Berücksichtigung von Negativzinsen bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung
Leitsatz
Zur Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung nach § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB in einem "negativen" Zinsumfeld.
Gesetze: § 490 Abs 2 S 3 BGB
Instanzenzug: Az: 14 U 2764/22 Urteilvorgehend LG Nürnberg-Fürth Az: 10 O 1623/22
Tatbestand
1Die Parteien streiten um die Rückzahlung einer vom Kläger gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung.
2Die Parteien schlossen am einen Immobiliar-Darlehensvertrag über einen Nettodarlehensbetrag in Höhe von 350.000 €. Mit einer Anschlusszinsvereinbarung vom 31. Januar/ verlängerten sie die Zinsbindung bis zum . Für die auf Wunsch des Klägers erfolgte vorzeitige Darlehensrückzahlung stellte ihm die Beklagte eine Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe von 33.317,74 € nebst Kosten in Höhe von 150 € in Rechnung, die der Kläger im Juni 2021 zahlte. Die Vorfälligkeitsentschädigung umfasste in der Berechnung der Beklagten auch einen Anteil für "negative Zinsen" in Höhe von 2.600,93 €.
3Die auf Zahlung von 33.317,74 € nebst Verzugszinsen und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage hat erstinstanzlich in Höhe von 2.750,93 € Erfolg gehabt. Auf die dagegen gerichtete Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage auch im Hinblick auf Kosten von 150 € abgewiesen und die Berufung im Übrigen, d.h. in Höhe von 2.600,93 €, zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Gründe
4Die Revision der Beklagten ist begründet.
I.
5Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner unter anderem in MDR 2023, 1464 veröffentlichten Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
6Dem Kläger stehe ein bereicherungsrechtlicher Anspruch auf Rückzahlung der von der Beklagten bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung angesetzten "negativen Zinsen" in Höhe von 2.600,93 € zu.
7Die Beklagte habe ihren Anspruch auf Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung gemäß § 490 Abs. 2 Satz 3 und Satz 1 i.V.m. § 488 Abs. 3 Satz 2 BGB, gleichlautend geregelt in Ziffer 8.2. des Immobiliar-Darlehensvertrags vom , nach der sog. Aktiv-Passiv-Methode berechnet. Danach sei die abgezinste Differenz zwischen den ursprünglich geschuldeten Zinsen und der Rendite, die sich aus einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in sicheren Kapitalmarkttiteln ergebe, gekürzt um ersparte Risiko- und Verwaltungskosten zu ersetzen. Der Umfang eines jeden Schadensersatzes sei aber auf die Einbuße beschränkt, die der Geschädigte erlitten habe. Dies gelte auch für die Vorfälligkeitsentschädigung, die ihrer Natur nach ein Schadensersatzanspruch sei und für die daher das schadensrechtliche Bereicherungsverbot zum Tragen komme. Aufgrund dessen schulde der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber auch im Rahmen der hier gewählten Aktiv-Passiv-Methode keine "negativen Zinsen". Denn andernfalls erhielte die Beklagte mehr als bei ordnungsgemäßer Erfüllung des Darlehensvertrags. Dass die Beklagte aufgrund des negativen Zinsumfelds tatsächlich einen Schaden erlitten habe, sei nicht vorgetragen, vielmehr habe sie ihren Schaden fiktiv berechnet.
8Aus § 502 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, § 503 Abs. 1 BGB in der Fassung vom und vom oder § 502 Abs. 3 Nr. 2 BGB in der Fassung vom und der dort geregelten Begrenzung der Vorfälligkeitsentschädigung für Allgemein-Verbraucherdarlehensverträge auf den Betrag der Sollzinsen sei nicht im Umkehrschluss zu folgern, dass der Darlehensnehmer bei Immobiliar-Verbraucherdarlehensverträgen negative Wiederanlagezinsen im Rahmen der Vorfälligkeitsentschädigung zu erstatten habe.
