BFH Urteil v. - IX R 43/03 BStBl 2004 II S. 507

Entgelt für Inanspruchnahme eines Grundstücks im Zuge der Errichtung einer baulichen Anlage auf dem Nachbargrundstück

Leitsatz

Erhält ein Eigentümer für die Inanspruchnahme seines Grundstücks im Zuge der Errichtung einer baulichen Anlage auf dem Nachbargrundstück ein Entgelt, so muss er dieses nach § 21 Abs. 1 EStG versteuern.

Gesetze: EStG § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1EStG § 22 Nr. 3

Instanzenzug: FG Baden-Württemberg, Außensenate Stuttgart, vom 4 K 80/00 (EFG 2004, 264) (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Eheleute, die in den Streitjahren (1995 und 1996) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt wurden. Die Klägerin ist Eigentümerin eines mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks, das die Kläger in den Streitjahren gemeinsam bewohnten. Auf dem unmittelbar angrenzenden Nachbargrundstück errichtete ein Bauträgerunternehmen (im Folgenden: B) ein Mehrfamilienhaus mit Tiefgarage. Um das Bauprojekt zu verwirklichen, musste das Bauträgerunternehmen das Grundstück der Klägerin für Aushub und Arbeitsraum während der Bauzeit teilweise in Anspruch nehmen. Über den sachlichen und zeitlichen Umfang der Inanspruchnahme kam es zwischen der Klägerin und B zum Streit, der durch eine vertragliche Vereinbarung vom Juli 1995 beigelegt wurde. Darin wurde B u.a. gestattet, Verankerungen und Vernagelungen zur Hangsicherung bis zu einer Tiefe von höchstens 10 Meter ab der gemeinsamen Grundstücksgrenze anzubringen und bereits vorgenommene Verankerungen zu belassen. B verpflichtete sich, die in Anspruch genommene Grundstücksfläche bis zum wiederherzustellen und einen zusätzlichen Ausgleich für die Inanspruchnahme des Grundstücks in Höhe von 15 000 DM zu zahlen.

B zahlte den vereinbarten Betrag im August 1995. Nachdem sich die vertraglich vereinbarte Wiederherstellung der Geländeoberfläche über den im Vertrag genannten Termin hinaus bis über das Jahresende verzögert hatte, erhob die Klägerin im März 1996 Klage gegen B und machte als Entschädigung für die entgangene Nutzung ihres am Haus gelegenen Gartengeländes einen Betrag von 26 500 DM (für den Zeitraum vom bis zum je 100 DM täglich) geltend. B zahlte diese Summe 1996 in zwei Teilbeträgen. Der Zivilrechtsstreit wurde einverständlich beigelegt.

Nachdem der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) durch eine Kontrollmitteilung von dem Sachverhalt erfahren hatte, änderte er die Einkommensteuerbescheide für die Streitjahre und erfasste die Zahlungen der B abzüglich (insoweit unstreitiger) Aufwendungen für Anwälte, Fahrten, Porti und Telefon als Werbungskosten als Einkünfte aus Leistungen i.S. von § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).

Die Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) bejahte die Voraussetzungen des § 22 Nr. 3 EStG. B habe Duldungsleistungen der Klägerin entgolten und keinen Schadensersatzanspruch befriedigt. Bereits das Nachbarrecht Baden-Württembergs verpflichte B zur Naturalrestitution. Die 1996 vorgenommene Zahlung bilde die Gegenleistung für die über den vereinbarten Termin hinausgehende Nutzung des Grundstücks.

Mit der Revision rügen die Kläger Verletzung materiellen Rechts. Mit den vereinbarten Zahlungen hätten nicht nur die Beeinträchtigungen während der Bauzeit, sondern auch ein bleibender merkantiler Minderwert entschädigt werden sollen.

II.

Die Revision ist unbegründet. Zwar hat das FG § 22 Nr. 3 EStG unrichtig angewandt; seine Entscheidung stellt sich aber aus anderen Gründen als richtig dar, so dass die Revision gemäß § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen ist.

