EuGH Urteil v. - C-9/99

Zulässige nationale Buchpreisregelungen

Leitsatz

[1] Die Artikel 3 Buchstaben c und g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 Buchstaben c und g EG), 3a und 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 4 EG und 10 EG), 7a Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 14 Absatz 2 EG) sowie 102a und 103 EG-Vertrag (jetzt Artikel 98 EG und 99 EG) stehen nicht der Anwendung einer nationalen Regelung entgegen, die die Verleger verpflichtet, den Buchhändlern einen festen Preis für den Weiterverkauf von Büchern vorzuschreiben.

Artikel 3 EG-Vertrag, der die Gebiete und die Ziele bestimmt, auf die sich die Tätigkeit der Gemeinschaft erstreckt, enthält nämlich die allgemeinen Grundsätze des Gemeinsamen Marktes, die in Verbindung mit den sie jeweils konkretisierenden Kapiteln des EG-Vertrags angewandt werden.

Mit der Einheitlichen Europäischen Akte wurde ein Artikel 8a (später Artikel 7a EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 14 EG) in den Vertrag aufgenommen, der den Binnenmarkt definiert und Maßnahmen zu seiner Verwirklichung vorsieht. Der Binnenmarkt zählt nunmehr zu den Zielen der Gemeinschaft (Artikel 3 Buchstabe c EG-Vertrag).

Auch diese Bestimmungen enthalten allgemeine Ziele und sind in Verbindung mit den sie jeweils konkretisierenden Vertragsbestimmungen zu sehen. Da die Artikel 30 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG und 30 EG) sowie 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) nicht geändert worden sind, kann die Auslegung dieser Bestimmungen in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag, die der Gerichtshof im Urteil Leclerc und Thouars Distribution, 229/83, vorgenommen hat, nicht in Frage gestellt werden.

Die Artikel 3a, 102a und 103 EG-Vertrag, die sich auf die Wirtschaftspolitik beziehen, die im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb stehen muss (Artikel 3a und 102a) sind keine Bestimmungen, die den Mitgliedstaaten klare und unbedingte Verpflichtungen auferlegen, auf die sich die Einzelnen vor den nationalen Gerichten berufen können. Es handelt sich dabei nämlich um einen allgemeinen Grundsatz, dessen Anwendung komplexe wirtschaftliche Beurteilungen erfordert, die in die Zuständigkeit des Gesetzgebers oder der nationalen Verwaltung fallen. (vgl. Randnrn. 22-25 und Tenor)

Gesetze: EG-Vertrag Art. 3 Buchst. c; EG-Vertrag Art. 3 Buchst. g; EG-Vertrag Art. 3a; EG-Vertrag Art. 5; EG-Vertrag Art. 7a; EG-Vertrag Art. 14; EG-Vertrag Art. 30; EG-Vertrag Art. 36; EG-Vertrag Art. 85; EG-Vertrag Art. 102a; EG-Vertrag Art. 103

Gründe

1 Die Cour d'appel Grenoble hat mit Urteil vom , beim Gerichtshof eingegangen am , gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung der Artikel 3 Buchstaben c und g EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 Buchstaben c und g EG), 3a und 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 4 EG und 10 EG), 7a Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 14 Absatz 2 EG), sowie 102a und 103 Absätze 3 und 4 EG-Vertrag (jetzt Artikel 98 EG und 99 Absätze 3 und 4 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Échirolles Distribution SA (im Folgenden: Beklagte), die ein Geschäft unter der Firma "Centre Leclerc" betreibt, und dem Buchhändler Corbet sowie der Association du Dauphin u. a. (im Folgenden: Kläger) wegen des Anbietens von Büchern zu einem Preis, der mehr als 5 % unter dem vom Verleger oder Importeur festgesetzten Preis lag, durch die Beklagte.

Nationale Rechtsvorschriften

3 Artikel 1 des Gesetzes Nr. 81-766 vom über den Buchpreis (JORF vom ; im Folgenden: Gesetz vom 10. August 1981) bestimmt:

"Jede natürliche oder juristische Person, die Bücher verlegt oder einführt, hat einen Endverkaufspreis für die von ihr verlegten oder eingeführten Bücher festzusetzen.

