Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
Leitsatz
Die zugleich angeordnete Sicherungsverwahrung ist kein bestimmender Strafzumessungsumstand.
Gesetze: § 46 Abs 1 S 2 StGB, § 62 StGB, § 66 Abs 1 StGB
Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 2 KLs 7/21
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet und den Wert von Taterträgen eingezogen. Ferner hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus dem Tenor ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Überprüfung des Schuldspruchs hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
32. Der Strafausspruch und die auf § 66 Abs. 1 StGB gestützte Maßregel-anordnung (bei Ablehnung einer Unterbringung in der Entziehungsanstalt) halten rechtlicher Nachprüfung ebenfalls stand, auch wenn das Landgericht bei der Festsetzung der Freiheitsstrafe nicht erörtert hat, dass gegen den Angeklagten zugleich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Denn einer solchen Erörterung bedurfte es nicht.
4a) Soweit der 1. und der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ausgeführt haben, dass zu den nach § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB zu berücksichtigenden Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Angeklagten in der Gesellschaft zu erwarten sind, auch die Wechselwirkung zwischen der verhängten Strafe und einer angeordneten Maßregel der Besserung und Sicherung gehören könne, und deshalb die Bemessung von (Einzel-)Strafen bei zugleich angeordneter Sicherungsverwahrung beanstandet haben, weil dieser Aspekt nicht ausdrücklich erörtert worden ist (vgl. Rn. 4 f. [unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den Einzelfall]; Beschluss vom – 2 StR 18/21 Rn. 4; Beschluss vom – 2 StR 188/20 Rn. 16), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Ein derartiger bestimmender Strafzumessungsgrund besteht nicht.
5aa) Die Strafe und der präventive Freiheitsentzug der Sicherungsverwahrung verfolgen verschiedene Zwecke. Während die Strafe dem Schuldgrundsatz unterliegt, dient die Maßregel dem Schutz der Allgemeinheit durch die Verhinderung künftiger Straftaten und knüpft an die Gefährlichkeit des Täters an (vgl. BVerfGE 128, 326, 374; BVerfGE 109, 133, 174; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 389 mwN). Für ihre Anordnung gelten kategorial verschiedene Voraussetzungen, die getrennt voneinander zu beurteilen sind (vgl. , BGHSt 59, 56 Rn. 22 mwN). Daraus ergibt sich, dass zwischen der Strafe und der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung grundsätzlich keine Wechselwirkung besteht (vgl. Rn. 11; Urteil vom – 5 StR 616/19 Rn. 24; Urteil vom – 5 StR 99/17 Rn. 12; Urteil vom – 4 StR 643/17 Rn. 13; jew. zur Wirksamkeit einer Rechtsmittelbeschränkung). Strafe und Maßregel sollen vielmehr unabhängig voneinander bemessen bzw. verhängt werden (vgl. , BGHSt 38, 362, 365; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 6. Aufl., Rn. 433). Hiermit ist die Annahme unvereinbar, die Anordnung der Sicherungsverwahrung sei als ein bestimmender Strafzumessungsumstand bei der Festsetzung der Strafe zu erörtern.
6bb) Eine solche Verpflichtung des Tatgerichts, die auch den vom 1. und 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zur Stützung ihrer Rechtsauffassung herangezogenen Entscheidungen nicht zugrunde liegt (vgl. etwa Senat, Urteil vom – 4 StR 114/08 Rn. 18), würde voraussetzen, dass sich die Würdigung im Rahmen der Strafzumessung aufdrängt oder unverzichtbar erscheint (vgl. Wenske in MüKo-StPO, § 267 Rn. 320 mwN). Dies ist mit Blick auf den Zweck der Sanktionen für die neben der Strafe angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht der Fall.
7cc) Auch aus § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB folgt kein anderes Ergebnis. Die Norm soll verhindern, dass die Rechtsfolgen zur Entsozialisierung des Täters führen oder seiner Resozialisierung entgegenstehen (vgl. Rn. 10; s. ferner bereits , BGHSt 24, 40, 42 f.). Die Gesamtheit der verhängten Rechtsfolgen muss verhältnismäßig sein, und die Kumulierung von Strafe und Maßregel darf nicht übermäßig sein (vgl. BVerfGE 91, 1, 32). Dies ist bei der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung durch die Anordnungs- und Vollstreckungsregelungen gewährleistet (vgl. , BGHSt 59, 56 Rn. 22 ff.). Das Tatgericht hat gemäß § 62 StGB die Verhältnismäßigkeit der Maßregel, mit der ein besonders schwerwiegender Eingriff in das Freiheitsgrundrecht verbunden ist, zu prüfen. Deren Vollstreckung ist zudem durch eine behandlungsorientierte Ausgestaltung des Strafvollzugs möglichst zu vermeiden (vgl. § 66c Abs. 1, 2, § 67c Abs. 1 StGB). Mit dem Strafmaß korreliert daher keine maßregelspezifische Mehrbelastung des Angeklagten, aus der sich ein bestimmender Strafzumessungsumstand zu seinen Gunsten ergeben könnte. Die ggf. erst später erfolgende Prüfung gemäß § 67d Abs. 3 StGB nach dem Vollzug von zehn Jahren der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung genügt hierfür aufgrund der vorgesehenen besonderen Ausgestaltung des Straf- wie des Maßregelvollzugs nicht.
8b) Der Senat ist nicht gehalten, beim 1. und 2. Strafsenat anzufragen, ob diese an ihrer Rechtsauffassung festhalten (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG), da die Revision des Angeklagten auch unter Zugrundelegung der Rechtsmeinung der anderen Senate zu verwerfen wäre. Denn der Senat vermag auszuschließen, dass die Strafkammer auf eine mildere Strafe erkannt hätte, wenn von ihr die angeordnete Unterbringung in der Sicherungsverwahrung ausdrücklich in den Blick genommen worden wäre. Das Landgericht hat angesichts des Tatbilds und des Vorlebens des Angeklagten die Strafe maßvoll zugemessen und hierbei dessen schwierige Lebenssituation durch die Suchtproblematik strafmildernd bedacht, in der es rechtsfehlerfrei die Wurzel des Hangs des Angeklagten gemäß § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB gesehen hat. Damit fehlt es im Ergebnis an den Voraussetzungen für ein Vorlageverfahren (vgl. , BGHSt 43, 53, 58 mwN).
93. Der im Übrigen rechtsfehlerfreie Einziehungsausspruch bedarf der vom Generalbundesanwalt beantragten Ergänzung um die gesamtschuldnerische Haftung des Angeklagten. Die Strafkammer hat übersehen, dass zumindest dessen ebenfalls in die Wohnung des Geschädigten eingedrungener Mittäter die Mitverfügungsgewalt über die gesamte Tatbeute hatte (vgl. Rn. 11; Urteil vom – 5 StR 670/18 Rn. 7).
104. Im Rahmen der Adhäsionsentscheidung hat der Senat den Feststellungsausspruch unter den erforderlichen Vorbehalt eines Forderungsübergangs nach § 116 SGB X, § 86 VVG gestellt (vgl. dazu Rn. 2; Beschluss vom – 5 StR 8/17).
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:100522B4STR99.22.0
Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 2945 Nr. 40
WAAAJ-19648