Disziplinarmalus für Rechtspfleger erfordert Aufgabenübertragung nach dem Rechtspflegergesetz
Leitsatz
Die Berücksichtigung der besonderen Stellung eines Rechtspflegers im Rahmen der disziplinarischen Würdigung zu dessen Lasten setzt - sofern ein solcher „Malus“ überhaupt in Betracht kommt - voraus, dass dem Beamten tatsächlich Aufgaben nach dem Rechtspflegergesetz übertragen sind.
Gesetze: § 13 Abs 2 DG NW 2004, Art 103 Abs 1 GG, § 2 Abs 1 S 1 RPflG, § 27 Abs 1 RPflG, § 108 Abs 1 S 1 VwGO, § 108 Abs 2 VwGO
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Az: 3d A 1614/11.O Urteilvorgehend Az: 20 K 1165/10.O Urteil
Gründe
1Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 des Disziplinargesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - LDG NRW - i.V.m. § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil das Berufungsurteil auf den vom Beklagten geltend gemachten Verstößen gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 VwGO beruhen kann. Das Oberverwaltungsgericht hat einen bemessungsneutralen Umstand als erschwerend gewürdigt und dem Beklagten keine Gelegenheit gegeben, auf diesen, im Verfahren nie thematisierten Gesichtspunkt einzugehen. Die darüber hinaus erhobene Divergenzrüge dagegen ist unbegründet.
21. Der Beklagte steht als Justizoberinspektor (Besoldungsgruppe A 10) im Dienst des klagenden Landes und war zuletzt in der IT-Abteilung einer Staatsanwaltschaft beschäftigt. Er ist durch rechtskräftiges Strafurteil wegen eines im Jahr 2006 begangenen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen verurteilt worden. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Strafurteils hatte der Beklagte ein eingezogenes Notebook, das ihm zur dienstlichen Verwahrung übergeben worden war, in seine Privatwohnung verbracht und durch ein anderes und defektes Notebook ausgetauscht. Im sachgleichen Disziplinarverfahren entfernte das Verwaltungsgericht den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis, die hiergegen gerichtete Berufung blieb erfolglos. Durch BVerwG 2 B 35.13 - (NVwZ-RR 2014, 314) hob das Bundesverwaltungsgericht das Berufungsurteil auf und verwies den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurück, weil der festgestellte Sachverhalt zur familiären Situation des Beklagten im Tatzeitpunkt bei der Würdigung nur verkürzt berücksichtigt worden war.
3Mit Urteil vom hat das Oberverwaltungsgericht die Berufung erneut zurückgewiesen und dabei zu Lasten des Beklagten darauf abgestellt, dass Straftaten eines Rechtspflegers angesichts dessen Amtsstellung in besonderer Weise geeignet seien, das Vertrauen seines Dienstherrn und der Allgemeinheit zu erschüttern. Auch bei Berücksichtigung der den Beklagten entlastenden familiären Situation sei ein Verbleib des Beklagten im Beamtenverhältnis daher ausgeschlossen.
42. Die Revision ist nicht wegen einer Abweichung von den mit der Beschwerde bezeichneten Urteilen des BVerwG 2 C 12.04 - (BVerwGE 124, 252 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 1), vom - BVerwG 2 C 3.12 - (BVerwGE 146, 98 = Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 19) oder vom - BVerwG 2 C 63.11 - (BVerwGE 147, 229 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 20) zuzulassen (§ 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
5Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Zwischen den Gerichten muss ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer bestimmten Rechtsvorschrift oder eines Rechtsgrundsatzes bestehen. Die Behauptung einer fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen, die das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, genügt den Zulässigkeitsanforderungen einer Divergenzrüge dagegen nicht. Das Revisionszulassungsrecht kennt - anders als die Vorschriften zur Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) - den Zulassungsgrund ernstlicher Richtigkeitszweifel nicht ( BVerwG 2 B 107.13 - NVwZ 2014, 1174 Rn. 3 m.w.N.).
6Soweit die Beschwerde vorträgt, das Oberverwaltungsgericht habe die in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten Grundsätze „nicht beachtet“, „nicht berücksichtigt“ oder sei ihnen „nicht gerecht geworden“, ist eine Abweichung daher bereits nicht dargelegt. Dass das Oberverwaltungsgericht bereits dem im BVerwG 2 C 12.04 - (a.a.O.) aufgestellten Grundsatz widersprochen hätte, eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setze voraus, dass die sich aus § 13 Abs. 2 Satz 1 bis 3 LDG NRW ergebenden Bemessungskriterien mit dem ihnen im Einzelfall zukommenden Gewicht ermittelt und in die Entscheidung eingestellt werden müssen, behauptet auch die Beschwerde nicht. Angriffe auf die (vermeintlich unzutreffende) Anwendung der Grundsätze im Einzelfall eröffnen die Divergenzrüge aber nicht. Hierauf ist im Übrigen bereits im Senatsbeschluss vom hingewiesen worden.
7Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat das BVerwG 2 C 63.11 (a.a.O.) - auch nicht den Grundsatz aufgestellt, die disziplinarische Wertung hänge nicht davon ab, welcher Laufbahn oder welchem Verwaltungszweig der Beamte angehört oder welche dienstliche Aufgabe er wahrnimmt. Vielmehr ist in der Entscheidung ausgeführt, das Bemessungskriterium „Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit“ erfordere eine Würdigung des Fehlverhaltens im Hinblick auf seinen allgemeinen Status, seinen Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und seine konkret ausgeübte Funktion. Dementsprechend könne sich die Stellung als Polizeibeamter unter bestimmten Umständen erschwerend auswirken (Rn. 19 f.). Lediglich für den Kollegendiebstahl ist - in Abgrenzung zu diesem allgemein formulierten Grundsatz - klargestellt worden, dass es insofern keinen Unterschied mache, ob ein Polizeibeamter oder ein Beamter aus einem anderen Verwaltungszweig seine Kollegen bestehle. Der Diebstahl unter Kollegen belaste das Betriebsklima und störe den Arbeitsfrieden und damit letztlich die Funktionsfähigkeit der Verwaltung. Die mit der Beschwerde in Bezug genommenen Ausführungen sind daher auf den Kollegendiebstahl bezogen und auf ihn beschränkt.
8Das Bundesverwaltungsgericht hat auch weder in dieser noch in den anderen durch die Beschwerde bezeichneten Entscheidungen den Rechtsgrundsatz aufgestellt, dass der Status als Rechtspfleger nicht erschwerend bei der Zumessungsentscheidung berücksichtigt werden darf. Hiermit haben sich die Urteile vielmehr nicht befasst. Grundsätzliche Auffassungsunterschiede über den Bedeutungsgehalt eines Rechtsgrundsatzes hat die Beschwerde damit nicht aufgezeigt.
93. Die Beschwerde rügt aber zu Recht, dass das Oberverwaltungsgericht den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs verletzt, weil es den Status des Beklagten als Rechtspfleger erschwerend berücksichtigt hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO). Hiermit musste der Beklagte nach dem Gesamtverlauf des Verfahrens nicht rechnen, so dass die Würdigung des Gerichts als „überraschend“ bewertet werden muss.
10Der in Art. 103 Abs. 1 GG und § 108 Abs. 2 VwGO verankerte Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs garantiert den Beteiligten eines Gerichtsverfahrens, dass sie Gelegenheit erhalten, sich vor Erlass der Entscheidung zu äußern und dadurch die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen (BVerfG, Plenumsbeschluss vom - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <408 f.>). Hieraus ergibt sich zwar keine allgemeine Frage- oder Aufklärungspflicht des Richters. Ein Gericht verstößt aber dann gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und das Gebot eines fairen Verfahrens, wenn es ohne vorherigen Hinweis Anforderungen an den Sachvortrag stellt oder auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (stRspr; vgl. - BVerfGE 84, 188 <190>, - BVerfGE 96, 189 <204>, - BVerfGE 108, 341 <345 f.> sowie zuletzt etwa Kammerbeschluss vom - 2 BvR 409/09 - juris Rn. 20).
11Nach diesen Maßstäben hätte das Oberverwaltungsgericht hier den Beklagten in seiner zweiten Berufungsverhandlung darauf hinweisen müssen, dass es die Amtsstellung des Beklagten als Rechtspfleger im Rahmen der Maßnahmebemessung erschwerend berücksichtigen will.
12Im zweiten Berufungsurteil vom hat das Oberverwaltungsgericht im Rahmen der Gesamtwürdigung zu Lasten des Beklagten darauf abgestellt, dass er als Rechtspfleger selbst ein Organ der Rechtspflege sei. Der Status des Beklagten als Rechtspfleger führe dazu, dass das Vertrauen sowohl seines Dienstherrn als auch der Allgemeinheit durch Straftaten in besonderer Weise erschüttert werde. Dies gelte unabhängig davon, dass der Beklagte selbst seinen Tätigkeitsschwerpunkt nur im Bereich der Verwertung eingezogener sowie auszusondernder Hard- und Software gehabt habe; maßgeblich sei insoweit das Amt als Ganzes.