Dieser Preis wird öffentlich bekannt gemacht. In einem Dekret werden insbesondere die Preisangabe auf den Büchern, die Verpflichtungen der Verleger und Importeure hinsichtlich der Angaben zur Identifizierung von Büchern und die Berechnung der in diesem Gesetz festgelegten Fristen geregelt.

Die Einzelhändler müssen die Bestellung einzelner Bücher als kostenlose Dienstleistung anbieten. Nur in diesem Fall können sie auf den von ihnen angewandten effektiven Endverkaufspreis Spesen oder Entgelte für zusätzliche, vom Käufer ausdrücklich gewünschte Sonderleistungen aufschlagen, deren Kosten vorher vereinbart wurden.

Die Einzelhändler müssen einen effektiven Endverkaufspreis anwenden, der zwischen 95 % und 100 % des vom Verleger oder Importeur festgesetzten Preises liegt.

Bei der Einfuhr von in Frankreich verlegten Büchern muss der vom Importeur festgesetzte Endverkaufspreis mindestens so hoch sein wie der vom Verleger festgesetzte Preis.

[Gesetz Nr. 85-500 vom , Artikel 1] Die Bestimmungen des vorstehenden Absatzes gelten nicht für aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eingeführte Bücher, es sei denn, dass sich aus objektiven Umständen, insbesondere aus der fehlenden tatsächlichen Vermarktung in diesem Staat, ergibt, dass der Vorgang dazu diente, Absatz 4 dieses Artikels für den Einzelhandelsverkauf zu umgehen."

Der Ausgangsrechtsstreit

4 Mit Urteil des Tribunal de commerce Grenoble vom 12. Dezember 1997 wurde die Beklagte verurteilt, an die Kläger bestimmte Beträge als Schadensersatz zu zahlen, da sie unter Verstoß gegen Artikel 1 Absatz 4 des Gesetzes vom Bücher zu einem Preis zum Verkauf angeboten habe, der um mehr als 5 % unter dem vom Verleger oder Importeur festgesetzten Preis gelegen habe.

5 Mit ihrer bei der Cour d'appel Grenoble gegen dieses Urteil eingelegten Berufung beantragte die Beklagte, dem Gerichtshof eine Frage nach der Vereinbarkeit der französischen Regelung mit den Bestimmungen zu einem "Binnenmarkt, der sich auf sämtliche Staaten der Union erstreckt", wie er in den Artikeln 3 Buchstabe g, 5 und 7a EG-Vertrag vorgesehen sei, zur Vorabentscheidung vorzulegen.

6 Die Kläger machten geltend, dass das Gesetz vom 10. August 1981 nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes mit den Artikeln 30, 34 und 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG, 29 EG und 30 EG) vereinbar sei; außerdem habe der Gerichtshof festgestellt, dass es an einer gemeinschaftliche Wettbewerbspolitik auf dem Büchersektor fehle und die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus den Artikeln 3, 5 und 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) nicht hinreichend bestimmt seien, um es ihnen zu untersagen, eine Regelung zur Festsetzung des Buchpreises zu erlassen.

7 Im Vorlageurteil wird darauf hingewiesen, dass die Buchpreisbindung im Gemeinschaftsrecht nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes entweder, wenn sie auf einer Vereinbarung zwischen Gewerbetreibenden beruhe, als Verstoß gegen Artikel 85 EG-Vertrag (Urteil vom in den Rechtssachen 43/82 und 63/82, VBVB und VBBB/Kommission, Slg. 1984, 19) oder, wenn sie den Handelsverkehr zwischen Mitgliedstaaten behindere, als Verletzung der Artikel 30 und 36 EG-Vertrag angesehen werde. Das vorlegende Gericht erinnert auch daran, dass die französische Regelung bereits mehrfach aufgrund der Antworten des Gerichtshofes auf durch sie veranlasste Vorlagefragen (diese Antworten hätten z. T. auch zu dem Dekret Nr. 90-73 vom und einem Erlass vom selben Tag geführt) geändert worden sei; der Umstand, dass die Kommission nicht mehr tätig geworden sei, erlaube den Schluss, dass die Regelung nicht mehr gegen die Gemeinschaftsbestimmungen über den freien Warenverkehr verstoße.

