BFH Urteil v. - IX R 33/13

Beim Wechsel von unselbständiger zu selbständiger Tätigkeit keine außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG

Leitsatz

1. Außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG liegen nur vor, wenn der Steuerpflichtige infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum (VZ) einschließlich der Entschädigung insgesamt mehr erhält, als er bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, also bei normalem Ablauf der Dinge erhalten hätte.
2. Die dafür notwendige, hypothetische und prognostische Betrachtung orientiert sich grundsätzlich an den Verhältnissen des Vorjahres, das dem VZ, in dem die Entschädigung zufließt, am nächsten liegt. Sie gilt für den Normalfall, in dem die Verhältnisse des Vorjahres - z.B. im Zuge einer normalen Gehaltsentwicklung - auch diejenigen des Folgejahres mit großer Wahrscheinlichkeit abbilden. Sie gilt aber dann nicht, wenn die Einnahmesituation des Vorjahres durch außergewöhnliche Ereignisse geprägt ist und sich daraus keine Vorhersagen für den (unterstellten) normalen Verlauf bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ableiten lassen.
3. Übersteigt die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlte Entschädigung die bis zu Ende des VZ entgehenden Einnahmen nicht, ist das Merkmal der Zusammenballung von Einkünften nur erfüllt, wenn der Steuerpflichtige weitere Einnahmen bezieht, die er bei Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht bezogen hätte (hier: Ausübung einer selbständigen Tätigkeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses).

Gesetze: EStG § 24 Nr. 1 Buchstabe a, EStG § 34 Abs. 1, EStG § 34 Abs. 2 Nr. 2

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf),

Gründe

1 I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) war bis zum 31. Januar des Streitjahres 2009 als Angestellter der A (Arbeitgeber) nichtselbständig tätig. Im Jahr 2006 erhielt er einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 129.687 €, im Jahr 2007 in Höhe von 146.247 € und im Jahr 2008 in Höhe von 139.834 €. Daneben erzielte der Kläger als Rechtsanwalt Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von ./. 1.935 € im Jahr 2006, in Höhe von 3.310 € im Jahr 2007 sowie in Höhe von ./. 20.195 € im Jahr 2008. Für Januar 2009 erhielt er vom Arbeitgeber ein Gehalt in Höhe von 10.787 €.

2 Das Arbeitsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag zwischen dem Arbeitgeber und dem Kläger zum beendet. Wegen der Beendigung und zum Ausgleich für den Verlust des sozialen Besitzstandes zahlte der Arbeitgeber dem Kläger im Streitjahr eine Abfindung in Höhe von 43.000 €. Ab Februar 2009 übte der Kläger in vollem Umfang eine selbständige Rechtsanwaltstätigkeit aus und erzielte im Streitjahr hieraus Einkünfte in Höhe von 5.100 €. Daneben erhielt er von der Bundesagentur für Arbeit einen steuerfreien Gründungszuschuss für den Zeitraum vom bis in Höhe von 2.094 € monatlich sowie für den Zeitraum vom bis in Höhe von 300 € monatlich.

3 Dem Antrag des Klägers, die Abfindung tarifermäßigt zu besteuern, folgte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) nicht.

4 Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) führte in seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte 2014, 43 veröffentlichten Urteil aus, für die Anwendung der Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) auf die vom Kläger bezogene Abfindung fehle es an der erforderlichen Zusammenballung von Einkünften im Streitjahr.

5 Der Kläger rügt mit seiner Revision die Verletzung materiellen Rechts. Die Abfindung, mit der der bis zum Jahresende entgehende Arbeitslohn kompensiert werde, sei nach § 34 EStG tarifermäßigt zu besteuern. Werde im Anschluss an eine abhängige Beschäftigung eine selbständige Tätigkeit aufgenommen, liege ein Sonderfall vor, der für die Anwendung der Tarifermäßigung keine Zusammenballung von Einkünften erfordere. In diesem Fall sei nicht davon auszugehen, dass die Verhältnisse des Vorjahres auch diejenigen des Folgejahres abbildeten. Darüber hinaus sei eine Zusammenballung von Einkünften gegeben, wenn eine Prognose für das Streitjahr aus den Einkünften der Vorjahre unter Einbeziehung der gezahlten Entschädigung aufgestellt und diese mit den Einkünften der Vorjahre verglichen werde:

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"Jahr
Selbst. Arbeit
Unselbst. Arbeit
Abfindung
Prognose 2009
2008
20.195 €
+ 139.834 €
+ 43.000 €
= 182.834 €
2007
3.310 €
+ 146.247 €
+ 43.000 €
= 192.557 €
2006
./. 1.935 €
+ 129.687 €
+ 43.000 €
= 170.752 €”.

7 Der Kläger beantragt,

das Urteil des FG und die Einspruchsentscheidung des FA vom aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid für 2009 vom dahingehend abzuändern, dass die Einkommensteuer mit 0 € festgesetzt wird.

8 Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9 II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen. Zutreffend hat das FG die Voraussetzungen einer als außerordentliche Einkünfte begünstigt zu besteuernden Entschädigung nach § 24 Nr. 1 Buchst. a i.V.m. § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG verneint.

