Erbengemeinschaft: Auseinandersetzung außerhalb des Insolvenzverfahrens
Leitsatz
1. Ist der Schuldner Miterbe in einer nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft, erfolgt die Auseinandersetzung außerhalb des Insolvenzverfahrens nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs.
2. Ist dem Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Erbschaft angefallen oder geschieht dies während des Verfahrens, so steht neben der Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft auch die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist nur dem Schuldner zu.
Gesetze: § 83 Abs 1 S 1 InsO, § 84 Abs 1 S 1 InsO, § 1954 Abs 1 BGB, § 1956 BGB, § 2046 Abs 1 S 1 BGB
Instanzenzug: LG Passau Az: 3 S 20/23vorgehend AG Passau Az: 18 C 693/22nachgehend Az: IX ZA 14/23 Beschluss
Gründe
I.
1Der Kläger begehrt als Treuhänder in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der G. L. (nachfolgend: Schuldnerin) die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die vom Berufungsgericht zugelassene Revision.
2Die Beklagte ist die Ehefrau des im Juli 2013 verstorbenen Erblassers. Die Schuldnerin ist die Tochter des Erblassers aus erster Ehe. Über das Vermögen der Schuldnerin wurde am das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger nach § 313 InsO in der damals geltenden Fassung des Gesetzes vom (BGBl. I S. 2710, 2713) zum Treuhänder bestellt. Am wurde der Schuldnerin die beantragte Restschuldbefreiung erteilt.
3Nach dem Tod des Erblassers trat zunächst die gesetzliche Erbfolge ein, nachdem die Erbinnen die Frist für die Ausschlagung der Erbschaft hatten verstreichen lassen. Im März 2016 stellte das Finanzamt gegen die Erbinnen Steuerverbindlichkeiten des Erblassers in Höhe von knapp 400.000 € fällig. Diese Verbindlichkeiten überstiegen den Wert der Aktiva des Nachlasses. In der Folge erklärte die Schuldnerin gegenüber dem Nachlassgericht die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist wegen Irrtums über die Existenz der Steuerverbindlichkeiten.
4Der Kläger begehrt im Rahmen einer Erbenfeststellungsklage die Feststellung, dass die Schuldnerin Erbin mit einem Erbanteil zu ¾ geworden sei, weil sie die Versäumung der Ausschlagungsfrist nicht wirksam habe anfechten können. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung ist ohne Erfolg geblieben. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen zur Klärung der Frage, ob eine Nachlassverbindlichkeit bei Insolvenz des Erben als Neuverbindlichkeit, Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung zu qualifizieren ist. Der Kläger begehrt nun, ihm Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Revision zu bewilligen.
II.
5Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Die vom Berufungsgericht zugelassene Revision wäre durch Beschluss nach § 552a Satz 1 ZPO zurückzuweisen.
6Unbeschadet der Bindung des Revisionsgerichts an die Zulassung der Revision durch das Berufungsgericht nach § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO kann die Revision nach § 552a Satz 1 ZPO zurückgewiesen werden, wenn ein Zulassungsgrund nachträglich weggefallen ist oder von vornherein nicht gegeben war und die Revision keine Aussicht auf Erfolg hat. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
71. Ein Zulassungsgrund im Sinne des § 543 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor.
8a) Die Zulassung der Revision kommt nur in Betracht, wenn die Rechtsfrage, wegen der die Zulassung erfolgen soll, entscheidungserheblich ist (, NJW 2003, 1125, 1126). Daran fehlt es hier.
9Die vom Berufungsgericht herausgearbeitete streitige Rechtsfrage, ob eine Nachlassverbindlichkeit bei Insolvenz des Erben als Neuverbindlichkeit, Masseverbindlichkeit oder Insolvenzforderung zu qualifizieren ist, muss - auch nach eigener Auffassung des Berufungsgerichts - im anhängigen Rechtsstreit nicht entschieden werden. Das Berufungsgericht hat zutreffend erkannt, dass sich die Frage nicht stellt, wenn der Schuldner, wie hier, Miterbe in einer nicht auseinandergesetzten Erbengemeinschaft ist.
