Bindungswirkung eines (einfach) fehlerhaften Verweisungsbeschlusses; hier: Rückerstattung von Elternbeiträgen für Kinderbetreuung
Gesetze: § 53 Abs 1 Nr 5 VwGO, § 53 Abs 3 S 1 VwGO, § 173 S 1 VwGO, § 40 Abs 1 VwGO, § 17a Abs 2 S 3 GVG
Instanzenzug: VG Frankfurt (Oder) Az: 6 K 1574/18 Beschluss
Gründe
I
1Die Klägerin macht im Ausgangsrechtsstreit die Rückzahlung von dem Beklagten, einem privatrechtlichen Verein, für die Betreuung ihres Kindes erhobener Elternbeiträge geltend.
2Das Amtsgericht Eberswalde, vor dem die Klägerin ursprünglich Klage erhoben hat, hat nach Anhörung der Beteiligten mit nicht angefochtenem Beschluss vom den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) verwiesen.
3Das Verwaltungsgericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es sich für unzuständig halte, weil der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten und nicht zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei. Mit Beschluss vom hat es den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung der Zuständigkeit angerufen.
II
41. Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Amtsgericht Eberswalde und dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) berufen.
5Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Amtsgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird ( 6 AV 1.21, 6 AV 2.21 - NVwZ-RR 2021, 740 f.). Denn obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. - MDR 2013, 1242 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Eine solche Situation ist vorliegend gegeben. Sowohl das Amtsgericht Eberswalde als auch das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) haben entschieden, dass der Rechtsweg zu ihnen unzulässig sei.
62. Für eine Entscheidung über die von der Klägerin begehrten Rückzahlung von Elternbeiträgen ist das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) zuständig. Zwar ist für den von der Klägerin klageweise geltend gemachten Anspruch der Zivilrechtsweg eröffnet (2.1). Der (fehlerhafte) Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Eberswalde vom entfaltet jedoch gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG Bindungswirkung (2.2).
72.1 Für das Erstattungsverlangen der Klägerin ist der Zivilrechtsweg eröffnet. Es handelt sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit im Sinne von § 13 GVG. Beteiligte des Verfahrens sind mit der Klägerin und dem Beklagten, einem nicht mit öffentlich-rechtlichen Handlungsbefugnissen ausgestatteten privatrechtlichen Verein, zwei Privatrechtssubjekte. Der Streit ist auch auf der Grundlage zivilrechtlicher Normen zu entscheiden, nämlich anhand des zwischen den Beteiligten geschlossenen Betreuungsvertrags und der Vorschriften des BGB. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass § 17 Abs. 2 und 3 KitaG BB öffentlich-rechtliche Vorgaben für die Bemessung der Elternbeiträge enthält. Soweit diese Vorschrift im Rahmen des klageweise geltend gemachten Anspruchs zu berücksichtigen sein sollte, stellte die Anwendung dieser Norm (lediglich) eine vom Zivilgericht zu beurteilende Vorfrage dar und führte nicht zu einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Diese liegt auch nicht deshalb vor, weil der Beklagte mit dem Betrieb einer Kindertagesstätte Aufgaben der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII wahrnimmt. Bei der Bestimmung des Rechtswegs kann von der öffentlichen Aufgabe nicht auf den öffentlich-rechtlichen Charakter ihrer Ausführung geschlossen werden ( 7 B 120.89 - Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 244 S. 28).
8Dass in Streitigkeiten der vorliegenden Art der Zivilrechtsweg eröffnet ist, ist - worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat - zwischenzeitlich auch in der Rechtsprechung namentlich des Brandenburgischen Oberlandesgerichts geklärt ( - juris Rn. 18 und vom - 11 U 187/18 - juris Rn. 6; vgl. ferner 6 B 9.20 - juris Rn. 23 f.).
92.2 Ungeachtet der Eröffnung des Zivilrechtswegs ist das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Eberswalde vom zuständig.
10Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Die Voraussetzungen, unter denen ein Verweisungsbeschluss eines Gerichts ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfaltet, hat das Bundesverwaltungsgericht jüngst zusammengefasst: Die in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordnete Bindungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war oder das Gericht den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht begründet oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs getroffen hat. Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 - 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Das ist nur dann der Fall, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist ( 6 AV 1.21, 6 AV 2.21 - NVwZ-RR 2021, 740 <741>).
11Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Eberswalde vom erweist sich nicht als in dieser Weise qualifiziert fehlerhaft. Das Amtsgericht hat das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit der Begründung angenommen, die Höhe der Elternbeiträge sei durch die öffentlich-rechtliche Vorschrift des § 17 Abs. 2 und 3 KitaG BB derart vorgezeichnet, dass für eine vertragliche Regelung kein Spielraum mehr verbleibe. Insoweit hat das Amtsgericht verkannt, dass in Brandenburg die Rechtsbeziehungen zwischen den Personensorgeberechtigten eines Kindes und dem privaten Träger einer Kindertagesstätte privatrechtlich ausgestaltet ( - und vom - 11 U 187/18 - juris; vgl. ferner 6 B 9.20 - juris Rn. 23 f.) und sich aus dieser Rechtsbeziehung ergebende Ansprüche daher ausschließlich im Zivilrechtsweg zu verfolgen sind. Soweit in diesem Zusammenhang für die Bemessung der privatrechtlich vereinbarten Elternbeiträge öffentlich-rechtliche Vorschriften wie etwa § 17 Abs. 2 und 3 KitaG BB als gesetzliche "Preisregelungen" ( - juris Rn. 23) entscheidungserheblich sein sollten, hätte das Amtsgericht deren Anwendung in eigener Zuständigkeit prüfen müssen. Damit befand sich das Amtsgericht im Kern (lediglich) in einem Rechtsirrtum über die Reichweite der eigenen Prüfungskompetenz und -pflicht. Ein solcher Irrtum macht den Verweisungsbeschluss nicht unverständlich und offensichtlich unhaltbar. Dies indiziert auch der Umstand, dass das Verwaltungsgericht das Amtsgericht Eberswalde mit der Übernahmeverfügung vom auf seinen unmittelbar zuvor ergangenen VG 6 K 1238/18 - hingewiesen hat, mit dem es in einer vergleichbaren Sache den Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten für unzulässig erklärt und diese Sache an ein anderes Amtsgericht verwiesen hatte, und gleichwohl insgesamt noch mehr als drei Jahre benötigt hat, die vermeintliche Unhaltbarkeit des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Eberswalde zu erkennen und die Sache dem Bundesverwaltungsgericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorzulegen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:121121B5AV2.21.0
Fundstelle(n):
SAAAJ-12137