BFH Urteil v. - VI R 77/02 BStBl 2006 II S. 208

Leitsatz

1. Ein Arbeitnehmer, der die Fertigkeiten für eine land- oder forstwirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen einer Berufsausbildung erlernt hat, gehört zu den Fachkräften, ohne dass es darauf ankommt, ob die durchgeführten Arbeiten den Einsatz einer Fachkraft erfordern.

2. Hat ein Arbeitnehmer die erforderlichen Fertigkeiten nicht im Rahmen einer Berufsausbildung erworben, gehört er nur dann zu den land- und forstwirtschaftlichen Fachkräften, wenn er anstelle einer Fachkraft eingesetzt ist.

3. Ein Arbeitnehmer ist anstelle einer land- und forstwirtschaftlichen Fachkraft eingesetzt, wenn mehr als 25 v.H. der zu beurteilenden Tätigkeit Fachkraft-Kenntnisse erfordern.

Gesetze: EStG § 40a Abs. 3

Instanzenzug: (EFG 2002, 1390) (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

I.

Streitig sind die Voraussetzungen, unter denen Arbeitnehmer eines Weinbaubetriebes als Fachkräfte i.S. des § 40a Abs. 3 Satz 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) anzusehen sind.

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die einen Weinbaubetrieb gepachtet hat. Sie sah ihre Arbeitnehmer als Aushilfskräfte in einem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft an und führte pauschale Lohnsteuer nach § 40a Abs. 3 EStG in Höhe von 3 v.H. (1996) bzw. 5 v.H. (1997 und 1998) ab.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt —FA—) kam bei einer Lohnsteuer-Außenprüfung zu dem Ergebnis, dass die Pauschalierung nach § 40a Abs. 3 EStG nicht zulässig sei, weil es sich bei den Arbeitnehmern um Fachkräfte handele, und forderte die Differenz zu einer pauschalen Lohnsteuer von 20 v.H. zuzüglich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag nach.

Die dagegen gerichtete Klage hatte aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1390 veröffentlichten Gründen Erfolg.

Mit der vom Finanzgericht (FG) zugelassenen Revision macht das FA im Wesentlichen geltend, nach § 40a Abs. 3 Satz 3 EStG seien Aushilfskräfte nicht Arbeitnehmer, die zu den land- und forstwirtschaftlichen Fachkräften gehörten. Das FG verlange als weiteres Tatbestandsmerkmal auch den Einsatz als Fachkraft. Diese Auslegung gehe über den Gesetzeswortlaut hinaus und führe zu einer vom Gesetzgeber nicht gewollten unzulässigen Privilegierung (, BFHE 168, 111, BStBl II 1992, 786). Auch Praktikabilitätserwägungen sprächen für die wortgetreue Gesetzesauslegung. Denn andernfalls müsse der Arbeitgeber für jede beschäftigte Fachkraft festhalten, ob die Arbeiten nur von Fachkräften oder auch von Nichtfachkräften ausgeführt werden könnten. Das sei kaum überprüfbar.

Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.

II.

Die Revision des FA ist begründet. Die Vorentscheidung wird aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der FinanzgerichtsordnungFGO—). Die Feststellungen des FG reichen nicht aus, um zu entscheiden, ob es sich bei den Arbeitnehmern der Klägerin um Aushilfskräfte oder um Fachkräfte gehandelt hat.

1. Nach § 40a Abs. 3 EStG kann der Arbeitgeber die Lohnsteuer bei land- und forstwirtschaftlichen Aushilfskräften mit 5 v.H. (im Streitjahr 1996: mit 3 v.H.) des Arbeitslohnes erheben. Das gilt nach § 40a Abs. 3 Satz 3 1. Halbsatz EStG nicht für Arbeitnehmer, die zu den land- und forstwirtschaftlichen Fachkräften gehören. Ob ein Arbeitnehmer Fachkraft ist, hängt nach dem Senats-Urteil vom VI R 167/83 (BFHE 146, 553, BStBl II 1986, 681) von der Art der Tätigkeit und von den Kenntnissen ab, die er zur Verrichtung dieser Tätigkeit erworben hat.

a) Wenn der Arbeitnehmer die Fertigkeiten für die zu beurteilende Tätigkeit im Rahmen einer Berufsausbildung erlernt hat, ist die Frage eindeutig zu beantworten. Ein solcher Arbeitnehmer gehört zu den Fachkräften (BFH-Urteil in BFHE 146, 553, BStBl II 1986, 681). Denn in einem derartigen Fall lässt sich die fachliche Qualifikation aus dem objektiv feststellbaren beruflichen Abschluss ableiten. Auf die Anforderungen der konkret wahrgenommenen Tätigkeit kommt es nicht an.

b) Auch ein Arbeitnehmer, der nicht über eine einschlägige Berufsausbildung verfügt, kann zu den Fachkräften gehören, wenn er in der Lage ist, eine Fachkraft zu ersetzen; denn im Berufsleben werden angelernte Arbeiter im Rahmen ihrer besonderen Tätigkeit den Facharbeitern gleichgestellt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 146, 553, BStBl II 1986, 681).

aa) Allerdings fehlt es in der Regel an einem eindeutigen Nachweis der Qualifikation, wenn der Arbeitnehmer die erforderlichen Fertigkeiten nicht im Rahmen einer Berufsausbildung erworben hat. Deshalb hat der Senat einen Arbeitnehmer ohne Berufsausbildung nur dann als Fachkraft i.S. des § 40a Abs. 3 Satz 3 EStG angesehen, wenn er anstelle einer Fachkraft eingesetzt ist (BFH-Urteil in BFHE 146, 553, BStBl II 1986, 681; ebenso H 128 „Land- und forstwirtschaftliche Fachkraft” LStH 2005; Blümich/Heuermann, Einkommensteuergesetz, § 40a Rz. 65; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 40a Rdnr. D 5; Eisgruber in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, § 40a Rn. 10; Schmidt/Drenseck, Einkommensteuergesetz, § 40a Rz. 11; Hartz/Meesen/Wolf, Lohnsteuer-ABC, Stichwort: Pauschalierung der Lohnsteuer, Rz. 230).

