BVerfG Beschluss v. - 1 BvR 416/08

Leitsatz

Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1

Instanzenzug:

Gründe

1. Der Annahme der Verfassungsbeschwerde steht gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG entgegen, dass das Landesarbeitsgericht nach dem übereinstimmenden Verständnis des Gerichts und des Beschwerdeführers noch über die erneuten Anhörungsrügen vom 4. Februar 2008 zu entscheiden hat. Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Landesarbeitsgericht die Richterablehnungsverfahren infolge dieser Anhörungsrügen gemäß § 78a Abs. 5 Satz 1 ArbGG fortführt und dadurch die aus Sicht des Beschwerdeführers vorliegenden Verfassungsverstöße beseitigt.

2. Die Möglichkeit einer Sachentscheidung über die Anhörungsrügen vom 4. Februar 2008 setzt aber voraus, dass das Landesarbeitsgericht nicht an seiner in den Beschlüssen vom 23. Januar 2008 zum Ausdruck gebrachten Auffassung festhält, Anhörungsrügen gegen Beschlüsse zur Richterablehnung im Berufungsverfahren seien gemäß § 78a Abs. 1 Satz 2 ArbGG generell unstatthaft. Diese Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist mit Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) unvereinbar.

a) Nach den aus dem Beschluss des Ersten Senats des - (MDR 2008, S. 223) folgenden Vorgaben für die Auslegung und Anwendung des § 78a Abs. 1 Satz 2 ArbGG darf eine Anhörungsrüge gegen die Zurückweisung eines Richterablehnungsgesuchs im arbeitsgerichtlichen Berufungsverfahren nur dann als nach dieser Vorschrift unstatthaft beurteilt werden, wenn das Landesarbeitsgericht zuvor über die Richterablehnungen nicht abschließend und mit Bindungswirkung für das weitere Verfahren entschieden hat, sondern die Zurückweisung der Ablehnungsgesuche später zumindest im Rahmen einer Inzidentprüfung korrigiert werden kann. Anderenfalls handelt es sich beim Richterablehnungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht um ein selbständiges Zwischenverfahren, so dass die Entscheidung über das Ablehnungsgesuch nicht von der Ausnahmevorschrift des § 78a Abs. 1 Satz 2 ArbGG erfasst ist.

Einer schon nach § 78a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ArbGG zur Unzulässigkeit der Anhörungsrüge führenden, unmittelbaren Anfechtbarkeit von Beschlüssen über Ablehnungsgesuche steht im arbeitsgerichtlichen Verfahren § 49 Abs. 3 ArbGG entgegen. Aber auch für die Annahme des Landesarbeitsgerichts, das Bundesarbeitsgericht würde die nach Ansicht des Beschwerdeführers im Richterablehnungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht geschehenen Gehörsverletzungen im Rahmen eines Revisions- oder eines Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens überprüfen, fehlt sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht eine tragfähige Grundlage.

Die Bezugnahme des Landesarbeitsgerichts auf die absoluten Revisionsgründe des § 547 ZPO ist in diesem Zusammenhang unklar. Jedenfalls regelt aber § 557 Abs. 2 ZPO, dass der Beurteilung des Revisionsgerichts nicht diejenigen unanfechtbaren Entscheidungen unterliegen, die dem Endurteil vorausgegangen sind. Das Landesarbeitsgericht hat sich nicht damit befasst, ob diese Vorschrift nicht generell der revisionsgerichtlichen Überprüfung einer Zurückweisung eines im Berufungsverfahren angebrachten Ablehnungsgesuchs entgegensteht (so -, NJW-RR 2005, S. 294 <295>; -, NJW-RR 2007, S. 775 <776>; vgl. auch B 9a SB 18/06 B -, JURIS, Rn. 11). Bei Anwendung des § 557 Abs. 2 ZPO hätte eine Kontrollmöglichkeit des Revisionsgerichts verneint werden müssen; die Anhörungsrügen hätten also nicht als unstatthaft verworfen werden dürfen.

