BGH Urteil v. - VII ZR 174/19

Zulässigkeit einer die Mindestsätze der HOAI unterschreitenden Honorarvereinbarung zwischen Privatpersonen: Richtlinienkonforme Auslegung; Anwendbarkeit des gegen Unionsrecht verstoßenden Mindestsatzrechts; Berücksichtigung der Bestimmungen des AEUV über die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapitalverkehr

Leitsatz

1. § 7 HOAI (2013) kann nicht richtlinienkonform dahin ausgelegt werden, dass die Mindestsätze der HOAI im Verhältnis zwischen Privatpersonen grundsätzlich nicht mehr verbindlich sind und daher einer die Mindestsätze unterschreitenden Honorarvereinbarung nicht entgegenstehen.

2. Aus dem Unionsrecht folgt keine Verpflichtung, das gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt verstoßende verbindliche Mindestsatzrecht der HOAI im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, unangewendet zu lassen (im Anschluss an , BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin).

3. Die Bestimmungen des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) über die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapitalverkehr finden auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen, grundsätzlich keine Anwendung und führen daher in einem solchen Fall nicht zu der Verpflichtung, das verbindliche Mindestsatzrecht der HOAI unangewendet zu lassen (im Anschluss an , BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin).

Gesetze: § 7 HOAI 2013, Art 15 Abs 1 EGRL 123/2006, Art 15 Abs 2 Buchst g EGRL 123/2006, Art 15 Abs 3 EGRL 123/2006, Art 49 AEUV, Art 56 AEUV

Instanzenzug: Az: C-261/20 Urteilvorgehend Az: VII ZR 174/19 EuGH-Vorlagevorgehend Az: I-21 U 24/18 Urteilvorgehend LG Essen Az: 6 O 351/17 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger, der ein Ingenieurbüro betreibt, verlangt von der Beklagten, deren Unternehmensgegenstand die wirtschaftliche Entwicklung von Immobilien ist, die Zahlung restlichen Honorars.

2Die Parteien schlossen am einen Ingenieurvertrag, in dem sich der Kläger gegen Zahlung eines Pauschalhonorars von 55.025 € zur Erbringung von im Einzelnen aufgeführten Leistungen gemäß § 55 der Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen in der Fassung vom (im Folgenden: HOAI) für ein Bauvorhaben in B.    verpflichtete. Auf die Abschlagsrechnungen des Klägers vom und , die jeweils auf Grundlage des vereinbarten Pauschalhonorars erstellt waren, leistete die Beklagte Zahlungen in Höhe von insgesamt 55.395,92 € brutto.

3Nachdem der Kläger den Ingenieurvertrag mit Schreiben vom gekündigt hatte, rechnete er im Juli 2017 seine erbrachten Leistungen in einer Honorarschlussrechnung auf Grundlage der Mindestsätze gemäß §§ 55, 56 HOAI ab.

4Mit Urteil vom (C-377/17, BauR 2019, 1624 = NZBau 2019, 511 - Kommission/Deutschland) entschied der Gerichtshof der Europäischen Union, dass die Bundesrepublik Deutschland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie) verstoßen hat, dass sie verbindliche Honorare für die Planungsleistungen von Architekten und Ingenieuren beibehalten hat.

5Der Kläger hat die nach Abzug der geleisteten Zahlungen und eines Sicherheitseinbehalts aus der Honorarschlussrechnung noch offene Restforderung in Höhe von 102.934,59 € brutto nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten klageweise geltend gemacht. Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 100.108,34 € nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das erstinstanzliche Urteil teilweise abgeändert und die Beklagte mit Teilverzichts- und Schlussurteil zur Zahlung von 96.768,03 € nebst Zinsen verurteilt sowie die weitergehende Klage abgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf vollständige Klageabweisung weiter.

6Der Senat hat mit Beschluss vom (VII ZR 174/19, BGHZ 225, 297) dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen zur Auslegung des Unionsrechts gemäß Art. 267 Abs. 1 Buchst. a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Folgt aus dem Unionsrecht, insbesondere aus Art. 4 Abs. 3 EUV, Art. 288 Abs. 3 AEUV und Art. 260 Abs. 1 AEUV, dass Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchstabe g) und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über Dienstleistungen im Binnenmarkt im Rahmen eines laufenden Gerichtsverfahrens zwischen Privatpersonen in der Weise unmittelbare Wirkung entfaltet, dass die dieser Richtlinie entgegenstehenden nationalen Regelungen in § 7 der deutschen Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen (HOAI), wonach die in dieser Honorarordnung statuierten Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen der Architekten und Ingenieure - abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen - verbindlich sind und eine die Mindestsätze unterschreitende Honorarvereinbarung in Verträgen mit Architekten oder Ingenieuren unwirksam ist, nicht mehr anzuwenden sind?