8 Der Gerichtshof habe im Urteil vom in der Rechtssache 229/83 (Leclerc, Slg. 1985, 1) für Recht erkannt, dass Artikel 5 Absatz 2 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe f EWG-Vertrag (später Artikel 3 Buchstabe g EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 3 Buchstabe g EG) und 85 EWG-Vertrag beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts den Mitgliedstaaten nicht den Erlass von Rechtsvorschriften verbiete, nach denen der Endverkaufspreis der Bücher vom Verleger oder Importeur eines Buches festgesetzt werden müsse und für jeden Einzelhändler verbindlich sei. In Randnummer 20 dieses Urteils habe der Gerichtshof festgestellt, dass in Bezug auf rein nationale Systeme oder Praktiken im Buchsektor keine Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft bestehe, die die Mitgliedstaaten aufgrund ihrer Verpflichtung, Maßnahmen zu unterlassen, die die Verwirklichung der Vertragsziele gefährden könnten, zu respektieren hätten. Das vorlegende Gericht hebt dabei hervor, dass sich der Gerichtshof ausdrücklich auf den Stand des Gemeinschaftsrechts zum Zeitpunkt der Entscheidung bezogen habe.

9 Zu der von der Beklagten vorgeschlagenen Fassung der Vorlagefrage stellt das vorlegende Gericht fest, als der Gerichtshof über die Vereinbarkeit der französischen Regelung mit dem Gemeinschaftsrecht entschieden habe, habe Artikel 3 Buchstabe c den Binnenmarkt nicht erwähnt und Artikel 7a nicht existiert. Für die Beurteilung der Erheblichkeit eines Vorabentscheidungsersuchens sei zu prüfen, ob es sich bei einem Binnenmarkt nur um einen Markt handele, bei dem der Warenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten frei sei, oder ob dies ein einheitlicher Markt sei, dessen Funktionsregeln für die Mitgliedstaaten ebenso verbindlich seien wie für Privatpersonen.

10 Aus der Tatsache, dass der Grundsatz des freien Warenverkehrs bereits vor der Einführung des Begriffes Binnenmarkt in Artikel 3 Buchstabe c EWG-Vertrag enthalten war, schließt die Cour d'appel, dass der Binnenmarkt nicht mit einem Raum des freien Warenverkehrs gleichgesetzt werden könne, da dies dem Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers nicht gerecht würde. Ein solcher Markt sei zudem bereits in Randnummer 33 des Urteils vom in der Rechtssache 15/81 (Schul, Slg. 1982, 1409) als Verschmelzung der nationalen Märkte zu einem einheitlichen Markt beschrieben worden, durch die der Befugnis eines Staates ein Ende gesetzt zu werden scheine, in seinem Hoheitsgebiet eine wettbewerbsfreie Zone für ein bestimmtes Produkt zu schaffen, indem er die Hersteller (Verleger) verpflichte, einen Preis festzusetzen, von dem die Wiederverkäufer (Buchhändler) nicht entsprechend der Stellung des Käufers auf dem Markt wesentlich abweichen dürften.

11 Die zitierte Feststellung in Randnummer 20 des Urteils Leclerc habe ihre Bedeutung verloren, da der "Binnenmarkt" im Unterschied zum Gemeinsamen Markt des Artikels 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 2 EG) gemäß Artikel 3 Buchstaben c und g EG-Vertrag ein Begriff des positiven Rechts geworden sei.

12 Der "Binnenmarkt" scheine ein bereits feststehendes Instrument im Dienste des Zieles des "wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalts" im Sinne von Artikel B erster Gedankenstrich des Vertrages über die Europäische Union (nach Änderung jetzt Artikel 2 erster Gedankenstrich EU) zu sein. Das vorlegende Gericht bezieht sich auch auf den "Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb" (der in den Artikeln 3a und 102a EG-Vertrag erwähnt und durch Artikel 103 Absätze 3 und 4 EG-Vertrag verwirklicht werde); diese Regeln schienen für die Mitgliedstaaten klare und unbedingte Pflichten zu begründen, wie sie für positives Recht kennzeichnend seien.