1. Unzutreffend hat das FG die von B an die Klägerin geleisteten Zahlungen als Einkünfte aus Leistungen gemäß § 22 Nr. 3 EStG erfasst. Nach § 22 Nr. 3 EStG sind sonstige Einkünfte (§ 2 Abs. 1 Nr. 7 EStG) Einkünfte aus Leistungen, soweit sie weder zu anderen Einkunftsarten noch zu den Einkünften i.S. der Nummern 1, 1 a, 2 oder 4 der Vorschrift gehören, z.B. Einkünfte aus gelegentlichen Vermittlungen. Im Streitfall fehlt es an dieser Voraussetzung; denn § 22 Nr. 3 EStG tritt hinter die Einkunftsart Vermietung und Verpachtung nach § 21 EStG (vgl. die Ausführungen unter 2.) zurück.

2. Zu den Einkünften gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6, § 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören solche aus der Vermietung und Verpachtung unbeweglichen Vermögens. Derartige Einkünfte erzielt, wer einem anderen zeitlich begrenzt unbewegliches Vermögen gegen Entgelt zum Gebrauch oder zur Nutzung überlässt (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 2003, 1175).

a) Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor. Nach dem vom FG festgestellten Inhalt des Vertrages vom Juli 1995 hat die Klägerin B gestattet, während der Zeit, in der dieser das Nachbargrundstück mit dem Mehrfamilienhaus bebaut, die auf ihrem Grundstück eingebrachten Verankerungen und Vernagelungen zu belassen und weitere Sicherungsmaßnahmen anzubringen. Für diese Inanspruchnahme des Grundstücks zahlte B im Streitjahr 1995 insgesamt 15 000 DM und im Streitjahr 1996 weitere 26 500 DM. Richtet sich die vertragliche Vereinbarung —wie hier— auf eine zeitlich begrenzte Nutzungsbefugnis, so kommt es nicht darauf an, wie die Parteien ihr Übereinkommen bezeichnen und ob sie die Begriffe „Vermietung„ oder „Verpachtung„ verwenden. Maßgeblich ist der wirtschaftliche Gehalt des von den Beteiligten abgeschlossenen Vertrages (vgl. , BFHE 111, 43, BStBl II 1974, 130).

Danach führt die unmittelbare Inanspruchnahme des Grundstücks gegen Entgelt —wie sie hier gegeben ist— zu einer mit der Vermietung vergleichbaren Nutzungsüberlassung, die sich mit dieser besonderen Qualität von einem Verhalten unterscheidet, dessen wirtschaftlicher Schwerpunkt lediglich darin liegt, einen bestimmten Zustand des Nachbargrundstücks hinzunehmen und das als bloßes „Dulden„ gemäß § 22 Nr. 3 EStG der Besteuerung unterliegt (vgl. dazu z.B. , BFH/NV 2004, 41, m.w.N.; , BFHE 138, 177, BStBl II 1983, 404; vom VIII R 97/73, BFHE 120, 180, BStBl II 1977, 26; vgl. zur Problematik auch Trzaskalik, in: Kirchhof/ Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 21 Rdnr. B 56 ff.).

b) Entgegen der Auffassung der Kläger sollte das vereinbarte Entgelt nicht den merkantilen Minderwert am Objekt der Klägerin entschädigen.

aa) Für eine Vereinbarung auf der Nutzungsebene spricht bereits der Wortlaut des Vertrages. Unter VIII. verpflichtete sich B, „als weiteren Ausgleich für die weitere Inanspruchnahme des Grundstücks„ 15 000 DM zu zahlen. Dass die Vertragsparteien damit nur ein Nutzungsentgelt vereinbart haben, kommt entscheidend auch in der Nummer III. der Vertragsurkunde zum Ausdruck. Danach ist die grundsätzliche Verpflichtung der B zur „Leistung von Schadensersatz im Falle des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen…nicht ausgeschlossen„. Der ausbedungene Betrag sollte dementsprechend nicht entschädigen, sondern die Gegenleistung dafür bilden, dass B das Grundstück der Klägerin für Sicherungsmaßnahmen teilweise nutzen durfte. Das gilt auch für die 1996 gezahlten 26 500 DM, ein Betrag, der als Entgelt für die weitere Nutzung nach dem vom FG festgestellten Sachverhalt genau für den Zeitraum der Gebrauchsüberlassung bemessen wurde, der über den vertraglich vereinbarten hinausging.

bb) Das unterscheidet die Fallkonstellation im Streitfall von Vereinbarungen, die den Vermögensbereich betreffen und die z.B. das Eigentum des Steuerpflichtigen infolge eines Enteignungsverfahrens beschränken. Derartige Entschädigungen sind nicht steuerbar (vgl. dazu , BStBl II 1995, 640).

