Leitsatz
Es wird die Entscheidung des BVerfG darüber eingeholt, ob die zu § 34 Abs. 1 i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 vom (BGBl I 1999, 402) ergangene Anwendungsregelung des § 52 Abs. 47 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 mit Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG insoweit vereinbar ist, als Entschädigungen i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 EStG, die vor dem Beschluss des StEntlG 1999/2000/2002 durch den Bundestag am vereinbart und ausgezahlt worden sind, mit einer höheren Steuer belegt werden, als es das im Zeitpunkt der Auszahlung geltende Gesetz vorgesehen hat.
Gesetze: GG Art. 2 Abs. 1GG Art. 20 Abs. 3GG Art. 100 Abs. 1EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 § 24 Nr. 1EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 § 34 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 § 52 Abs. 47 Sätze 1 und 2
Instanzenzug: (EFG 2003, 1704),
Gründe
A. Sachverhalt
Der verheiratete Kläger und Revisionskläger (Kläger) vereinbarte am die Aufhebung seines Arbeitsverhältnisses zum . Als Entschädigung für den Verlust des Arbeitsplatzes erhielt er eine Abfindung in Höhe von 231 500 DM, die vereinbarungsgemäß im Januar 1999 ausgezahlt wurde.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) besteuerte die Abfindung nach Abzug eines Freibetrags von 36 000 DM gemäß § 3 Nr. 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG) begünstigt nach der sog. Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 (StEntlG 1999/2000/2002) vom (BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304). Die Anwendung des halben Steuersatzes lehnte er ab.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage als unbegründet ab. Die Entschädigung sei 1999 zugeflossen. Die Anwendung der sog. Fünftelregelung gemäß der Anwendungsanordnung in § 52 Abs. 47 EStG enthalte zwar eine Neubeurteilung auch für Lebenssachverhalte, die in der Zeit vom bis zum In-Kraft-Treten des Änderungsgesetzes verwirklicht worden seien. Der Steueranspruch entstehe aber gemäß § 36 Abs. 1 EStG erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums (Ende 1999) und die Rechtsfolgen einkommensteuerlicher Tatbestandsverwirklichung träten erst mit Ablauf des Kalenderjahres ein. Der Kläger habe daher keinen Anspruch auf Schutz seines Vertrauens in die bestehende Rechtslage.
Mit ihrer Revision machen die Kläger geltend, die in § 52 Abs. 47 EStG angeordnete rückwirkende Anwendung des erst am geänderten § 34 Abs. 1 EStG auf den bereits im Januar 1999 ausgezahlten Betrag sei nicht zulässig. Die Einkommensteuer habe sich dadurch von 34 809 DM auf 58 359 DM erhöht. Dies mache eine Steigerung von 67,6 v.H. aus. Zwar sei nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vorliegend eine unechte Rückwirkung gegeben, weil der Steueranspruch erst mit Ablauf des Kalenderjahres gemäß § 36 Abs. 1 EStG entstehe. Auch sei eine solche unechte Rückwirkung grundsätzlich zulässig, soweit sich die Erhöhung der Einkommensteuer während des laufenden Veranlagungszeitraums in maßvollen Grenzen halte. Der Kläger sei jedoch in erheblicher Weise mehr belastet. Die ohne Ausnahmevorschrift angeordnete Rückwirkung verstoße gegen den aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes (GG) abgeleiteten Anspruch auf Vertrauensschutz und verletze das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht auf allgemeine Handlungsfreiheit, die auch die Dispositionsfreiheit des Klägers über sein Vermögen umfasse, in grundrechtsrelevanter Weise.
Die Kläger beantragen sinngemäß, das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die Einkommensteuer 1999 unter Abänderung des Bescheides vom dahin gehend herabzusetzen, dass die Abfindung in Höhe von 195 500 DM mit dem hälftigen durchschnittlichen Steuersatz unter Anwendung des § 34 EStG in der für 1998 geltenden Fassung besteuert wird; hilfsweise, das Verfahren auszusetzen und dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorzulegen, ob die Anwendung des § 34 Abs. 1 Satz 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 auf im Januar 1999 ausgezahlte Entschädigungen verfassungsgemäß ist.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
B. Entscheidungsgründe
Der Senat legt die Vorlagefrage dem BVerfG gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG, § 80 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) zur Entscheidung vor und setzt bis dahin das Verfahren aus.
Nach der Überzeugung des Senats ist die zu § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ergangene Anwendungsregelung des § 52 Abs. 47 EStG insoweit verfassungswidrig, als die Gesetzesänderung, soweit sie sich steuererhöhend auswirkt, auf den gesamten Veranlagungszeitraum 1999 und damit auch auf solche Entschädigungen anzuwenden ist, die vor dem am erfolgten Beschluss des StEntlG 1999/2000/2002 durch den Bundestag vereinbart und ausbezahlt worden sind. Diese Anwendungsregelung begründet (ebenso wie bei deren teilweiser Nichtigkeit der dann eingreifende § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 bzw. bei dessen teilweiser Nichtigkeit Art. 18 Abs. 1 des StEntlG 1999/2000/2002) nach der —von der Rechtsprechung des BVerfG abweichenden— Ansicht des Senats für solche Entschädigungen, die vor der Verkündung des Gesetzes vereinbart und ausgezahlt worden sind, nicht eine unechte, sondern eine echte Rückwirkung, die gemäß Art. 20 Abs. 3 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG unzulässig ist, soweit sie sich steuererhöhend auswirkt, da keine Rechtfertigungsgründe für eine rückwirkende Anwendung vorliegen.
I. Rechtsentwicklung der im Streitfall maßgeblichen Vorschriften
1. § 34 Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG lautete i.d.F. der Bekanntmachung vom (BGBl I 1997, 821), die bis zum In-Kraft-Treten des StEntlG 1999/2000/2002 vom gegolten hat, wie folgt:
„Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist die darauf entfallende Einkommensteuer nach einem ermäßigten Steuersatz zu bemessen. Dieser beträgt für den Teil der außerordentlichen Einkünfte, der den Betrag von 15 Millionen Deutsche Mark nicht übersteigt, die Hälfte des durchschnittlichen Steuersatzes, der sich ergäbe, wenn die tarifliche Einkommensteuer nach dem gesamten zu versteuernden Einkommen zuzüglich der dem Progressionsvorbehalt unterliegenden Einkünfte zu bemessen wäre.”
Nach der ausdrücklichen Anwendungsvorschrift in § 52 Abs. 24a EStG i.d.F. des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom (BGBl I 1997, 2590, BStBl I 1997, 928) war § 34 Abs. 1 EStG in der vorstehend wiedergegebenen Fassung für die Veranlagungszeiträume 1998 bis 2000 anzuwenden.
Gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG kommen als außerordentliche Einkünfte im Sinne des Absatz 1 „Entschädigungen im Sinne des § 24 Nr. 1” in Betracht.
