BFH Beschluss v. - XI B 147/06

Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache; Verletzung der Amtsermittlungspflicht bei der Einkommensteuerveranlagung

Gesetze: FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2; AO § 88; AO § 129; AO § 150

Instanzenzug:

Gründe

Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg.

1. Soweit die Beschwerde auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der FinanzgerichtsordnungFGO—) gestützt wird, ist sie jedenfalls unbegründet.

Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Rechtsfrage voraus, deren Beantwortung aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Es muss sich um eine Frage handeln, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärbar ist (vgl. , BFH/NV 2004, 232, m.w.N.). Fehlt es hieran, so kann eine Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen werden.

Zur Darlegung der genannten Zulassungsvoraussetzungen ist erforderlich, dass der Beschwerdeführer eine konkrete Rechtsfrage formuliert und substantiiert auf ihre Klärungsbedürftigkeit —insbesondere vor dem Hintergrund bestehender Rechtsprechung und einschlägiger Literatur—, ihre über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung sowie darauf eingeht, weshalb von der Beantwortung der Rechtsfrage die Entscheidung über die Rechtssache abhängt (BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2004, 232, m.w.N.; vom IX B 83/03, BFH/NV 2004, 353, m.w.N.; Gräber/ Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 116 Rz 32, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH). Allein der Umstand, dass über einen genau vergleichbaren Sachverhalt bislang vom BFH noch nicht entschieden worden ist, verleiht der Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung (vgl. z.B. , BFH/NV 2000, 1347, 1348).

a) Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) verpflichtet ist, in Sachverhaltsermittlungen einzutreten, wenn ein Steuerpflichtiger eine Einkommensteuererklärung abgegeben hat, der falsche amtliche Anlagen beigefügt und weitere erforderliche amtliche Anlagen nicht beigefügt waren, lässt sich aus dem Gesetz und der dazu ergangenen BFH-Rechtsprechung beantworten. Sie ist deshalb nicht von grundsätzlicher Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.

Welche Anforderungen an die Ermittlungen der Finanzbehörden zu stellen sind, ergibt sich aus § 88 der Abgabenordnung (AO). Danach ermittelt die Finanzbehörde den Sachverhalt von Amts wegen und bestimmt Art und Umfang der Ermittlungen. Der Umfang ihrer Pflichten richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls, lässt sich also nicht allgemein festlegen. Die Finanzbehörde verletzt ihre Amtsermittlungspflicht nur, wenn sie offenkundigen Unklarheiten oder Zweifeln, die sich nach der Sachlage ohne weiteres aufdrängen, nicht nachgeht und Ermittlungsmöglichkeiten nicht nutzt, deren Ergiebigkeit sich ihr hätten aufdrängen müssen (vgl. , BFHE 196, 317, BStBl II 2002, 44; , BFH/NV 2006, 1445). Allein die Tatsache, dass ein Steuerpflichtiger seiner Einkommensteuererklärung (Mantelbogen) nicht die nach Sachlage auszufüllende Anlage N und die nach Sachlage nicht auszufüllende Anlage KSO (vgl. § 150 AO) beigefügt hat, verpflichtet das FA noch nicht zu weiterer Sachaufklärung, solange die der Steuererklärung beigefügten Unterlagen (hier Lohnsteuerkarten, Aufstellung von Aufwendungen) eine Ermittlung der Einkünfte zulassen. Insoweit besteht kein Klärungsbedarf.

b) Die außerdem aufgeworfene Frage, ob ein FA, bei dem einfachere Fälle von Bearbeitern einer Arbeitnehmerveranlagungsstelle ohne Vorjahresakten durchgeführt werden, sich darauf berufen kann, dass an diese Bearbeiter geringere Anforderungen bezüglich ihrer Sachaufklärungspflicht gestellt werden, ist mangels Entscheidungserheblichkeit nicht in einem nachfolgenden Revisionsverfahren klärbar.