10Miterben erwerben den Nachlass zur gesamten Hand mit der Folge, dass ein Miterbe bis zur Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft über seinen Anteil an den Nachlassgegenständen nicht verfügen kann, §§ 2032, 2033 Abs. 2 BGB. Die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft richtet sich nach §§ 2042 ff BGB. Im Zuge der Auseinandersetzung sind gemäß § 2046 Abs. 1 Satz 1 BGB aus dem Nachlass zunächst die Nachlassverbindlichkeiten zu berichtigen. Dies gilt auch im Fall der Insolvenz eines der Miterben, wie durch § 84 Abs. 1 Satz 1 InsO, der nach einhelliger Auffassung auch für die Erbengemeinschaft gilt (Jaeger/Eckardt, InsO, § 84 Rn. 29; MünchKomm-InsO/Gehrlein, 4. Aufl., § 84 Rn. 17; HK-InsO/Kayser, 11. Aufl., § 84 Rn. 18; Lüke in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2021, § 84 Rn. 25), klargestellt wird.
11§ 84 Abs. 1 Satz 1 InsO trägt dem Umstand Rechnung, dass das Insolvenzverfahren nur das Vermögen des Schuldners einschließlich des Neuerwerbs erfasst. Besteht zwischen dem Schuldner und Dritten eine Gemeinschaft nach Bruchteilen, eine andere Gemeinschaft oder eine Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit, so fällt nur der ideelle Anteil des Schuldners an der Gemeinschaft oder Gesellschaft in die Insolvenzmasse, nicht aber das Vermögen selbst (vgl. , BGHZ 170, 206 Rn. 20). Denn Anteile an den einzelnen Gegenständen des Gesamthandsvermögens sind rechtlich nicht verselbständigungsfähig. § 84 Abs. 1 Satz 1 InsO verweist den Insolvenzverwalter auf die Teilung und sonstige Auseinandersetzung nach den Regeln der entsprechenden Gemeinschaft. Erst nach der Auseinandersetzung der Gesamthandsgemeinschaft hört das vormalige Gesamthandsvermögen als Sondervermögen auf zu existieren. Der Insolvenzmasse steht dann nur das auf den Schuldner entfallende Auseinandersetzungsguthaben zur Verfügung (Jaeger/Eckardt, InsO, § 84 Rn. 29; HK-InsO/Kayser, 11. Aufl., § 84 Rn. 1; Lüke in Kübler/Prütting/Bork/Jacoby, InsO, 2021, § 84 Rn. 38; vgl. auch aaO Rn. 21).
12Die hier maßgeblichen Fragen zu § 84 InsO sind in der Rechtsprechung des Senats bereits geklärt (vgl. , BGHZ 170, 226 zur Auseinandersetzung einer ARGE), so dass auch insoweit eine Zulassung der Revision nicht erforderlich ist.
13b) Die von dem Kläger aufgeworfene Rechtsfrage, ob der Insolvenzschuldner zur Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist nach §§ 1956, 1954 BGB berechtigt ist, erfordert ebenfalls nicht die Zulassung der Revision. Die Frage wird in der Literatur und Rechtsprechung nicht streitig diskutiert; ihre Beantwortung ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz.
14Nach dem Wortlaut des § 83 Abs. 1 Satz 1 InsO steht zwar ausdrücklich nur die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft dem Schuldner zu. Die Vorschrift erfasst aber gleichermaßen die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist nach §§ 1956, 1954 BGB. Dies folgt schon daraus, dass die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist gemäß § 1957 Abs. 1 BGB als Ausschlagung der Erbschaft gilt. Der Zweck des § 83 Abs. 1 Satz 1 InsO, dem Schuldner wegen der höchstpersönlichen Natur des Rechts über die Ausschlagung oder Annahme der Erbschaft die Entscheidung und Ausübung dieser Rechtsakte vorzubehalten (MünchKomm-InsO/Schumann, 4. Aufl., § 83 Rn. 1; HK-InsO/Kayser, 11. Aufl., § 83 Rn. 6), kann nur erreicht werden, wenn auch die Anfechtung der Versäumung der Ausschlagungsfrist von dem Anwendungsbereich der Norm erfasst wird.
152. Die beabsichtigte Revision hätte auch keine Aussicht auf Erfolg, weil sich die Entscheidung des Berufungsgerichts, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, im Ergebnis als richtig erweist.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2023:280923BIXZA14.23.0
Fundstelle(n):
BB 2024 S. 194 Nr. 5
BB 2024 S. 717 Nr. 13
DStR-Aktuell 2024 S. 9 Nr. 4
NJW 2024 S. 10 Nr. 6
NJW 2024 S. 366 Nr. 6
NJW 2024 S. 367 Nr. 6
WM 2024 S. 32 Nr. 1
ZIP 2023 S. 2711 Nr. 51
SAAAJ-54919