Betäubungsmittelhandel: Vorliegen einer nicht geringen Menge der synthetischen Cannabinoide 5F-ADB und AMB-FUBINACA
Leitsatz
Die nicht geringe Menge der synthetischen Cannabinoide 5F-ADB und AMB-FUBINACA beginnt bei einem Gramm Wirkstoffmenge.
Gesetze: § 29a Abs 1 Nr 2 BtMG, § 261 StPO, § 267 StPO
Instanzenzug: LG Osnabrück Az: 25 KLs 3/20
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "unerlaubten" Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Geldstrafe aus einem Strafbefehl zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und elf Monaten verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3Am bewahrte der Angeklagte in einem von ihm genutzten Zimmer synthetische Cannabinoide der Arten 5F-ADB und AMB-FUBINACA mit
einer Gesamtwirkstoffmenge von 117,68 Gramm (bezogen auf eine Gesamtmenge von 201,18 Gramm) zum gewinnbringenden Weiterverkauf auf.
4Die Strafkammer hat das Verhalten des Angeklagten als Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG gewürdigt. Ihre Feststellungen zur Wirkung der Substanzen 5F-ADB und AMB-FUBINACA und die darauf beruhende Bestimmung der jeweiligen nicht geringen Menge im Sinne des § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG hat sie auf das Gutachten eines Sachverständigen des Bundeskriminalamts gestützt. Dieser hat für die Cannabimimetika 5F-ADB und AMB-FUBINACA, welche strukturell ähnlich und in den pharmakologisch-toxikologischen Eigenschaften (Wirkungsweisen) vergleichbar seien, einen Grenzwert von einem Gramm Wirkstoffmenge vorgeschlagen.
5Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen ist das Landgericht zugunsten des Angeklagten von einer nicht geringen Menge ab zwei Gramm Wirkstoffmenge ausgegangen. Es hat dabei von dem durch den Sachverständigen vorgeschlagenen Wert einen Sicherheitsabschlag von einem Gramm vorgenommen, ohne dies näher zu begründen.
62. Die Nachprüfung des Urteils auf die Sachrüge hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
7Allerdings liegt - anders als von der Strafkammer angenommen - der Grenzwert der nicht geringen Menge für 5F-ADB und AMB-FUBINACA bei einer Wirkstoffmenge von einem Gramm.
8Für die Bestimmung der nicht geringen Menge eines Betäubungsmittels gilt (s. etwa , BGHSt 53, 89; vom - 1 StR 302/13, BGHSt 60, 134 Rn. 35; vom - 4 StR 124/14, StraFo 2016, 37):
9Der Grenzwert ist stets in Abhängigkeit von dessen konkreter Wirkungsweise und Intensität festzulegen. Maßgeblich ist zunächst die äußerst gefährliche, gar tödliche Dosis des Wirkstoffs (vgl. , BGHSt 35, 179). Fehlen hierzu gesicherte Erkenntnisse, so errechnet sich der Grenzwert als ein Vielfaches der durchschnittlichen Konsumeinheit eines nicht an den Genuss dieser Droge gewöhnten Konsumenten. Das Vielfache ist nach Maßgabe der Gefährlichkeit des Stoffes, insbesondere seines Abhängigkeiten auslösenden oder sonstigen gesundheitsschädigenden Potentials zu bemessen (vgl. , BGHSt 53, 89 Rn. 13). Lassen sich auch zum Konsumverhalten keine ausreichenden Erkenntnisse gewinnen, so entscheidet ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen (vgl. , BGHSt 51, 318 Rn. 12 ff. und vom - 3 StR 315/10, BGHSt 57, 60 Rn. 10).
10Die Wirkung und Gefährlichkeit der Betäubungsmittel ergibt sich vorliegend bereits aus dem in den Urteilsgründen umfassend wiedergegebenen, in sich verständlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. D. , Apotheker für experimentelle Pharmakologie und Toxikologie beim Bundeskriminalamt. Der Hinzuziehung weiterer Erkenntnisquellen - wie etwa dem schriftlichen Gutachten oder allgemein zugänglicher Literatur (vgl. , BGHSt 51, 318 Rn. 7; vom - 3 StR 220/96, BGHSt 42, 255, 262 ff.) - bedarf es daher nicht.