§ 24 Nr. 1 Buchst. a und b EStG lautet:
„Zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 gehören auch
1. Entschädigungen, die gewährt worden sind
a) als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen oder
b) für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit, für die Aufgabe einer Gewinnbeteiligung oder einer Anwartschaft auf eine solche;…„
§ 34 EStG ist durch das StEntlG 1999/2000/2002 wie folgt geändert worden:
„(1) Sind in dem zu versteuernden Einkommen außerordentliche Einkünfte enthalten, so ist auf unwiderruflichen Antrag die auf alle im Veranlagungszeitraum bezogenen außerordentlichen Einkünfte entfallende Einkommensteuer nach den Sätzen 2 bis 4 zu berechnen. Die für die außerordentlichen Einkünfte anzusetzende Einkommensteuer beträgt das Fünffache des Unterschiedsbetrags zwischen der Einkommensteuer für das um diese Einkünfte verminderte zu versteuernde Einkommen (verbleibendes zu versteuerndes Einkommen) und der Einkommensteuer für das verbleibende zu versteuernde Einkommen zuzüglich eines Fünftels dieser Einkünfte. Ist das verbleibende zu versteuernde Einkommen negativ und das zu versteuernde Einkommen positiv, so beträgt die Einkommensteuer das Fünffache der auf ein Fünftel des zu versteuernden Einkommens entfallenden Einkommensteuer. Die Sätze 1 bis 3 gelten nicht für außerordentliche Einkünfte im Sinne des Absatzes 2 Nr. 1, wenn der Steuerpflichtige auf diese Einkünfte ganz oder teilweise § 6b oder § 6c anwendet.”
§ 52 Abs. 47 Satz 1 und 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/ 2002 bestimmt:
„§ 34 in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 821) ist letztmals für den Veranlagungszeitraum 1998 anzuwenden. § 34 in der Fassung des Gesetzes vom (BGBl. I S. 402) ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden.”
2. Die Vorschläge zur Änderung des § 34 EStG und zur Geltung der Änderung ab dem wurden am in einem Entwurf des StEntlG 1999/2000/2002 der Fraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen (BTDrucks 14/265) eingebracht. Ein entsprechender Entwurf der Bundesregierung wurde am dem Bundesrat zugeleitet (BTDrucks 14/265).
Das Gesetz wurde am im Bundestag beschlossen. Der Bundesrat stimmte ihm am zu. Das Gesetz wurde am ausgefertigt. Es wurde in der Ausgabe des BGBl vom veröffentlicht.
Das StEntlG 1999/2000/2002 ist nach seinem Art. 18 Abs. 1 bezüglich der Vorschriften, die die Einkommensteuer betreffen, mit Wirkung vom in Kraft getreten (BStBl I 1999, 304, 398).
II. Einfachgesetzliche Beurteilung des Streitfalles unter Berücksichtigung der Pflicht zur verfassungskonformen Auslegung
Bei einer Entscheidung des Streitfalles auf einfachgesetzlicher Grundlage ist die dem Kläger zugeflossene Entschädigung nach der sog. Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 zu versteuern.
1. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig und auch das FG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die zwischen dem Kläger und seinem Arbeitgeber im Jahr 1996 vereinbarte Entschädigung eine solche i.S. des § 24 Nr. 1 EStG ist und zu den außerordentlichen Einkünften i.S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG gehört.
Die im Januar 1999 ausgezahlte Entschädigung ist auch gemäß § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG im Streitjahr 1999 zu versteuern.
2. Die Rechtsfrage, nach welcher Fassung des § 34 Abs. 1 EStG die Entschädigung zu versteuern ist, hat das FG auf der Grundlage des einfachen Gesetzes zutreffend dahin beantwortet, dass die sog. Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 anzuwenden ist. Denn nach § 52 Abs. 47 EStG ist § 34 EStG i.d.F. der Bekanntmachung vom (BGBl I 1997, 821) letztmals für den Veranlagungszeitraum 1998 anzuwenden. § 34 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 vom (BGBl I 1999, 402) ist erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 anzuwenden.
Das FG hat zu Recht angenommen, dass die Voraussetzungen für eine den Wortlaut des § 52 Abs. 47 EStG korrigierende Auslegung nicht vorliegen (vgl. zur verfassungskonformen Auslegung auch bereits den Vorlagebeschluss des Senats vom XI R 42/01, BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257 zum Lohnsteuerabzug). Denn weder die Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift noch sonstige Umstände lassen Raum dafür, sie abweichend von ihrem Wortlaut berichtigend dahin zu interpretieren, dass die Neufassung nicht für vor der Verkündung des StEntlG 1999/2000/ 2002 vereinbarte und ausgezahlte Entschädigungen gilt. Es liegen keine Anhaltspunkte (z.B. ein sog. Redaktionsversehen) dafür vor, dass der Gesetzgeber bezüglich der zeitlichen Anwendung der Änderungsvorschrift in Wirklichkeit andere Vorstellungen gehabt haben könnte als diejenigen, die im Wortlaut des Gesetzes zum Ausdruck gekommen sind. Vielmehr wird auch in der Begründung der Bundesregierung unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Gewährung des halben durchschnittlichen Steuersatzes für außerordentliche Einkünfte „ab gestrichen” wird (BTDrucks 14/265, S. 189).
Zwar braucht eine —verfassungskonforme— Auslegung nicht am Wortlaut einer Norm haltzumachen. Doch kann ein Normverständnis, das in Widerspruch zu dem klar erkennbar geäußerten Willen des Gesetzgebers treten würde, auch nicht im Wege verfassungskonformer Auslegung begründet werden (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 1 BvL 39/69, 1 BvL 14/72, BVerfGE 35, 263; vom 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164). Vorliegend entsprach es dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers, die geänderte Fassung des § 34 Abs. 1 EStG rückwirkend ab dem anzuwenden. Dieser ist dabei auch von einer zutreffenden Einschätzung der Auswirkungen dieser Änderung ausgegangen. Denn es war offensichtlich und auch beabsichtigt, dass die Fünftelregelung nicht etwa eine ausschließlich begünstigende Wirkung hat, sondern bei Beziehern hoher regulärer Einkünfte zu einer steuerlichen Mehrbelastung führen würde (vgl. auch BRDrucks 910/98, S. 183).
Unter diesen Umständen würde eine vom Wortlaut des Gesetzes abweichende Auslegung durch die Gerichte die Grenzen einer zulässigen —verfassungskonformen— Auslegung überschreiten. Dass eine „berichtigende” Auslegung nicht zulässig ist, wenn der zeitliche Geltungsanspruch des Änderungsgesetzes in diesem selbst durch die Angabe eines Datums benannt ist und keine Anhaltspunkte für eine davon abweichende Vorstellung des Gesetzgebers vorliegen, entspricht auch der Auffassung des BVerfG (vgl. Beschluss vom 2 BvR 1631, 1728/90, BVerfGE 87, 48, 60; vgl. zu den Grenzen einer verfassungskonformen Auslegung bei einer Datumsangabe in einer Anwendungsvorschrift auch den , BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, 299, unter V.2.b bb der Gründe).
3. Die gesetzlichen Voraussetzungen für eine abweichende Steuerfestsetzung im Wege einer Billigkeitsmaßnahme nach § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) liegen nicht vor (vgl. zur Verfassungspflicht zum Billigkeitserlass z.B. , BVerfGE 99, 268, BStBl II 1999, 193, m.w.N.).
