hat. Gemäß seiner gegenüber Don Bosco eingegangenen Verpflichtung hat er auch eine Abrissgenehmigung beantragt und auf seine Kosten einen Vertrag mit einem Unternehmen geschlossen, das den Abriss dieser Gebäude tatsächlich durchgeführt hat. Es war vereinbart, dass sich der Verkäufer die für den Abriss anfallenden Kosten in Rechnung stellen lassen und sich der Kaufpreis für das Grundstück um diese Kosten erhöhen sollte, ausgenommen die Kosten der Asbestbeseitigung, die für Rechnung des Verkäufers erfolgen sollte. Dagegen ist der Vorlageentscheidung nicht zu entnehmen, dass der Verkäufer an der Errichtung des Neubaus beteiligt gewesen wäre.

Folglich hat der Verkäufer gegenüber Don Bosco und unter dem Gesichtspunkt der Mehrwertsteuer die Lieferung der Immobilie und die Dienstleistungen in Bezug auf den Abriss der vorhandenen Gebäude ausgeführt.

Daher ist zu prüfen, ob unter dem Gesichtspunkt der Mehrwertsteuer, insbesondere für die Auslegung der in den Fragen des vorlegenden Gerichts genannten Bestimmungen, die Lieferung der Immobilie und der Abriss dieser Gebäude als zwei verschiedene und selbständige Umsätze, die getrennt zu beurteilen sind, oder als ein komplexer, aus mehreren Einzelleistungen zusammengesetzter Umsatz, der eine Einheit bildet, anzusehen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Levob Verzekeringen und OV Bank, C-41/04, Slg. 2005, I-9433, Randnrn. 18 und 20, sowie vom , Part Service, C-425/06, Slg. 2008, I-897, Randnrn. 48 und 49).

Zwar ergibt sich aus Art. 2 der Sechsten Richtlinie, dass jede Lieferung oder Dienstleistung in der Regel als eigene, selbständige Leistung zu betrachten ist (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Part Service, Randnr. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom , RLRE Tellmer Property, C-572/07, Slg. 2009, I-0000, Randnr. 17).

Unter bestimmten Umständen sind aber mehrere formal unterschiedliche Einzelumsätze, die getrennt erbracht werden und damit jeder für sich zu einer Besteuerung oder Befreiung führen könnten, als einheitlicher Umsatz anzusehen, wenn sie nicht selbständig sind (vgl. in diesem Sinne Urteile Part Service, Randnr. 51, und RLRE Tellmer Property, Randnr. 18).

Dies ist u. a. der Fall, wenn zwei oder mehr Handlungen oder Einzelleistungen des Steuerpflichtigen für den Kunden so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv einen einzigen untrennbaren wirtschaftlichen Vorgang bilden, dessen Aufspaltung wirklichkeitsfremd wäre (vgl. in diesem Sinne Urteile vom , Aktiebolaget NN, C-111/05, Slg. 2007, I-2697, Randnr. 23, Part Service, Randnr. 53, und RLRE Tellmer Property, Randnr. 19).

Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, ist bei einem Umsatz, der ein Bündel von Einzelleistungen und Handlungen umfasst, eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen, um zu bestimmen, ob zwei oder mehr getrennte Umsätze vorliegen oder ein einheitlicher Umsatz (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile Levob Verzekeringen und OV Bank, Randnr. 19, sowie Aktiebolaget NN, Randnr. 21). Anders als Don Bosco und die niederländische Regierung meinen, sind daher vom Verkäufer der Immobilie gegebenenfalls erbrachte Zusatzleistungen wie die in der zweiten und der dritten Vorlagefrage erwähnten zu berücksichtigen, wenn es um die Frage geht, ob der betreffende Vorgang von der Mehrwertsteuer befreit ist.

In einer Situation wie der im Ausgangsverfahren sind die Handlungen des Verkäufers in mehrwertsteuerlicher Hinsicht eng miteinander verbunden. Die Abrissarbeiten und die Lieferung der Parzelle als solcher haben sich sogar überschnitten. Wirtschaftlicher Zweck dieser Handlungen ist die Lieferung eines baureifen Grundstücks. Insoweit wäre es wirklichkeitsfremd, anzunehmen, dass Don Bosco von ein und derselben Person zunächst alte Gebäude mit dem dazugehörigen Grund und Boden erworben hat, der in diesem Zustand ohne jeden Nutzen für die wirtschaftliche Tätigkeit dieses Unternehmens war, und erst danach die Leistungen in Bezug auf den Abriss der Gebäude, die allein geeignet waren, dem Grundstück einen solchen wirtschaftlichen Nutzen zu verleihen (vgl. entsprechend Urteil Aktiebolaget NN, Randnr. 25).