13 Außerdem ergebe sich aus Randnummer 30 des Urteils Leclerc, dass es auf dem einheitlichen Binnenmarkt, der vom Prinzip der Marktwirtschaft und des freien Wettbewerbs geprägt sei, wohl keine Ausnahme für Bücher geben könne. Auch beziehe sich der Beschluss 97/C 305/02 des Rates vom über grenzübergreifende Buchpreisbindung in europäischen Sprachräumen (ABl. C 305, S. 2), der "die doppelte Dimension des Buches, das sowohl Träger kultureller Werte als auch Handelsware ist", anerkenne, auf "die Einfügung des Artikels 128 Absatz 4 in den Vertrag", der dem Begriff der Kultur eine vor allem auf das künstlerische und literarische Schaffen ausgerichtete Bedeutung gebe. Die französische Buchpreisregelung habe jedoch allgemeine Geltung und erfasse auch Fachbücher; dadurch würden die Betriebskosten der Unternehmen erhöht, für die Informationen in Buchform notwendig und wichtig seien und denen das Recht auf Wettbewerb versagt werde (Juristen, Ärzte, Architekten). Die Kommission sei ersucht worden, derartige Gesichtspunkte dahin gehend zu berücksichtigen, dass "den kulturellen und den wirtschaftlichen Aspekten des Buches das gleiche Gewicht zukommt".

14 Da sie jedoch keine künftige Änderung des Gemeinschaftsrechts in Bezug auf den Buchpreis abwarten könne und die Beklagte darauf hingewiesen habe, dass die Schaffung des Binnenmarktes den Gerichtshof veranlassen könnte, seine früheren Entscheidungen, die "beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts" erlassen worden seien, zu ändern, hat die Cour d'appel Grenoble das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist die französische Regelung, die die Verleger verpflichtet, den Buchhändlern einen festen Preis für den Weiterverkauf von Büchern, unabhängig von deren Inhalt, sowohl an Verbraucher als auch an Erwerber für berufliche Zwecke vorzuschreiben, mit dem am eingerichteten Binnenmarkt und insbesondere mit den Artikeln 3 Buchstaben c und g, 3a, 5, 7a Absatz 2, 102a und 103 Absätze 3 und 4 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft in der Fassung der Einheitlichen Europäischen Akte und des Vertrages über die Europäische Union vereinbar?

Zur Vorlagefrage

15 Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof im Verfahren des Artikels 177 EG-Vertrag nur mit Fragen nach der Auslegung und Gültigkeit des Gemeinschaftsrechts befasst werden, während es Sache des vorlegenden Gerichts ist, die nationalen Rechtsvorschriften - im Licht der Vorabentscheidung - zu beurteilen (u. a. Urteil vom in den Rechtssachen C-37/96 und C-38/96, Sodiprem u. a., Slg. 1998, I-2039, Randnr. 22).

16 Die Vorlagefrage ist daher so zu verstehen, dass das vorlegende Gericht wissen will, ob die Artikel 3 Buchstaben c und g, 3a, 5, 7a Absatz 2, 102a und 103 EG-Vertrag der Anwendung einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Verleger verpflichtet, den Buchhändlern einen festen Preis für den Weiterverkauf von Büchern vorzuschreiben.

17 Die Beklagte macht erstens geltend, das Gesetz vom 10. August 1981 habe eine wettbewerbsfreie Zone geschaffen und verstoße damit gegen den Begriff des Marktes, der auf der Gegenüberstellung von Angebot und Nachfrage beruhe. Der Erlass eines Gesetzes über die Buchpreisbindung beruhe zwar auf dem Bestreben des französischen Gesetzgebers, das Buch als Träger künstlerischen und literarischen Schaffens zu schützen; dabei werde jedoch nicht berücksichtigt, dass ein solches Gesetz seiner allgemeinen Geltung wegen auch Fachbücher erfasse, die eines solchen Schutzes nicht bedürften.

18 Die Beklagte verweist außerdem auf den Zusammenhang zwischen dem Buch als Kulturträger und der Wirtschaft, der sich u. a. an dem durch das Gesetz vom ausgelösten Anstieg der Buchpreise und der Aktienkurse derjenigen Verlagsgesellschaften zeige, die als literarisch eingestufte Werke verlegten.

19 Zweitens habe der Gerichtshof in seinen Urteilen zur französischen Buchpreisbindung zwar das Prinzip der verbindlichen Preisfestsetzung durch den Verleger als mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar angesehen; er habe sich dabei jedoch (Urteil Leclerc) ausdrücklich auf den gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts zu einer Zeit vor der Schaffung des Binnenmarktes am bezogen. Nach der Einführung der Bestimmungen über den Binnenmarkt könnten die entsprechenden Vorschriften des EG-Vertrags der französischen Regelung entgegenstehen.

