BGH Beschluss v. - XII ZB 36/19

Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist in einer Familiensache: Notwendige Vorkehrungen eines Einzelanwalts für die Fristwahrung im Falle persönlicher Verhinderung

Leitsatz

Ein Rechtsanwalt muss allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt. Dabei hat der Einzelanwalt für den Fall einer Verhinderung im Rahmen der ihm obliegenden allgemeinen Vorkehrungen selbst für eine anwaltliche Vertretung Vorsorge zu treffen (im Anschluss an BGH Beschlüsse vom - VI ZB 44/18 - juris und vom - VI ZB 44/16, NJW-RR 2018, 1210).

Gesetze: § 113 Abs 1 S 2 FamFG, § 117 Abs 5 FamFG, § 85 Abs 2 ZPO, § 130 Nr 6 ZPO, § 233 S 1 ZPO

Instanzenzug: Az: 4 UF 164/18vorgehend AG Gelsenkirchen Az: 102 F 290/16

Gründe

I.

1Der Antragsteller wendet sich gegen die Zurückweisung seines Wiedereinsetzungsantrags und die Verwerfung seiner Beschwerde.

2Das Amtsgericht hat den Feststellungsantrag des Antragstellers, wonach die zwischen den Beteiligten geschlossene notarielle Scheidungsfolgenvereinbarung insoweit nichtig sei, als sie Regelungen zum nachehelichen Unterhalt enthalte, abgewiesen. Der Beschluss ist dem Antragsteller am zugestellt worden. Am hat er hiergegen beim Amtsgericht Beschwerde eingelegt. Am (einem Montag) ist beim Oberlandesgericht die Beschwerdebegründung eingegangen. Diese war nicht von der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers unterzeichnet. Nachdem das Oberlandesgericht den Antrag des Antragstellers auf Verfahrenskostenhilfe zurückgewiesen und ihn darauf hingewiesen hatte, dass nicht zu erkennen sei, wer die Beschwerdebegründung unterzeichnet habe, hat der Antragsteller Wiedereinsetzung in die Beschwerdebegründungsfrist beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Beschwerde des Antragstellers als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich dieser mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3Die gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG iVm §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.

4Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Der angefochtene Beschluss verletzt den Antragsteller weder in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in seinem verfahrensrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip).

51. Das Oberlandesgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, dass die Beschwerde des Antragstellers unzulässig sei, da sich eine formgerechte Beschwerdebegründung nicht feststellen lasse. Im Anwaltsprozess müsse diese von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein. Es sei nicht ersichtlich, welcher Rechtsanwalt bzw. welche Rechtsanwältin die Beschwerdebegründung unterzeichnet habe.

6Die Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist beruhe auf einem dem Antragsteller zuzurechnenden Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten. Diese habe für den Fall ihrer Abwesenheit nach Diktat der Beschwerdebegründung durch geeignete Maßnahmen sicherstellen müssen, dass jedenfalls ein namentlich bekannter Rechtsanwalt die Beschwerdebegründung unterzeichnet. Die Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers habe offenbar nicht selbst eine ihr bekannte Rechtsanwaltsfachangestellte angewiesen, sondern die Beschwerdebegründung zunächst in die mit ihr kooperierende Kanzlei des Rechtsbeistands B. gegeben. Dessen Angestellte habe dann die Räume des Anwaltsvereins aufgesucht, sich einen dort mehr oder weniger zufällig anwesenden, ihr unbekannten Rechtsanwalt ausgesucht und die Beschwerdebegründung unterschreiben lassen. Weder aus den eidesstattlichen Versicherungen der Angestellten des Rechtsbeistands noch aus dem Vortrag der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers sei ersichtlich, wer zu welchem Zeitpunkt entsprechende Weisungen an die Angestellte zur Einholung der Unterschrift eines Rechtsanwalts und zum Notieren seines Namens erteilt habe. Die diesbezügliche Anweisung eines Rechtsbeistands wäre nicht ausreichend.