bb) Daran ist festzuhalten. Verfügt der Arbeitnehmer über keine einschlägige Berufsausbildung, kann in der Regel nur aus dem konkreten Einsatz, d.h. aus der Art der ausgeübten Tätigkeit auf die Eigenschaft als Fachkraft geschlossen werden. Diese Auslegung steht auch mit dem Wortlaut der Vorschrift in Einklang.

cc) Praktikabilitätserwägungen rechtfertigen eine andere Beurteilung nicht. Denn die Art der Tätigkeit ist ohnehin im Rahmen der Voraussetzungen zu prüfen, ob es sich um typische land- oder forstwirtschaftliche Arbeiten handelt (§ 40a Abs. 3 Satz 1 EStG) und ob diese nicht ganzjährig anfallen (§ 40a Abs. 3 Satz 2 EStG ab 1997). Zwar mag es im Einzelfall schwierig sein, Aushilfstätigkeiten von Arbeiten abzugrenzen, die Fachkraft-Kenntnisse erfordern. Noch problematischer wäre es jedoch, die persönliche Qualifikation solcher Arbeitnehmer, die nicht über eine entsprechende Berufsausbildung verfügen, losgelöst von der konkreten Tätigkeit zu beurteilen. Denn deren Fachkenntnisse wären letztlich nur durch eine Prüfung zu ermitteln. Das kann jedoch weder Aufgabe der Finanzbehörden noch der Gerichte sein.

dd) Aus der konkret ausgeübten Tätigkeit kann allerdings nur dann auf die Qualifikation als Fachkraft geschlossen werden, wenn sie zu einem nicht unwesentlichen Anteil Fachkraft-Kenntnisse erfordert, wie das FG zutreffend entschieden hat. Es hat die dafür maßgebliche Grenze bei 25 v.H. der gesamten zu beurteilenden Tätigkeit des jeweiligen Arbeitnehmers gesehen. Zur Begründung hat es sich auf die Unschädlichkeitsgrenze für nicht ganzjährig anfallende land- und forstwirtschaftliche Arbeiten in § 40a Abs. 3 Satz 2 EStG gestützt.

Das ist nicht zu beanstanden. Denn in der neuen Fassung des § 40a Abs. 3 Satz 2 EStG kommt die Wertung des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass bis zu einer Grenze von 25 v.H. andere land- und forstwirtschaftliche Arbeiten für die besondere Pauschalierung nach § 40a Abs. 3 EStG unschädlich sind. Bei der Frage, ob eine Tätigkeit in einem so wesentlichen Umfang Fachkraft-Kenntnisse erfordert, dass daraus auf die Qualifikation des Arbeitnehmers als Fachkraft geschlossen werden kann, geht es um eine vergleichbare Wertung. Das spricht dafür, in beiden Fällen von derselben Wesentlichkeitsgrenze auszugehen. Zwar ist diese Regelung erst ab dem Veranlagungszeitraum 1997 anzuwenden, wie das FA zutreffend geltend macht. Es fehlen jedoch Anhaltspunkte dafür, dass für frühere Veranlagungszeiträume eine niedrigere Wesentlichkeitsgrenze maßgeblich sein könnte.

Erfordern mehr als 25 v.H. der Tätigkeit eines Arbeitnehmers Fachkraft-Kenntnisse, ist er daher auch dann als Fachkraft anzusehen, wenn er nicht über eine entsprechende Berufsausbildung verfügt.

2. Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es hat zwar angenommen, die Arbeitnehmer der Klägerin seien auf Grund ihrer Fähigkeiten in der Lage, eine Fachkraft zu ersetzen. Auf der Grundlage seiner Rechtsansicht kam es darauf jedoch nicht an, weil der Anteil der Arbeiten, die den Einsatz einer Fachkraft erforderten, in den Streitjahren von untergeordneter Bedeutung war. Das FG hat deshalb keine Feststellungen dazu getroffen, ob Arbeitnehmer der Klägerin über eine einschlägige Berufsausbildung verfügen.

Das FG wird die erforderlichen Feststellungen nachholen. Ergibt sich dabei, dass ein Arbeitnehmer über eine entsprechende Berufsausbildung verfügt, handelt es sich um eine Fachkraft, ohne dass es darauf ankommt, ob die durchgeführten Arbeiten den Einsatz einer Fachkraft erforderten. Eine Pauschalierung der Lohnsteuer nach § 40a Abs. 3 EStG ist bei einem solchen Arbeitnehmer nicht zulässig.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

Fundstelle(n):
BStBl 2006 II Seite 208
BB 2005 S. 2797 Nr. 51
BFH/NV 2006 S. 189 Nr. 1
BStBl II 2006 S. 208 Nr. 5
DStRE 2006 S. 212 Nr. 4
DStZ 2006 S. 5 Nr. 1
EStB 2006 S. 14 Nr. 1
FR 2006 S. 291 Nr. 6
HFR 2006 S. 270 Nr. 3
INF 2006 S. 46 Nr. 2
KÖSDI 2006 S. 14931 Nr. 1
NWB-Eilnachricht Nr. 37/2006 S. 3108
NWB-Eilnachricht Nr. 42/2005 S. 4431
StB 2006 S. 2 Nr. 1
StBW 2005 S. 4 Nr. 25
StuB-Bilanzreport Nr. 24/2005 S. 1061
FAAAB-71713