20 Drittens macht die Beklagte - im Einklang mit den Ausführungen des vorlegenden Gerichts - geltend, der Binnenmarkt könne nicht mit einem Raum des freien Warenverkehrs gleichgesetzt werden, ohne den Willen des Gesetzgebers zu verfälschen; ein solcher Markt, der aus der Verschmelzung der nationalen Märkte hervorgegangen sei (Urteil Schul), müsse als ein einheitlicher Markt verstanden werden, als ein Raum des freien Wettbewerbs, dessen Funktionsregeln für Staaten ebenso verbindlich seien wie für Privatpersonen. Die Beklagte vertritt zudem unter Berufung auf die in den Artikeln 3 Buchstaben c und g, 3a, 5 und 102a EG-Vertrag niedergelegten Grundsätze, auf deren Verwirklichung Artikel 103 Absätze 3 und 4 EG-Vertrag gerichtet sei, die Ansicht, dass der Binnenmarkt als Begriff des positiven Rechts anzusehen sei.

21 Schließlich macht sie geltend, die französische Regelung verstoße gegen Artikel 30 EG-Vertrag, da sie auch dann anwendbar sei, wenn ein Buch in Frankreich zum Versand in einen anderen Mitgliedstaat verkauft werde, so dass die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats an die vom französischen Verleger festgelegten Preise gebunden seien und so der freie Warenverkehr beeinträchtigt werde. Dies sei auch dann der Fall, wenn es sich nur um eine potentielle Behinderung handle (Urteil vom in den Rechtssachen C-321/94, C-322/94, C-323/94 und C-324/94, Pistre u. a., Slg. 1997, I-2343).

22 Im Hinblick auf die Frage des vorlegenden Gerichts ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits im Urteil vom in der Rechtssache C-341/95 (Bettati, Slg. 1998, I-4355, Randnr. 75) festgestellt hat, dass Artikel 3 EG-Vertrag, der die Gebiete und die Ziele bestimmt, auf die sich die Tätigkeit der Gemeinschaft erstreckt, die allgemeinen Grundsätze des Gemeinsamen Marktes enthält, die in Verbindung mit den sie jeweils konkretisierenden Kapiteln des EG-Vertrags angewandt werden.

23 Mit der Einheitlichen Europäischen Akte wurde ein Artikel 8a (später Artikel 7a EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 14 EG) in den Vertrag aufgenommen, der den Binnenmarkt definiert und Maßnahmen zu seiner Verwirklichung vorsieht. Der Binnenmarkt zählt nunmehr zu den Zielen der Gemeinschaft (Artikel 3 Buchstabe c EG-Vertrag).

24 Wie die Kommission zu Recht hervorhebt, enthalten auch diese Bestimmungen allgemeine Ziele und sind in Verbindung mit den sie jeweils konkretisierenden Vertragsbestimmungen zu sehen. Da die Artikel 30, 36 und 85 EG-Vertrag nicht geändert worden sind, kann die Auslegung dieser Bestimmungen in Verbindung mit Artikel 5 EG-Vertrag, die der Gerichtshof im Urteil Leclerc vorgenommen hat, nicht in Frage gestellt werden.

25 Die Artikel 3a, 102a und 103 EG-Vertrag, die sich auf die Wirtschaftspolitik beziehen, die im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb stehen muss (Artikel 3a und 102a) sind keine Bestimmungen, die den Mitgliedstaaten klare und unbedingte Verpflichtungen auferlegen, auf die sich die Einzelnen vor den nationalen Gerichten berufen können. Es handelt sich dabei nämlich um einen allgemeinen Grundsatz, dessen Anwendung komplexe wirtschaftliche Beurteilungen erfordert, die in die Zuständigkeit des Gesetzgebers oder der nationalen Verwaltung fallen.

26 Auf die Vorlagefrage ist daher zu antworten, dass die Artikel 3 Buchstaben c und g, 3a, 5, 7a Absatz 2, 102a und 103 EG-Vertrag nicht der Anwendung einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die Verleger verpflichtet, den Buchhändlern einen festen Preis für den Weiterverkauf von Büchern vorzuschreiben.

Kostenentscheidung:

Kosten

27 Die Auslagen der französischen, der griechischen, der österreichischen und der norwegischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Fundstelle(n):
UAAAB-72878

1Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg