BGH Urteil v. - IX ZR 318/01

Leitsatz

[1] Zur Frage, wann die Rechtshandlung der Pfändung der Ansprüche des Schuldners gegen das Kreditinstitut aus einem vereinbarten Dispositionskredit ("offene Kreditlinie") als vorgenommen gilt (im Anschluß an , z.V.b. in BGHZ).

Zur Frage, wann der Gläubiger Umstände kennt, die zwingend auf eine mindestens drohende Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hindeuten (im Anschluß an , NZI 2003, 597, 599).

Gesetze: InsO § 140 Abs. 1; InsO § 133 Abs. 1 Satz 2; ZPO § 829 Abs. 3

Instanzenzug: LG Potsdam

Tatbestand

Die Klägerin ist Verwalterin in dem am eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der B. Hoch- und Tiefbau GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Sie verlangt im Wege der Insolvenzanfechtung Rückgewähr verschiedener auf Steuerforderungen des beklagten Landes geleisteter Zahlungen.

Seit dem Sommer 1997 kam die Schuldnerin ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht mehr ordnungsgemäß nach. Die Finanzverwaltung führte Vollstreckungsmaßnahmen durch. Am erließ das Finanzamt eine Pfändungs- und Einziehungsverfügung wegen Steuerrückständen, die der Br. Bank eG als Drittschuldnerin am zugestellt und durch Bescheid vom auf einen Betrag von 109.270,50 DM reduziert wurde. Diese Bank gewährte damals der Schuldnerin einen Kontokorrentkredit, dessen Höhe am auf 600.000 DM festgelegt worden war. Die Bank glich die Forderung des Beklagten durch Teilzahlungen vom 1. und aus.

Am erhielt das beklagte Land von der Schuldnerin per Inhaberscheck eine Zahlung von 30.000 DM. Am erließ das Finanzamt wegen Rückständen von 394.212,40 DM eine weitere Pfändungs- und Einziehungsverfügung, die wiederum an die Br. Bank als Drittschuldnerin gerichtet wurde. Im April 1999 richtete die Schuldnerin bei der C. AG ein neues Konto ein, über das sie am drei Zahlungen von 31.883,80 DM, 50.365,45 DM und 31.805,68 DM an den Beklagten leistete. Mit Schreiben vom , das beim Insolvenzgericht am einging, beantragte die Geschäftsführerin der Schuldnerin die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

Die Klägerin hat alle genannten Leistungen angefochten. Ihre auf Zahlung von 253.325,61 DM gerichtete Klage hatte beim Landgericht nur wegen des am überwiesenen Betrages von 31.883,80 DM Erfolg. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und auf die Anschlußberufung des Beklagten die Klage insgesamt abgewiesen. Der Senat hat die Revision angenommen, soweit sie nicht die Scheckzahlung von 30.000 DM betrifft. Den restlichen Anspruch in Höhe von 223.325,61 DM (114.184,57 €) verfolgt die Klägerin weiter.

Gründe

Die Revision hat in Höhe von 223.325,43 DM (114.184,48 €) Erfolg und führt insoweit zur Verurteilung des beklagten Landes.

I.

Soweit es um die Zahlungen der Br. Bank vom 1. und in Höhe von insgesamt 109.270,50 DM geht, hat das Berufungsgericht einen anfechtungsrechtlichen Rückgewähranspruch aus folgenden Gründen verneint:

Der Beklagte habe durch die Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom ein insolvenzbeständiges Pfandrecht erworben; daher seien die Voraussetzungen für eine Anfechtung gemäß § 131 InsO nicht gegeben. Der im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Erwerb sei nach dieser Vorschrift nur im Zeitraum der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag anfechtbar. Das Pfandrecht aufgrund der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom sei bereits am 20. Januar mit Zustellung an die Drittschuldnerin entstanden. Die auf diese Weise erfolgte Pfändung in die offene Kreditlinie habe den Kreditauszahlungsanspruch des Darlehensnehmers wirksam erfaßt. Sofern es sich damals nur um zukünftige Forderungen gehandelt habe, sei auch deren Pfändung mit Zustellung der Pfändungsverfügung an den Drittschuldner als bewirkt anzusehen.

Diese Erwägungen halten in einem entscheidenden Punkt der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Wie die Revision zu Recht geltend macht, sind die am 1. und geleisteten Zahlungen gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO anfechtbar.

1. Während der "kritischen" Zeit ist die im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder Befriedigung als inkongruent anzusehen (BGHZ 128, 196 ff; 136, 309, 311 ff). Das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip wird durch das System der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln eingeschränkt, wenn für die Gesamtheit der Gläubiger nicht mehr die Aussicht besteht, aus dem Vermögen des Schuldners volle Deckung zu erhalten. Dann tritt die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit zurück. Die Vorschrift des § 131 InsO verdrängt in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag den Prioritätsgrundsatz zugunsten der Gleichbehandlung der Gläubiger (, WM 2002, 1193, 1194; v. - IX ZR 194/02, WM 2003, 1278, 1279). Daher begründet ein erst während des Drei-Monats-Zeitraums vor dem Eröffnungsantrag wirksam gewordenes Pfandrecht in der Insolvenz kein anfechtungsfestes Absonderungsrecht nach § 50 Abs. 1 InsO (, z.V.b. in BGHZ).

2. Im Streitfall hat der Beklagte die Zahlungen aus einem Dispositionskredit der Schuldnerin bei der Br. Bank eG erhalten. Die Pfändungsverfügung vom hatte sich auch auf Ansprüche der Schuldnerin aus diesem Kreditverhältnis erstreckt, was nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats (BGHZ 147, 193, 196), wirksam war. Für die Bestimmung des Zeitpunkts der Vornahme einer Rechtshandlung kommt es gemäß § 140 Abs. 1 InsO auf den Zeitpunkt an, in dem die rechtlichen Wirkungen der Handlung eintreten. Wie der Senat in dem zwischen denselben Parteien ergangenen Urteil vom (IX ZR 39/03, z.V.b. in BGHZ) im einzelnen begründet hat, gilt die Rechtshandlung der Pfändung der Ansprüche des Schuldners gegen das Kreditinstitut aus einem vereinbarten Dispositionskredit ("offene Kreditlinie") erst dann als vorgenommen, wenn und soweit der Schuldner den ihm zur Verfügung stehenden Kreditbetrag abruft.

Aus den Kontoauszügen, auf die sich die Klägerin bezogen hat, folgt, daß das Konto Nr. ... bei der Br. Bank, auf dem der Dispositionskredit zur Verfügung gestellt wurde, am einen Sollstand von mehr als 907.000 DM aufwies. Unter einen Betrag von 600.000 DM sank der Saldo erstmals am (544.533,41 DM). Vor diesem Tag stand der Schuldnerin daher keine Forderung aus dem Kontokorrentkredit zu, die sie hätte abrufen können.

3. Fehlt es danach an einem insolvenzfesten Pfandrecht, hat die Anfechtung der am 1. und vorgenommenen Zahlungen gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO Erfolg; denn die Schuldnerin war zu diesem Zeitpunkt bereits zahlungsunfähig.

a) Wer nicht in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten zu erfüllen, ist zahlungsunfähig. Dies ist in der Regel anzunehmen, wenn der Schuldner seine Zahlungen eingestellt hat (§ 17 Abs. 2 InsO). Die Zahlungseinstellung folgt aus einem Verhalten des Schuldners, in dem nach außen zum Ausdruck kommt, daß er einen erheblichen Teil seiner Verbindlichkeiten wegen eines Mangels an Geldmitteln nicht lediglich kurzfristig nicht zu erfüllen vermag (st. Rspr.: BGHZ 149, 178, 184 f; , ZIP 1995, 929, 930).

b) Diese Voraussetzungen waren jedenfalls Ende Januar 1999 gegeben.

Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hatte die Schuldnerin die Löhne ab Januar 1999 nicht mehr gezahlt. Außerdem standen die in diesem Monat fälligen Arbeitnehmeranteile in Höhe von über 100.000 DM ebenfalls noch offen; sie wurden erst am nachentrichtet. Schon daraus folgt, daß die Schuldnerin jedenfalls gegen Ende des Monats Januar 1999 wesentliche Teile ihrer fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr auszugleichen vermochte.

Die Zahlungsunfähigkeit kann nicht, wie das Berufungsgericht meint, mit Blick auf das Gutachten des Instituts für b. D. GmbH vom in Zweifel gezogen werden. Zwar heißt es dort auf Seite 8, gegenwärtig seien keine Voraussetzungen gegeben, nach denen die Geschäftsführerin der GmbH die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen habe. Diese Wertung war indes rechtlich nicht haltbar, weil der Sachverständige auf die genannten Zahlungsrückstände nicht eingeht und die von ihm ermittelten Liquiditätsziffern zeigen, daß im Januar 1999 weniger als 20 % der kurzfristigen Verbindlichkeiten von über 900.000 DM durch flüssige Mittel gedeckt waren. Das Gutachten zeigt auch keine Möglichkeiten zum alsbaldigen Ausgleich der Lücke auf. Vielmehr hatte das Unternehmen zu diesem Zeitpunkt außerdem einen im Jahre 1998 entstandenen Verlust von 1.833.970 DM zu verkraften. Für die folgenden Geschäftsjahre mußte es zudem mit weiteren erheblichen Verlusten rechnen.

Das schon vier Tage nach der Beauftragung durch das Insolvenzgericht von der Klägerin am erstellte Gutachten enthält ebenfalls keine Tatsachen, die Zweifel an der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt begründen. Nach dem Zweck dieses Gutachtens war es im Hinblick auf den Eigenantrag der Schuldnerin ausreichend, eine mindestens drohende Zahlungsunfähigkeit festzustellen (§ 18 Abs. 1 InsO).

II.

Das Berufungsgericht meint, die am geleisteten drei Zahlungen seien ebenfalls nicht anfechtbar. Für eine Anfechtung nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO fehle es an der Kenntnis des Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit. Dem beklagten Land seien auch keine Umstände bekannt gewesen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin hätten schließen lassen. Zwar habe die Schuldnerin mit Vorsatz im Sinne des § 133 Abs. 1 InsO gehandelt. Jedoch habe der Beklagte den Zahlungen nicht entnehmen können, daß die Schuldnerin ihn vor anderen Gläubigern habe begünstigen und jene habe benachteiligen wollen. Die Voraussetzungen der mißglückten Vermutungsregel des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO seien schon deshalb nicht erfüllt, weil dann, wenn das Insolvenzverfahren nicht wegen drohender, sondern wegen bereits eingetretener Zahlungsunfähigkeit eröffnet werde, niemand außer dem Schuldner festzustellen vermöge, wann der Zustand der drohenden Zahlungsunfähigkeit eingetreten sei.

Diese Erwägungen sind rechtlich nicht haltbar. Vielmehr ist die Anfechtung schon nach dem unstreitigen Sachverhalt aus § 133 Abs. 1 InsO begründet.

1. Den Benachteiligungsvorsatz der Schuldnerin hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei festgestellt. Er folgt daraus, daß sie am gezielt ihre letzten Geldmittel eingesetzt hat, um einige Gläubiger, darunter den Beklagten, bevorzugt zu befriedigen.

2. Gemäß § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO wird die Kenntnis des Leistungsempfängers von dem Benachteiligungsvorsatz des Schuldners vermutet, wenn er wußte, daß dessen Zahlungsunfähigkeit drohte und die Zahlung die Gläubiger benachteiligt. Diese Voraussetzungen können schon dann gegeben sein, wenn die Verbindlichkeiten des Schuldners bei dem späteren Anfechtungsgegner über einen längeren Zeitraum hinweg ständig in beträchtlichem Umfang nicht ausgeglichen wurden und jenem den Umständen nach bewußt ist, daß es noch weitere Gläubiger mit ungedeckten Ansprüchen gibt (vgl. , WM 2003, 1690, 1693 f, z.V.b. in BGHZ). Beweist der Insolvenzverwalter, daß der Anfechtungsgegner Umstände kannte, die zwingend auf eine drohende Zahlungsunfähigkeit hindeuteten, greift § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO ebenfalls ein. Von einem Gläubiger, der solche Umstände kennt, ist - widerleglich - zu vermuten, daß er auch die drohende Zahlungsunfähigkeit und die Benachteiligung der Gläubiger kennt (, NZI 2003, 597, 599).

3. Im Streitfall liegen Umstände vor, die eine solche Vermutung zu Lasten des Beklagten begründen.

Die Schuldnerin hatte schon seit geraumer Zeit erhebliche Steuerrückstände, als sie die Leistung an den Beklagten erbrachte. Höhe und Dauer der Rückstände hatten den Beklagten veranlaßt, am eine an die Raiffeisenbank Be. und am eine an die Br. Bank eG als Drittschuldner gerichtete Pfändungs- und Einziehungsverfügung in Höhe von jeweils knapp 400.000 DM zu erlassen. Von der Br. Bank hatte der Beklagte keine, von der Raiffeisenbank Be. hatte er lediglich Teilzahlungen von 65.300 DM erhalten. Die nunmehr über ein bis dahin unbekanntes Konto vorgenommenen Zahlungen von insgesamt 114.055,11 DM tilgten die fälligen Steuerforderungen ebenfalls nur teilweise. Darüber hinaus hatte das Finanzamt am eine umfangreiche Betriebsprüfung abgeschlossen, die dem Beklagten zusätzliche Einblicke in das Unternehmen der Schuldnerin verschaffte. Das bis dahin behauptete Umsatzsteuerguthaben von 179.000 DM - das den Beklagten zunächst zu einer Teilstundung der Steuerschuld veranlaßt hatte - wurde auf 99.611,50 DM gesenkt und eine Verpflichtung zur Nachzahlung von Körperschaftsteuer in Höhe von 267.000 DM festgestellt. Damit kannte der Beklagte eine Reihe von Tatsachen, die in ihrer Gesamtheit zumindest die Schlußfolgerung geboten, der Schuldnerin drohe die Zahlungsunfähigkeit. Umstände, die geeignet sein könnten, die Vermutung des § 133 Abs. 1 Satz 2 InsO zu widerlegen, hat das beklagte Land nicht vorgetragen.

III.

Der Senat kann in der Sache abschließend entscheiden. Das Vorbringen der Parteien in den Tatsacheninstanzen enthält keine streitigen Behauptungen, die entscheidungserheblich werden können. Es besteht auch keine Veranlassung, den Parteien Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens zu geben. Da die Insolvenzanfechtung nach dem unstreitigen Tatsachenstoff gerechtfertigt ist, hat der Senat der Klage unter Aufhebung des Berufungsurteils und teilweiser Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung stattzugeben.

Fundstelle(n):
BFH/NV-Beilage 2004 S. 325 Nr. 3
IAAAC-00736

1Nachschlagewerk: ja; BGHZ: nein; BGHR: nein