BAG Beschluss v. - 4 ABR 54/02

Leitsatz

[1] Stellt der Tarifvertrag für das Abstandsgebot des Außertariflichen (AT) Angestellten zum Tarifangestellten auf die prozentuale Überschreitung des "Tarifgehaltes" ab, ist mangels anderweitiger Bestimmung des Tarifvertrages die monatliche Vergütung des AT-Angestellten für die Abstandsberechnung auch dann maßgebend, wenn dessen Arbeitszeit die tarifliche Arbeitszeit überschreitet.

Gesetze: Manteltarifvertrag der Metallindustrie in den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein sowie in den Landkreisen Harburg und Stade vom / (MTV) § 1 Nr. 2.3; Gehaltsrahmentarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie desselben räumlichen Geltungsbereichs vom (GRTV) § 1 Nr. 2 Buchst. b; Gehaltstarifvertrag für die Metallindustrie Hamburg und Umgebung, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein vom (GTV) § 1 Buchst. b; TVG § 1 ; BetrVG § 99

Instanzenzug: ArbG Lübeck 4 BV 64/01 vom LAG Schleswig-Holstein 5 TaBV 4 a/02 vom

Gründe

A. Die Arbeitgeberin erstrebt die Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zur Umgruppierung eines Tarifangestellten zum Außertariflichen Angestellten (AT-Angestellten).

Die Arbeitgeberin ist als Mitglied des Arbeitgeberverbandes der Metallindustrie Hamburg-Schleswig-Holstein e.V. an die Tarifverträge für die Metallindustrie in Schleswig-Holstein gebunden, insbesondere an den Manteltarifvertrag der Metallindustrie in den Ländern Hamburg und Schleswig-Holstein sowie in den Landkreisen Harburg und Stade vom / (MTV), den Gehaltsrahmentarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie desselben räumlichen Geltungsbereichs vom (GRTV) sowie den Gehaltstarifvertrag für die Metallindustrie Hamburg und Umgebung, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein vom (GTV). Vom persönlichen Geltungsbereich des MTV, des GRTV sowie des GTV sind neben den leitenden Angestellten gem. den - von den Gliederungsbezeichnungen, der Verwendung des Begriffes "Beschäftigungsgruppe" statt "Tätigkeitsgruppe" im GRTV und der im MTV und im GRTV nicht enthaltenen nachfolgend zitierten Sonderregelung zum räumlichen Geltungsbereich abgesehen - wortgleichen Bestimmungen des § 1 Nr. 2.3 MTV, des § 1 Nr. 2 Buchst. b GRTV und § 1Buchst. b GTV - letzterer wird hier zitiert und nachfolgend allein angeführt - ausgenommen

Angestellte,

1. die ein Aufgabengebiet haben, das höhere Anforderungen stellt als die höchste Tätigkeitsgruppe verlangt und

2. die aufgrund eines schriftlichen Einzelarbeitsvertrages als außertarifliche Angestellte gelten und

3. für die Tarifgebiete Hamburg und Umgebung sowie Schleswig-Holstein:

deren Monatseinkommen - ohne Grundvergütung und Zuschläge für gesondert abgerechnete Mehrarbeitsstunden - das Tarifgehalt der Gehaltsgruppe 9 (Hauptstufe) um mehr als 16 % übersteigt.

Entfällt eine dieser Bedingungen, unterliegt der Angestellte wieder dem Geltungsbereich des Tarifvertrages.

Die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit beträgt gem. § 3 Nr. 1.1 MTV 35 Stunden. Mit Zustimmung des Arbeitnehmers kann dessen individuelle regelmäßige Arbeitszeit auf wöchentlich 40 Stunden verlängert werden (§ 3 Nr. 1.2 MTV). Die Zahl dieser Arbeitnehmer darf 13 % aller Beschäftigten des Betriebes einschließlich der leitenden Angestellten und AT-Angestellten nicht übersteigen (§ 3 Nr. 1.2.2 MTV).

