BFH Urteil v. - IX R 59/03

Aufwendungen für den Umbau einer eigengenutzten Wohnung in zwei eigenständige fremdvermietete Arztpraxen als Herstellungskosten

Gesetze: EStG §§ 9, 21; HGB § 255

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

I. Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) —im Streitjahr 1995 zur Einkommensteuer zusammen veranlagte Eheleute— sind von Beruf…Der Kläger ist Eigentümer eines Grundstücks, das mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebaut und anschließend in Wohneigentum/Teileigentum aufgeteilt wurde. Im Erdgeschoss befinden sich die vom Kläger an einen…vermieteten Räumlichkeiten sowie die von den Klägern betriebene…Im Obergeschoss liegt eine an einen…vermietete Praxis. Ebenso im Obergeschoss und —über eine Treppe erreichbar— im Dachgeschoss hatten die Kläger ihre —als Einfamilienhaus bewertete— eigengenutzte Wohnung.

In den Jahren 1995 und 1996 baute der Kläger die auf zwei Ebenen im Ober- und Dachgeschoss liegende eigengenutzte Wohnung mit einem Kostenaufwand von 1 069 336,69 DM in zwei eigenständige Arztpraxen um. Der umbaute Raum veränderte sich hierdurch um 305 cbm auf 1 322 cbm, die Wohn- bzw. Nutzfläche um 92 qm auf 302 qm. Dabei wurde ein bislang in der Wohnung im Obergeschoss gelegenes Schwimmbad abgerissen und auf dessen Fläche eine Geschossdecke zwischen Obergeschoss und Dachgeschoss neu eingezogen; die Balkone der Wohnung wurden zu Nutzflächen umgewandelt, indem neue Außenmauern angebracht und das Dach des Gebäudes über die bisherigen Terrassen hinaus verlängert wurde. Bei der Umgestaltung wurden die komplette Heizungsanlage ausgetauscht, bestehende Wände versetzt und zusätzlich Wände eingezogen, vorhandene Fenster und Jalousien erneuert und umfangreiche Elektro-, Sanitär-, Gipser- und Malerarbeiten durchgeführt. Im Obergeschoss wurde die vorhandene Fußbodenheizung wegen aufgetretener Wasserschäden in der Decke der darunterliegenden Räume komplett ausgetauscht. Nicht mehr umweltgerechte Materialien wurden durch zeitgemäße ersetzt. Nach dem Umbau vermietete der Kläger die Arztpraxen an Dritte.

Von den im Jahr 1995 angefallenen Kosten der vorgenannten Umbaumaßnahmen in Höhe von 29 213,43 DM machte der Kläger entsprechend einer Schätzung seines Archtitekten 8 130 DM (= 27,83 %) als Herstellungskosten und 21 083,43 DM (= 72,17 %) als Erhaltungsaufwendungen geltend. Im Anschluss an die bei den Klägern durchgeführte Außenprüfung beurteilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die Aufwendungen als Herstellungskosten. Der Einspruch blieb erfolglos.

Die Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab (Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2003, 1683); denn die geltend gemachten Aufwendungen seien angesichts der Erweiterungsmaßnahmen und der dauerhaft veränderten Gebäudefunktion (erweitertes Nutzungspotential durch wesentliche Verbesserung) insgesamt als Herstellungskosten zu beurteilen.

Mit ihrer Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts (§ 21 des EinkommensteuergesetzesEStG—, § 255 Abs. 2 des HandelsgesetzbuchesHGB—). Eine Funktionsänderung allein könne nicht zu Herstellungskosten führen; auch liege der für die Annahme einer wesentlichen Verbesserung erforderliche sog. Standardsprung mit deutlicher Erhöhung des Gebrauchswerts des Gebäudes nicht vor. Tatsächlich wie baurechtlich habe sich das Gepräge des Gebäudes nicht verändert. In großem Umfang seien Erhaltungsaufwendungen angefallen (z.B. Austausch der Heizungsanlage, Malerarbeiten), für die ein bautechnischer Zusammenhang zu den Erweiterungsmaßnahmen nicht gegeben sei.

Sie beantragen sinngemäß, das FG-Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom unter Minderung des zu versteuernden Einkommens um 21 083,43 DM geändert festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Das FG hat im Ergebnis zu Recht die von den Klägern geltend gemachten Aufwendungen für den Umbau der Wohnung in zwei Arztpraxen insgesamt als Herstellungskosten beurteilt.

1. Aufwendungen, die durch die Absicht veranlasst sind, Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen (§ 21 Abs. 1 EStG), sind dann nicht als Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 EStG) sofort abziehbar, wenn es sich um Herstellungskosten handelt. Welche Aufwendungen zu den Herstellungskosten zählen, bestimmt sich auch für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nach § 255 Abs. 2 HGB (vgl. , BFHE 198, 74, BStBl II 2003, 569, unter II. 3. b). Danach sind Herstellungskosten die Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes (Wirtschaftsguts), seine Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende wesentliche Verbesserung entstehen.