Eine sachliche Unbilligkeit i.S. des § 163 AO 1977 liegt vor, wenn die Festsetzung der Steuer zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwider läuft, dass die Festsetzung der Steuer unbillig erscheint, wenn also nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass die Besteuerung nach dem Gesetz zu einem vom Gesetzgeber offensichtlich nicht gewollten Ergebnis führt (ständige Rechtsprechung, vgl. Nachweise z.B. Klein/Rüsken, AO, 9. Aufl., § 163 Rz. 32, 51; Loose in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 227 AO Tz. 40). Das einfache Recht eröffnet keine Möglichkeit, die bewusst vom Gesetzgeber mit der rückwirkenden Ersetzung des halben Steuersatzes durch die Fünftelregelung in Kauf genommenen Härten für entlassene Arbeitnehmer zu korrigieren. Zudem könnte einer Verpflichtung zur Billigkeitsmaßnahme —anders als unter der Geltung des § 131 der Reichsabgabenordnung— nicht in diesem Verfahren entsprochen werden (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. , BFHE 193, 301, BStBl II 2001, 178, unter 2., m.w.N.; BFH-Beschluss in BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257).
III. Verfassungsrechtliche Beurteilung des § 52 Abs. 47 i.V.m. § 34 Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002
Der Senat ist der Überzeugung, dass die zu § 34 Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ergangene Anwendungsvorschrift des § 52 Abs. 47 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/ 2000/2002 insoweit gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) i.V.m. dem Grundsatz der Handlungsfreiheit (Art. 2 GG) verstößt, als danach auch Entschädigungen in solchen Fällen nach der sog. Fünftelregelung zu versteuern sind, in denen sich dies steuererhöhend auswirkt und in denen die Entschädigungen jedenfalls vor dem Beschluss des StEntlG 1999/2000/2002 durch den Bundestag am vereinbart und ausgezahlt worden sind.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG ist bei der Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit rückwirkender Normen zu unterscheiden zwischen einer echten und einer unechten Rückwirkung bzw. der Rückbewirkung von Rechtsfolgen und der tatbestandlichen Rückanknüpfung. Erstere liegt vor, wenn der Beginn des zeitlichen Anwendungsbereichs einer Norm auf einen Zeitpunkt festgelegt wird, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm gültig geworden ist. Die Anordnung, eine belastende Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitpunkt eintreten, ist grundsätzlich unzulässig bzw. nur aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls zu rechtfertigen (, BVerfGE 97, 67, BGBl I 1998, 725). Der Eingriff in einen abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörenden Sachverhalt verstößt gegen das verfassungsrechtliche Gebot der Rechtssicherheit. Dieses Gebot enthält als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips des Art. 20 Abs. 3 GG ein objektives Element; es verlangt eine gewisse Rechtsbeständigkeit, Berechenbarkeit und die Verlässlichkeit der geltenden Rechtsordnung (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, 291, m.w.N.).
Demgegenüber betrifft eine unechte Rückwirkung nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht den zeitlichen, sondern den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm. Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten erst nach der Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung „ins Werk gesetzt” worden sind (, BVerfGE 105, 17, 37). Die unechte Rückwirkung unterliegt weniger strengen Beschränkungen als die echte (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 97, 67, BGBl I 1998, 725).
a) Bei Veranlagungssteuern wie der Einkommensteuer hat sich das BVerfG auf den Standpunkt gestellt, aufgrund der Jahresbezogenheit der Einkünfte- und Einkommensermittlung trete die durch das Verhalten des Steuerpflichtigen ausgelöste Rechtsfolge erst in dem Zeitpunkt ein, in dem die Steuerschuld entsteht (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 253, BStBl II 1986, 628, unter C.II.2.b; vom 2 BvR 1824/89, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1992, 729; vom 2 BvR 1765/92, HFR 1993, 329). Da die Einkommensteuer gemäß § 36 Abs. 1 EStG grundsätzlich erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, also des Kalenderjahres (vgl. §§ 2 Abs. 7, 25 Abs. 1 EStG) entsteht, bewirkt dieser Ansatz, dass Handlungen oder Vorgänge während des Kalenderjahres unter dem Gesichtspunkt einer unechten Rückwirkung zu würdigen sind.
Das BVerfG ist mit seinen grundlegenden Ausführungen in dem Beschluss in BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628, wonach für den Vertrauensschutz im Steuerrecht der Zeitpunkt der Entstehung der Steuerschuld maßgeblich sein soll, nicht der Rechtsauffassung des BFH gefolgt. Dieser hatte in dem Vorlagebeschluss vom I R 3/79 (BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259) die Ansicht vertreten, dass bei solchen Steuertatbeständen, die an Handlungen oder Vorgänge anknüpfen, die Steuerpflicht bereits im Augenblick des Handelns oder mit Beendigung des Vorgangs verwirklicht sei. Dass die geschuldete Steuer erst mit Ablauf des Kalenderjahres entstehe, betreffe nur die steuertechnische Seite.
b) In seiner neueren Rechtsprechung hat das BVerfG seine Rechtsprechung zur Zulässigkeit rückwirkender Gesetze nach einer in der Literatur (P. Kirchhof, Steuer und Wirtschaft —StuW— 2000, 221, 223) vertretenen Auffassung „grundlegend modifiziert”. Der Zweite Senat hat in seinem Beschluss in BVerfGE 97, 67, BGBl I 1998, 725 im Falle einer Verschonungssubvention im Schiffsbau (Sonderabschreibung gemäß § 82f der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung) entschieden, dass die steuergesetzlichen Dispositionsbedingungen bereits mit der Disposition, nicht erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums zu einer schutzwürdigen Vertrauensgrundlage werden. Es hat im „Maßstabsteil” seines Beschlusses in BVerfGE 97, 67, 79 f., BGBl I 1998, 725 (so P. Kirchhof, StuW 2000, 221, 223) für den Zeitpunkt des schutzwürdigen Vertrauens und die Durchbrechung des Rückwirkungsverbots die Frage nach einer echten oder unechten Rückwirkung nicht mehr aufgegriffen und das Prinzip der Verlässlichkeit der Rechtsordnung als eine Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen gemeinsam behandelt; es hat sodann bei der Subsumtion des mehrstufigen Subventionstatbestandes, der für die Investitionsentscheidung des Schiffsbaubestellers rückwirkend Rechtsfolgen ändert, die davon abhängige Steuervergünstigung für Kapitalanlagen aber erst für zukünftige Anlageentscheidungen neu regelt, ausdrücklich offengelassen, ob dieser Sachverhalt nach den Maßstäben der echten oder unechten Rückwirkung zu beurteilen ist.
