BSG Beschluss v. - B 6 KA 31/21 B

Vertragsärztliche Versorgung - Aufrechnung gegenüber einer vom Vertrags(zahn)arzt an einen Dritten abgetretenen Honorarforderung trotz Kenntnis der Abtretung - auf vertrags(zahn)ärztlicher Tätigkeit basierende Gegenforderung

Gesetze: § 69 Abs 1 S 3 SGB 5, § 75 Abs 1 SGB 5, § 387 BGB, § 388 S 1 BGB, § 398 BGB, § 406 BGB

Instanzenzug: SG Mainz Az: S 3 KA 133/17 Urteilvorgehend Landessozialgericht Rheinland-Pfalz Az: L 5 KA 17/20 Urteil

Gründe

1I. Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die beklagte Kassenzahnärztliche Vereinigung (KZÄV) verpflichtet ist, für das Quartal 1/2017 weiteres vertragszahnärztliches Honorar an den Kläger auszuzahlen.

2Der 1956 geborene Kläger war seit 1983 bis zur Entziehung seiner Zulassung im Jahr 2016 (vgl - SozR 4-2500 § 95 Nr 37; das BVerfG <Kammer> lehnte mit Beschluss vom - 1 BvR 2523/19 - den Antrag des Klägers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab) im Bezirk der beklagten KZÄV zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. Am trat er alle bestehenden und zukünftigen Honorarforderungen gegen die Beklagte an seine frühere Ehefrau ab. Mit Beschluss vom wurde über sein Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet. Am trat die frühere Ehefrau die Honoraransprüche an den Vater des Klägers ab. Am erklärte der Insolvenzverwalter gegenüber dem Kläger, dass dessen Vermögen aus der Tätigkeit als Zahnarzt nicht mehr zur Insolvenzmasse gehöre und Ansprüche aus dieser Tätigkeit nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden könnten. Mit Wirkung zum gab die Gläubigerversammlung das Vermögen des Klägers aus seiner zahnärztlichen Tätigkeit frei. Im August 2009 trat die frühere Ehefrau des Klägers die gegen die Beklagte gerichteten Ansprüche im vollen Umfang an den Kläger ab, der sie wiederum am im Rahmen einer Globalzession an seinen am verstorbenen Vater abtrat. Der Vater des Klägers wurde durch die Schwester des Klägers beerbt; der Kläger hatte das Erbe zunächst ausgeschlagen, focht die Ausschlagung später jedoch an. Ein Erbschein ist nicht erteilt.

3Die Beklagte bewilligte dem Kläger für die im Quartal 1/2017 erbrachten Leistungen ein Gesamthonorar iHv 64 676,76 Euro brutto (Bescheid vom ), wovon sie nach Abzug der gezahlten Abschlagszahlungen (3 x 8100 Euro), ZE-Sofortauszahlungen (insgesamt 10 005,60 Euro), Verwaltungskosten und weiterer Positionen sowie nach Aufrechnung mit Forderungen aus mehreren Kostenfestsetzungsbeschlüssen einen Betrag iHv 4467,89 Euro auszahlte. Mit seinem Widerspruch beanstandete der Kläger neben der Erhebung einer Sondergebühr iHv 280 Euro den Abzug verschiedener Positionen, ua Forderungen aus Kostenfestsetzungsbeschlüssen des AG bzw LG Koblenz, die gegen den Insolvenzverwalter bzw gegen seinen Vater ergangen waren. Nachdem das LSG im Rahmen eines Eilverfahrens darauf hingewiesen hatte, dass Aufrechnungen mit Kostenfestsetzungsbeschlüssen, deren Kostenschuldner der Insolvenzverwalter bzw der Vater des Klägers ist, nicht möglich sein dürften, rechnete die Beklagte mit einer Forderung iHv 7846,58 Euro aus einem gegen den Kläger ergangenen Versäumnisurteil des ) sowie einer Forderung iHv 2147,48 Euro aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss des SG Mainz (S 16 KA 253/17) auf (Schreiben vom und ) und wies den Widerspruch des Klägers zurück. Mangels Gegenseitigkeit der Forderungen seien die Aufrechnungen mit Forderungen gegen den Insolvenzverwalter bzw den Vater zwar ins Leere gegangen. Wegen der weiteren Aufrechnungen mit gegen den Kläger gerichteten Forderungen verbleibe es aber bei dem an den Kläger ausgezahlten Honorar (Widerspruchsbescheid vom ).

