Oberste Finanzbehörden der Länder - S 3229 BStBl 2022 I S. 1671

Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts; Anwendung des § 198 BewG in der Fassung des Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetzes vom (BGBl 2021 I S. 2931)

Bezug: BStBl 2021 I S. 146

I. Allgemeine Grundsätze

1Abweichend von der Wertermittlung nach den §§ 179 und 182 bis 196 BewG ist der niedrigere gemeine Wert (Verkehrswert/Marktwert) am Bewertungsstichtag festzustellen, wenn der Steuerpflichtige diesen nachweist (§ 198 BewG). Den Steuerpflichtigen trifft die Nachweislast für einen niedrigeren gemeinen Wert und nicht eine bloße Darlegungslast. Mit der bloßen Vorlage von Auszügen aus der Kaufpreissammlung kann ein niedrigerer gemeiner Wert nicht nachgewiesen werden.

2Der Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann für die nach §§ 179 und 182 bis 196 BewG bewerteten wirtschaftlichen Einheiten geführt werden, wobei der Nachweis die jeweils gesamte wirtschaftliche Einheit umfassen muss. Bei Grundstücken im Zustand der Bebauung ist der Verkehrswertnachweis für die gesamte wirtschaftliche Einheit unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten zulässig.

II. Sachverständigengutachten

3Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann ein Gutachten dienen. Das Gutachten ist

  • vom zuständigen Gutachterausschusses im Sinne der §§ 192 ff. des Baugesetzbuchs,

  • von öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken oder

  • von Personen, die von einer nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten Stelle als Sachverständige oder Gutachter für die Wertermittlung von Grundstücken nach entsprechender Norm zertifiziert worden sind,

zu erstellen.

4Die nach DIN EN ISO/IEC 17024 akkreditierten deutschen Zertifizierungsstellen für Sachverständige für die Wertermittlung von Grundstücken und deren Akkreditierungsumfang sind tagesaktuell auf der Internetseite der Deutschen Akkreditierungsstelle (DAkkS) dargestellt. Im europäischen Ausland akkreditierte Zertifizierungsstellen sind über die Internetseite der Europäischen Kooperation für Akkreditierung (EA) in Verbindung mit den Internetseiten der nationalen Akkreditierungsstellen abrufbar.

5Die öffentliche Bestellung oder Zertifizierung muss im Zeitpunkt der Erstellung des Sachverständigengutachtens gegeben sein. Im Rechtsbehelfsverfahren kann ein erneutes Gutachten eingereicht werden, das die Anforderungen an die Qualifikation des Gutachters erfüllt.

6Die Nachweislast des Steuerpflichtigen umfasst auch den Qualifikationsnachweis des Gutachters.

7Das Gutachten ist für die Feststellung des Grundbesitzwerts nicht bindend, sondern unterliegt der Beweiswürdigung durch das Finanzamt. Enthält das Gutachten Mängel (z. B. methodische Mängel oder unzutreffende Wertansätze), ist es zurückzuweisen; ein Gegengutachten durch das Finanzamt ist nicht erforderlich. Zur Ordnungsmäßigkeit eines Sachverständigengutachtens gehören methodische Qualität und eine zutreffende Erhebung und Dokumentation der Begutachtungsgrundlagen. Für den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts durch ein Gutachten gelten die auf Grund des § 199 Absatz 1 BauGB erlassenen Vorschriften (Immobilienwertermittlungsverordnung - ImmoWertV). Nach Maßgabe dieser Vorschriften sind sämtliche wertbeeinflussenden Umstände zur Ermittlung des gemeinen Werts (Verkehrswerts) von Grundstücken zu berücksichtigen. Hierzu gehören auch die den Wert beeinflussenden Rechte und Belastungen privatrechtlicher und öffentlich-rechtlicher Art, wie z. B. Grunddienstbarkeiten und persönliche Nutzungsrechte. Mit Ausnahme des Nachweises der üblichen Miete (> R B 186.5 Absatz 5 ErbStR 2019) kommt ein wertmindernder Nachweis zu einzelnen in den §§ 179 und 182 bis 196 BewG enthaltenen Bewertungsgrundlagen, z. B. hinsichtlich der Bewirtschaftungskosten, nicht in Betracht.

III. Stichtagsnaher Kaufpreis

8Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann gem. § 198 Absatz 3 BewG auch ein im gewöhnlichen Geschäftsverkehr innerhalb eines Jahres vor oder nach dem Bewertungsstichtag zustande gekommener Kaufpreis über das zu bewertende Grundstück dienen, wenn die maßgeblichen Verhältnisse hierfür gegenüber den Verhältnissen am Bewertungsstichtag unverändert sind. Maßgeblich für die jeweilige Jahresfrist ist das Datum des notariellen Kaufvertrages.