11Bei 5F-ADB (Methyl{2-[1-(5-flourpentyl)-1H-indazol-3-carboxamid]-3,3-dimethylbutanoat}) und AMB-FUBINACA (Methyl(2-{1[(4-flourphenyl)methyl]-1H-indazol-3-carboxamid}-3-methylbutanoat) handelt es sich um Cannabinoide-Rezeptoragonisten (CBRA) aus der Stoffgruppe der 3-Carboxyindazole. Die Wirkstoffe werden als sogenannte "Kräutermischungen", in reiner Pulverform und als dotierte CBD-Hanf-Produkte oder E-Liquids gehandelt und konsumiert. Wie auch andere Cannabimimetika weisen sie ein sehr ähnliches Wirkungsspektrum wie das delta-9-Tetrahydrocannabinol (THC) auf, haben diesem gegenüber jedoch eine vielfach stärkere Wirkung (vgl. dazu auch BR-Drucks. 147/16 S. 6).
12Ausreichend gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse zu der äußerst gefährlichen, gar tödlichen Dosis oder zur durchschnittlichen Konsumeinheit existieren zu 5F-ADB und AMB-FUBINACA - wie auch zu anderen synthetischen Cannabinoiden - bislang nicht (vgl. dazu , BGHSt 60, 134 Rn. 47 ff.; vom - 4 StR 124/14, StraFo 2016, 37; vom - 1 StR 64/17, juris Rn. 40). Aus der Auswertung nichtwissenschaftlicher Erkenntnisquellen über die Erfahrungen von Konsumenten kann lediglich der Schluss gezogen werden, dass die Konsumeinheit der genannten Stoffe deutlich geringer ist als die bezogen auf THC und - wenngleich weniger ausgeprägt - das Cannabimimetikum JWH-018, für das der Bundesgerichtshof den Grenzwert der nicht geringen Menge auf zwei Gramm festgelegt hat (, BGHSt 60, 134). Ferner ist bekannt, dass weltweit mehr als 100 bzw. 20 Todesfälle nachgewiesen wurden, die monokausal auf 5F-ADB bzw. AMB-FUBINACA zurückzuführen sind (zur Gefährlichkeit von 5F-ADB bzw. AMB-FUBINACA vgl. auch BR-Drucks. 147/16 S. 6).
13In Anbetracht der angeführten nicht ausreichend gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnisse kann zur Bestimmung der nicht geringen Menge nur ein Vergleich mit verwandten Wirkstoffen angestellt werden. Hierzu bieten sich lediglich THC und andere synthetische Cannabinoide an, für die die nicht geringe Menge bereits höchstrichterlich festgestellt worden ist. Ein Vergleich mit anderen Betäubungsmitteln - wie Heroin, Kokain, Amphetamin, Methamphetamin, MDE/MDMA/MDA oder LSD - kommt hingegen aufgrund ihrer unterschiedlichen chemischen Grundstrukturen, der abweichenden Konsummotivation, vor allem aber des vollkommen verschiedenen Wirkungsmechanismus nicht in Betracht (vgl. , BGHSt 60, 134).
14Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Sachverständigen gilt hierzu Folgendes:
15Nach derzeitigen wissenschaftlichen Erkenntnissen wird die Wirkung der synthetischen Cannabinoide wie bei dem Wirkstoff der Cannabispflanze über das Endocannabinoid-System vermittelt. Dieses ist nicht nur bei Menschen, sondern auch bei Wirbeltieren und Fischen vorhanden und an verschiedensten, teilweise sehr komplexen Prozessen beteiligt. Die Wirkstoffe binden an die Cannabinoid-Rezeptoren CB1, der in hoher Dichte im zentralen Nervensystem vorhanden ist, und CB2 an, der sich vorwiegend in Zellen des Immunsystems findet. Aufgrund der lipophilen Eigenschaften der Substanzen können sie die Blut-Hirn-Schranke ungehindert passieren. Durch die Bindung an den Rezeptor wird die Signalübertragung in der zugehörigen Zelle aktiviert. Anhand des Ausmaßes der Aktivierung kann zwischen einem vollen Agonisten und einem partiellen Agonisten unterschieden werden (vgl. auch , BGHSt 60, 134 Rn. 39). Relevant für die psychoaktive Cannabinoidwirkung sind die Bindung und Wirkung der Substanz am CB1-Rezeptor, weshalb bei der Bestimmung der nicht geringen Menge vorwiegend diese in den Blick zu nehmen sind.
