BFH Beschluss v. - V B 107/07

Berichtigung von falsch ausgestellten Rechnungen

Gesetze: UStG § 14 Abs. 2, UStG § 1

Instanzenzug:

Gründe

I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, erwarb 1998 eine „Bürogewerbeeinheit”, die sie anschließend unter Verzicht auf die Umsatzsteuerfreiheit der Vermietungsumsätze vermietete. Diese Vermietung stellte den gesamten Gegenstand des Unternehmens der Klägerin dar.

Mit notariell beurkundetem Vertrag vom veräußerte die Klägerin das Objekt unter gesondertem Umsatzsteuerausweis in Höhe von . € an die Eheleute H. Diese setzten die Vermietung fort.

Mit der Veräußerung stellte die Klägerin ihr Unternehmen ein und wurde aufgelöst.

Die Erwerber H machten die ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von . € erfolgreich als Vorsteuerbetrag bei dem Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt —FA—) geltend. Das FA machte den Vorsteuerabzug im Jahr 2005 rückgängig. Die Erwerber H zahlten die Vorsteuer bis Ende 2005 nicht zurück.

In der Umsatzsteuererklärung für 2002 behandelte die Klägerin die Veräußerung —abweichend von dem notariell beurkundeten Vertrag vom — als nicht steuerbaren Umsatz im Rahmen einer Geschäftsveräußerung i.S. des § 1 Abs. 1a des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG).

Am erteilte die Klägerin den Erwerbern H eine berichtigte Rechnung über den Gesamtkaufpreis, in der Umsatzsteuer nicht mehr offen ausgewiesen ist.

Das FA setzte die Umsatzsteuer für 2002 durch Bescheid vom fest, wobei es in die Bemessungsgrundlage die in dem notariell beurkundeten Vertrag vom gesondert ausgewiesene Umsatzsteuer in Höhe von . € einbezog.

Das Finanzgericht (FG) wies die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage durch (rechtskräftiges) Urteil vom   10 K 4388/05 mit der Begründung ab, dass jedenfalls im Jahr 2002 keine Rechnungsberichtigung erfolgt sei.

Mit ihrer Umsatzsteuererklärung für 2005 (Streitjahr) vom meldete die Klägerin aufgrund der Rechnungsberichtigung vom eine negative Umsatzsteuer in Höhe von . € an.

Das FA lehnte durch Bescheid vom gegenüber der Klägerin eine Umsatzsteuerfestsetzung für 2005 mit der Begründung ab, der von den Erwerbern H erfolgreich geltend gemachte Vorsteuerabzug sei zwar im Jahr 2005 rückgängig gemacht worden, die Erwerber H hätten aber die Vorsteuer bis Ende 2005 nicht zurückgezahlt.

Der Einspruch und die Klage blieben erfolglos.

Daraufhin hat die Klägerin Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unbegründet.

1. Nach § 115 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO), die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordert (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO). Die Nichtzulassung kann mit der Beschwerde angefochten werden (§ 116 Abs. 1 FGO). In der Beschwerdebegründung müssen die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO).

2. Die Revision kann entgegen der Ansicht der Klägerin weder wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO zugelassen werden.

a) Die Klägerin verweist insoweit auf das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom Rs. C-78 bis C-80/02, Karageorgou u.a. (Slg. I-2003, 13295, BFH/NV Beilage 2004, 48, Umsatzsteuer-Rundschau —UR— 2003, 595). Sie meint, der vorliegende Rechtsstreit habe grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO, da —soweit ersichtlich— der BFH nach Ergehen der vorbezeichneten EuGH-Entscheidung noch nicht über die Berichtigung von falsch ausgestellten Rechnungen für nicht umsatzsteuerbare Vorgänge entschieden habe. Zudem liege wegen der Abweichung des FG von diesem EuGH-Urteil der Zulassungsgrund des § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO vor.

Die Klägerin ist der Auffassung, entgegen der Ansicht des FG sei dieses Urteil im Streitfall anwendbar. Der EuGH habe entschieden, die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Dienstleistungen unterlägen nicht der Mehrwertsteuer; der irrtümlich als Mehrwertsteuer ausgewiesene Betrag, der sich auf diese Dienstleistungen beziehe, könne daher nicht als Mehrwertsteuer qualifiziert werden (Randnr. 51). Bei einer Berichtigung eines solchen Betrages, der in keinem Fall Mehrwertsteuer sein könne, bestehe im Rahmen der Mehrwertsteuerregelung keine Gefährdung des Steueraufkommens. Folglich sei —anders als das FG angenommen habe— die Darlegung des guten Glaubens des Ausstellers der Rechnung nicht erforderlich, um den zu Unrecht in Rechnung gestellten Betrag zu berichtigen (Randnr. 52).

b) Diese Ausführungen der Klägerin rechtfertigen keine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO oder gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO.

Wie der Senat bereits im Beschluss vom V B 20/05 (UR 2007, 311) dargelegt hat, betrifft die EuGH-Entscheidung Karageorgou u.a. in Slg. I-2003, 13295, BFH/NV Beilage 2004, 48, UR 2003, 595 den —im Streitfall nicht vorliegenden— Sonderfall, dass eine Person, die Dienstleistungen gegenüber dem Staat aufgrund eines Arbeitsverhältnisses als Nichtselbständiger erbringt, irrtümlich auf Weisung des Arbeitgebers Quittungen mit ausgewiesener Mehrwertsteuer ausstellt. Ausschließlich für diesen Sonderfall hat der EuGH eine Gefährdung des Steueraufkommens verneint.

Im Streitfall hat dagegen ein Unternehmer (die Klägerin) gegenüber einem anderen Unternehmer (den Eheleuten H) in dem notariell beurkundeten Vertrag vom über eine angeblich steuerbare Lieferung i.S. von § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG abgerechnet.

3. Auch eine Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO wegen eines Verfahrensmangels scheidet aus.

a) Soweit die Klägerin als Verfahrensmangel rügt, dass das FG in den Tatbestand des angefochtenen Urteils eine unrichtige Formulierung aufgenommen habe, hat das FG offensichtlich versehentlich das Wort „nicht” ausgelassen.

Auf dieser offenbaren Unrichtigkeit kann das FG-Urteil nicht i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO beruhen, wie sich aus der Entscheidungsbegründung ergibt.

b) Entgegen der Ansicht der Klägerin liegt auch kein Verfahrensfehler in Form eines Überraschungsurteils vor.

aa) Das FG hat u.a. ausgeführt, nach der Rechtsprechung des (BFHE 194, 528, BStBl II 2004, 313) setze die Berichtigung eines unberechtigten oder unrichtig berechtigten Steuerbetrages nach richtlinienkonformer Beurteilung voraus, dass das Steueraufkommen nicht gefährdet werde; ein etwaiger Vorsteuerabzug müsse durch Rückzahlung oder Verrechnung der abgezogenen Vorsteuer rückgängig gemacht worden sein.

Daraus folge für den Streitfall, dass die Rechnungsberichtigung jedenfalls noch nicht 2005 zu berücksichtigen sei, da unstreitig die an die Erwerber H erstattete Vorsteuer von diesen bis zum Ablauf des Jahres 2005 noch nicht zurückgezahlt worden sei.

Auf die Beseitigung der Steuergefährdung als Voraussetzung für eine Rechnungsberichtigung könne im Streitfall nicht ausnahmsweise verzichtet werden. Nach dem , Genius Holding (Slg. I-1989, 4227, UR 1991, 83 Randnr. 18) sei dazu der Nachweis des guten Glaubens des Ausstellers der Rechnung erforderlich. Daran fehle es hier.

bb) Diese —im Übrigen rechtlich nicht zu beanstandenden— Ausführungen des FG stellen keine Überraschungsentscheidung dar.

Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassungen nach dem bisherigen Verlauf der Verhandlung nicht rechnen musste (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFH/NV 2002, 947). Das Gebot, rechtliches Gehör zu gewähren, verpflichtet das Gericht nicht, die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte mit den Beteiligten umfassend zu erörtern und ihnen die einzelnen für die Entscheidung maßgebenden Gesichtspunkte im Voraus anzudeuten (z.B. , BFH/NV 2000, 1235).

Danach liegt im Streitfall kein Überraschungsurteil vor. Dass das FG bei seiner Entscheidung möglicherweise das einschlägige —in dem BFH-Urteil in BFHE 194, 528, BStBl II 2004, 313, unter II.2.b zitierte— EuGH-Urteil Genius Holding in Slg. I-1989, 4227, UR 1991, 83 heranzog, konnte für die Klägerin nicht überraschend sein.

4. Der Klägerin ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren antragsgemäß Einsicht in die dem erkennenden Senat vorliegenden Akten gewährt worden. Mit dem Hinweis, die eingesehenen Akten seien unvollständig, weil „die Akten des Besteuerungsverfahrens” nicht vorgelegen hätten, und mit ihrem Antrag, die Revision „zur Gewährung rechtlichen Gehörs” zuzulassen, beantragt die Klägerin sinngemäß die Einsicht in die „vollständigen Akten des Besteuerungsverfahrens”.

Dem Antrag auf Einsicht in andere als die ihr zur Einsicht übermittelten Akten kann nicht entsprochen werden. Nach § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO haben die Beteiligten u.a. Anspruch auf Einsicht in die dem Gericht vorgelegten Akten. Das sind diejenigen Akten, die dem Gericht tatsächlich vorliegen, weil sie ihm von der aktenführenden Behörde vorgelegt worden sind, da sie nach deren Urteil den Streitfall betreffen (§ 71 Abs. 2 FGO), oder weil sie von dem Gericht nach § 76 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGO beigezogen worden sind, sowie —im Verfahren vor dem BFH— zusätzlich die FG-Akten. Ein Anspruch auf Einsicht in Akten, die dem Gericht tatsächlich nicht vorliegen, besteht demgemäß nicht (z.B. BFH-Beschlüsse vom VII B 55/91, BFH/NV 1992, 403; vom VII B 131/99, BFH/NV 2000, 78). Im finanzgerichtlichen Verfahren ist vom FA 1 Bd. Steuerakten (RB-Akte, 5868/1048) vorgelegt worden. Diese und die FG-Akten hat die Klägerin eingesehen.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2008 S. 1367 Nr. 8
RAAAC-83315