4Mit seiner hiergegen gerichteten Klage hat der Kläger die Auszahlung eines weiteren Betrages iHv 11 896 Euro begehrt; der Betrag sei nach Weisung des Zessionars auf sein Konto zu zahlen. Das SG hat der Klage insofern stattgegeben, als die Beklagte den Zahlungsanspruch iHv 7864,48 Euro aus dem gegen den Kläger ergangenen Versäumnisurteil des ) in Abzug gebracht und eine Sondergebühr iHv 280 Euro festgesetzt hatte und die Beklagte verurteilt, an den Kläger weitere 8032,42 Euro zu zahlen (Urteil vom ). Hinsichtlich der Forderung von 7864,48 Euro habe es an einer Aufrechnungslage gefehlt, da der Honoraranspruch aus der vertragszahnärztlichen Tätigkeit des Klägers im Quartal 1/2017 aufgrund der Abtretung materiell dem Vater des Klägers zugestanden habe, während die Zahlungsverpflichtung aus dem Versäumnisurteil den Kläger treffe und ihre Grundlage nicht in der vertragszahnärztlichen Tätigkeit habe und damit nicht unter den in § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V normierten Funktionsvorbehalt falle (Hinweis auf - SozR 4-7610 § 406 Nr 1). Die Voraussetzungen für die Erhebung der Sondergebühr aus § 3 der Abrechnungsordnung der Beklagten hätten nicht vorgelegen, da dies eine Zahlung an einen abweichenden Zahlungsempfänger erfordere.

5Nachdem die Beklagte im Berufungsverfahren mit Schriftsatz vom hilfsweise mit einer Forderung iHv 10 329,06 Euro aus einem Kostenfestsetzungsbeschluss des SG Mainz vom (S 2 KA 126/17) aufgerechnet hat, hat das LSG auf die Berufung der Beklagten das Urteil des SG geändert und die Klage auch abgewiesen, soweit der Kläger die Zahlung von weiteren 8032,42 Euro an sich beantragt hat; im Übrigen hat es die Berufung der Beklagten und die Berufung des Klägers insgesamt zurückgewiesen (Urteil vom - L 5 KA 17/20). Zur Begründung hat das LSG unter teilweiser Bezugnahme auf die Entscheidungsgründe des SG ausgeführt: Die Beklagte habe zu Recht und wirksam mit den Forderungen aus den Kostenfestsetzungsbeschlüssen des SG Mainz vom und (insgesamt 3769,42 Euro) aufgerechnet. Soweit der Kläger sich sinngemäß auf das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB berufe, indem er die Unpfändbarkeit des Honoraranspruchs gemäß § 850i ZPO geltend mache, liege ein entsprechender Beschluss des Vollstreckungsgerichts nicht vor. Unabhängig hiervon sei im Hinblick auf die geleisteten Zahlungen für das Quartal 1/2017 (insgesamt 48 827,70 Euro) nicht erkennbar, dass mit den verfolgten Honoraransprüchen unpfändbares Einkommen betroffen sei. Zu Unrecht habe die Beklagte hingegen eine Sondergebühr iHv 280 Euro für das Quartal 1/2017 erhoben. Die Voraussetzungen ("Sonderzahlung wegen: - Pfändung - Insolvenzverfahren - Forderungsabtretung <wenn der Zahnarzt nicht Zahlungsempfänger bleibt>") lägen nicht vor. Der Forderungsinhaber - der Vater des Klägers - habe sich nicht in einem Insolvenzverfahren befunden und der Kläger sei aufgrund der Einziehungsermächtigung weiterhin Zahlungsempfänger. Auch habe das SG zu Recht entschieden, dass die Honorarforderung nicht durch die Aufrechnung der Beklagten vom mit einer Gegenforderung iHv 7846,58 Euro aus dem gegen den Kläger ergangenen Versäumnisurteil des ) erloschen sei. Allerdings könne der Kläger aufgrund der von der Beklagten im Berufungsverfahren hilfsweise erklärten Aufrechnung mit der Forderung iHv 10 329,06 Euro aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss des SG Mainz vom (S 2 KA 126/17) keine Zahlung beanspruchen, da die Forderung hierdurch getilgt sei. Insofern greife auch die Erweiterung der Aufrechnungsbefugnis über die zivilrechtliche Regelung des § 406 BGB hinaus aufgrund des "Funktionsvorbehalts" in § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V nach Maßgabe der vom BSG in seinem Urteil vom (B 6 KA 10/18 R - SozR 4-7610 § 406 Nr 1) aufgestellten Grundsätze.

6Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde. Gleichzeitig beantragt er die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für dieses Verfahren.

7II. Der Antrag auf Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens ist abzulehnen (dazu A.), die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision ist als unzulässig zu verwerfen (dazu B.).