Das BVerfG hat mit seinen Ausführungen in diesem Beschluss anerkannt, dass es jedenfalls für Steuervergünstigungen bereits während des Veranlagungszeitraums abgeschlossene Sachverhalte geben kann (vgl. Hey, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 215). Deshalb hat die Entscheidung zur Schiffsbausubvention in der Literatur auch die Hoffnung auf ein Umdenken des BVerfG im Hinblick auf die Bedeutung des Jährlichkeitsprinzips geweckt (vgl. Arndt/Schumacher, Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1998, 1538, 1539; Münch, Der Steuerberater —StB— 1998, 266 f.; Brockmeyer, Harzburger Steuerprotokoll 1998, S. 43, 58; Hey, Betriebs-Berater —BB— 1998, 1444, 1447).
Auch in seinem Beschluss in BVerfGE 105, 17, 40, der die Aufhebung des § 3a EStG (Steuerfreiheit von Sozialpfandbriefzinsen) betrifft, hat das BVerfG anerkannt, dass steuerrechtliche Dispositionsbedingungen vom Tag der Entscheidung an eine Vertrauensgrundlage bilden, auf die der Steuerpflichtige sein steuerlich geregeltes Verhalten stützt. Das bedeutet, dass steuerrechtliche Subventionsbedingungen bereits mit der Disposition des Steuerpflichtigen und nicht erst mit Eintritt der steuerlichen Belastungsfolgen nach Ablauf des Veranlagungszeitraums zu einer schutzwürdigen Vertrauensgrundlage werden (Mellinghoff, Deutsches Steuerrecht —DStR— 2003, Beihefter 3 zu Heft 20-21, 13 f.; Hey, BB 2002, 2312, 2313).
c) Nach Auffassung des IX. Senats des BFH (Vorlagebeschluss in BFHE 204, 228, BStBl II 2004, 284, 292) ist der verstärkte Schutz von Dispositionen, den das BVerfG bisher nur für (Verschonungs-)Subventionen und Steuervergünstigungen gewährt hat, auf alle Steuerrechtsnormen zu erstrecken (vgl. auch P. Kirchhof, StuW 2000, 221, 226).
2. Die sog. Veranlagungszeitraum-Rechtsprechung des BVerfG in BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628, wonach bei Veranlagungssteuern für die Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung auf den Zeitpunkt der Entstehung der Einkommensteuerschuld, also auf den Ablauf des Kalenderjahres, abzustellen sei, ist ganz überwiegend auf Kritik gestoßen.
a) Bereits der Richter des BVerfG Steinberger hatte in seinem abweichenden Votum zu dem Beschluss in BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628 die Auffassung der Mehrheit abgelehnt. Er hat die Mehrheitsmeinung, nach der der Steuerpflichtige nicht darauf vertrauen dürfe, dass Einkünfte, die er während eines Veranlagungszeitraums erzielt habe, nach Maßgabe jener Rechtslage in die Veranlagung und die Berechnung seiner Jahressteuerschuld eingingen, wie sie zur Zeit des Zuflusses dieser Einnahmen gegolten habe, als einen Schlag gegen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung bezeichnet. Das Einkommensteuerrecht sei kein Feld, auf dem Wettläufe zwischen Bürger und Steuergesetzgeber wie zwischen Hase und Igel ausgetragen werden sollten (BVerfGE 72, 276 ff.).
b) Auch in der Literatur ist der Rechtsprechung des BVerfG in BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628 zur Maßgeblichkeit des Ablaufs des Veranlagungszeitraums weitgehend die Zustimmung versagt worden. K. Vogel (Juristenzeitung —JZ— 1988, 833, 838) hat gefordert, dass der Gesetzgeber es entgegen der Rechtsprechung des BVerfG dann bei der Anwendung der günstigeren älteren Regelung zu belassen habe, wenn der wirtschaftliche Vorgang, an den die Steuerpflicht anknüpft, in seinem Kern bereits vor Verkündung des neuen Gesetzes verwirklicht worden ist und es lediglich systematisch-technische Gründe sind, die den formalen Gesetzestatbestand erst nach der Neuregelung eintreten lassen.
Er hat dargelegt, dass die Dogmatik des Einkommensteuerrechts der Annahme, es könne nicht entscheidend auf die Entstehung der Steuerschuld und den Ablauf des Kalenderjahres ankommen, nicht entgegensteht (K. Vogel, in Festschrift für Martin Heckel, S. 875, 882 f.). Bei den Überschusseinkünften (§ 2 Abs. 1 Nr. 4 bis 7 EStG) ergäben sich die Überschüsse aus einzelnen Wirtschaftsvorgängen, die sich jeweils zu einem bestimmten Zeitpunkt ereignet hätten. Auch bei den Gewinneinkünften (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 EStG) beruhe der Unterschiedsbetrag gemäß § 4 Abs. 1 EStG zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss eines Wirtschaftsjahres und demjenigen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres zum allergrößten Teil auf einzelnen Geschäftsvorfällen, die gesondert verbucht würden. Nicht zeitlich zuordenbare Wertminderungen oder -erhöhungen könnten pro rata temporis aufgeteilt werden. Nach seiner Formulierung ist deshalb auch für Steuergesetze eine echte Rückwirkung dann anzunehmen, „wenn und soweit eine im Gesetz neu oder verändert vorgesehene Rechtsfolge auch oder nur in Fällen gelten soll, in denen die Tatbestandsvoraussetzungen ausschließlich vor Verkündung des Gesetzes erfüllt worden sind” (K. Vogel, a.a.O., S. 875, 878).
Die Rechtsansicht, dass für den durch Art. 20 Abs. 3 GG gewährten Vertrauensschutz nicht der Ablauf des Kalenderjahres, sondern nur diejenige Rechtslage maßgebend sein kann, die im Zeitpunkt der Handlung des Steuerpflichtigen bzw. der Verwirklichung der Voraussetzungen des gesetzlichen Tatbestandes bestanden hat, entspricht der ganz überwiegenden Meinung in der Literatur (z.B. Kruse, in Festschrift für Klaus Tipke, S. 277, 284; Schwenke, Finanz-Rundschau —FR— 1997, 45, 48; Hey, BB 1998, 1444, 1446; dieselbe, Steuerplanungssicherheit als Rechtsproblem, 2002, S. 212 ff.; Lang, Die Wirtschaftsprüfung —WPg— 1998, 163, 170; Arndt/Schumacher, NJW 1998, 1538; Rensmann, JZ 1999, 168, 170 f.; Schaumburg, Der Betrieb —DB— 2000, 1884, 1886 f.; dieselbe in Entscheidungen der Finanzgerichte —EFG— 2002, 1239; Demuth/Strunk, DStR 2001, 57 f.; P. Kirchhof, StuW 2000, 221, 223; F. Kirchhof, StuW 2002, 185, 196 f.; Offerhaus, DB 2001, 556; derselbe, Deutsche Steuer-Zeitung —DStZ— 2000, 9, 12 ff.; Reimer, DStZ 2001, 725, 730; Pleyer, NJW 2001, 1985 f.; Seeger, FR 2003, 30; Weber-Grellet, StuW 2003, 278, 285; Leisner, Kontinuität als Verfassungsprinzip, 2002, S. 485, 568 f.; Spindler, DStR 1998, 953, 958; derselbe, DStR 2001, 725 f.; derselbe, Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft —DStJG— 27 (2004), S. 69, 86; Mellinghoff, DStR 2003, Beihefter 3 zu Heft 20-21, 13 f.; derselbe, DStJG 27 (2004), S. 25, 43 f.; derselbe, in Festschrift für Peter Bareis, S. 171, 187 ff.; Birk in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 4 AO Rz. 739, m.w.N.; Kruse/Drüen in Tipke/Kruse, a.a.O., § 4 AO Tz. 16; Pahlke/Koenig/Pahlke, Abgabenordnung § 4 Rz. 80; Klein/ Gersch, a.a.O., § 4 Rz. 5; Lang in Tipke/Lang, Steuerrecht, 18. Aufl., § 4 Rz. 177 f.; vgl. auch Osterloh, DStJG 24 (2001), S. 383, 404; Zustimmung zur Veranlagungszeitraum-Rechtsprechung des BVerfG äußern: R. Schmidt, DB 1993, 2250, 2258; Fiedler, NJW 1988, 1624, 1628 f.; Wernsmann, Juristische Schulung 2000, 39, 42).
