BVerfG Urteil v. - 2 BvR 2861/93 BStBl 2000 II S. 160

Umsatzsteuerbefreiung für ärztliche Leistungen

Leitsatz

Das Gleichbehandlungsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) verbietet eine allein nach der Rechtsform eines Unternehmens unterscheidende Umsatzsteuerbefreiung.

2. Die Versagung der Umsatzsteuerbefreiung für ärztliche Leistungen, die von einem in der Rechtsform einer gewerblich tätigen GmbH & Co KG tätigen Unternehmer erbracht wurden, verstößt gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.

(Leitsatz 2 nicht amtlich)

Gesetze: GG Art. 3 Abs. 1UStG § 1 Abs. 1 Nr. 1UStG § 4 Nr. 14 Satz 3UStG § 4 Nr. 16 Buchst. b

Instanzenzug: (Verfahrensverlauf), ,

Gründe

1. Der - sowie das - verletzen die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesfinanzhof zurückverwiesen.

. . .

A.

§ 4 Nr. 14 Satz 1 UStG sieht vor, dass die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt steuerfrei sind. § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG bestimmt, dass die Umsätze eines Arztes aus dem Betrieb eines Krankenhauses mit Ausnahme der ärztlichen Leistungen nur steuerfrei sind, wenn die in Nr. 16 Buchstabe b bezeichneten Voraussetzungen (Qualifizierung als Zweckbetrieb im Sinne der Abgabenordnung) erfüllt sind.

Streitig ist, ob ärztliche Leistungen, die von einem Krankenhaus in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG erbracht werden, im Gegensatz zu ärztlichen Leistungen, die von einem Arzt selbst erbracht werden, von der Umsatzsteuerbefreiung ausgenommen werden dürfen.

I.

1. Die Beschwerdeführerin betreibt in der Rechtsform der GmbH & Co. KG ein Sanatorium. Sie beantragte in der Umsatzsteuererklärung für den Veranlagungszeitraum 1986, den auf ärztliche Leistungen entfallenden Anteil ihres Gesamtumsatzes gemäß § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG umsatzsteuerfrei zu belassen. Dies lehnte das Finanzamt ab. Die dagegen erhobene Klage begründete die Beschwerdeführerin damit, dass § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG jedenfalls verfassungskonform dahin auszulegen sei, dass die Steuerbefreiung auch für Krankenhausbetreiber gelten müsse, die nicht Ärzte seien. Es gebe keinen vernünftigen Grund dafür, warum ein nichtärztlicher Unternehmer, der eine Krankenanstalt betreibe und ärztliche Leistungen von einem angestellten Arzt alleinverantwortlich vornehmen lasse, umsatzsteuerrechtlich schlechter gestellt werde als ein Arzt, der ein vergleichbares Krankenhaus selbst betreibe.

2. Das Finanzgericht wies die Klage ab. Eine Steuerbefreiung komme deshalb nicht in Betracht, weil die Beschwerdeführerin kein Arzt i. S. des § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG sei, sondern ein gewerbliches Unternehmen betreibe. Die Umsatzsteuerbefreiung gelte nicht der Leistung, sondern dem Unternehmer. Nur der Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes, der ein Arzt sei, solle mit den Umsätzen, die er aus seinen ärztlichen Leistungen erwirtschafte, steuerbefreit sei. Einschränkend komme noch hinzu, dass der Unternehmerarzt seine ärztlichen Leistungen darüber hinaus im Rahmen einer Tätigkeit i. S. des § 18 Abs. 1 EStG erbringen müsse. Der Gesetzgeber habe auch nicht ärztliche Leistungen schlechthin, gleichgültig ob diese von einem Arzt als selbständigem Unternehmer i. S. von § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG oder von einem gewerblichen Unternehmen mit Hilfe angestellter Ärzte erbracht worden seien, von der Umsatzsteuer befreien wollen; dies zeige sich insbesondere auch an § 4 Nr. 16 UStG, der eine Sondervorschrift für Krankenhausbetreiber darstelle. Nur hieraus könne die Beschwerdeführerin daher Steuerbefreiungen herleiten. Unstreitig lägen die Befreiungsvoraussetzungen - § 4 Nr. 16 Buchstabe b UStG - nicht vor.

3. a) Die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde begründete die Beschwerdeführerin im Wesentlichen damit, ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege darin, dass in § 4 Nr. 14 Satz 3 und Nr. 16 Buchstabe b UStG die ärztlichen Leistungen eines Arztes aus dem Betrieb eines Krankenhauses stets - also unabhängig von der Verwirklichung des § 4 Nr. 16 Buchstabe b UStG - von der Umsatzsteuer befreit seien, während ärztliche Leistungen im Rahmen eines gewerblich betriebenen privaten Krankenhauses, bei dem die Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchstabe b UStG nicht vorlägen, steuerpflichtig seien. § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG sei in der Weise verfassungskonform auszulegen, dass er auch Umsätze befreie, die aus ärztlichen Leistungen von angestellten Ärzten resultierten.