Die Lieferung eines Grundstücks, auf dem noch ein altes Gebäude steht, das abgerissen werden muss, damit an seiner Stelle ein Neubau errichtet werden kann, und mit dessen Abriss schon vor der Lieferung begonnen worden ist, wie auch der Abriss dieses Gebäudes müssen folglich unter Umständen wie den vom vorlegenden Gericht geschilderten mehrwertsteuerlich als einheitlicher Umsatz betrachtet werden, der in seiner Gesamtheit nicht die Lieferung des vorhandenen Gebäudes zum Gegenstand hat, sondern die Lieferung eines unbebauten Grundstücks.

Daher fällt ein solcher Umsatz unabhängig davon, wie weit der Abriss des alten Gebäudes zum Zeitpunkt der tatsächlichen Lieferung des Grundstücks fortgeschritten ist, in seiner Gesamtheit gesehen nicht unter die in Art. 13 Teil B Buchst. g der Sechsten Richtlinie vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer.

Unter diesen Umständen ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob das betreffende Grundstück unter den Begriff des Baugrundstücks im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Buchst. b und Art. 13 Teil B Buchst. h der Sechsten Richtlinie fällt.

Insoweit ist daran zu erinnern, dass es in Anbetracht des ausdrücklichen Verweises in Art. 4 Abs. 3 Buchst. b der Sechsten Richtlinie auf die für Baugrundstücke geltenden Begriffsbestimmungen der Mitgliedstaaten, deren Sache ist, für die Anwendung sowohl dieser Vorschrift als auch des Art. 13 Teil B Buchst. h dieser Richtlinie die Grundstücke zu bestimmen, die als Baugrundstücke anzusehen sind; dabei müssen sie allerdings das mit der zuletzt genannten Vorschrift verfolgte Ziel beachten, nur diejenigen Lieferungen solcher unbebauter Grundstücke von der Mehrwertsteuersteuer zu befreien, auf denen kein Gebäude errichtet werden soll (vgl. in diesem Sinne Urteil Gemeente Emmen, Randnrn. 20 und 25).

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 13 Teil B Buchst. g in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass die Lieferung eines Grundstücks, auf dem noch ein altes Gebäude steht, das abgerissen werden muss, damit an seiner Stelle ein Neubau errichtet werden kann, und mit dessen vom Verkäufer übernommenen Abriss schon vor der Lieferung begonnen worden ist, nicht unter die in der ersten dieser beiden Bestimmungen vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer fällt. Solche aus Lieferung und Abriss bestehenden Umsätze bilden mehrwertsteuerlich einen einheitlichen Umsatz, der unabhängig davon, wie weit der Abriss des alten Gebäudes zum Zeitpunkt der tatsächlichen Lieferung des Grundstücks fortgeschritten ist, in seiner Gesamtheit nicht die Lieferung des vorhandenen Gebäudes und des dazugehörigen Grund und Bodens zum Gegenstand hat, sondern die Lieferung eines unbebauten Grundstücks.

Kosten

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

Art. 13 Teil B Buchst. g in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass die Lieferung eines Grundstücks, auf dem noch ein altes Gebäude steht, das abgerissen werden muss, damit an seiner Stelle ein Neubau errichtet werden kann, und mit dessen vom Verkäufer übernommenen Abriss schon vor der Lieferung begonnen worden ist, nicht unter die in der ersten dieser beiden Bestimmungen vorgesehene Befreiung von der Mehrwertsteuer fällt. Solche aus Lieferung und Abriss bestehenden Umsätze bilden mehrwertsteuerlich einen einheitlichen Umsatz, der unabhängig davon, wie weit der Abriss des alten Gebäudes zum Zeitpunkt der tatsächlichen Lieferung des Grundstücks fortgeschritten ist, in seiner Gesamtheit nicht die Lieferung des vorhandenen Gebäudes und des dazugehörigen Grund und Bodens zum Gegenstand hat, sondern die Lieferung eines unbebauten Grundstücks.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
RAAAD-36789