3. Nach Auffassung des Senats wird die Rechtsprechung des BVerfG, die zur Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung bei der Einkommensteuer auf den Ablauf des Kalenderjahres abstellt, dem berechtigten und durch Art. 20 Abs. 3 GG geschützten Vertrauen des Bürgers auf die Verlässlichkeit der Rechtsordnung nicht gerecht.
a) Nach § 38 AO 1977 entstehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft. Diese Vorschrift gilt gemäß § 1 AO 1977 für alle Steuern. Zu den Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis gehört gemäß § 37 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 u.a. der Steueranspruch.
Der Gesetzgeber unterscheidet in § 38 AO 1977 zwischen der Verwirklichung des Tatbestandes, d.h. der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen einerseits, und der Entstehung der Leistungspflicht, d.h. der Rechtsfolge, andererseits. Die Tatbestandsvoraussetzungen sind beispielsweise für die im Streitfall zu beurteilende Entschädigung in den §§ 8, 19 Abs. 1, 24 Nr. 1, 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG festgelegt. § 34 Abs. 1 EStG bestimmt die Rechtsfolge. Bei einer Entschädigung ist der Lebenssachverhalt mit dem Zufluss der Einnahme, also der Entgegennahme der Zahlung, unabänderbar abgeschlossen und ist der in § 38 AO 1977 angesprochene „Tatbestand” damit erfüllt und nicht mehr rückgängig zu machen. Die Verwirklichung dieses Tatbestandes ist der maßgebliche Grund, das Vertrauen auf den Bestand des Rechts zu schützen.
Dass nach § 36 Abs. 1 EStG die Entstehung der Einkommensteuer, soweit im EStG nichts anderes bestimmt ist, auf den Ablauf des Veranlagungszeitraums, also des Kalenderjahres (§ 2 Abs. 7, § 25 Abs. 1 EStG) verlegt wird, vermag daran nichts zu ändern. § 36 EStG betrifft lediglich die Erhebungstechnik. Denn die Vorschrift ist im VI. Teil des EStG angesiedelt, der die Überschrift „Steuererhebung” trägt.
Die Sicht, die dem Beschluss des BVerfG in BVerfGE 72, 200, BStBl II 1986, 628 zur Maßgeblichkeit des Jahresablaufs und der Jahresbezogenheit der Einkünfteermittlung (§ 2 Abs. 7 Satz 1 und 2 EStG) bei Veranlagungssteuern zugrunde liegt, beruht somit auf einer rein formalen, verwaltungstechnischen Betrachtungsweise. Sie berücksichtigt nicht hinreichend die vertrauensschutzbegründende Entstehung des einzelnen Steueranspruchs i.S. des § 38 AO 1977. Wie der BFH bereits in seinem Vorlagebeschluss in BFHE 137, 275, BStBl II 1983, 259 ausgeführt hat, knüpft die Einkommensteuer an eine Vielzahl von Einzeltatbeständen an, deren Voraussetzungen schon vor dem Ablauf des Veranlagungszeitraums abschließend erfüllt sein können. Mit der Verwirklichung aller Merkmale eines bestimmten Besteuerungstatbestandes steht die Steuerpflicht dem Grunde nach bereits fest.
b) Dementsprechend wird der Steuerpflichtige aufgrund der jeweiligen Tatbestandsverwirklichung tatsächlich auch bereits vor Ablauf des Kalenderjahres vom Steuergläubiger zu Steuerzahlungen herangezogen und belastet. Lebenssachverhalte, die den Tatbestand einer steuerrechtlichen Vorschrift erfüllen und die bereits abschließend vor Ablauf des Kalenderjahres verwirklicht sind, führen zu einer —wenn auch nur vorläufigen— Erhebung von Steuern auf die zugeflossenen Einnahmen. So sind gemäß § 37 Abs. 3 EStG die Einkommensteuer-Vorauszahlungen zu erhöhen, wenn sich während des Veranlagungszeitraums ergibt, dass die festzusetzende Einkommensteuer voraussichtlich höher sein wird als bisher angenommen. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn einem Selbständigen im laufenden Jahr außerordentliche Einnahmen zufließen (vgl. auch Seeger, FR 2003, 30).
Handelt es sich bei einer Einnahme (§ 8 Abs. 1 EStG) um Arbeitslohn i.S. des § 19 Abs. 1 EStG, entsteht gemäß § 38 Abs. 2 EStG die Lohnsteuer mit Zufluss des entsprechenden Betrags. Gemäß § 38 Abs. 3 EStG hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten. Für den Fall, dass es sich —wie im Streitfall— bei dem zugeflossenen Arbeitslohn um steuerpflichtige Entschädigungen i.S. der §§ 24 Nr. 1, 34 Abs. 1 und 2 Nr. 2 EStG handelt, hat der Gesetzgeber in § 39b Abs. 3 Satz 10 EStG a.F. bzw. in § 39b Abs. 3 Satz 9 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ausdrücklich bestimmt, wie der Arbeitgeber die darauf entfallende Lohnsteuer zu berechnen hat. § 39b Abs. 3 EStG in seiner jeweiligen Fassung greift die jeweils in § 34 Abs. 1 EStG getroffene Regelung für die Berechnung der Einkommensteuer auf (vgl. dazu auch den Vorlagebeschluss des Senats in BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257).