9Eine Änderung eines bestandskräftigen Bescheids über die Feststellung des Grundbesitzwerts nach § 173 Absatz 1 Nummer 2 AO kommt nur in Betracht, wenn das Grundstück schon vor der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung verkauft wurde, der Verkauf dem für die Feststellung zuständigen Bediensteten des Finanzamtes beim Erlass des Feststellungsbescheides jedoch nicht bekannt war und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden dieser Tatsache trifft. Wird der Grundstückskaufvertrag hingegen erst nach der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung abgeschlossen, liegt eine nachträglich entstandene Tatsache vor, die nicht zu einer Änderung nach § 173 Absatz 1 Nummer 2 AO führt.

10Eine Änderung eines bestandskräftigen Bescheids über die Feststellung des Grundbesitzwerts nach § 175 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 AO kommt in Betracht, wenn für das zu bewertende Grundstück nach der abschließenden Entscheidung des Finanzamts über die Feststellung des Grundbesitzwerts und innerhalb eines Jahres nach dem Bewertungsstichtag im gewöhnlichen Geschäftsverkehr ein Kaufpreis zustande gekommen ist und sich die maßgeblichen Verhältnisse zum Zeitpunkt des notariellen Kaufvertrages gegenüber den Verhältnissen am Bewertungsstichtag nicht verändert haben. Ein derartiger Kaufpreis hat durch das Grundsteuerreform-Umsetzungsgesetz vom , veröffentlicht am im BGBl 2021 I S. 2931 [1]), Eingang in den Tatbestand des § 198 Absatz 3 BewG gefunden. Ein derartiger Verkauf stellt somit ein Ereignis dar, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).

IV. Konkurrenz zwischen Sachverständigengutachten und stichtagsnahem Kaufpreis

11Liegen im Rahmen des Nachweises des niedrigeren gemeinen Werts gleichzeitig ein zeitnah zum Bewertungsstichtag im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommener Kaufpreis und ein Sachverständigengutachten vor, ist der Grundbesitzwertfeststellung der Kaufpreis zugrunde zu legen. Der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr vereinbarte bzw. erzielte Kaufpreis liefert den sichersten Anhaltspunkt für den gemeinen Wert.

V. Anwendung

12Der Erlass ist auf Bewertungsstichtage nach dem 22. Juli 2021 für alle offenen Fälle anzuwenden. Für Bewertungsstichtage vor dem sind weiterhin R B 198 ErbStR 2019 und die gleich lautenden Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder zur Berücksichtigung von Sachverständigengutachten zum Nachweis des niedrigeren gemeinen Grundbesitzwerts vom , BStBl I 2021 S. 146, anzuwenden.

Inhaltlich gleichlautend
Oberste Finanzbehörden der Länder v. - S 3229
Ministerium für Finanzen Baden-Württemberg - FM3 - S 3229 - 3/15
Bayerisches Staatsministerium der Finanzen und für Heimat - 34 - S 3229 - 1/3
Senatsverwaltung für Finanzen Berlin - S 3229 - 3/2022 - 1
Ministerium der Finanzen und für Europa des Landes Brandenburg - 36 - S 3229/2022#001
Der Senator für Finanzen der Freien Hansestadt Bremen - S 3229 - 1/2014 - 1/2022 - 13-5
Finanzbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg - S 3229 - 2022/004 - 53
Hessisches Ministerium der Finanzen - S 3229 A - 002 - II 6a
Finanzministerium Mecklenburg-Vorpommern - IV - S 3229 - 00000 - 2022/001
Niedersächsisches Finanzministerium - S 3229 - 21 - 35
Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen - S 3229 - 6/2022 - 0018573 - V A 6
Ministerium der Finanzen des Landes Rheinland-Pfalz - S 3229#2020/0005 - 0401 448
Saarland Ministerium der Finanzen und für Wissenschaft - S 3229 - 2#002
Sächsisches Staatsministerium der Finanzen - 35 - S 3229/2/12 - 2022/79689
Ministerium der Finanzen des Landes Sachsen-Anhalt - 43 - S 3229 - 9
Finanzministerium des Landes Schleswig-Holstein - VI 353 - S 3014 - 1003
Thüringer Finanzministerium - 1040 - 22 - S 3229/3


Fundstelle(n):
BStBl 2022 I Seite 1671
SAAAJ-30654

1BStBl 2021 I S. 1451