2. Sofern Frage 1 verneint wird:

a) Liegt in der Regelung verbindlicher Mindestsätze für Planungs- und Überwachungsleistungen von Architekten und Ingenieuren in § 7 HOAI durch die Bundesrepublik Deutschland ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV oder gegen sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts?

b) Sofern Frage 2 a) bejaht wird: Folgt aus einem solchen Verstoß, dass in einem laufenden Gerichtsverfahren zwischen Privatpersonen die nationalen Regelungen über verbindliche Mindestsätze (hier: § 7 HOAI) nicht mehr anzuwenden sind?"

7Der Gerichtshof der Europäischen Union hat durch Urteil vom (C-261/20, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin) wie folgt entschieden:

8"Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund dieses Rechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen, jedoch unbeschadet zum einen der Möglichkeit dieses Gerichts, die Anwendung der Regelung im Rahmen eines solchen Rechtsstreits aufgrund des innerstaatlichen Rechts auszuschließen, und zum anderen des Rechts der durch die Unvereinbarkeit des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht geschädigten Partei, Ersatz des ihr daraus entstandenen Schadens zu verlangen."

Gründe

9Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg.

10Auf das Schuldverhältnis ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der Fassung anzuwenden, die für ab dem und bis zum geschlossene Verträge gilt, Art. 229 § 5 Satz 1, § 39 EGBGB; ferner ist die mit Wirkung vom in Kraft getretene Verordnung über die Honorare für Architekten- und Ingenieurleistungen in der Fassung vom anzuwenden, §§ 57, 58 HOAI.

I.

11Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung unter anderem in BauR 2019, 1810 veröffentlicht ist, hat Folgendes ausgeführt:

12Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung restlichen Honorars in Höhe von 96.768,03 € nebst Zinsen gemäß § 631 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 7 Abs. 1, Abs. 3 und Abs. 5, §§ 55, 56 HOAI.

13Die vom Kläger erbrachten Leistungen seien nach den Mindestsätzen gemäß § 56 Abs. 1 HOAI zu honorieren. Die im Vertrag getroffene Pauschalhonorarvereinbarung sei wegen Verstoßes gegen den Mindestpreischarakter der HOAI als zwingendes Preisrecht unwirksam. Es sei unstreitig, dass das vertraglich vorgesehene Pauschalhonorar hinter dem sich bei Anwendung der Mindestsätze ergebenden Honorar deutlich zurückbleibe. Ein Ausnahmefall im Sinne von § 7 Abs. 3 HOAI für die Unterschreitung der Mindestsätze durch schriftliche Vereinbarung liege nicht vor. Der Kläger sei auch nicht gemäß den Grundsätzen von Treu und Glauben an einer Abrechnung nach den Mindestsätzen gehindert. Schließlich liege entgegen der Auffassung der Beklagten keine stufenweise Beauftragung des Klägers vor und in der Begleichung der Abschlagsrechnungen sei daher nicht der Abschluss einer zulässigen nachvertraglichen Abrechnungsvereinbarung jeweils nach vollständiger Leistungserbringung hinsichtlich der abgerechneten Leistungsphasen zu sehen.

14Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-377/17, BauR 2019, 1624 = NZBau 2019, 511 - Kommission/Deutschland) ändere an der Anwendbarkeit der maßgeblichen Bestimmungen der HOAI zum Mindestpreischarakter nichts. Jenes Urteil binde nur den Mitgliedstaat, der nach eigenem Ermessen die geeigneten Maßnahmen ergreifen müsse, um den unionsrechtswidrigen Zustand zu beseitigen. Für den einzelnen Unionsbürger gehe von dem Urteil keine Rechtswirkung aus. Eine Nichtanwendung der Mindestsätze der HOAI in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen könne auch nicht auf die Dienstleistungsrichtlinie gestützt werden, da dieser keine unmittelbare Wirkung zu Lasten einzelner Unionsbürger zukomme. Es bestehe mithin kein Anwendungsvorrang der Dienstleistungsrichtlinie gegenüber den unionsrechtswidrigen Regelungen der HOAI. Eine richtlinienkonforme Auslegung des zwingenden Preisrechts gemäß § 7 HOAI sei ausgeschlossen.