Dieser Zugriff des Fiskus im Zeitpunkt des Zuflusses (§ 11 Abs. 1 EStG) der Einnahme (§ 8 Abs. 1 EStG) verdeutlicht, dass der zu besteuernde Lebenssachverhalt abgeschlossen ist und bereits jetzt unabänderbar dem Grunde nach alle Tatbestandsmerkmale für die Entstehung des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 38 AO 1977) und für die spätere Entstehung der Einkommensteuerschuld bei Ablauf des Kalenderjahres (§ 36 Abs. 1 EStG) verwirklicht sind. Es wäre nicht folgerichtig, wenn der Staat einerseits bereits ab dem Zeitpunkt der Verwirklichung aller Tatbestandsvoraussetzungen durch den Lohnsteuerabzug oder die Erhebung von Einkommensteuer-Vorauszahlungen an der erhöhten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Bürgers partizipiert, diesem dann aber aus rein erhebungstechnischen Gründen den Schutz seines Vertrauens in das Gesetz, das im Zeitpunkt der Verwirklichung der Tatbestandsvoraussetzungen gegolten hat, weitgehend versagt.
c) Der Bürger muss nicht nur bei seinen Dispositionen, sondern auch bei Vorgängen, die eine Steuerpflicht begründen (Zufluss von Einnahmen i.S. des § 8 Abs. 1 EStG), grundsätzlich davon ausgehen können, dass das ordnungsmäßig gesetzte Recht in seinem zeitlichen Geltungsbereich die normierten Rechtsfolgen auslöst. Wenn das BVerfG in seiner jüngeren Rechtsprechung für Zwecke des Vertrauensschutzes auf das „rechtserhebliche Verhalten” des Bürgers abgestellt hat (vgl. Beschlüsse in BVerfGE 97, 67, 78 f., BGBl I 1998, 725, und in BVerfGE 105, 17, 36 f.), ist dies zutreffend, aber nicht ausreichend. Auch bei einem rechtserheblichen Vorgang, wie ihn beispielsweise der Zufluss einer steuerbefreiten oder steuerbegünstigten Einnahme darstellt, ist das Vertrauen des Bürgers in die Rechtslage, die im Zeitpunkt der Verwirklichung des Vorgangs gegolten hat, schutzwürdig.
Deshalb sollte nach Ansicht des Senats —abweichend von der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG und in Übereinstimmung mit der ganz überwiegend in der Literatur vertretenen Auffassung— auch bei Steuergesetzen eine „echte” Rückwirkung dann angenommen werden, wenn „eine im Gesetz neu oder verändert vorgesehene Rechtsfolge auch dann oder nur in Fällen gelten soll, in denen ihre Tatbestandsvoraussetzungen ausschließlich vor Verkündung des Gesetzes erfüllt worden sind” (so K. Vogel, a.a.O., S. 875, 878; seine Formulierung übernehmen auch Leisner, a.a.O., S. 485; Spindler, DStJG 27 (2004), S. 69, 86).
4. Der Senat sieht grundsätzlich die Verkündung (Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG) des Änderungsgesetzes als den Zeitpunkt an, bis zu dem das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die alte Rechtslage nach den Grundsätzen einer echten Rückwirkung schutzwürdig ist. Denn erst ab seiner Verkündung ist das geänderte Gesetz rechtlich existent (vgl. , BVerfGE 63, 343, 353).
Auch das BVerfG stellt bei seiner Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung zunächst auf die Existenz des Gesetzes und damit auf den Zeitpunkt der Verkündung ab; der Steuerpflichtige müsse im Rechtsstaat grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der Verkündung einer steuerlichen Neuregelung darauf vertrauen können, dass Einkünfte, die ihm bis dahin zugeflossen seien, nicht nachträglich einer schärferen Belastung unterworfen würden, als sie bis dahin gegolten habe (vgl. Beschlüsse in BVerfGE 72, 200, 241 f., 254, BStBl II 1986, 628, und in BVerfGE 97, 67, 78 f., BGBl I 1998, 725). Doch sieht es sodann bei der Prüfung des Vertrauensschutzes häufig den Zeitpunkt des endgültigen Beschlusses des Bundestags gemäß Art. 77 Abs. 1 GG als ausschlaggebend an (vgl. BVerfG-Entscheidungen vom 2 BvL 6/59, BVerfGE 13, 261; vom 1 BvL 19/69, BVerfGE 27, 167, 173 f.; vom 1 BvF 1/76 u.a., BVerfGE 43, 291, 392; in BVerfGE 72, 200, 260, BStBl II 1986, 628; vom 1 BvL 44/92, BVerfGE 95, 64, 87; in BVerfGE 97, 67, 79, BGBl I 1998, 725). Von diesem Zeitpunkt an müssten die Betroffenen mit der Verkündung und dem In-Kraft-Treten rechnen und sich mit ihrem Verhalten auf die beschlossene Gesetzeslage einstellen (Beschluss in BVerfGE 72, 200, 261, BStBl II 1986, 628, und in BVerfGE 97, 67, 79, BGBl I 1998, 725).
Die Frage, ob der maßgebliche Zeitpunkt für den Vertrauensschutz bei einer echten Rückwirkung die Verkündung des Gesetzes oder der Gesetzesbeschluss des Bundestags ist, bedarf im vorliegenden Verfahren keiner abschließenden Entscheidung. Denn der hier zu beurteilende Lebenssachverhalt war bereits mit der im Januar 1999 entgegengenommenen Zahlung und damit vor dem Gesetzesbeschluss im Bundestag am abgeschlossen.
5. Nach Überzeugung des Senats führt die Annahme, es liege eine echte Rückwirkung vor, wenn eine im Gesetz neu oder verändert vorgesehene Rechtsfolge auch dann oder nur in Fällen gelten soll, in denen ihre Tatbestandsvoraussetzungen ausschließlich vor Verkündung des Gesetzes erfüllt worden sind, zu einer teilweisen Verfassungswidrigkeit des § 52 Abs. 47 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002. Die rückwirkend auf den angeordnete Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 ist jedenfalls insoweit verfassungswidrig und damit nichtig, als sich die Gesetzesänderung steuererhöhend auswirkt und als sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen (§§ 8, 19 Abs. 1, 24 Nr. 1, 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG) für die Gewährung des halben Steuersatzes gemäß § 34 Abs. 1 EStG a.F. bereits am verwirklicht waren.
a) Dieser Annahme steht nicht entgegen, dass der Bürger nach der Rechtsprechung des BVerfG nicht darauf vertrauen kann, dass der zu Beginn eines Veranlagungszeitraums geltende Steuertarif bis zu dessen Ende unverändert bleibt (Beschluss vom 2 BvR 1/60, BVerfGE 13, 274; zustimmend Mellinghoff, DStJG 27 (2004), S. 25, 48; vgl. aber S. 67 zu Sondertarifen; P. Kirchhof, StuW 2000, 221, 231). Denn § 34 Abs. 1 EStG betrifft nicht den allgemeinen, sondern einen Sondertarif für bestimmte außerordentliche Einkünfte i.S. des § 34 Abs. 2 EStG. Diese stellen eine besondere Art von Einkünften innerhalb einer Einkunftsart dar; sie sind von anderen Einkünften der gleichen Einkunftsart zu trennen (vgl. , BFHE 188, 143, BStBl II 1999, 588). Ist der Sachverhalt, der die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Gewährung dieses Sondertarifs erfüllt, abschließend vor Verkündung des Änderungsgesetzes verwirklicht, kann nach Ansicht des Senats der Vertrauensschutz nicht geringer sein als z.B. für Steuerbefreiungen.
