BGH Beschluss v. - XIII ZB 58/20

Abschiebungshaftsache: Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens durch Anhörung des Betroffenen und Haftanordnung ohne anwaltliche Vertretung

Gesetze: § 427 FamFG, Art 2 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG

Instanzenzug: LG Ingolstadt Az: 22 T 1834/20vorgehend AG Ingolstadt Az: 1 XIV 192/20

Gründe

1I. Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, hält sich seit 2015 in Deutschland auf. Er verfügte nach Ablehnung seines Asylantrags über eine bis befristete Duldung. Am wurde er aus Italien kommend an der Bundesgrenze aufgegriffen, wobei er sich nur mit einem deutschen Führerschein ausweisen konnte. Die Einreise wurde ihm verweigert. Auf Antrag der beteiligten Behörde vom wurde ohne Anhörung des Betroffenen vorläufig bis zum Zurückweisungshaft angeordnet.

2Mit am eingegangenem Schriftsatz zeigte ein Rechtsanwalt die Vertretung des Betroffenen an. Am Morgen des terminierte das Amtsgericht die Anhörung des Betroffenen auf den gleichen Tag um 14.30 Uhr. Die beteiligte Behörde stellte sodann einen Antrag auf Anordnung der Freiheitsentziehung zur Sicherung der Zurückweisungshaft bis zum . Nachdem dem Richter die Vertretungsanzeige vom mittags vorgelegt worden war, wurde der Verfahrensbevollmächtigte per Telefax zu dem Termin um 14.30 Uhr geladen. Er beantragte Terminsverlegung, weil er angesichts der Entfernung in der Kürze der Zeit nicht teilnehmen könne.

3Das Amtsgericht hat den Betroffenen gleichwohl angehört und Haft bis zum angeordnet. Das Beschwerdegericht hat den Betroffenen im Beisein seines Verfahrensbevollmächtigten am angehört. Mit Beschluss vom hat es die Haft gegen eine Meldeauflage außer Vollzug gesetzt und die weitergehende - auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete - Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde.

4II. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

51. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, fehlerhaft habe das Amtsgericht zwar dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen die Teilnahme an der Anhörung nicht ermöglicht. Der Betroffene habe sich aber vollständig und interessengerecht selbst vertreten können. Auch bei der Anhörung im Beschwerdeverfahren seien keine weiteren sachdienlichen Argumente vorgetragen worden. Der Verfahrensfehler sei daher für die Entscheidung nicht ursächlich geworden. Bei zusammenfassender Abwägung und Berücksichtigung der verfahrensbezogenen Umstände sei die Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen Anordnung von Meldeauflagen geeignet, der Besonderheit des Falls Rechnung zu tragen. Wie der Betroffene im Rahmen seiner Anhörung dargestellt habe, sei seine Ausreise und versuchte Wiedereinreise erfolgt, um von tragischem Schicksal getroffener Verwandtschaft Unterstützung zu leisten. Auch spreche für den Betroffenen, dass er sich bei seinem fünfjährigen illegalen Aufenthalt zumindest nicht nachweislich eines strafbaren Vergehens schuldig gemacht habe. Zuletzt verblieben hinsichtlich der tatsächlichen Durchführbarkeit der Abschiebung gerichtsbekannt Zweifel.

62. Die Zurückweisung der Beschwerde hält rechtlicher Überprüfung nicht stand. Das Amtsgericht hat durch seine Verfahrensgestaltung bei Anordnung der Haft das Recht des Betroffenen auf ein faires Verfahren verletzt. Auf seinen Antrag ist deshalb festzustellen, dass der Vollzug der Haftanordnung vom ihn in seinen Rechten verletzt hat.

7a) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert jedem Betroffenen das Recht, sich in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (st. Rspr., vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 32/14, InfAuslR 2014, 442 Rn. 8, vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7, und vom - XIII ZB 92/20, z. Veröff. best.). Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 69/18, InfAuslR 2019, 152 Rn. 5, und vom - XIII ZB 84/19, juris Rn. 9 f.). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf dem Fehler beruht (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7, und vom - XIII ZB 34/19, juris Rn. 7).

8b) Danach hat das Amtsgericht den Grundsatz des fairen Verfahrens bei der Anordnung der Haft verletzt, weil es dem Rechtsanwalt des Betroffenen eine Teilnahme an der Anhörung nicht ermöglicht hat. Es hat die Anhörung durchgeführt, obwohl schon bei der Ladung ersichtlich war, dass der Bevollmächtigte aufgrund der Entfernung nicht werde teilnehmen können, der Bevollmächtigte einen Verlegungsantrag gestellt hatte und der Betroffene in der Anhörung angegeben hat, ohne seinen Rechtsanwalt nichts (weiter) sagen zu wollen.

9c) Eine Heilung des Verfahrensfehlers durch eine Nachholung der Anhörung des Betroffenen ist zwar grundsätzlich mit Wirkung für die Zukunft möglich (vgl. , juris Rn. 14 mwN). Hier hat die Anhörung aber zu einer Außervollzugsetzung des Haftbefehls durch das Beschwerdegericht und zu der Entlassung des Betroffenen geführt. Damit hat die gesamte auf der Grundlage der amtsgerichtlichen Entscheidung vollzogene Haft den Betroffenen in seinen Rechten verletzt.

103. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:310821BXIIIZB58.20.0

Fundstelle(n):
OAAAJ-21527