c) Es kommt nicht darauf an, ob die Klägerin bereits aus Gründen des Nachbarrechts verpflichtet war, die Sicherungsmaßnahmen auf ihrem Grundstück zu dulden.

aa) Eine derartige Verpflichtung kann sich —wie das FG zutreffend ausführt— aus § 7c des Nachbarrechtsgesetzes des Landes Baden-Württemberg —NRG— vom (Gesetzblatt für Baden-Württemberg —LGBl— 1959, 171; § 7c eingefügt durch § 114 der Landesbauordnung für Baden-Württemberg vom , LGBl, 151) ergeben. Danach muss der Eigentümer des Nachbargrundstücks u.a. das Betreten seines Grundstücks oder das Aufstellen von Gerät schon dann dulden, wenn dies zur Vermeidung erheblicher Mehraufwendungen bei der Errichtung von baurechtlich zulässigen Anlagen notwendig ist (vgl. dazu Vetter/ Karremann/Kahl, Das Nachbarrecht in Baden-Württemberg, 17. Aufl., 1996, Anm. 1 zu § 7c NRG). Eine bereits bestehende öffentlich-rechtliche Verpflichtung hindert aber nicht, eine Gebrauchsüberlassung gegen Entgelt anzunehmen (vgl. dazu auch Trzaskalik, in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 21 Rdnr. B 61 a.E.).

Überdies haben die Klägerin und B mit der Vereinbarung ihren Streit über die Art und den Umfang der Inanspruchnahme des Grundstücks beigelegt. Dieser Vertrag, ein Vergleich i.S. von § 779 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), ist die Rechtsgrundlage für die Zahlung des Entgelts als Gegenleistung für die Überlassung des Grundstücks zum Gebrauch im Zusammenhang mit der Errichtung der baulichen Anlage auf dem Nachbargrundstück. Haben sich die Parteien über ein Nutzungsentgelt geeinigt, kann dahinstehen, ob die Klägerin kraft Gesetzes berechtigt gewesen wäre, von B eine Entschädigung dafür zu verlangen, dass sie ihren Garten teilweise und zeitweise nicht hat nutzen können (vgl. dazu (Frankfurt), Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1993, 1793; Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen vom GSZ 1/86, NJW 1987, 50 ff.).

bb) Das Gesetz bewertet Nutzungsvergütungen auch dann als steuerbar, wenn sie für die Inanspruchnahme von Grundstücken für öffentliche Zwecke geleistet werden. Das ergibt sich auch aus § 24 Nr. 3 EStG (vgl. dazu das , BFHE 174, 342, BStBl II 1994, 640). Das Gesetz hat diese Art von Nutzungsvergütung aus der entsprechenden Einkunftsart Vermietung und Verpachtung ausgegrenzt, um die ermäßigte Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG zu ermöglichen (Schmidt/Seeger, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., § 24 Rz. 107). Liegen aber die Voraussetzungen der Steuervergünstigung des § 34 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 24 Nr. 3 EStG —wie hier— nicht vor, sind die Nutzungsvergütungen im Rahmen der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung zu erfassen.

3. Nach diesen Maßstäben ist die angefochtene Entscheidung zwar rechtsfehlerhaft; denn sie hat die Subsidiarität der Einkunftsart der Besteuerung von Leistungen nach § 22 Nr. 3 EStG nicht beachtet. Sie hat aber im Ergebnis zutreffend die von der Klägerin bezogenen Entgelte nach Abzug der (insoweit unstreitigen) Werbungskosten als Einkünfte erfasst und der Besteuerung unterworfen. Deshalb ist die Vorentscheidung nicht aufzuheben und die Revision nach § 126 Abs. 4 FGO zurückzuweisen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
BStBl 2004 II Seite 507
BB 2004 S. 978 Nr. 18
BFH/NV 2004 S. 875
BFH/NV 2004 S. 875 Nr. 6
BStBl II 2004 S. 507 Nr. 11
DB 2004 S. 961 Nr. 18
DStR 2004 S. 768 Nr. 18
DStRE 2004 S. 608 Nr. 10
FR 2004 S. 712 Nr. 12
INF 2004 S. 365 Nr. 10
KÖSDI 2004 S. 14200 Nr. 6
NWB-Eilnachricht Nr. 51/2005 S. 4362
StB 2004 S. 201 Nr. 6
QAAAB-20535