BFH Urteil v. - VI R 61/01

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist nicht rechtskräftig

Entscheidungsgründe

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) reichte beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt – FA –) am einen am selben Tag unterzeichneten Mantelbogen zur Einkommensteuererklärung für das Streitjahr (1996) ein. Der Kläger hatte auf dem Mantelbogen das Kästchen „Einkommensteuererklärung” angekreuzt, seine Steuernummer eingetragen und die Zeilen zu den persönlichen Angaben ausgefüllt. Außerdem erklärte der Kläger durch Ankreuzen der betreffenden Kästchen Einkünfte aus Kapitalvermögen, nichtselbständiger Arbeit sowie aus Vermietung und Verpachtung. Die entsprechenden Anlagen KSO, N und V waren dem Mantelbogen nicht beigefügt. Das FA lehnte den Antrag auf Durchführung einer Veranlagung ab. Hiergegen legte der Kläger Einspruch ein. Mit Schreiben vom reichte der Kläger erneut einen Mantelbogen zur Einkommensteuererlärung für das Streitjahr mit allen Anlagen sowie zahlreichen Belegen ein.

Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 897 veröffentlichten Gründen ab. Die Voraussetzungen für eine Amtsveranlagung seien nicht erfüllt, da keiner der Tatbestände des § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vorliege. Eine Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG komme nicht in Betracht, weil der Kläger die hierfür vorgesehene Antragsfrist von zwei Jahren nicht gewahrt habe. Die vom Kläger am eingereichten Unterlagen entsprächen nicht den Anforderungen, die an eine Einkommensteuererklärung zu stellen seien.

Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil sowie den Ablehnungsbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom aufzuheben und das FA zu verpflichten, ihn zur Einkommensteuer für 1996 zu veranlagen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz ist der Kläger zur Einkommensteuer für 1996 zu veranlagen.

1. Besteht das Einkommen ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nr. 1 bis Nr. 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt. Im Streitfall liegen die Voraussetzungen für eine Veranlagung von Amts wegen gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alt. EStG vor. Nach dieser Vorschrift wird die Veranlagung durchgeführt, wenn die Summe der einkommensteuerpflichtigen Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, vermindert um die darauf entfallenden Beträge nach § 13 Abs. 3 und § 24a EStG, mehr als 800 DM beträgt.

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats ist § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG dahin auszulegen, dass eine Amtsveranlagung nach dieser Vorschrift nicht nur dann durchzuführen ist, wenn die positive Summe der Einkünfte, die nicht dem Steuerabzug vom Arbeitslohn zu unterwerfen waren, den Betrag von 800 DM übersteigt, sondern auch, wenn die negative Summe der betreffenden Nebeneinkünfte diesen Betrag übersteigt (vgl. , BFH/NV 2006, 2364, Deutsches Steuerrecht 2006, 1978).

Nach diesen Grundsätzen sind die Voraussetzungen für eine Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG im Streitfall erfüllt. Ausweislich der Einkommensteuererklärung beträgt die negative Summe der vom Kläger erzielten Nebeneinkünfte – insbesondere unter Berücksichtigung des Verlusts aus Vermietung und Verpachtung – mehr als 800 DM.

2. Der Senat hat erwogen, das Verfahren im Hinblick auf die geplante Änderung des § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG durch den Entwurf des Jahressteuergesetzes (JStG) 2007 auszusetzen. In Reaktion auf den Gerichtsbescheid des Senats vom VI R 47/05 und auf weitere, beim erkennenden Senat anhängige Revisionen hatte der Finanzausschuss beim Bundesrat am zum JStG 2007 die Empfehlung ausgesprochen, § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG insoweit zu ändern, als bei der Prüfung der Einkünftegrenze von 410 € (800 DM) „allein positive Einkünfte entscheidend und negative Einkünfte nicht zu berücksichtigen seien” (BRDrucks 622/1/06). Der Finanzausschuss des Bundestags hat diese Empfehlung in seinen Beschluss vom aufgenommen (BTDrucks 16/3036, 25). Unter den besonderen Umständen des Streitfalls kommt eine Aussetzung des Verfahrens jedoch nicht in Betracht. Nach Auffassung des Senats würde sich die prozessuale Lage des Klägers durch eine Verfahrensaussetzung wesentlich verschlechtern und das Gericht würde seine Verpflichtung zur Neutralität gegenüber allen Beteiligten verletzen. Im Übrigen ist die Möglichkeit einer Rechtsänderung kein Rechtsverhältnis i. S. des § 74 FGO, dessen Bestehen oder Nichtbestehen für die Entscheidung des Rechtsstreits vorgreiflich ist (, m. w. N.).

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

Fundstelle(n):
MAAAD-24839