9Dass der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber im Rahmen der Vorfälligkeitsentschädigung keine "negativen Zinsen" schulde, folge auch aus einem Vergleich der Aktiv-Passiv-Methode mit der Aktiv-Aktiv-Methode. Bei der Aktiv-Aktiv-Methode sei davon auszugehen, dass die vorzeitig zurückgewährte Darlehensvaluta als festverzinslicher Grundpfandkredit bis zum Ende des rechtlich relevanten Zinszeitraums neu ausgereicht werde. Ausgehend davon könne der Kreditgeber den Zinsverschlechterungsschaden und kumulativ den Zinsmargenschaden geltend machen, wobei der Zinsverschlechterungsschaden die Differenz zwischen dem ursprünglich vereinbarten Zins und den aktuellen Zinssätzen für entsprechend hypothetisch ausgereichte festverzinsliche und grundschuldgesicherte Neudarlehen für die Restlaufzeit des vorzeitig zurückbezahlten Darlehens sei. Dem Zinsbegriff im Rechtssinne sei nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine definitorische Untergrenze von 0% immanent, so dass der Darlehensnehmer bei Anwendung der Aktiv-Aktiv-Methode keine "negativen Zinsen" schulden könne. Aktiv-Aktiv-Methode sowie Aktiv-Passiv-Methode seien Ausprägung desselben Schadens im Sinne des § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB, was gegen eine Erstattungsfähigkeit der "negativen Zinsen" im Rahmen der Aktiv-Passiv-Methode spreche.
II.
10Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Dem Kläger steht gegen die Beklagte der vom Berufungsgericht zuerkannte Zahlungsanspruch nicht zu. Die Revision der Beklagten hat deshalb Erfolg und führt - soweit das Berufungsgericht zum Nachteil der Beklagten erkannt hat - zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur vollständigen Abweisung der Klage.
11Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat der Kläger keinen Anspruch auf Rückerstattung der gezahlten Vorfälligkeitsentschädigung aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB. Die Beklagte hat die Vorfälligkeitsentschädigung insgesamt mit Rechtsgrund erlangt.
121. Nach § 490 Abs. 2 Satz 3 BGB hat der Darlehensnehmer dem Darlehensgeber denjenigen Schaden zu ersetzen, der diesem aus der vorzeitigen Kündigung des Darlehensvertrags entsteht (Vorfälligkeitsentschädigung).
13Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass eine Bank den Schaden, der ihr durch die Nichtabnahme oder durch die vorzeitige Ablösung eines Darlehens entsteht, sowohl nach der Aktiv-Aktiv-Methode als auch nach der Aktiv-Passiv-Methode berechnen kann (, BGHZ 136, 161, 168 ff. und XI ZR 197/96, WM 1997, 1799, 1801, vom - XI ZR 27/00, BGHZ 146, 5, 10 ff., vom - XI ZR 285/03, BGHZ 161, 196, 201, vom - XI ZR 445/17, WM 2018, 782 Rn. 37 und vom - XI ZR 650/18, BGHZ 224, 1 Rn. 43).
14Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht angenommen, dass sich der finanzielle Nachteil des Darlehensgebers bei der von der Beklagten gewählten Aktiv-Passiv-Berechnungsmethode als Differenz zwischen den Zinsen, die der Darlehensnehmer bei vereinbarungsgemäßer Durchführung des Darlehensvertrags tatsächlich gezahlt hätte, und der Rendite darstellt, die sich aus einer laufzeitkongruenten Wiederanlage der freigewordenen Beträge in sicheren Kapitalmarkttiteln ergibt. Der Differenzbetrag ist um ersparte Risiko- und Verwaltungskosten zu vermindern und auf den Zeitpunkt der Leistung der Vorfälligkeitsentschädigung abzuzinsen (, BGHZ 136, 161, 171, vom - XI ZR 27/00, BGHZ 146, 5, 10 f., vom - XI ZR 285/03, BGHZ 161, 196, 201 und vom - XI ZR 445/17, WM 2018, 782 Rn. 37).
152. Nach diesen Maßgaben hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, dass die von der Beklagten errechnete Vorfälligkeitsentschädigung in Höhe des im Revisionsverfahren noch streitigen Teilbetrags von 2.600,93 € unberechtigt sei. Dies trifft nicht zu.