Mellinghoff (DStJG 27 (2004), S. 25, 43 f.) weist darauf hin, dass dann, wenn ein Steuerpflichtiger im Februar eine zu diesem Zeitpunkt steuerfreie Abfindung erhält, der Tatbestand grundsätzlich erfüllt sei und der Gesetzgeber nicht im November für diesen vollständig erfüllten Tatbestand die Rechtsfolge ändern und die Zahlung der Einkommensteuer unterwerfen dürfe. Der Senat teilt diese Auffassung. Er vermag keine einleuchtenden Gesichtspunkte dafür zu erkennen, weshalb etwas anderes für den Sachverhalt gelten sollte, dass der im Zeitpunkt des Zuflusses einer außerordentlichen Zahlung geltende Sondertarif rückwirkend durch einen anderen Sondertarif ersetzt wird, wenn und soweit sich dieser steuererhöhend auswirkt (vgl. auch Kruse, a.a.O., S. 277, 284, zum Vertrauensschutz bei Zahlung einer Abfindung gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG). Der Unterschied zwischen der Abschaffung einer vollständigen Steuerbefreiung einerseits und der Änderung eines günstigen Sondertarifs andererseits mit der Folge, dass sich eine höhere Steuer ergibt, ist gradueller und nicht prinzipieller Art.
b) Nach der Rechtsprechung des BVerfG folgt aus der Unterscheidung von echter und unechter Rückwirkung kein absolutes Verbot der echten Rückwirkung, sondern nur ein graduell unterschiedliches Maß zu schützenden Individualvertrauens (vgl. Kyrill-A. Schwarz, Vertrauensschutz als Verfassungsprinzip, 2002, S. 125). Aus dem Rechtsstaatsprinzip, zu dessen wesentlichen Elementen die Rechtssicherheit zählt, der auf Seiten des Einzelnen das Vertrauen in den Bestand von Rechtsnormen und Rechtsakten bis zu ihrer ordnungsgemäßen Aufhebung entspricht, folgt, dass eine echte Rückwirkung zwar grundsätzlich unzulässig ist (, BVerfGE 88, 384, 403). Etwas anderes gilt aber ausnahmsweise dann, wenn kein oder lediglich ein nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird (sog. Bagatellvorbehalt, BVerfGE 72, 200, 259, BStBl II 1986, 628; Beschluss in BVerfGE 95, 64, 86 f.), wenn die rückwirkende Änderung der Beseitigung einer unklaren oder verworrenen Rechtslage (BVerfGE 72, 200, 259, BStBl II 1986, 628, und in BVerfGE 88, 384, 404) oder der Ersetzung einer ungültigen oder verfassungswidrigen Norm dient (BVerfGE 72, 200, 260, BStBl II 1986, 628), wenn ein sog. Ankündigungseffekt vermieden werden soll (BVerfGE 97, 67, 81 f., BGBl I 1998, 725) oder wenn sonstige zwingende Gründe oder überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung der Norm erfordern (BVerfGE 72, 200, 260, BStBl II 1986, 628, und in BVerfGE 88, 384, 404).
Ungeachtet der Frage, ob der Senat diese Rechtsprechung uneingeschränkt für überzeugend hält (vgl. zur Kritik Kyrill-A. Schwarz, a.a.O., S. 128 ff.), liegen die genannten Voraussetzungen hier jedenfalls nicht vor.
aa) Die Steuerersparnis bei Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. beträgt 19 654 DM. Dabei handelt es sich nicht um einen Bagatellbetrag.
bb) Die durch das StEntlG 1999/2000/2002 geänderte Fassung des § 34 Abs. 1 EStG war unstreitig gültig, klar und verfassungsgemäß.
cc) Auch der sog. Ankündigungseffekt vermag die rückwirkend auf den angeordnete Anwendung des geänderten § 34 Abs. 1 EStG nicht zu rechtfertigen. Selbst wenn bei Bekanntwerden des Änderungsvorhabens in einigen Fällen eine ohnehin bevorstehende Aufhebung eines Arbeitsvertrages und die damit einhergehende Vereinbarung einer Entschädigung aus steuerlichen Gründen vorgezogen worden sein sollten, erscheint dies hinnehmbar. Die Auswirkungen wären nicht stärker als in sonstigen Fällen bevorstehender Steuererhöhungen (vgl. dazu auch Hey, DStJG 27 (2004), S. 63).
Dass die Rückwirkung nicht zur Vermeidung eines sog. Ankündigungseffekts erforderlich war, belegt auch diejenige Übergangsregelung, die der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der ersatzlosen Aufhebung des § 3 Nr. 9 EStG in § 52 Abs. 4a EStG i.d.F. des Gesetzes zum Einstieg in ein steuerliches Sofortprogramm vom (BGBl I 2005, 3682, BStBl I 2006, 79) getroffen hat. Er hat durch das Gesetz vom die Steuerbefreiung des § 3 Nr. 9 EStG für Abfindungen wegen einer vom Arbeitgeber veranlassten Auflösung des Dienstverhältnisses ersatzlos aufgehoben. Er hat in § 52 Abs. 4a EStG bestimmt, dass § 3 Nr. 9 EStG in der bis zum geltenden Fassung weiter anzuwenden ist für vor dem entstandene Ansprüche der Arbeitnehmer auf Abfindungen oder für Abfindungen wegen einer vor dem getroffenen Gerichtsentscheidung oder einer am anhängigen Klage, soweit die Abfindungen dem Arbeitnehmer vor dem zufließen. Die „Weiteranwendung der bisherigen begrenzten Steuerfreiheit” für vor der Verkündung des Gesetzes geschlossene Verträge ist ausdrücklich aus Vertrauensschutzgründen für geboten gehalten worden (BTDrucks 16/105, S. 7).
Der Senat hält die Situation bei der Änderung des § 34 Abs. 1 EStG mit derjenigen bei der Abschaffung der Steuerbefreiung für Abfindungen vergleichbar. Beide Regelungen —die Besteuerung von Abfindungen mit dem halben Steuersatz und die (teilweise) Steuerbefreiung für Abfindungen— hatten über Jahrzehnte hinweg gegolten, auch wenn die jeweiligen Höchstbeträge sich verändert hatten.
dd) Auch sonstige zwingende Gründe des gemeinen Wohls rechtfertigen die Durchbrechung des rechtsstaatlichen Rückwirkungsverbots hier nicht. Wie der Senat bereits in seinem Vorlagebeschluss in BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257 (unter B.II.3.c der Gründe) ausgeführt hat, hat der Gesetzgeber mit der Wahl des halben Steuersatzes die Ursache für eine den Gesetzeszweck überschreitende Begünstigung des § 34 Abs. 1 EStG a.F. nicht nur selbst gesetzt, sondern hat daran über Jahre in Kenntnis der zweckwidrigen Begünstigung der Bezieher hoher Einkünfte festgehalten (vgl. z.B. Jochum, DB 2000, 343; Gesetzesbegründung zum Steuerreformgesetz —StRG— 1990 vom , BGBl I 1988, 1093, BRDrucks 100/88, S. 284). Die Gesetzesänderung im StRG 1990 —Begrenzung auf 2 Mio. DM, im Übrigen 2/3-Regelung— hat er wieder aufgehoben und durch eine bloße Begrenzung auf 30 Mio. DM ersetzt (vgl. Gesetz zur Änderung des Steuerreformgesetzes 1990 sowie zur Förderung des Mietwohnungsbaus und von Arbeitsplätzen in Privathaushalten vom , BGBl I 1989, 1267). Die Höchstbeträge, 30 Mio. DM bzw. 15 Mio. DM ab und 10 Mio. DM ab 2001, beließen einen begünstigenden Steuereffekt für Steuerpflichtige mit hohem „Normaleinkommen” (vgl. auch § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EStG 2002) und verdeutlichten, dass der Gesetzgeber selbst ein Gemeinwohlinteresse an einer umgehenden Gesetzeskorrektur für sämtliche Bezieher außerordentlicher Einkünfte nicht gesehen hat.