10 1. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 EStG ist die auf außerordentliche Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach § 34 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 EStG (Fünftelregelung) zu berechnen. Als außerordentliche Einkünfte kommen nur die in § 34 Abs. 2 EStG aufgeführten Einkünfte in Betracht. Das bedeutet aber nicht, die —hier im Streitjahr vereinnahmte— Entschädigung (§ 24 Nr. 1 EStG) sei ohne weiteres ermäßigt zu besteuern. Vielmehr ist der Wortlaut des § 34 Abs. 2 EStG entsprechend dem Normzweck, die Auswirkungen des progressiven Tarifs abzuschwächen, auf solche Einkünfte zu beschränken, die „zusammengeballt” zufließen (ständige Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs —BFH—; vgl. Urteile vom IX R 3/09, BFHE 226, 261, BStBl II 2010, 1030; vom IX R 31/09, BFHE 229, 90, BStBl II 2011, 28). Davon ist auszugehen, wenn der Steuerpflichtige infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum einschließlich der Entschädigung insgesamt mehr erhält, als er bei ungestörter Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, also bei normalem Ablauf der Dinge erhalten hätte (ständige Rechtsprechung, vgl. , BFH/NV 2009, 558; in BFHE 229, 90, BStBl II 2011, 28, m.w.N.).

11 a) Die dafür notwendige, hypothetische und prognostische Betrachtung orientiert sich grundsätzlich an den Verhältnissen des Vorjahres, das dem Veranlagungszeitraum, in dem die Entschädigung zufließt, am nächsten liegt. Sie gilt für den Normalfall, in dem die Verhältnisse des Vorjahres —z.B. im Zuge einer normalen Gehaltsentwicklung— auch diejenigen des Folgejahres mit großer Wahrscheinlichkeit abbilden. Sie gilt aber dann nicht, wenn die Einnahmesituation des Vorjahres durch außergewöhnliche Ereignisse geprägt ist und sich daraus keine Vorhersagen für den (unterstellten) normalen Verlauf bei Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ableiten lassen. So beanstandet es der BFH insbesondere bei variablen Gehaltskomponenten nicht, wenn im Wege einer Prognoseentscheidung (auch) auf die Vorjahre zurückgegriffen wird (vgl. , BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787; in BFH/NV 2009, 558; in BFHE 229, 90, BStBl II 2011, 28).

12 b) Im Rahmen der Vergleichsberechnung sind zwei Größen einander gegenüberzustellen: die „Ist-Größe”, also das, was der Steuerpflichtige in dem betreffenden Veranlagungszeitraum (Streitjahr) einschließlich der Entschädigung insgesamt erhält, und die „Soll-Größe”, nämlich die Einkünfte, die der Steuerpflichtige bei ungestörter Fortsetzung seines Arbeitsverhältnisses (bei normalem Ablauf der Dinge) erhalten hätte (, BFH/NV 2011, 1320). Übersteigt die anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlte Entschädigung die bis zum Ende des Veranlagungszeitraums entgehenden Einnahmen nicht, ist das Merkmal der Zusammenballung von Einkünften nur erfüllt, wenn der Steuerpflichtige weitere Einnahmen bezieht, die er bei Fortsetzung des Dienstverhältnisses nicht bezogen hätte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787; gl.A. , BStBl I 2013, 1326, Rz 10).

13 c) Nach dem oben beschriebenen Normzweck ist im Rahmen der Vergleichsberechnung zur Ermittlung der Ist-Größe —entgegen der Auffassung des Klägers— nicht die Art der Tätigkeit des Steuerpflichtigen nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses oder die Art der vereinnahmten Einkünfte im Streitjahr maßgebend, sondern die potenziell progressionssteigernde Wirkung der tatsächlich bezogenen Einkünfte (vgl. , BFHE 137, 345, BStBl II 1983, 221; vom XI R 51/95, BFHE 180, 152, BStBl II 1996, 416; in BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787, m.w.N.; Schmidt/Wacker, EStG, 33. Aufl., § 34 Rz 15; Seitz, Deutsches Steuerrecht 1998, 1377, 1379; BMF-Schreiben in BStBl I 2013, 1326 Rz 11 Satz 3).

14 2. Nach diesen Maßstäben hat das FG zu Recht die vom Kläger vereinnahmte Abfindung nicht als außerordentliche Einkünfte gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG der ermäßigten Besteuerung nach § 34 Abs. 1 EStG unterworfen. Beim Vergleich der Einkünfte aus dem Vorjahr mit den infolge der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erzielten Einkünften des Streitjahres hat der Kläger im Streitjahr unter Einbeziehung der Entschädigung lediglich Beträge erhalten, die er bei ungestörtem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses ohnehin erhalten hätte (vgl. BFH-Urteil in BFHE 185, 429, BStBl II 1998, 787, m.w.N.). Ein steuerlicher Nachteil, der durch die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG hätte ausgeglichen werden müssen, war nicht gegeben. Zutreffend hat es das FG für die Erfüllung des Normzwecks als unerheblich angesehen, dass der Kläger nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses eine selbständige Tätigkeit ausgeübt hat.

15 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.

Fundstelle(n):
BFH/NV 2014 S. 1358 Nr. 9
EStB 2014 S. 295 Nr. 8
HFR 2014 S. 796 Nr. 9
NWB-Eilnachricht Nr. 33/2014 S. 2458
StBW 2014 S. 688 Nr. 18
NAAAE-70362