16a) Im Ausgangspunkt noch zutreffend hat das Berufungsgericht die Rendite einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen, die der Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank entnommen werden kann, herangezogen (vgl. , BGHZ 146, 5, 12 f. und vom - XI ZR 285/03, BGHZ 161, 196, 201). Die Statistik der Deutschen Bundesbank liefert auf der Grundlage tatsächlich durchgeführter Wertpapiergeschäfte ein hinreichend repräsentatives Bild der Rückkaufrenditen von Pfandbriefen, die gerade von Hypothekenbanken erzielbar sind (Senatsurteil vom , aaO, BGHZ 161, 196, 203). Wird dort der Markt mit einem negativen Wiederanlagezins abgebildet, bedeutet dies, dass die Bank mit dem vorzeitig zurückgeführten Darlehensbetrag bei einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen nicht nur keine Vorteile erwirtschaften kann, sondern einen Schaden erleidet (vgl. Ausführungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht im Abschlussbericht der Arbeitsgruppe Vorfälligkeitsentschädigung vom , S. 99; OLG Stuttgart, BKR 2022, 588 Rn. 58 ff.; , juris Rn. 32; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom - 3 U 201/21, juris Rn. 41; Haffner/Reichart, AJP/PJA 2015, 1398, 1406).
17Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist dieser Schaden bei der Bemessung der Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigen. Der Darlehensgeber soll durch die vorzeitige Rückzahlung des Darlehenskapitals und die Zahlung der Vorfälligkeitsentschädigung im wirtschaftlichen Ergebnis so gestellt werden, wie er stünde, wenn das Darlehen für den ursprünglich vereinbarten Festschreibungszeitraum fortgeführt und mit Zinsen bedient worden wäre. Die vom Darlehensnehmer in solchen Fällen angestrebte Änderung des Darlehensvertrags erschöpft sich somit letztlich in der Beseitigung der vertraglichen - zeitlich begrenzten - Erfüllungssperre, d.h. in einer Vorverlegung des Erfüllungszeitpunkts (Senatsurteil vom - XI ZR 267/96, BGHZ 136, 161, 166). Der mit der Aktiv-Passiv-Methode berechnete Zinsverschlechterungsschaden umfasst daher auch die bei einer laufzeitkongruenten Wiederanlage in Hypothekenpfandbriefen anfallenden negativen Renditen. Diese sind Ausdruck der im Rückzahlungszeitpunkt bestehenden Zinslandschaft, der sich die Bank aufgrund der vorzeitigen Vertragserfüllung ausgesetzt sieht (vgl. OLG Stuttgart, BKR 2022, 588 Rn. 58 ff.; , juris Rn. 32; OLG Frankfurt am Main, Urteil vom - 3 U 201/21, juris Rn. 41; BeckOGK BGB/C. Weber, Stand: , § 490 Rn. 125.3; BeckOK BGB/Rohe, 68. Ed., Stand , § 490 Rn. 31; Staudinger/Mülbert, BGB, Neubearbeitung 2015, § 490 Rn. 97; Samhat in Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 54 Rn. 181; Rösler/Wimmer/Lang, Vorzeitige Beendigung von Darlehensverträgen, 2. Aufl., Rn. 980; Rösler/Wimmer, NJW 2021, 1194, 1196; aA Schwintowski in Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger,jurisPK-BGB, 10. Aufl., Stand: , § 490 BGB Rn. 51.2; Löhmer, NJW 2020, 367 ff.; Wehrt, BKR 2018, 221, 230 f.).