b) Der Bundesfinanzhof wies die Nichtzulassungsbeschwerde zurück. § 4 Nr. 14 UStG befreie nur Umsätze eines Arztes von der Umsatzsteuer. Der Gesetzgeber habe die in dem § 4 Nr. 14 Satz 3 und Nr. 16 Buchstabe b UStG genannten Personengruppen nicht ungleich behandelt. Er habe die Steuerfreiheit lediglich auf die Umsätze von Ärzten aus ihren ärztlichen Leistungen gemäß § 4 Nr. 14 Satz 1 und Satz 3 UStG beschränkt. Dagegen behandele der Gesetzgeber die Gruppe der Krankenhausbetreiber gleich: Die Umsätze dieser Gruppe seien nur unter den Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Buchstabe b UStG umsatzsteuerfrei. Die von Ärzten betriebenen privaten Krankenhäuser seien ebenso wie die übrigen privaten Krankenhäuser jeweils nur dann von der Umsatzsteuer befreit, wenn sie die in § 4 Nr. 16 Buchstabe b UStG bezeichneten Voraussetzungen erfüllten.

II.

Mit der Verfasssungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine verfassungswidrige Auslegung des § 4 Nr. 14 UStG. Es müsse für die Steuerbefreiung unerheblich sein, ob das Krankenhaus, in dem ärztliche Leistungen erbracht würden, im Rahmen einer freiberuflichen Arzttätigkeit oder im Rahmen einer gewerblichen Tätigkeit betrieben werde. Das Gesetz müsse dahin ausgelegt werden, dass Umsätze, die auf ärztlichen Leistungen beruhten, umsatzsteuerbefreit seien, gleichgültig, ob der Betrieb eines Privatkrankenhauses einen Gewerbebetrieb darstelle oder nicht. Entscheidend sei allein, dass die ,,ärztlichen Leistungen'' im Rahmen eines Krankenhausbetriebes von einem Arzt erbracht würden. Auch wenn es dem Gesetzgeber grundsätzlich freistehe, die Sachverhalte auszuwählen, die er als im Rechtssinne gleich ansehen will, müsse er seine Auswahl doch auf sachgerechte Kriterien stützen. Der vom Gesetzgeber mit § 4 Nr. 14 UStG verfolgte Zweck, Wettbewerbsverzerrungen zu vermeiden (BT-Drucks 8/1779; BR-Drucks 145/78), werde durch die Auslegung der Finanzgerichte gerade nicht erreicht. Es gebe in Deutschland eine Reihe von Krankenhäusern, deren Größe mit der des Krankenhauses der Beschwerdeführerin vergleichbar sei, die von einem Arzt betrieben würden und denen deshalb die Umsatzsteuerbefreiung nach § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG zugute komme. Für die Ungleichbehandlung der Beschwerdeführerin bestehe kein hinreichend sachlicher Grund. Die Beschwerdeführerin erbringe gegenüber den Patienten die gleichen ärztlichen Leistungen, die den Patienten anderer, von einem Arzt betriebenen, privater Krankenhäuser zukämen. Die Beschwerdeführerin gerate dadurch, dass ihre Umsätze - auch soweit sie auf den von ihr erbrachten Leistungen der angestellten Ärzte beruhten - nicht von der Umsatzsteuer befreit seien, in eine außerordentlich ungünstige Wettbewerbslage. Wenn man der Auffassung sei, § 4 Nr. 14 UStG sei nur im Sinne der Rechtsprechung der Finanzgerichte auszulegen, so sei die Vorschrift selbst wegen Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz verfassungswidrig.

. . .

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet.

I.

1. Art. 3 GG verlangt die Gleichbehandlung ,,aller Menschen'' vor dem Gesetz. Der Gleichheitssatz ist umso strikter, je mehr er den Einzelnen als Person betrifft, und umso mehr für gesetzgeberische Gestaltungen offen, als allgemeine, für rechtliche Gestaltungen zugängliche Lebensverhältnisse geregelt werden (vgl. BVerfGE 96, 1 [5 f.] [1]; 99, 88 [94]).

2. Im Sachbereich des Steuerrechts hat der Gesetzgeber bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Gestaltungsraum. Nach Regelung dieses Ausgangstatbestandes aber hat er die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen (vgl. BVerfGE 93, 121 [136] [2]; 99, 88 [95]; stRspr; zuletzt Beschluss des Zweiten Senats des - 2 BvR 1264/90 -). Das Gebot der folgerichtigen Umsetzung der einmal getroffenen Belastungsentscheidung betrifft auch den Gesetzesvollzug und die Rechtsprechung, wenn für vergleichbare Sachverhalte und künftige Entwicklungen offene steuerliche Tatbestandsmerkmale durch Auslegung zu konkretisieren sind.