Nach der Gehaltstabelle beträgt das Tarifgehalt der Gehaltsgruppe 9 H (Hauptstufe) GRTV/GTV - nachfolgend meist kurz: G 9 H - gem. § 3 GTV für Angestellte in Schleswig-Holstein seit dem - umgerechnet - 4.001,00 Euro. Es ist auf eine regelmäßige tarifliche Arbeitszeit von 35 Wochenstunden bezogen.

§ 2 Nr. 4 GTV bestimmt:

Angestellte, deren individuelle regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von der tariflichen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit abweicht, erhalten ein Tarifgehalt, das nach folgender Formel errechnet wird:

Tarifgehalt x individuelle regelmäßige

(gem. Gehaltstarifvertrag) wöchentliche Arbeitszeit

Tarifliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit

Zum übertrug die Arbeitgeberin dem bei ihr seit dem als Tarifangestellten beschäftigten Angestellten S die Leitung des Produktionssegments Vapor, Optik und Sensorik. Damit hat er seitdem ein Aufgabengebiet, das höhere Anforderungen stellt, als die höchste "Tätigkeitsgruppe" (§ 1 Buchst. b Nr. 3 GTV) des GRTV - hier "Gehaltsgruppe" genannt - verlangt. Bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden erhielt der Angestellte S neben dem Tarifgehalt G 9 H berechnet auf 40 Stunden/Woche in Höhe von 4.572,57 Euro eine außertarifliche Zulage in Höhe von 82,76 Euro, insgesamt 4.655,33 Euro monatlich.

Die Arbeitgeberin will S ab Oktober 2001 bei einem Anfangsgehalt von monatlich 4.655,33 Euro brutto und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden als AT-Angestellten beschäftigen. Unter Vorlage des schriftlichen Vertragsentwurfs vom , nach dem S als "Außertariflicher Angestellter" iSv. § 1 Buchst. b Nr. 2 GTV gilt, sowie der Tätigkeitsbeschreibung beantragte sie die Zustimmung des Betriebsrats zur Umgruppierung des Angestellten S zum AT-Angestellten. Der Betriebsrat verweigerte die Zustimmung. Die Beteiligten streiten nicht darüber, dass diese Zustimmungsverweigerung form- und fristgemäß erfolgt ist. Sie stimmen auch darin überein, dass vorliegend die tariflichen Voraussetzungen des § 1 Buchst. b Nr. 1 GTV - über den Anforderungen der höchsten Beschäftigungsgruppe liegendes Anforderungsniveau des Aufgabengebiets - und § 1 Buchst. b Nr. 2 GTV - schriftlicher Einzelarbeitsvertrag eines Außertariflichen Angestellten - erfüllt sind. Streitig ist allein, ob die tariflichen Voraussetzungen des sog. Mindestabstandsgebots des § 1 Buchst. b Nr. 3 GTV vorliegen.

Die Arbeitgeberin hat geltend gemacht, der tariflich geforderte Mindestabstand sei gewahrt. Für die Auslegung des § 1 Buchst. b Nr. 3 GTV sei die Entscheidung des Senats vom (- 4 AZR 793/98 - BAGE 95, 133 = AP BetrVG 1972 § 5 Nr. 65 = EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 118) einschlägig. Die tarifliche Regelung des Mindestabstandsgebots in jenem Falle stimme im Wesentlichen mit der im Streitfalle überein. Die vom Senat in der genannten Entscheidung vertretene Auffassung halte sie für zutreffend. Der Tarifnorm des § 1 Buchst. b Nr. 3 GTV sei ihrem Wortlaut nach nicht zu entnehmen, dass für die Berechnung des Mindestabstands von 16 % das Tarifgehalt, welches sich auf die tarifliche wöchentliche Arbeitszeit von 35 Stunden beziehe, vorliegend auf eine 40-Stundenwoche hochgerechnet werden müsse. Dies widerspreche auch dem Sinn und Zweck eines AT-Vertrages, der nach dem Willen der Arbeitsvertragsparteien gerade die Lösung von der tariflichen Grundlage bewirken solle. Der tariflich geforderte Mindestabstand betrage derzeit 4.641,16 Euro (4.001,00 Euro plus 16 %). Das einzelvertraglich zugesagte Gehalt von 4.655,33 Euro liege oberhalb des tariflich geforderten Mindestabstands.

Die Arbeitgeberin hat beantragt,

die vom Antragsgegner verweigerte Zustimmung zur Umgruppierung des Angestellten A S zum AT-Angestellten zu ersetzen.

Der Betriebsrat hat beantragt, den Antrag zurückzuweisen. Er hat die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin müsse bei der Berechnung des Mindestabstands das in § 3 GTV angegebene Tarifgehalt G 9 H auf eine 40-Stundenwoche hochrechnen, so dass das AT-Gehalt zumindest 5.304,18 Euro betragen müsse (4.572,57 Euro plus 16 %). Die Arbeitgeberin könne sich auch nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des Senats vom (- 4 AZR 793/98 - aaO) berufen. Diese sei hier nicht einschlägig, denn die ihr zugrunde liegende Tarifnorm (§ 1 MTV Stahl) sei nicht mit dem hier im Streit befindlichen § 1 Buchst. b Nr. 3 GTV zu vergleichen, die bei dem Mindestabstandsgebot ausdrücklich durch die Herausnahme der Leistung von Mehrarbeitsstunden eine Arbeitszeitkomponente enthalte. Der MTV Stahl kenne auch nicht die Möglichkeit, die tarifliche Arbeitszeit für 13 % der Beschäftigten auf 40 Stunden pro Woche anzuheben. Im Übrigen beruhe die Entscheidung des - 4 AZR 793/98 -) auf einem Denkfehler. Soweit das Bundesarbeitsgericht darin ausgeführt habe, dass bei einem Mindestabstandsgebot die Arbeitszeit nicht anzugleichen sei, weil für den AT-Angestellten gerade eine tarifliche Arbeitszeit nicht gelte, vermenge das Bundesarbeitsgericht hier sachwidrig Tatbestandsmerkmal und Rechtsfolge. Die Nichtgeltung des tariflichen Arbeitszeitsystems für AT-Angestellte sei erst die Rechtsfolge und habe bei der Prüfung des Tatbestandsmerkmals "Mindestabstandsgebot" außer Betracht zu bleiben. Erst die Rechtsfolge erlaube es dem Arbeitgeber, die betroffenen Angestellten über die tariflich vorgesehenen Arbeitszeitregelungen hinaus zu beschäftigen. Als Bezugsgröße sei das AT-Gehalt somit auf 40/35 aufzustocken, nämlich auf das "Tarifgehalt" eines mit 40 Wochenstunden beschäftigten Angestellten, wie aus der Umrechnungsformel des § 2 Nr. 5 GTV - gemeint: § 2 Nr. 4 GTV - folge. Erst wenn auf diesem Niveau das Mindestabstandsgebot erfüllt sei, sei es erlaubt, von einem AT-Angestellten zu sprechen, und demzufolge sei es auch dann erlaubt, den so festgestellten AT-Angestellten aus den tarifvertraglichen Arbeitszeitregelungen herauszunehmen.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Betriebsrat die Abweisung des Antrages.

B. Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist nicht begründet. Die Vorinstanzen haben mit rechtsfehlerfreier Begründung die Zustimmung des Betriebsrats zu der Umgruppierung des Angestellten S zum AT-Angestellten ersetzt.

I. Zutreffend haben die Vorinstanzen angenommen, dass der Betriebsrat das Mitbestimmungsrecht nach § 99 BetrVG bei der Umgruppierung des Angestellten S zum AT-Angestellten hat. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ( - 1 ABR 5/95 - AP BetrVG 1972 § 99 Eingruppierung Nr. 5 = EzA BetrVG 1972 § 99 Nr. 131; - 1 ABR 38/97 -; jüngst - 1 ABR 35/02 - zur Veröffentlichung vorgesehen.

Fundstelle(n):
DB 2004 S. 763 Nr. 14
GAAAB-95123

1Für die Amtliche Sammlung: Ja; Für die Fachpresse: Nein