Zum Teil wird allerdings eine Bindung des Revisionsgerichts - entgegen § 557 Abs. 2 ZPO - abgelehnt, wenn die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht, oder wenn sie darauf hindeutet, dass das Berufungsgericht Bedeutung und Tragweite der Verfassungsgarantie des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkannt hat (vgl. -, JURIS, Rn. 11 f.; vgl. zur ähnlichen Problematik im verwaltungsgerichtlichen Berufungszulassungsverfahren BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 18. Dezember 2007 - 1 BvR 1273/07 -, NVwZ-RR 2008, S. 289 <290> m.w.N.; vgl. für den Fall einer unanfechtbaren Prozesskostenhilfeentscheidung des Berufungsgerichts BVerwG 6 B 29.06 -, JURIS). Es ist daher vorstellbar, dass ein Revisionsgericht auch die Rüge einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs im berufungsgerichtlichen Richterablehnungsverfahren überprüft. Für eine entsprechende Praxis des Bundesarbeitsgerichts gab es und gibt es jedoch auch unter Berücksichtigung der von der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts erteilten Auskunft vom 14. Mai 2008 keine Anhaltspunkte. Unter diesen Umständen durfte das Landesarbeitsgericht den Beschwerdeführer nicht auf die Durchführung eines Revisions- oder Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens verweisen, in dem voraussichtlich keine Gehörsverletzungen im Richterablehnungsverfahren vor dem Landesarbeitsgericht gerügt werden können, und ihm mit dieser Begründung die Möglichkeit einer Anhörungsrüge nach § 78a ArbGG nehmen.

Unabhängig davon weist der Beschwerdeführer zutreffend darauf hin, dass die Bezugnahme des Landesarbeitsgerichts auf die Revisionsgründe des § 547 ZPO jedenfalls im Verfahren der einstweiligen Verfügung nicht richtig sein kann, weil dort Revision oder Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesarbeitsgericht von vornherein ausgeschlossen sind (§ 72 Abs. 4 ArbGG). Das Landesarbeitsgericht hat bei der Parallelbegründung der Beschlüsse offenbar übersehen, dass es in dem Eilverfahren (12 SaGa 1437/07) keine weitere Instanz gibt.

Eine Unstatthaftigkeit der Anhörungsrügen durfte daher insgesamt nicht mit einer in Wahrheit nicht existierenden revisionsgerichtlichen Überprüfbarkeit der Zurückweisung der Ablehnungsgesuche begründet werden.

b) Auch wenn das Landesarbeitsgericht die Anhörungsrügen hiernach nicht mit der in den Beschlüssen vom 23. Januar 2008 gegebenen Begründung hätte verwerfen dürfen, kann insoweit im Ergebnis - auch unabhängig von der noch bestehenden Korrekturmöglichkeit bei der Entscheidung über die weiteren Anhörungsrügen vom 4. Februar 2008 - keine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs in Verbindung mit dem allgemeinen Justizgewährungsanspruch festgestellt werden. Das Landesarbeitsgericht hat eine Sachprüfung der Einwände des Beschwerdeführers letztlich nicht verweigert, sondern hat diese Einwände im Rahmen der Entscheidung über die zugleich erhobenen Gegenvorstellungen beschieden. Damit hat die vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 107, 395) geforderte fachgerichtliche Überprüfung einer geltend gemachten Gehörsverletzung stattgefunden.

Das Landesarbeitsgericht wird allerdings, sofern sich die Anhörungsrügen vom 4. Februar 2008 als statthaft und auch im Übrigen als zulässig erweisen, bei der erneuten Beurteilung der Einwände des Beschwerdeführers berücksichtigen müssen, dass Art. 103 Abs. 1 GG grundsätzlich verletzt sein kann, wenn ein Gericht, bei dem ein Antrag auf Verlängerung einer Frist zur Stellungnahme gestellt ist, zur Hauptsache entscheidet, ohne zuvor den Antrag auf Fristverlängerung beschieden zu haben (vgl. BVerfGE 18, 399 <406>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 5. Februar 2003 - 2 BvR 153/02 -, NVwZ 2003, S. 859 <861>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2006 - 1 BvR 2026/06 -, JURIS; vgl. auch BVerwG 9 B 535.98 -, NVwZ-RR 1998, S. 783). Die vorherige Entscheidung über die Fristverlängerung soll es dem Antragsteller ermöglichen, bei Ablehnung der Fristverlängerung zumindest dasjenige vorzutragen, was er noch innerhalb der gesetzten Frist vorbringen kann.