Im Streitfall geht es um die Anwendung des § 129 Satz 1 AO. Nach dieser Vorschrift kann die Finanzbehörde Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten, die beim Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, ohne Zustimmung des Steuerpflichtigen und auch zu seinen Lasten berichtigen. Eine oberflächliche Behandlung des Steuerfalls hindert eine Berichtigung nach § 129 Satz 1 AO nicht (, BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293; vom V R 69/84, BFHE 150, 509, BStBl II 1987, 834; vom XI R 40/91, BFH/NV 1993, 509). Denn die Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist nicht von Verschuldenserwägungen abhängig (vgl. BFH-Urteil in BFHE 145, 226, BStBl II 1986, 293, m.w.N.). Besteht aber die nicht nur theoretische Möglichkeit, dass der Fehler auf mangelnder Sachaufklärung beruht, liegt keine offenbare Unrichtigkeit i.S. von § 129 Satz 1 AO vor (ständige Rechtsprechung, z.B. , BFH/NV 1998, 942, m.w.N.; vom IV R 3/99, BFHE 191, 226, BStBl II 2000, 372, m.w.N.; , juris). Ob ein Fehler auf mangelnder Sachaufklärung beruht, beurteilt sich nach den Verhältnissen des Einzelfalls, vor allem nach der Aktenlage. Die Entscheidung darüber im konkreten Fall ist im Wesentlichen eine Tatfrage, die der revisionsgerichtlichen Prüfung nur in eingeschränktem Umfang unterliegt (§ 118 Abs. 2 FGO; vgl. z.B. , BFH/NV 1993, 638, m.w.N.; vom IV R 17/97, BFHE 185, 345, BStBl II 1998, 535; vom I R 20/02, BFH/NV 2003, 1139).

Das Finanzgericht (FG) hat entschieden, dass es sich bei der Nichtberücksichtigung der Eintragung in Zeile 53 der Anlage KSO um einen Flüchtigkeitsfehler des Bearbeiters i.S. von § 129 Satz 1 AO handelte, der nicht auf mangelnder Sachaufklärung beruhte. Zu diesem Schluss ist das FG entgegen der Ansicht des Klägers nicht deshalb gelangt, weil es geringere Anforderungen an die Sachaufklärungspflicht des Bearbeiters gestellt hat oder im konkreten Fall von einer Einschränkung der Sachaufklärungspflicht ausgegangen ist. Vielmehr bestand nach Auffassung des FG aus Sicht des Bearbeiters überhaupt keine Veranlassung zu weiterer Sachaufklärung anhand der Vorjahresakten. Nach der Überzeugung des FG, die es anhand der Akten und des Vortrags der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung gewonnen hat, hatte der Bearbeiter bei Durchführung der Einkommensteuerveranlagung den auf der Rückseite der Anlage KSO eingetragenen Betrag von 15 000 DM schlicht übersehen und es aufgrund dessen unterlassen, den Betrag als Einnahme zu erfassen. Wegen des Übersehens der Eintragung konnte sich im Streitfall für den Bearbeiter von vornherein nicht die Frage stellen, welche Art von Einnahme ihr zugrunde lag und ob ähnliche Einnahmen schon in Vorjahren erklärt worden waren.

2. Soweit die Beschwerde auf die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) gestützt wird, genügt sie nicht den Darlegungsanforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO.

Zur Darlegung dieses Zulassungsgrunds bedarf es Ausführungen, inwiefern über eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage unterschiedliche Auffassungen bei den Gerichten bestehen oder welche sonstigen Gründe eine höchstrichterliche Entscheidung gebieten. Wird eine Abweichung von einer Entscheidung des BFH oder eines anderen FG gerügt, so müssen tragende und abstrakte Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil des FG einerseits und aus den behaupteten Divergenzentscheidungen andererseits so genau herausgearbeitet und einander gegenübergestellt werden, dass eine Abweichung erkennbar wird (BFH-Beschlüsse vom X B 52/03, BFH/NV 2004, 80, m.w.N., und vom XI B 245/03, BFH/NV 2005, 1346, m.w.N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz 42).

Daran fehlt es im Streitfall. Der Kläger hat keinen bestimmten abstrakten und tragenden Rechtssatz aus den von ihm zitierten Entscheidungen (, BFHE 214, 137, BStBl II 2007, 2; FG des Landes Brandenburg, Urteil vom 3 K 956/05, Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1521) aufgezeigt, der von einem Rechtssatz des angegriffenen FG-Urteils abweichen soll. Auch hat er keinen aus der Vorentscheidung gewonnenen abstrakten Rechtssatz herausgearbeitet.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2007 S. 1632 Nr. 9
KAAAC-49640