IV. Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage
Die Entscheidung des Streitfalles hängt von der Entscheidung des BVerfG über die Vorlagefrage ab.
1. Die Besteuerung nach der Fünftelregelung gemäß § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 führt gemäß dem angefochtenen Steuerbescheid für das Streitjahr 1999 zu einer Einkommensteuer in Höhe von 58 349 DM. Dagegen würde eine Besteuerung nach § 34 Abs. 1 Satz 1 und 2 EStG in der bis zum In-Kraft-Treten des StEntlG 1999/2000/2002 vom geltenden Fassung eine Einkommensteuer von 38 695 DM ergeben. Die Anwendung der Fünftelregelung führt für die Kläger also zu einer Mehrbelastung von 19 654 DM.
Die Revision der Kläger wäre begründet und das finanzgerichtliche Urteil wäre aufzuheben und der Klage wäre stattzugeben, wenn die in § 52 Abs. 47 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 getroffene Regelung über die Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 gemäß der Vorlagefrage teilweise, nämlich insoweit verfassungswidrig und nichtig wäre, als sie zu einer höheren Steuer führt und die Entschädigung vor dem Beschluss durch den Bundestag vereinbart und ausgezahlt worden ist. Denn im Streitfall waren sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen (§§ 8, 19 Abs. 1, 24 Nr. 1, 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG) für die Rechtsfolge, die in § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. der Bekanntmachung vom angeordnet ist (Steuertarif), vor dem Beschluss des StEntlG 1999/2000/2002 durch den Bundestag am erfüllt. Die Entschädigung war bereits im Jahr 1996 vereinbart worden und ist dem Kläger auch vorher, nämlich bereits im Januar 1999, zugeflossen.
2. Die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefrage entfällt nicht dadurch, dass die Revision möglicherweise auch dann noch Erfolg haben könnte, wenn das BVerfG die in § 52 Abs. 47 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 angeordnete Anwendung ab dem für Sachverhalte der im Streitfall vorliegenden Art nicht als eine grundsätzlich unzulässige echte Rückwirkung, sondern als unechte Rückwirkung ansehen sollte. Bei Annahme einer (nur) unechten Rückwirkung hätte das BVerfG zu entscheiden, ob das Vertrauen des Klägers in die im Zeitpunkt seines rechtserheblichen Verhaltens geltende Rechtslage schutzwürdig war. Das rechtserhebliche Verhalten war die Vereinbarung der Abfindung im Jahr 1996.
Diese Frage wird nicht bereits durch den Vorlagebeschluss des Senats in BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257 (Az. des BVerfG: 2 BvL 1/03) abgedeckt. Darin hat er dem BVerfG die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob die rückwirkende Anwendung des § 34 Abs. 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 insoweit mit dem GG vereinbar ist, als sie auch für Fälle gilt, in denen die Entschädigung nach der Beschlussfassung des Gesetzes zur Fortsetzung der Unternehmenssteuerreform vom (BGBl I 1997, 2590) und vor Zuleitung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum StEntlG 1999/2000/2002 an den Bundesrat () vereinbart und nach dem ausgezahlt worden ist. Er hat für Entschädigungen innerhalb des aufgezeigten Zeitrahmens bei Annahme einer unechten Rückwirkung einen erhöhten Vertrauensschutz daraus abgeleitet, dass der Gesetzgeber in § 52 Abs. 24a Nr. 1 EStG i.d.F. des Gesetzes vom ausdrücklich bestimmt hatte, dass die Höchstgrenze zur Anwendung der Tarifbegünstigung von 15 Mio. DM und der halbe Steuersatz auch für die Kalenderjahre 1998 bis 2000 gelten sollten. Wegen der ausdrücklichen Anwendungsregelung habe im Zeitpunkt der Disposition des Steuerpflichtigen die künftige Besteuerung für das Jahr 1999 im Grundsatz festgestanden.
Der hier vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich von demjenigen des Verfahrens 2 BvL 1/03 dadurch, dass der Kläger hier die Vereinbarung über die Entschädigung bereits im Jahr 1996 und damit zu einem Zeitpunkt getroffen hat, als § 52 Abs. 24a EStG i.d.F. des Gesetzes vom noch nicht existiert hat und mithin noch keinen erhöhten Vertrauensschutz herbeiführen konnte. Sollte das BVerfG im vorliegenden Fall keine unzulässige echte Rückwirkung annehmen, aber die Auffassung des Senats in seinem Vorlagebeschluss in BFHE 200, 560, BStBl II 2003, 257 (Az. des BVerfG: 2 BvL 1/03) teilen, würde die Entscheidung des Streitfalles die Klärung einer weiteren Rechtsfrage erfordern. Es wäre dann zu entscheiden, ob der Kläger ab der Verkündung des Gesetzes vom den durch die Anwendungsregelung des § 52 Abs. 24a Nr. 1 EStG bewirkten erhöhten Vertrauensschutz genießt oder ob es für die Annahme eines erhöhten Vertrauensschutzes allein auf die Gesetzeslage im Zeitpunkt der Vereinbarung der Entschädigung ankommt und das Vertrauen sich nicht durch nachträgliche Ereignisse verstärken kann.
Angesichts der Unterschiedlichkeit der zu beurteilenden Sachverhalte und der Ungewissheit über den Ausgang des Verfahrens 2 BvL 1/03 kann nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass sich nach einer Entscheidung des BVerfG in dem Verfahren 2 BvL 1/03 eine Vorlage im vorliegenden Verfahren erübrigen werde. Der Senat hat deshalb eine Aussetzung des vorliegenden Verfahrens gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung wegen dieses Vorlagebeschlusses nicht für zweckmäßig gehalten. Er hat dabei auch berücksichtigt, dass die Kläger einen Anspruch auf zeitnahen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) und durch eine wiederholte Sachstandsanfrage ihr Interesse an dem Fortgang des vorliegenden Verfahrens bekundet haben.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 895
BFH/NV 2006 S. 2191 Nr. 11
BStBl II 2006 S. 895 Nr. 20
DStR 2006 S. 1879 Nr. 42
DStRE 2006 S. 1333 Nr. 21
FR 2007 S. 53 Nr. 1
HFR 2007 S. 37 Nr. 1
KÖSDI 2006 S. 15302 Nr. 11
KÖSDI 2007 S. 15427 Nr. 2
NWB-Eilnachricht Nr. 7/2008 S. 549
StB 2006 S. 406 Nr. 11
StuB-Bilanzreport Nr. 20/2006 S. 804
JAAAC-17018