Anspruch eines Insolvenzverwalters gegen Geschäftsführer einer GmbH auf Rückgewähr von Zahlungen; Bestimmung des Zeitpunkts der Zahlungsunfähigkeit
Leitsatz
Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO muss nicht durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz, sondern kann auch mit anderen Mitteln dargelegt werden.
Gesetze: § 64 S 1 GmbHG vom , § 17 Abs 2 S 1 InsO
Instanzenzug: Az: 9 U 243/19vorgehend LG Lübeck Az: 13 HKO 67/18
Tatbestand
1Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am über das Vermögen der E. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin) eröffneten Insolvenzverfahren. Der Beklagte war Geschäftsführer der Schuldnerin. Gesellschafter der Schuldnerin waren die M. GmbH zu 90 % und der Beklagte zu 10 %. Am schloss die Schuldnerin mit der M. GmbH einen Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag, dem die Gesellschafterversammlung der Schuldnerin am zustimmte.
2Die Schuldnerin gehörte der M. -Unternehmensgruppe an. Die M. GmbH als Muttergesellschaft war unter anderem zu 100 % an der M. W. & T. GmbH, zu 100 % an der E. E. GmbH und zu 90 % an der E. S. GmbH beteiligt. Die Gesellschaften der M. -Gruppe, darunter die Schuldnerin und die M. GmbH, schlossen im April 2010 mit der C. bank AG einen Cash-Concentratingvertrag zur Einrichtung eines Cash-Pools, bei dem das Masterkonto bei der C. bank für die M. GmbH geführt wurde. Dabei wurde das Clearing-Verfahren taggenau durchgeführt, das heißt Guthaben der Tochtergesellschaften wurden am Ende eines jeden Arbeitstags an das Masterkonto übertragen (Upstream-Loan) und ein Soll der Tochterunternehmen wurde vom Masterkonto ausgeglichen (Downstream-Loan). Die Kündigungsfrist für den Cash-Concentratingvertrag betrug zwanzig Tage. Ergänzend hierzu schlossen die Unternehmen der M. -Gruppe eine Vereinbarung, nach der die Umsätze der abgebenden Konten an das Master-Konto als kurzfristige verzinsliche Darlehen angesehen wurden; die Zinsen wurden quartalsweise berechnet.
3Am wurden vom Konto der Schuldnerin 1.680.019,51 € auf das Konto der M. GmbH und von diesem Konto 168.587,10 € auf das Konto der Schuldnerin übertragen. Am wurden weitere 1.628.695,22 € vom Konto der Schuldnerin auf das Konto der Muttergesellschaft übertragen.
4Der Kläger behauptet, die Schuldnerin sei bereits am zahlungsunfähig gewesen und begehrt vom Beklagten Ersatz der Zahlungen vom und abzüglich der Gutschrift vom in Höhe von insgesamt 3.140.127,63 € nebst Zinsen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers blieb ohne Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.
Gründe
5Die Revision des Klägers hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, ausgeführt:
7Der Kläger habe gegen den Beklagten keinen Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG in der bis zum geltenden Fassung (im Folgenden: aF). Er habe den Nachweis der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum nicht geführt. Zahlungsansprüche der einem Cash-Pool angeschlossenen Gesellschaft gegen die den Cash-Pool führende Gesellschaft seien nicht als flüssige Mittel im Finanzstatus, sondern mit ihren Fälligkeiten im Finanzplan zu berücksichtigen. Zur Feststellung der im Beurteilungszeitraum im Cash-Pool vorhandenen Liquidität bedürfe es einer konsolidierten Gesamtbetrachtung (Gesamtliquiditätsplanung der Unternehmensgruppe). Darlehensforderungen der Schuldnerin aus dem Cash-Pool, die innerhalb von drei Wochen fällig würden oder fällig gestellt werden könnten, müssten in den Finanzplan aufgenommen werden, wenn die M. GmbH sie bedienen könne. Ansprüche der dem Cash-Pool angeschlossenen Gesellschaften gegen die Cash-Pool-Führerin auf Darlehensgewährung seien in den Finanzplan einzustellen, wenn die Cash-Pool-Vereinbarung einen rechtsverbindlichen Anspruch begründe und dieser werthaltig erscheine. Der vom Kläger vorgelegte Bericht der P. Wirtschaftsprüfung GmbH sei ungenügend, weil er keine konsolidierte Gesamtliquiditätsbetrachtung der Unternehmensgruppe enthalte und die Forderungen aus dem Cash-Pooling nicht berücksichtige. Dass der Kläger den vollen freien Kreditrahmen auf dem Masterkonto in Ansatz gebracht habe, genüge nicht, weil der freie Kreditrahmen die Downstream-Loans im fraglichen Zeitraum unterschreite.