8A. Der Antrag des Klägers, ihm PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts für die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision zu gewähren, ist abzulehnen. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 114 ZPO). An der erforderlichen Erfolgsaussicht fehlt es hier. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§ 73 Abs 4 SGG) in der Lage wäre, eine Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen. Hinreichende Aussicht auf Erfolg böte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der drei in § 160 Abs 2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte; denn nur diese Gründe können zur Zulassung der Revision führen. Die Revision darf nur zugelassen werden, wenn der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG). Nach Durchsicht der Akten und unter Berücksichtigung der Ausführungen des Klägers fehlen Anhaltspunkte dafür, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter einen dieser Zulassungsgründe darlegen könnte.

91. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall des Klägers hinausgehende grundsätzliche Bedeutung. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig (entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; vgl zB - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5; - juris RdNr 8). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sich die Antwort ohne Weiteres aus den Rechtsvorschriften und/oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar beantworten lässt ( - juris RdNr 4). Klärungsfähigkeit ist nicht gegeben, wenn die aufgeworfene Rechtsfrage nicht im Revisionsverfahren zur Entscheidung anstünde oder wenn die Bedeutung über den Einzelfall hinaus fehlt, weil eine weitergehende Bedeutung der Rechtsfrage für weitere Fälle nicht erkennbar ist oder die Rechtsfrage aufgrund besonderer Gestaltung des Rechtsstreits einer verallgemeinerungsfähigen Beantwortung nicht zugänglich ist (vgl zB - juris RdNr 7).

10Solche Rechtsfragen sind hier nicht erkennbar. Der Kläger hat im Wesentlichen geltend gemacht, die an seinen Vater abgetretenen Vergütungsansprüche seien gemäß § 850i ZPO unpfändbar. Zudem seien Aufrechnungen nur mit Forderungen gegen den direkten Gläubiger zulässig. Soweit in seinem Vorbringen Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung enthalten sind, hat der Senat hierzu bereits in seinen Urteilen vom (B 6 KA 38/17 R - SozR 4-2500 § 79 Nr 2) und vom (B 6 KA 10/18 R - SozR 4-7610 § 406 Nr 1) Stellung genommen. Insbesondere hat der Senat in der Entscheidung vom - worauf auch die Vorinstanzen Bezug genommen haben - bereits entschieden, dass eine K(Z)ÄV gegenüber einer vom Vertrags(zahn)arzt an einen Dritten abgetretenen Honorarforderung mit eigenen Ansprüchen gegen den Vertrags(zahn)arzt trotz Kenntnis von der Abtretung aufrechnen kann, soweit die Gegenforderungen ihre Grundlage in der vertrags(zahn)ärztlichen Tätigkeit haben. Weitere grundsätzliche Rechtsfragen, die sich hier stellen könnten, sind weder erkennbar noch vom Kläger vorgetragen.

11Dass dem Kläger im Übrigen im Quartal 1/2017 diejenigen Teilbeträge seiner Honoraransprüche, die als Arbeitseinkommen unpfändbar waren (§ 850 Abs 1 und 2 iVm §§ 850c, 850e und 850f ZPO) und daher (weil gemäß § 400 BGB grundsätzlich nicht wirksam abtretbar) ihm selbst zustanden, verblieben sind, ist angesichts der erfolgten Zahlungen der Beklagten an den Kläger für dieses Quartal (ua Abschlagszahlungen iHv 24 300 Euro, ZE-Sofortauszahlungen iHv 10 005,60 Euro, insgesamt 48 827,70 Euro; ferner Restzahlung iHv 4467,89 Euro) auch unter Berücksichtigung der laufenden Praxiskosten nicht zweifelhaft.

122. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 160 Abs 2 Nr 2 SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte.

133. Ebenso fehlt jeglicher Anhalt dafür, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler des LSG darlegen könnte. Nach § 160 Abs 2 Nr 3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von § 109 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Dass ein solcher Verfahrensmangel aufgezeigt werden und vorliegen könnte, ist nicht ersichtlich.

144. Da dem Kläger keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§ 73a Abs 1 Satz 1 SGG iVm § 121 Abs 1 ZPO).

15B. Die von dem Kläger privatschriftlich eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde ist ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen, weil der Kläger insoweit nicht durch einen vor dem BSG zugelassenen Prozessbevollmächtigten (§ 73 Abs 4 SGG) vertreten ist (§ 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 SGG).

16C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§ 154 ff VwGO. Danach trägt der Kläger die Kosten des von ihm erfolglos geführten Rechtsmittels (§ 154 Abs 2 VwGO).

17D. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in § 197a Abs 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1 und 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Sie entspricht dem Betrag der vom Kläger begehrten Auszahlung.                Wenner                Loose                Just

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2022:160322BB6KA3121B0

Fundstelle(n):
SAAAI-63161