3. Die Umsatzsteuer erfasst die Kaufkraft, den Markterfolg des Konsumenten. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG belastet die Umsatzsteuer die entgeltliche unternehmerische Leistung im Inland. Sie ist darauf angelegt, auf den Endverbraucher überwälzt zu werden; Umsatzsteuerbelastungen einer Leistung an einen Unternehmer werden durch Vorsteuerabzug zurückgenommen (§ 15 UStG). Dieser umsatzsteuerliche Grundtatbestand stellt alle unternehmerischen Tätigkeiten gleich. Die frühere unterschiedliche Belastung von freiberuflichen und gewerblichen Betätigungen im Steuersatz ist durch das 2. Haushaltsstrukturgesetz vom (BGBl I S. 1523) aufgehoben worden. Eine Steuerermäßigung für Umsätze freier Berufe widerspricht dem System der Umsatzsteuer, das eine Begünstigung bestimmter Unternehmer nach der Konzeption der Überwälzbarkeit nicht erlaubt. Systemgerecht sind nur Vergünstigungen im Interesse der Verbraucher, nicht einzelner Unternehmergruppen (vgl. Begründung zum 2. Haushaltsstrukturgesetz, BT-Drucks 9/842, S. 74).

4. Soweit das Umsatzsteuerrecht nach Umsatzarten und Unternehmern unterscheidet und daran unterschiedliche Rechtsfolgen knüpft, müssen diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen finden (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des -).

II.

Nach diesem Maßstab verstoßen die angegriffenen Entscheidungen des Bundesfinanzhofs und des Finanzgerichts, den ärztlichen Leistungen die Umsatzsteuerbefreiung nicht zuzusprechen, wenn die ärztlichen Leistungen von einem in der Rechtsform einer gewerblich tätigen GmbH & Co. KG tätigen Unternehmer erbracht werden, gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.

1. Die angegriffenen Entscheidungen führen im Ergebnis dazu, dass die Beschwerdeführerin allein deshalb von der Umsatzsteuerbefreiung in Bezug auf die von ihr erbrachten ärztlichen Leistungen ausgenommen ist, weil sie diese in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG erbringt. Eine solche Auslegung ist von Wortlaut, Sinn und Zweck der maßgeblichen Vorschriften nicht zwingend geboten.

a) Die Rechtsform, in der eine Leistung von einem Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuerrechts erbracht wird, ist kein hinreichender Differenzierungsgrund für eine Umsatzsteuerbefreiung. Der umsatzsteuerliche Belastungsgrund zielt auf die umsatzsteuerliche Erfassung jedes Unternehmers, mag dieser in der Rechtsform einer juristischen Person, in der Rechtsform einer Personengesellschaft, die einkommensteuerlich als gewerblich geprägte Gesellschaft i. S. des § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG gilt, oder als freiberuflich Tätiger Umsätze erbringen. Die generelle umsatzsteuerliche Verschonung nur der von einem Arzt als natürlicher Person erbrachten umsatzsteuerlichen Leistungen gegenüber der umsatzsteuerlichen Erfassung ärztlicher Leistungen einer Krankenhaus-GmbH findet im umsatzsteuerlichen Belastungsgrund keine ausreichende Grundlage.

b) Für diese Umsatzsteuerbefreiung sind auch keine sonstigen besonderen sachlichen Gründe ersichtlich. Der sachliche Grund der Umsatzsteuerbefreiung für ärztliche Leistungen und sonstige Heilberufe liegt in dem Zweck, die Sozialversicherungsträger von der Umsatzsteuer zu entlasten (vgl. Weymüller, in: Sölch/Ringleb/List, Umsatzsteuergesetz, Kommentar [Stand: 1. Oktober 1997], § 4 Nr. 14 Rz. 1; Birkenfeld, Das große Umsatzsteuerhandbuch, 3. Aufl., 1998, II. Rz. 453 [Stand: September 1994]; Plückebaum-Malitzky, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, Loseblatt [Stand: Januar 1983], § 4 Nr. 14 Rn. 4 [449/2]; Bericht des Finanzausschusses zum Entwurf eines Umsatzsteuergesetzes zu BT-Drucks V/1581, S. 5, 12; Beschluss des Zweiten Senats des -). Der umsatzsteuerliche Belastungsgrund und der umsatzsteuerliche Entlastungszweck haben damit keinen Bezug zur jeweiligen Rechtsform unternehmerischer Betätigung.

2. Im Ergebnis ist damit kein sachlich rechtfertigender Grund ersichtlich, der Beschwerdeführerin mit Hinweis auf die Rechtsform, in der sie unternehmerische Leistungen erbringt, die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 14 Satz 3 UStG zu versagen. Der Bundesfinanzhof wird in dem wegen nachträglicher Divergenz gemäß § 3115 Abs. 2 Nr. 2 FGO eröffneten Revisionsverfahren (vgl. BVerfGE 99, 216 [245] [3]) zu prüfen haben, ob es andere, außerhalb der Rechtsform einer gewerblich tätigen Gesellschaft liegende, Gründe gibt, die ärztlichen Leistungen der Beschwerdeführerin von der Umsatzsteuerbefreiung auszunehmen.

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Fundstelle(n):
BStBl 2000 II Seite 160
BB 2000 S. 183 Nr. 4
DB 2000 S. 28 Nr. 1
MAAAA-88596

1BStBl II 1997, 518

2BStBl II 1995, 655

3BStBl II 1999, 182