8Der Beklagte hafte aber selbst bei unterstellter Zahlungsunfähigkeit nicht gemäß § 64 GmbHG aF. Die Ersatzpflicht des Beklagten entfalle, weil der Schuldnerin in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang mit den Zahlungen Vermögen zugeflossen sei. Der Beklagte habe unwidersprochen dargelegt, dass der Schuldnerin nach den Zahlungen vom 13. November und im Rahmen des Cash-Pooling durch die Downstream-Loans mehr zugeflossen sei, als die Schuldnerin im Wege der Upstream-Loans an die M. GmbH gezahlt habe. Sämtliche Kontobewegungen im Rahmen des täglichen Kontenclearings stünden in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang, weil die Upstream-Loans allein mit Blick auf die Verpflichtung der M. GmbH erfolgt seien, der Schuldnerin im Bedarfsfalle Liquidität zu verschaffen.
9II. Diese Ausführungen halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
101. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an den Vortrag des Klägers zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO überspannt. Die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum kann nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand nicht ausgeschlossen werden.
11a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt eine Partei ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, so kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden (vgl. , ZIP 2007, 1524 Rn. 8; Urteil vom - II ZR 114/15, ZIP 2016, 1376 Rn. 18; Urteil vom - II ZR 88/16, BGHZ 217, 129 Rn. 9).
12Von einer Zahlungsunfähigkeit ist regelmäßig auszugehen, wenn die innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke des Schuldners 10 % oder mehr beträgt, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist (vgl. , BGHZ 163, 134, 145; Beschluss vom - IX ZB 204/04, BGHZ 169, 17 Rn. 16; Urteil vom - IX ZR 228/03, ZIP 2006, 2222 Rn. 27 f.; Urteil vom - IX ZR 231/04, ZIP 2007, 1469 Rn. 37; Urteil vom - IX ZR 3/12, ZIP 2013, 228 Rn. 19; Urteil vom - II ZR 88/16, BGHZ 217, 129 Rn. 10, 32).
13b) Der Kläger hat eine erhebliche Liquiditätslücke für einen Zeitraum von drei Wochen ab dem und damit die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Stichtag dargetan. Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 1 InsO muss nicht durch Aufstellung einer Liquiditätsbilanz, sondern kann auch mit anderen Mitteln dargelegt werden.
14aa) Es ist unerheblich, dass sich der Kläger zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit nicht auf eine Liquiditätsbilanz bezieht und deshalb Liquiditätslücke und Liquiditätsdeckungsgrad nicht unter Berücksichtigung des Verhältnisses der Summe von Aktiva I und Aktiva II zur Summe von Passiva I und Passiva II errechnet (vgl. , BGHZ 217, 129 Rn. 62). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass die Zahlungsunfähigkeit auch auf andere Weise dargelegt werden kann als durch eine solche Zeitraumbetrachtung. So wird es für zulässig erachtet, die Zahlungsunfähigkeit durch einen Liquiditätsstatus auf den Stichtag in Verbindung mit einem Finanzplan für die auf den Stichtag folgenden drei Wochen, in dem tagesgenau Einzahlungen und Auszahlungen gegenübergestellt werden, darzutun (vgl. , WM 2022, 1287 Rn. 18). Es spricht auch nichts dagegen, zur Darlegung der Zahlungsunfähigkeit mehrere tagesgenaue Liquiditätsstatus in aussagekräftiger Anzahl aufzustellen, in denen ausgehend von dem am Stichtag eine erhebliche Unterdeckung ausweisenden Status an keinem der im Prognosezeitraum liegenden bilanzierten Tag die Liquiditätslücke in relevanter Weise geschlossen werden kann (vgl. HambKommInsO/Schröder, 9. Aufl., § 17 Rn. 51).