Nach diesen Grundsätzen bestehen Bedenken gegen die Vorgehensweise des Landesarbeitsgerichts, den am 10. Dezember 2007 eingegangenen Fristverlängerungsantrag erst in den Beschlüssen vom 11. Dezember 2007 abschlägig beschieden zu haben. Diesbezüglich hat das Landesarbeitsgericht bislang im Wesentlichen lediglich erläutert, warum aus seiner Sicht der Zeitraum bis zum 11. Dezember 2007 für eine Stellungnahme des Beschwerdeführers hätte genügen müssen, aus welchen Gründen es den Fristverlängerungsantrag also für unbegründet hielt. Nicht ausgeräumt ist bislang der vom Beschwerdeführer erhobene Vorwurf, das Landesarbeitsgericht habe durch das Unterlassen einer rechtzeitigen negativen Entscheidung über den Fristverlängerungsantrag vereitelt, dass er in der bis zum 11. Dezember 2007 verbliebenen Zeit die angekündigte weitere Stellungnahme einreichen konnte. Insoweit könnte allerdings zu bedenken sein, ob der - wiederholte - Antrag, ohne dass der Beschwerdeführer auf eine Verlängerung hätte vertrauen können, so spät gestellt wurde, dass er entweder vor Fristablauf ohnehin nicht mehr hätte beschieden werden können oder dass jedenfalls keine Möglichkeit mehr bestanden hätte, bei einer Ablehnung des Antrags noch zur Sache vorzutragen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. September 2006 - 1 BvR 2026/06 -, JURIS).

3. Die weiteren vom Beschwerdeführer erhobenen Rügen sind hingegen offensichtlich unbegründet.

a) Die Begründung der Zurückweisung der Ablehnungsgesuche in den Beschlüssen des Landesarbeitsgerichts vom 11. Dezember 2007 ist insbesondere nicht willkürlich. Auch der Umstand, dass die dem Beschwerdeführer zunächst übermittelten Beschlüsse zur Richterablehnung nicht mit Gründen versehen waren, kann keine Verletzung seiner Verfassungsrechte begründen. Die von ihm behauptete Erschwerung der Erlangung von Rechtsschutz ist schon deshalb nicht erkennbar, weil die Frist zur Erhebung der Anhörungsrüge nicht schon ab der Zustellung der Beschlüsse ohne Gründe lief. § 78a Abs. 2 Satz 1 ArbGG stellt hinsichtlich des Fristbeginns auf die Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs ab. Der Beschwerdeführer musste die Anhörungsrügen hiernach nicht vor Kenntnis der Entscheidungsgründe erheben. Das Nachreichen von Entscheidungsgründen ist auch vor dem Hintergrund des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz gemäß Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip im Grundsatz unbedenklich.

b) § 49 Abs. 3 ArbGG, der Beschlüsse über Richterablehnungen im arbeitsgerichtlichen Verfahren für unanfechtbar erklärt, ist nicht verfassungswidrig (vgl. dazu -, AP ArbGG 1979 § 49 Nr. 6; Beschluss vom 14. Februar 2002 - 9 AZR 2/02 -, AP ArbGG 1979 § 49 Nr. 8). Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip beinhaltet nicht den Anspruch auf einen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 92, 365 <410>; stRspr). Überdies ist nicht erkennbar, wie eine Verfassungswidrigkeit der Norm der gegen die Entscheidungen des Landesarbeitsgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde zum Erfolg verhelfen könnte. Erst wenn das Bundesarbeitsgericht eine Beschwerde des Beschwerdeführers unter Berufung auf § 49 Abs. 3 ArbGG verworfen hätte, könnte gegen eine solche Entscheidung mit dem Argument der Verfassungswidrigkeit der Norm vorgegangen werden. Die Beschlüsse des werden mit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde aber weder angegriffen, noch hat das Bundesarbeitsgericht die Verwerfung der Rechtsbehelfe des Beschwerdeführers gegen die Beschlüsse des Landesarbeitsgerichts vom 11. Dezember 2007 auf § 49 Abs. 3 ArbGG gestützt.

4. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:



Fundstelle(n):
DAAAC-95092