7Abgesehen davon entspreche es nicht der erforderlichen rechtsanwaltlichen Sorgfalt, einer Rechtsanwaltsfachangestellten die Auswahl des Anwalts, der einen so maßgeblichen Schriftsatz wie eine Beschwerdebegründung unterzeichnen solle, zu überlassen.

82. Das hält sich im Rahmen der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

9a) Die Begründung des Oberlandesgerichts, der zufolge die hier erfolgte Unterschrift den Formerfordernissen des § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG iVm § 130 Nr. 6 ZPO nicht genügt, nimmt die Rechtsbeschwerde hin. Sie steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach der Rechtsanwalt, der die Beschwerdebegründung unterschrieben hat, identifizierbar sein muss (vgl. - juris Rn. 6 mwN).

10b) Der von der Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers beschrittene Weg begründet auch unter Zugrundelegung des Vortrags des Antragstellers ein – ihm gemäß § 113 Abs. 1 FamFG iVm § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbares –Verschulden seiner Verfahrensbevollmächtigten i.S.d. § 117 Abs. 5 FamFG iVm § 233 ZPO.

11aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss ein Rechtsanwalt allgemeine Vorkehrungen dafür treffen, dass das zur Wahrung von Fristen Erforderliche auch dann unternommen wird, wenn er unvorhergesehen ausfällt (BGH Beschlüsse vom - VI ZB 44/18 - juris Rn. 11 mwN und vom - V ZB 94/13 - NJW 2014, 228 Rn. 7). Dabei hat der Einzelanwalt für den Fall einer Verhinderung im Rahmen der ihm obliegenden allgemeinen Vorkehrungen selbst für eine anwaltliche Vertretung Vorsorge zu treffen (BGH Beschlüsse vom - VI ZB 44/18 - juris Rn. 11 mwN und vom - VI ZB 44/16 - NJW-RR 2018, 1210 Rn. 8). Denn die Erstellung fristwahrender Rechtsmittel oder Rechtsmittelbegründungen gehört nicht zu den einfachen Büroaufgaben, die der Rechtsanwalt seinem Personal übertragen darf (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 583/14 - FamRZ 2015, 1878 Rn. 12). Entsprechendes folgt auch aus § 53 Abs. 1 BRAO, wonach der Rechtsanwalt selbst unter den dort genannten Voraussetzungen für die Bestimmung seiner Vertretung zu sorgen hat ( - VersR 1965, 1005). Auch für den Fall der Verhinderung von Angestellten gehört es zu den Organisationspflichten des Rechtsanwalts, selbst Vorsorge durch Bestimmung von Vertretern zu treffen (BGH Beschlüsse vom - V ZB 12/77 - VersR 1978, 92 und vom - VI ZB 26/88 - NJW 1989, 1157, 1158; KG NJW 1995, 1434, 1435).

12bb) In diesem Rahmen bewegt sich die angefochtene Entscheidung des Oberlandesgerichts, wenn es darauf abstellt, dass es nicht der erforderlichen rechtsanwaltlichen Sorgfalt entspricht, einer Rechtsanwaltsfachangestellten die Auswahl des Anwalts, der einen so maßgeblichen Schriftsatz wie eine Beschwerdebegründung unterzeichnen soll, zu überlassen.

13Deshalb hätte die Verfahrensbevollmächtigte für den Fall ihrer Verhinderung, deren Gründe sie nicht einmal ansatzweise dargetan hat, selbst für eine anwaltliche Vertretung sorgen müssen. Sie durfte es weder dem nicht beim Beschwerdegericht postulationsfähigen Rechtsbeistand noch der bei ihm beschäftigten Rechtsanwaltsfachangestellten überlassen, an ihrer statt einen zur Vertretung und damit auch zur eigenverantwortlichen Unterzeichnung der Rechtsmittelbegründung bereiten Rechtsanwalt zu suchen.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2019:310719BXIIZB36.19.0

Fundstelle(n):
BB 2019 S. 2241 Nr. 39
NJW 2019 S. 8 Nr. 38
NJW-RR 2019 S. 1340 Nr. 21
NWB-Eilnachricht Nr. 41/2019 S. 2981
StuB-Bilanzreport Nr. 1/2020 S. 40
EAAAH-29581