15Dies vorausgesetzt, hat der Kläger seiner Darlegungslast genügt. Er hat für die nach seiner Behauptung am Stichtag verfügbaren Mittel und fälligen Verbindlichkeiten in der Klageschrift auf einen als Anlage K 4 vorgelegten Bericht der P. Wirtschaftsprüfung GmbH Bezug genommen und diesen erläutert. Er hat vorgetragen, dass am verfügbaren Geldmitteln der Schuldnerin in Höhe von 551.665,63 € fällige Verbindlichkeiten in Höhe von 1.220.727,93 € gegenübergestanden und eine Unterdeckung in Höhe von 54,8 % bestanden habe. Weiter hat er vorgetragen, dass am den liquiden Mitteln in Höhe von 932.364,14 € Verbindlichkeiten in Höhe von 1.672.901,29 € gegenübergestanden und eine Unterdeckung in Höhe von 44,3 % bestanden habe, dass am den liquiden Mitteln in Höhe von 470.688,22 € Verbindlichkeiten in Höhe von 1.260.385,48 € gegenübergestanden und eine Unterdeckung in Höhe von 62,7 % bestanden habe, sowie, dass am den liquiden Mitteln in Höhe von 321.490,42 € fällige Verbindlichkeiten in Höhe von 591.986,37 € gegenübergestanden und eine Unterdeckung in Höhe von 45,7 % bestanden habe. Dazu hat der Kläger unter Bezugnahme auf den Bericht der P. Wirtschaftsprüfung GmbH ausgeführt, dass er dabei jeweils die volle nicht ausgeschöpfte Kreditlinie der Poolführerin gegenüber der den Cash-Pool verwaltenden C. bank zugunsten der Schuldnerin als deren verfügbare Liquidität berücksichtigt habe. Auf der Grundlage dieser von ihm über einen Zeitraum von drei Wochen vorgelegten vier Liquiditätsstatus hat der Kläger behauptet, dass am eine nicht nur unerhebliche, sondern 54,8 % betragende Liquiditätslücke bestanden und auch nicht nur eine Zahlungsstockung vorgelegen habe, weil diese Lücke auch innerhalb der nächsten drei Wochen nicht so weit habe zurückgeführt werden können, dass nur noch eine unerhebliche Lücke bestanden habe, sondern diese am immer noch 45,7 % betragen habe.
16Damit hat der Kläger die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin dargelegt. Die vom Kläger für einen Zeitraum von drei Wochen vorgetragene, 40 % nicht unterschreitende Unterdeckung der liquiden Mittel zu den fälligen Forderungen ist weder unerheblich noch vorübergehend.
17bb) Der vom Berufungsgericht geforderten Darlegung "der im Beurteilungszeitraum vorhandenen Liquidität des Cash-Pool-Systems im Sinne einer konsolidierten Gesamtbetrachtung (Gesamtliquiditätsplanung der Unternehmensgruppe)" bedarf es für die Feststellung der Zahlungsunfähigkeit auf Grundlage des klägerischen Vortrags nicht. Der Kläger hat nach den Feststellungen des Berufungsgerichts den vollen freien Kreditrahmen auf dem Masterkonto gegenüber der kontoführenden C. bank als liquide Mittel der Schuldnerin in Ansatz gebracht. Mehr als alle im Cash-Pool verfügbaren Mittel konnte die Schuldnerin zur Tilgung der fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten aus diesem nicht erlangen. Dass im Cash-Pool im "streitgegenständlichen Zeitraum", also offenbar innerhalb der dem Stichtag folgenden drei Wochen, Liquidität generiert wurde, wie das Berufungsgericht aus den folgenden, die Kreditlinie überschreitenden Downstream-Loans geschlossen hat, hat der Kläger im Rahmen der drei Liquiditätsstatus zum 7., 16. und berücksichtigt und vorgetragen, dass die tatsächlich zugeführte Liquidität die Liquiditätslücke nicht beseitigt habe. Einer Hochrechnung der innerhalb der dem Stichtag folgenden drei Wochen aus dem Cash-Pool zu erwartenden Liquidität bedurfte es dafür nicht, weil der Kläger die Abgrenzung zur Zahlungsstockung nicht anhand einer Liquiditätsbilanz vorgenommen hat, sondern unter Darlegung der in den dem Stichtag folgenden drei Wochen vorhandenen Liquidität.