a) Die Herstellung eines (neuen) Wirtschaftsguts ist —neben der Schaffung eines bisher noch nicht vorhandenen Wirtschaftsguts (Erst-Herstellung) und der Wiedererstellung eines bereits vorhandenen, aber zerstörten oder unbrauchbar gewordenen Wirtschaftsguts (Zweit-Herstellung)— auch dann anzunehmen, wenn ein vorhandenes Wirtschaftsgut aufgrund von Baumaßnahmen in seiner Funktion bzw. seinem Wesen verändert wird (Funktions-/Wesensänderung, vgl. Ellrott/Schmidt-Wendt in Beck'scher Bilanzkommentar, § 255 HGB Rz. 375; Blümich/Ehmcke, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 6 EStG Rz. 384, 405; Werndl, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 6 Rdnr. B 191, 283, 285). Ein solcher Fall der Wesensänderung ist bei einem vorhandenen Gebäude oder Gebäudeteil gegeben, wenn sich durch bauliche Maßnahmen dessen Funktion/Nutzung, d.h. die Zweckbestimmung ändert (Blümich/ Ehmcke, a.a.O., § 6 EStG Rz. 384, 405; Ellrott/Schmidt-Wendt, a.a.O., § 255 HGB Rz. 378). Nicht erforderlich ist, dass sich durch den Umbau „die Nutzungsfunktion des ganzen Gebäudes verändert"; es genügt die Änderung der Nutzungsfunktion eines Gebäudeteils (vgl. , BFHE 182, 344, BStBl II 1997, 533; zum Gebäudeteil als selbständigem Wirtschaftsgut vgl. BFH-Beschlüsse vom GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl II 1974, 132, unter C. II. 2.; vom GrS 4/92, BFHE 176, 267, BStBl II 1995, 281, unter C. II.).

Entsprechend hat die Rechtsprechung Herstellungskosten angenommen z.B. beim Umbau einer Apotheke in eine Wohnung (, BFHE 83, 16, BStBl II 1965, 507), einer Mühle zu einem Wohnhaus (, BFHE 168, 109, BStBl II 1992, 808), eines Getreidespeichers zu einer Wohnung (, BFHE 180, 134, BStBl II 1996, 514), von Mietwohnungen in eine Arztpraxis (BFH in BFHE 182, 344, BStBl 1997, 533), eines Wohnhauses in ein Bürogebäude (, BFH/NV 1998, 1086), eines Zweifamilienhauses in ein Einfamilienhaus (, BFH/NV 2003, 763), eines Zweifamilienhauses in ein Dreifamilienhaus, dabei Umbau eines nicht genutzten Dachgeschosses zu einer Einliegerwohnung (, EFG 1992, 180, rkr.), eines Einfamilienhauses mit Einlieger in ein Mehrfamilienhaus, dabei Umbau der EG-Wohnung in ein Büro (, EFG 2003, 841, rkr.), einer Wohnung im EG/KG zu einem Sonnenstudio (, EFG 2004, 798, Revision XI R 72/03).

b) Hingegen beziehen sich „Erweiterung” und „wesentliche Verbesserung” i.S. des § 255 Abs. 2 Satz 1 (2. und 3. Alternative) HGB auf ein bereits vorhandenes, nämliches Wirtschaftsgut.

Unter dem Gesichtspunkt der Erweiterung sind (nachträgliche) Herstellungskosten gegeben, wenn nach Fertigstellung etwas Neues geschaffen wurde, also —gemessen an ihrer Funktion— bisher nicht vorhandene Bestandteile in das Gebäude eingefügt werden, deren Einbau neben der Substanzmehrung auch eine „Erweiterung der Nutzungsmöglichkeit des Gebäudes” zur Folge haben (vgl. im Einzelnen , BStBl II 2004, 949, m.w.N.).

Eine wesentliche Verbesserung ist bei einem Wohngebäude immer dann gegeben, wenn der Gebrauchswert (das Nutzungspotential; vgl. , BFHE 177, 454, BStBl II 1996, 632, unter I. 3. b bb) des Gebäudes durch die Baumaßnahmen in bestimmter Weise gehoben wird. Dies setzt voraus, dass mindestens drei der Kernbereiche der Ausstattung einer Wohnung, nämlich Elektro-, Heizungs-, Sanitär-installationen und Fenster, von Grund auf erneuert werden (sog. Standardsprung; vgl. im Einzelnen BFH in BFHE 198, 74, BStBl II 2003, 569, zu II. 3. a).

2. Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das FG im Ergebnis zu Recht die Aufwendungen des Klägers für den Umbau der (bisher eigengenutzten) Wohnung in zwei (nunmehr fremdvermietete) Arztpraxen insgesamt als Herstellungskosten beurteilt.

Allerdings ist das FG zu Unrecht von einer wesentlichen Verbesserung (§ 255 Abs. 2 Satz 1 3. Alternative HGB) infolge dauerhaft veränderter Gebäudefunktion (erweitertes Nutzungspotential) ausgegangen. Durch die vom Kläger durchgeführten Baumaßnahmen, die das FG für den Senat bindend festgestellt hat (vgl. § 118 Abs. 2 FGO), sind vielmehr —unter Verwendung der bisherigen, sich über zwei Geschosse erstreckenden Wohnung der Kläger (eigengenutztes Wirtschaftsgut) und Schaffung davon verschiedener Nutzungs- und Funktionszusammenhänge— zwei fremdvermietete Arztpraxen, also zwei neue Wirtschaftsgüter, entstanden. Damit wurde die bisher eigengenutzte Wohnung in Wesen und Funktion (grundlegend) verändert: Die Aufwendungen dafür sind Herstellungskosten i.S. von § 255 Abs. 2 Satz 1 1. Alternative HGB. Diese umfassen auch die im Zusammenhang damit angefallenen Aufwendungen für Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen, die isoliert betrachtet als Erhaltungsaufwendungen zu werten wären; denn das Trennungsprinzip greift nur in Fällen der Erweiterung oder wesentlichen Verbesserung (s.a. , BStBl I 2003, 386, Tz. 33), nicht aber bei Maßnahmen zur Herstellung neuer Wirtschaftsgüter. Soweit die Baumaßnahmen zu Erweiterungen geführt haben, tritt § 255 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative HGB angesichts der Neuschaffung von Wirtschaftsgütern durch Funktionsänderung hinter § 255 Abs. 2 Satz 1 1. Alternative HGB zurück.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2005 S. 543
BFH/NV 2005 S. 543 Nr. 4
KAAAB-42777