Berliner Testament: Verzicht der Schlusserben auf Geltendmachung der Pflichtteile gegenüber überlebendem Ehegatten gegen mit dessen Tod fälliger Abfindung
Leitsatz
Haben Eheleute ihre Kinder im Wege eines Berliner Testaments zu Schlusserben eingesetzt und vereinbaren diese mit dem überlebenden Ehegatten, jeweils gegen Zahlung einer erst mit dessen Tod fälligen Abfindung auf die Geltendmachung der Pflichtteile nach dem erstverstorbenen Ehegatten zu verzichten, können die Kinder beim Tod des überlebenden Ehegatten keine Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG aus dieser Vereinbarung abziehen. Die Abfindungsverpflichtungen stellten für den überlebenden Ehegatten keine wirtschaftliche Belastung dar.
Gesetze: ErbStG § 10 Abs. 5 Nr. 1
Instanzenzug: (EFG 2005, 1550) (Verfahrensverlauf), ,
Gründe
I.
Die Eltern der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatten sich durch gemeinschaftliches Testament gegenseitig als Erben eingesetzt. Erben des Überlebenden sollten die Kläger zu gleichen Teilen sein. Für den Fall, dass einer der Kläger beim Tod des Erstversterbenden auf seinem Pflichtteil besteht, war bestimmt, dass er auch nach dem Tod des Überlebenden auf den Pflichtteil beschränkt ist (Pflichtteilssanktionsklausel). Nach dem Tod des Vaters im November 1996 vereinbarte die Mutter noch im Dezember 1996 mit den Klägern die Zahlung einer Abfindung von je 100 000 DM dafür, dass die Kläger auf die Geltendmachung ihrer Pflichtteile nach dem Vater verzichteten. Die Abfindungen sollten mit dem Ableben der Mutter fällig werden.
Nach dem Tod der Mutter im November 2000 verlangten die Kläger, die vereinbarten Abfindungen als Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen. Das lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) ab. Mit letztmals während des bereits anhängigen Klageverfahrens geänderten Bescheiden vom setzte er die Erbschaftsteuer bei einem steuerpflichtigen Erwerb von jeweils 281 500 DM auf jeweils 15 444 € fest. Bezüglich der Abfindungen blieb die Klage erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, die von der Mutter geschuldeten Abfindungen könnten gemäß § 42 der Abgabenordnung (AO) nicht als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigt werden. Aufgrund der testamentarisch festgelegten Erbfolge habe festgestanden, dass die Kläger die Abfindungen nicht an sich selbst zahlen würden. Die Kläger hätten in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass die gewählte Gestaltung ausschließlich der Steuerminderung gedient habe. Infolgedessen hätten sie auch in Missbrauchsabsicht gehandelt. Im Übrigen habe es zu ihren Lebzeiten auch an einer wirtschaftlichen Belastung der Mutter gefehlt.
Mit der Revision rügen die Kläger fehlerhafte Anwendung des § 42 AO sowie des § 10 Abs. 5 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG). Die streitbefangene Gestaltung sei auch zivilrechtlich zulässig und sinnvoll. Das Motiv, Steuern zu sparen, führe nicht zum Rechtsmissbrauch. Als überlebende Ehegattin habe die Mutter uneingeschränkt über den gesamten Nachlass verfügen und ihn damit auch „verjubeln” können. Durch die Abfindungsvereinbarung vom Dezember 1996 seien sie, die Kläger, zumindest in Höhe von jeweils 100 000 DM abgesichert gewesen. Die einvernehmliche Abfindungsregelung sei möglich gewesen, ohne die Anwendung der sog. einfachen Pflichtteilsklausel auszulösen. Mit der Abfindungsvereinbarung sei zudem die Gleichbehandlung der Schlusserben sichergestellt worden. In der Literatur werde sogar die Ansicht vertreten, Pflichtteilsansprüche bezüglich des Erstversterbenden könnten die Schlusserben auch noch erstmals nach dem Tod des Letztversterbenden gegenüber sich selbst geltend machen (Muscheler, Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge —ZEV— 2001, 377, 381).