182. Rechtsfehlerhaft ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Ersatzpflicht des Beklagten für die vom Kläger geltend gemachten Zahlungen sei wegen der Zuflüsse vom Masterkonto entfallen.
19Zutreffend ist zwar der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, dass die Ersatzpflicht des Organs für Zahlungen nach Insolvenzreife gemäß § 64 Satz 1 GmbHG aF entfällt, soweit die durch die Zahlung verursachte Schmälerung der Masse in einem unmittelbaren Zusammenhang mit ihr ausgeglichen wird (, BGHZ 203, 218 Rn. 9 mwN; Urteil vom - II ZR 355/18, BGHZ 227, 221 Rn. 33).
20Ein solcher Aktiventausch liegt nicht vor. Nach den Feststellungen des Landgerichts, auf die das Berufungsgericht zur Darstellung der näheren Einzelheiten Bezug genommen hat, wurde durch das Downstream-Loan jeweils ein Soll der Tochterunternehmen ausgeglichen. Durch die Rückführung von Sollständen im Wege des Downstream-Loan kann die Überweisung von Guthaben vom Konto der Schuldnerin auf das Masterkonto im Wege des Upstream-Loan bereits deshalb nicht ausgeglichen werden, weil die verteilungsfähige Vermögensmasse der Schuldnerin durch die Rückführung des Debets auf ihrem Konto nicht gemehrt wird (vgl. , BGHZ 143, 184, 187 f.; Urteil vom - II ZR 100/13, ZIP 2014, 1523 Rn. 17; Urteil vom - II ZR 366/13, BGHZ 206, 52 Rn. 32 f.).
21III. Das Berufungsurteil ist danach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist, da sie noch nicht zur Endentscheidung reif ist, an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht hat sich, von seinem Rechtsstandpunkt aus betrachtet folgerichtig, nicht mit den Einwänden des Beklagten gegen die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin befasst.
22Weiter wird sich das Berufungsgericht mit dem Einwand des Beklagten auseinanderzusetzen haben, dass in den geltend gemachten Upstream-Loans keine Zahlung liege, weil durch sie globalzedierte Forderungen der Schuldnerin gegenüber der C. bank zur Verwertung durch die Gläubiger frei geworden seien (vgl. , BGHZ 206, 52 Rn. 26; Urteil vom - II ZR 355/18, BGHZ 227, 221 Rn. 33 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:280622UIIZR112.21.0
Fundstelle(n):
BB 2022 S. 1811 Nr. 32
BB 2022 S. 2067 Nr. 37
BBK-Kurznachricht Nr. 5/2023 S. 219
DB 2022 S. 1959 Nr. 33
DStR 2022 S. 1969 Nr. 38
DStR 2023 S. 48 Nr. 1
DStR 2023 S. 48 Nr. 1
DStR-Aktuell 2022 S. 9 Nr. 32
GmbH-StB 2022 S. 279 Nr. 9
GmbHR 2022 S. 1036 Nr. 19
NJW 2022 S. 9 Nr. 33
NJW-RR 2022 S. 1131 Nr. 16
WM 2022 S. 1543 Nr. 32
ZIP 2022 S. 1606 Nr. 32
ZIP 2022 S. 4 Nr. 31
XAAAJ-18602