II.

15Das hält der rechtlichen Überprüfung stand.

16Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung restlichen Honorars in Höhe von 96.768,03 € nebst Zinsen auf Basis der von ihm abgerechneten Mindestsätze gemäß § 631 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 7 und §§ 55, 56 HOAI.

171. Der Senat hat bereits mit Beschluss vom (VII ZR 174/19, BGHZ 225, 297) ausgeführt, dass nach nationalem Recht die Vorschriften der HOAI, die das verbindliche Preisrecht (hier: die Mindestsätze) regeln, unbeschadet des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-377/17, BauR 2019, 1624 = NZBau 2019, 511 - Kommission/Deutschland) weiterhin anzuwenden sind und zu einem Honoraranspruch des Klägers in der zuerkannten Höhe führen.

18a) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts ist die zwischen den Parteien im Ingenieurvertrag vom getroffene Pauschalhonorarvereinbarung nach nationalem Recht unwirksam, weil sie das sich bei Anwendung der Mindestsätze gemäß §§ 55, 56 HOAI ergebende Honorar unterschreitet, ohne dass ein Ausnahmefall gemäß § 7 Abs. 3 HOAI vorliegt. Der Kläger kann danach von der Beklagten das Mindestsatzhonorar, dessen Berechnung der Höhe nach nicht angegriffen ist, abzüglich bereits geleisteter Zahlungen verlangen. Die hiergegen gerichteten Einwände der Beklagten, die sich auf einen Verstoß des Klägers gegen Treu und Glauben gemäß § 242 BGB sowie auf eine Vereinbarung über das Honorar im Sinne eines Vergleichs gemäß §§ 779, 782 BGB beruft, greifen nicht durch. Der Senat nimmt insoweit auf seine Ausführungen im Beschluss vom (VII ZR 174/19 Rn. 12-18 m.w.N., BGHZ 225, 297) Bezug, von denen abzuweichen kein Anlass besteht.

19Die Geltendmachung eines Anspruchs durch eine Partei kann insbesondere nicht deshalb gemäß § 242 BGB als treuwidrig und damit unzulässig bewertet werden, weil die nationale Rechtsvorschrift, aus der der Anspruch hergeleitet wird, gegen eine Richtlinie der Europäischen Union verstößt. Eine Partei kann sich vielmehr grundsätzlich auf eine nationale Rechtsvorschrift berufen, solange diese weiterhin gültig und im Verhältnis der Parteien anwendbar ist. Das von der Rechtsprechung entwickelte Rechtsinstitut der unzulässigen Rechtsausübung ist nur dann einschlägig, wenn die Anwendung einer Rechtsvorschrift einen im Einzelfall bestehenden Interessenkonflikt ausnahmsweise nicht hinreichend zu erfassen vermag und für einen Beteiligten ein unzumutbares unbilliges Ergebnis zur Folge hätte (vgl. Rn. 81 m.w.N., BGHZ 229, 139). Es dient jedoch nicht dazu, eine vom nationalen Gesetzgeber mit einer Rechtsvorschrift getroffene Wertung generell durch eine andere Regelung zu ersetzen. Sofern der nationale Gesetzgeber eine Richtlinie der Europäischen Union nicht zutreffend umgesetzt hat und eine richtlinienkonforme Auslegung der nationalen Rechtsvorschrift nicht möglich ist, ist es deshalb nicht gerechtfertigt, einer Partei wegen der Unionsrechtswidrigkeit der betreffenden Rechtsvorschrift gemäß § 242 BGB die Berufung hierauf zu verwehren.

20b) Eine richtlinienkonforme Auslegung des § 7 HOAI unter Berücksichtigung der im Vertragsverletzungsverfahren ergangenen Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-377/17, BauR 2019, 1624 = NZBau 2019, 511 - Kommission/Deutschland) führt ebenfalls nicht zum Erfolg der Revision der Beklagten.