Die Kläger beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Erbschaftsteuerbescheide vom mit der Maßgabe zu ändern, dass jeweils weitere Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von 100 000 DM berücksichtigt werden.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision ist unbegründet, sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung —FGO—). Die Kläger sind die Erben ihrer Mutter geworden. Die Vereinbarung vom Dezember 1996 zwischen ihnen und der Mutter ist zivilrechtlich wirksam und hat trotz der Pflichtteilssanktionsklausel im gemeinschaftlichen Testament der Eltern nicht zum Verlust der Stellung der Kläger als Erben nach ihrer Mutter geführt. Die aus der Vereinbarung sich ergebenden Abfindungsverpflichtungen der Mutter sind jedoch keine Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG, da sie für die Mutter keine wirtschaftliche Belastung darstellten.
1. Die Vereinbarung vom Dezember 1996 ist kein Scheingeschäft i.S. des § 117 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) sowie des § 41 Abs. 2 Satz 1 AO gewesen. Die Partner der Vereinbarung haben die mit ihr verbundenen Rechtsfolgen gewollt, da nur unter dieser Voraussetzung der erstrebte Abzug der Abfindungsverpflichtungen als Nachlassverbindlichkeiten beim Tod der Mutter in Betracht kam. Eine wirksam begründete Abfindungsverpflichtung wäre auch dann erforderlich gewesen, wenn die Vertragspartner mit einer Vereinigung von Abfindungsanspruch und -verpflichtung gerechnet und auf die Regelung des § 10 Abs. 3 ErbStG gesetzt haben sollten. Nur bestehende Rechtsverhältnisse können zivilrechtlich durch Vereinigung (Konfusion) erlöschen und erbschaftsteuerrechtlich der Regelung des § 10 Abs. 3 ErbStG unterfallen.
2. Die Vereinbarung vom Dezember 1996 hat auch nicht den Verlust der Stellung der Kläger als Schlusserben ausgelöst, der im gemeinschaftlichen Testament der Eltern für den Fall vorgesehen war, dass nach dem Tod des Erstversterbenden Pflichtteilsrechte geltend gemacht werden. Der Verzicht auf die bereits entstandenen Pflichtteilsansprüche gegen Abfindung nach dem Tod des Vaters bedeutete kein Bestehen auf dem Pflichtteilsrecht im Sinne dieser Pflichtteilssanktionsklausel. Welches Verhalten des Schlusserben die Verwirkung seines Erbrechts infolge einer Pflichtteilssanktionsklausel auslöst, ist durch deren Auslegung zu ermitteln (Palandt/Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 65. Aufl., § 2269 Rz 14).
a) Wird ein gemeinschaftliches Testament, wie es die Eltern der Kläger errichtet haben —gewöhnlich als Berliner Testament bezeichnet—, mit einer Pflichtteilssanktionsklausel versehen, kommt dieser Klausel regelmäßig die Funktion zu, sicher zu stellen, dass das Vermögen der Ehegatten beim Überlebenden verbleibt und dass sich nicht einer der Schlusserben durch Inanspruchnahme seines Pflichtteils nach dem Tod des Erstversterbenden einen Vermögensvorteil vor den übrigen (pflichtteilsberechtigten) Schlusserben verschafft, indem er die zu erwartenden Anteile der Schlusserben aus dem Gleichgewicht bringt (vgl. Ermann/M. Schmidt, BGB, 11. Aufl., § 2269 Rz 15). Das den Pflichtteil in Anspruch nehmende Kind ist nämlich später am Nachlass des überlebenden Ehegatten mit der unveränderten Erbquote wie die übrigen Schlusserben beteiligt.