18b) Der vom Berufungsgericht angestellte Vergleich der Aktiv-Aktiv-Methode mit der Aktiv-Passiv-Methode ist unbehelflich. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats kommt der Bank zwischen beiden Berechnungsmethoden ein Wahlrecht zu (vgl. nur Senatsurteil vom - XI ZR 650/18, BGHZ 224, 1 Rn. 43 mwN), wobei die Aktiv-Passiv-Methode darüber hinweghilft, dass es einer Bank häufig nicht möglich oder zumutbar ist, durch eine vorzeitige Darlehensablösung frei gewordene Mittel laufzeitkongruent in gleichartige Darlehen anzulegen. Sie gestattet der Bank daher, ihren Nichterfüllungsschaden oder ihre Vorfälligkeitsentschädigung auf der Grundlage einer laufzeitkongruenten Wiederanlage der frei gewordenen Beträge in sicheren Kapitalmarkttiteln zu berechnen (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 267/96, BGHZ 136, 161, 170 mwN; Menges in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, HGB, 4. Aufl., D. Bank- und Börsenrecht IV: Das Kreditgeschäft und die Kreditsicherung Rn. 107). Dies gilt unabhängig vom jeweiligen Zinsumfeld.
19c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts führen die Gesetzgebungsmaterialien zu keinem anderen Ergebnis.
20Der Gesetzgeber hat mehrfach die von der Senatsrechtsprechung entwickelten Berechnungsgrundsätze zur Vorfälligkeitsentschädigung gebilligt und bewusst davon abgesehen, diese für Immobiliar-Darlehensverträge näher gesetzlich zu kodifizieren (vgl. BT-Drucks. 14/6040, S. 254 f.; BT-Drucks. 16/11643, S. 87; BT-Drucks. 18/5922, S. 91). Die von der Senatsrechtsprechung entwickelten Berechnungsmethoden dienen der Ermittlung des dem Darlehensgeber durch die vorzeitige Darlehensablösung entstandenen Schadens, ohne ihn im Ergebnis finanziell zu benachteiligen oder zu begünstigen, und vermeiden daher gerade auch eine Überkompensation des Darlehensgebers (vgl. Senatsurteil vom - XI ZR 388/14, BGHZ 208, 290 Rn. 29). Dabei begründet es keinen Verstoß gegen das schadensrechtliche Bereicherungsverbot, dass eine abstrakte Schadensermittlung vorgenommen wird. Dies ist den Besonderheiten des Geschäftsbetriebs von darlehensgebenden Banken geschuldet und verhindert, dass der materielle Ersatzanspruch durch praktisch nicht erfüllbare Beweisanforderungen seine Wirkung verliert (vgl. , BGHZ 136, 161, 170 und vom - XI ZR 27/00, BGHZ 146, 5, 11; Samhat in Ellenberger/Bunte, Bankrechts-Handbuch, 6. Aufl., § 54 Rn. 177; Binder, WM 2019, 757, 764). Dies verkennt das Berufungsgericht, wenn es Vortrag der Beklagten zu einem tatsächlich erlittenen Schaden vermisst. Dieser ist nicht erforderlich, weil die Schadensberechnung nach der Aktiv-Passiv-Methode auf eine fiktive Wiederanlage abstellt (vgl. Senatsurteil vom , aaO; Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 83. Aufl., § 488 Rn. 17).
21d) Soweit das Berufungsgericht sich auf eine Entscheidung des Obergerichts des Kantons Zürich (Urteil vom - PP190013-O/U) stützt, betrifft diese schon nicht das anwendbare nationale Recht und verhält sich im Übrigen einzelfallbezogen dazu, ob eine einschlägige Regelung im streitgegenständlichen Kreditvertrag eine Auslegung dahingehend zulässt, "negative" Wiederanlagezinsen bei der Berechnung der Vorfälligkeitsentschädigung zu berücksichtigen.
III.
22Das Berufungsurteil ist mithin auf die Revision aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil es sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 561 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen einer Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und keine weiteren Feststellungen erforderlich sind, sondern die Sache nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts zur Endentscheidung reif ist, hat der Senat eine ersetzende Sachentscheidung getroffen (§ 563 Abs. 3 ZPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:120324UXIZR159.23.0
Fundstelle(n):
BB 2024 S. 1602 Nr. 28
DStR-Aktuell 2024 S. 10 Nr. 19
NJW 2024 S. 1749 Nr. 24
NJW 2024 S. 1751 Nr. 24
WM 2024 S. 860 Nr. 18
ZIP 2024 S. 1246 Nr. 22
ZIP 2024 S. 1247 Nr. 22
ZIP 2024 S. 938 Nr. 17
VAAAJ-65876