21Der Senat hat mit Beschluss vom (VII ZR 174/19 Rn. 19-24 m.w.N., BGHZ 225, 297) im Einzelnen ausgeführt, dass § 7 HOAI nicht richtlinienkonform dahin ausgelegt werden kann, dass die Mindestsätze der HOAI im Verhältnis zwischen Privatpersonen grundsätzlich nicht mehr verbindlich sind und daher einer die Mindestsätze unterschreitenden Honorarvereinbarung nicht entgegenstehen. Auf die Ausführungen in jenem Beschluss, von denen abzuweichen ebenfalls kein Anlass besteht, wird verwiesen.

222. Nach dem im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-261/20, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin) steht fest, dass der Senat im Streitfall nicht aufgrund Unionsrechts verpflichtet ist, das verbindliche Mindestsatzrecht der HOAI unangewendet zu lassen.

23a) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass ein nationales Gericht, bei dem ein Rechtsstreit anhängig ist, in dem sich - wie hier - ausschließlich Privatpersonen gegenüberstehen, nicht allein aufgrund dieses Rechts verpflichtet ist, eine nationale Regelung unangewendet zu lassen, die unter Verstoß gegen Art. 15 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. g und Abs. 3 der Dienstleistungsrichtlinie Mindesthonorare für die Leistungen von Architekten und Ingenieuren festsetzt und die Unwirksamkeit von Vereinbarungen vorsieht, die von dieser Regelung abweichen.

24aa) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat insoweit festgestellt, dass der Dienstleistungsrichtlinie eine unmittelbare Wirkung in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen - wie hier - nicht zukommt. Auf die diesbezüglichen Ausführungen wird Bezug genommen ( Tz. 31-37, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin). Die betreffende Richtlinie steht der Anwendung der verbindlichen Mindestsätze daher nicht entgegen.

25bb) Der Gerichtshof der Europäischen Union hat ferner ausgeführt, dass die zuständigen nationalen Gerichte nicht allein aufgrund eines gemäß den Art. 258 bis 260 AEUV erlassenen Urteils verpflichtet sind, im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Privatpersonen eine nationale Regelung, die gegen die Bestimmung einer Richtlinie verstößt, unangewendet zu lassen ( Tz. 38-40, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin).

26b) Europäisches Primärrecht in Form der Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV, der Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts stehen der Anwendung der in der HOAI verbindlich geregelten Mindestsätze im Streitfall ebenfalls nicht entgegen.

27Der Senat hat mit Beschluss vom (VII ZR 174/19 Rn. 42, BGHZ 225, 297) im Zusammenhang mit der zweiten Vorlagefrage bereits Zweifel geäußert, ob der Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit eröffnet ist.

28Der Gerichtshof der Europäischen Union hat insoweit klargestellt, dass die Bestimmungen des AEUV über die Niederlassungsfreiheit, den freien Dienstleistungsverkehr und den freien Kapitalverkehr auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaates hinausweisen, grundsätzlich keine Anwendung finden. Da der vorliegende Rechtsstreit durch Merkmale charakterisiert sei, die sämtlich nicht über die Grenzen der Bundesrepublik Deutschland hinauswiesen, könne - so der Gerichtshof - ohne die Angabe eines Anknüpfungspunktes bezüglich der Vorschriften des Unionsrechts betreffend die Grundfreiheiten durch das vorlegende nationale Gericht nicht davon ausgegangen werden, dass das entsprechende Ersuchen um Auslegung für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich sei ( Tz. 50-53, BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin).

29Auch wenn der Gerichtshof der Europäischen Union die zweite Vorlagefrage aus diesem Grund formal als unzulässig beschieden hat ( Tz. 54 f., BauR 2022, 527 = NZBau 2022, 103 - Thelen Technopark Berlin), steht danach fest, dass die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV, die Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts der Anwendung der in der HOAI verbindlich geregelten Mindestsätze im Streitfall nicht entgegenstehen. Denn der Senat vermag über die sich bereits aus der Vorlageentscheidung vom (VII ZR 174/19, BGHZ 225, 297) ergebenden Ausführungen hinaus keine Anknüpfungspunkte bezüglich der Vorschriften des Unionsrechts betreffend die Grundfreiheiten oder sonstige allgemeine Grundsätze des Unionsrechts festzustellen. Solche Anknüpfungspunkte sind weder von den Parteien vorgetragen noch sonst ersichtlich. Veranlassung für ein erneutes Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union besteht daher nicht.

III.

30Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:020622UVIIZR174.19.0

Fundstelle(n):
RIW 2022 S. 624 Nr. 9
ZIP 2022 S. 1651 Nr. 33
ZIP 2022 S. 7 Nr. 29
HAAAJ-17537