b) Beide Funktionen der Pflichtteilssanktionsklausel —und zwar sowohl der Erhalt des ungeschmälerten Vermögens in der Hand des überlebenden Elternteils als auch die Gleichbehandlung der Schlusserben— werden nicht beeinträchtigt, wenn alle Schlusserben jeweils gegen eine erst nach dem Tod des überlebenden Elternteils fällig werdende Abfindung in gleicher Höhe auf den Pflichtteil verzichten. Daher kann, wenn nicht besondere Umstände hinzukommen, nicht angenommen werden, solch ein Pflichtteilsverzicht aller Schlusserben gegen gleich hohe Abfindung werde von der Pflichtteilssanktionsklausel erfasst. Derartige Umstände sind im Streitfall weder festgestellt noch erkennbar. Vielmehr spricht vorliegend für die hier vertretene Auslegung der Pflichtteilssanktionsklausel zusätzlich, dass die Klausel ausdrücklich nur die Inanspruchnahme des Pflichtteils durch eines der Kinder regelt. Würde die Klausel gleichwohl auf die Vereinbarung vom Dezember 1996 angewendet werden und würden damit beide Kläger als (Schluss-)erben ausfallen, müsste wiederum durch Auslegung —diesmal des Testaments— geklärt werden, wer testamentarischer Erbe der Mutter geworden oder ob gesetzliche Erbfolge eingetreten ist.
3. Zivilrechtlich erlöschen Verpflichtungen des Erblassers mit dessen Tod, wenn sich Forderung und Schuld in diesem Augenblick aufgrund des § 1922 Abs. 1 BGB in der Person des Erben vereinigen (vgl. , Neue Juristische Wochenschrift —NJW— 1967, 2399). Erbschaftsteuerrechtlich gelten jedoch gemäß § 10 Abs. 3 ErbStG die infolge Erbanfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit erloschenen Rechtsverhältnisse als nicht erloschen. Angesichts der Tatsache, dass die Kläger eine Erbengemeinschaft bildeten, ihnen die Abfindungsansprüche aber jeweils individuell zustanden, ist zweifelhaft, ob es im Streitfall zivilrechtlich zu einer Konfusion gekommen ist (vgl. dazu Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 10 Rz 94; Muscheler, ZEV 2001, 377, unter 3.2.). Dies bedarf jedoch keiner Entscheidung, da so oder so von der Mutter herrührende Abfindungsverpflichtungen anzunehmen sind, und zwar entweder in Übereinstimmung mit dem Zivilrecht oder erst aufgrund der Regelung des § 10 Abs. 3 ErbStG. Diese Verpflichtungen kommen grundsätzlich als Nachlassverbindlichkeiten i.S. des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG in Betracht. Die Nr. 2 der Vorschrift ist schon deshalb nicht einschlägig, weil die Pflichtteile, auf die die Kläger verzichtet haben, den Nachlass des Vaters und nicht den der Mutter betrafen. Dem Abzug steht jedoch entgegen, dass die Abfindungsverpflichtungen die Mutter zu ihren Lebzeiten nicht belasteten.
a) Gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sind vom Erwerb des Erben die vom Erblasser herrührenden persönlichen Verbindlichkeiten, die gemäß § 1922 Abs. 1 BGB, § 45 Abs. 1 AO auf die Erben übergegangen sind, als Nachlassverbindlichkeiten abzuziehen. Der Abzug setzt voraus, dass die Verbindlichkeiten rechtlich bestehen und den Erblasser im Todeszeitpunkt wirtschaftlich belastet haben (so noch zu § 23 Abs. 1 ErbStG 1925 Urteile des Reichsfinanzhofs vom III eA 12/36, RStBl 1936, 543, und vom IIIe 64/38, RStBl 1939, 496, sowie Kipp, Kommentar zum Erbschaftsteuergesetz, 1927, § 23 Rz 50; zu § 23 Abs. 4 ErbStG 1951 , Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung —HFR— 1964, 83, sowie zu § 10 Abs. 5 ErbStG 1974 , BFH/NV 1999, 1339; Moench/Weinmann, § 10 ErbStG Rz 46; Gebel in Troll/Gebel/ Jülicher, ErbStG, § 10 Rz 129; Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl. 2004, § 10 Rz 32). Insoweit gelten dieselben Grundsätze, wie sie bis zum Steueränderungsgesetz 1992 für den Abzug betrieblicher Schulden und bis Ende 1996 für die Ermittlung des Gesamtvermögens galten (so BFH in BFH/NV 1999, 1339, m.w.N.). An dieser wirtschaftlichen Belastung fehlt es, wenn der Erblasser als Schuldner davon ausgehen konnte, die Verpflichtungen unter normalen Umständen nicht selbst erfüllen zu müssen (vgl. , BFH/NV 1997, 820). Korrespondierend mit der fehlenden Belastung der Mutter hat im Übrigen die Begründung der Abfindungsansprüche auf Seiten der Kläger wirtschaftlich zu keiner Bereicherung geführt, da sie erst zu einem Zeitpunkt befriedigt werden sollten, zu dem das gesamte Vermögen der Mutter —soweit noch vorhanden— den Klägern bereits aus einem anderen Rechtsgrund zugefallen sein würde. Mit dem zusätzlichen Erfordernis einer wirtschaftlichen Belastung wird zwar vom Zivilrecht abgewichen; dem steht jedoch gegenüber, dass Leistungen des Erben aus dem Nachlass auch ohne rechtliche Verpflichtung in besonders gelagerten Ausnahmefällen als Nachlassverbindlichkeiten in Betracht kommen, wenn sie eine ernsthafte wirtschaftliche Belastung darstellen (so BFH-Urteil in HFR 1964, 83).
b) Im Streitfall waren die Abfindungsansprüche gegen die Mutter unter normalen Umständen nicht durchzusetzen. Die entsprechenden Verbindlichkeiten belasteten daher die Mutter im Todeszeitpunkt nicht. Soweit die Kläger geltend machen, die Mutter habe durchaus mit einer Inanspruchnahme rechnen müssen, weil ihnen bei einer Gefährdung ihrer Abfindungsansprüche durch Vermögensverfall der Mutter das Recht zugestanden hätte, die Fälligkeitsabrede zu widerrufen, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Ein Vermögensverfall der Mutter wäre zum einen kein normaler Umstand im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung und ist zum anderen bis zum Tod der Mutter nicht eingetreten. Daher kann auf sich beruhen, ob die Kläger bei einem solchen Vermögensverfall die Fälligkeitsabrede hätten widerrufen können (vgl. dazu , NJW 1974, 652). Die Mutter konnte zudem zu ihren Lebzeiten über das gesamte Vermögen verfügen. Dagegen waren die Kläger nicht gesichert. Die Abfindungsverpflichtungen sind daher nicht gemäß § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig. Auf die Voraussetzungen des § 10 Abs. 3 ErbStG kommt es daher ebenso wenig an wie auf die Anforderungen des § 42 AO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
Fundstelle(n):
BStBl 2007 II Seite 651
BB 2007 S. 1774 Nr. 33
BFH/NV 2007 S. 1773 Nr. 9
BStBl II 2007 S. 651 Nr. 14
DB 2007 S. 2017 Nr. 37
DStR 2007 S. 1436 Nr. 33
DStRE 2007 S. 1141 Nr. 17
DStZ 2007 S. 580 Nr. 18
EStB 2007 S. 329 Nr. 9
FR 2007 S. 1080 Nr. 22
HFR 2007 S. 1001 Nr. 10
KÖSDI 2007 S. 15698 Nr. 9
NJW-RR 2007 S. 1458 Nr. 21
StB 2007 S. 323 Nr. 9
StBW 2007 S. 6 Nr. 17
StC 2007 S. 14 Nr. 9
StuB-Bilanzreport Nr. 16/2007 S. 632
UVR 2007 S. 297 Nr. 10
HAAAC-52028