16Wie auch andere Cannabimimetika wirken 5F-ADB und AMB-FUBINACA am CB1-Rezeptor - anders als THC - als volle Agonisten. Dies führt dazu, dass sie wesentlich stärkere Effekte, auch solche lebensbedrohlicher Art, erzeugen können. Es tritt - anders als bei THC - keine Sättigung ein, vielmehr werden die Wirkungen, also auch die unerwünschten Nebenwirkungen, durch eine höhere Dosis verstärkt.
17Zur konkreten Vergleichbarkeit der Potenz der verschiedenen Substanzen ist nach den Ausführungen des Sachverständigen sowohl deren Bindungsaffinität an den CB1-Rezeptor als auch die mittlere effektive Stoffmengenkonzentration (EC50-Wert) von Relevanz.
18Die Bindungsaffinität des Wirkstoffs bemisst dieser - offensichtlich unter der plausiblen Annahme, dass die Bindungen der Cannabimimetikum-CB-Rezeptor-Komplexe dem Massenwirkungsgesetz gehorchen - anhand der Bindungskonstante Ki. Je größer dabei die Affinität der Substanz zu den CB-Rezeptoren ist, umso mehr Rezeptoren werden bei einer bestimmten Stoffkonzentration besetzt und umso kleiner ist der Ki-Wert. Kleinere Ki-Werte deuten demzufolge auf eine Bindung an eine größere Anzahl an Rezeptoren und damit eine höhere Potenz des Wirkstoffs hin.
19Da der Ki-Wert nur Aussagen über die Bindungsstärke des Wirkstoffs an die Rezeptoren treffen kann, ist er für sich betrachtet für die psychoaktive Effektivität des Cannabimimetikums nur eingeschränkt aussagekräftig. Um eine Vergleichbarkeit der Potenz verschiedener Betäubungsmittel zu gewährleisten, ist es daher erforderlich, einen weiteren hinsichtlich des objektivierbaren biologischen Effekts aussagekräftigen Parameter heranzuziehen. Insoweit bietet sich der EC50-Wert an, d.h. die mittlere effektive Stoffmengenkonzentration, die erforderlich ist, um bei 50 Prozent der Versuchspopulation eine definierte Wirkung auszulösen. Auch hier gilt: Je kleiner der Wert, desto höher die Wirkung der Substanz.
20Nach den Ausführungen des Sachverständigen liegt der innerhalb einer Studie ermittelte Ki-Wert für AMB-FUBINACA bei 0,39 nM (Nanomolar), der EC50-Wert zwischen 0,27 nM und 2,0 nM, für 5F-ADB ist der Ki-Wert nicht bekannt, der EC50-Wert liegt bei 0,59 nM. Zum Vergleich dazu weist THC einen Ki-Wert zwischen 10,2 nM und 40,7 nM sowie einen EC50-Wert zwischen 58 nM und 250 nM auf. Die synthetischen Cannabinoide JWH-073 und JWH-018, für die der Bundesgerichtshof die nicht geringe Menge auf sechs Gramm bzw. zwei Gramm festgelegt hat (vgl. , BGHSt 60, 134), weisen demgegenüber Ki-Werte von 8,9 nM bzw. 1,5 bis 9,5 nM und EC50-Werte von 45,6 nM bzw. 10,1 bis 36,6 nM auf.
21Mit Blick auf die stärkere Bindungsaffinität (AMB-FUBINACA) und die geringeren mittleren effektiven Stoffmengenkonzentrationen gegenüber THC, JWH-073, aber auch JWH-018, ist davon auszugehen, dass 5F-ADB und AMB-FUBINACA eine höhere Potenz als die Vergleichssubstanzen haben, weshalb die Schwelle zur nicht geringen Menge entsprechend niedriger zu bemessen und auf ein Gramm Wirkstoffmenge festzusetzen ist. Die besondere Gefährlichkeit der Substanzen wird überdies durch die bekannt gewordenen Todesfälle und die in Internetforen beschriebenen niedrigen Mengen einer Konsumeinheit bestätigt.
22Der Angeklagte ist durch die hiervon abweichende Berücksichtigung der nicht geringen Menge durch das Landgericht nicht beschwert.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:270122B3STR155.21.0
Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 10 Nr. 14
NJW 2022 S. 1473 Nr. 20
FAAAI-57793