13Dieser Gesichtspunkt war im gesamten bisherigen Disziplinarverfahren nicht für bedeutsam erachtet worden. Weder in der Klageschrift noch im Urteil des Verwaltungsgerichts ist dieser Aspekt auch nur erwähnt worden. Auch im ersten Berufungsurteil vom hat das Oberverwaltungsgericht den besonderen Rechtspflegerstatus des Beklagten nicht als mögliches Belastungselement benannt. Entsprechende Erwägungen finden sich nachfolgend weder im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht noch in den nach der Zurückverweisung gewechselten Schriftsätzen. Nach dem unwidersprochenen Vorbringen des Beklagten ist hierüber auch in der zweiten mündlichen Verhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht nicht gesprochen worden. Das Oberverwaltungsgericht hat damit in seinem zweiten Berufungsurteil tragend auf einen Gesichtspunkt abgestellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte.
14Dies gilt umso mehr, als ein „Rechtspfleger-Malus“ für Zugriffsdelikte in der bisherigen Disziplinar-Rechtsprechung nicht angenommen worden ist. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht den Rückgriff auf die Amtsstellung bei Polizeibeamten (für innerdienstliche Pflichtverletzungen allerdings nur, wenn diese unter Ausnutzung ihrer dienstlichen Stellung begangen wurden; BVerwG 2 C 63.11 - BVerwGE 147, 229 = Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 20, jeweils Rn. 20) oder für Lehrer (allerdings nur, soweit ein Dienstbezug zur Aufgabenwahrnehmung vorliegt; BVerwG 2 C 5.10 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 12 = NVwZ 2011, 303, jeweils Rn. 15 sowie BVerwG 2 B 133.11 - NVwZ-RR 2012, 607 Rn. 11) unter bestimmten Umständen gebilligt. Entsprechende Entscheidungen für Rechtspfleger liegen indes nicht vor.
15Der Beklagte hatte daher weder im Hinblick auf den konkreten Prozessverlauf noch in Anbetracht der einschlägigen Rechtsprechung Anlass, zur besonderen Bedeutung der Amtsstellung eines Rechtspflegers für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme bei Zugriffsdelikten Stellung zu nehmen.
16Von seiner Äußerungsmöglichkeit hat der Beklagte nunmehr im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens Gebrauch gemacht und darauf hingewiesen, dass die Stellung eines Rechtspflegers weder in Anbetracht des dienstlichen Aufgabenbereichs noch im Hinblick auf das Ansehen in der Öffentlichkeit mit der vom Oberverwaltungsgericht als Bezug herangezogenen Lage eines Richters verglichen werden kann. Er hat weiter eingewandt, dass die Verwendung eingezogener Geräte nicht mehr dem Strafvollstreckungsverfahren zugerechnet werden könne und er damit allein Verwaltungsaufgaben wahrgenommen habe. Mit diesen Gesichtspunkten hat sich das Oberverwaltungsgericht bislang nicht auseinandergesetzt, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die angegriffene Entscheidung auf dem unterlassenen Hinweis beruht.
17Insbesondere aber ist das Oberverwaltungsgericht mit seiner Bezugnahme auf das Amt eines Rechtspflegers als Ganzes ohne Berücksichtigung des dem Beklagten übertragenen Tätigkeitsbereichs von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen. Einen Status als Rechtspfleger, unabhängig von der konkreten Aufgabenbetrauung, gibt es nicht.
18Der Beklagte hat das Amt eines Justizoberinspektors im gehobenen Justizdienst des Landes inne. Als solcher hat er keinen Anspruch darauf, mit Geschäften betraut zu werden, die nach dem Rechtspflegergesetz einem Rechtspfleger vorbehalten sind. Als Rechtspfleger wird er nur dann tätig, wenn ihm entsprechende Aufgaben tatsächlich übertragen sind (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1, § 27 Abs. 1 RPflG). Die Bezeichnung als Rechtspfleger kennzeichnet daher kein Statusamt, sondern eine Funktion ( BVerwG 2 C 41.04 - BVerwGE 125, 365 = Buchholz 11 Art. 97 GG Nr. 9, jeweils Rn. 18). Nachdem das Oberverwaltungsgericht selbst davon ausgegangen ist, dass der Beklagte nicht mit den einem Rechtspfleger vorbehaltenen Geschäften betraut war, kann daher auch nicht erschwerend auf den Status als Rechtspfleger abgestellt werden. Ein entsprechendes Funktionsamt war dem Beklagten nicht übertragen. Bezugspunkt des Statusamtes „als Ganzem“ ist vielmehr das dem Beklagten verliehene Amt eines Justizoberinspektors. Unabhängig von der Frage, ob der vom Oberverwaltungsgericht angenommene „Rechtspfleger-Malus“ grundsätzlich denkbar wäre (vgl. zur Klärungsbedürftigkeit der Bezugnahme auf die Stellung als Polizeibeamter zuletzt BVerwG 2 B 30.14 -), kommt ein solcher „Malus“ angesichts der Tatsachenfeststellungen des Oberverwaltungsgerichts hier nicht in Betracht.
19Damit ist das Oberverwaltungsgericht von einer unzutreffenden Tatsachengrundlage ausgegangen und hat seiner Würdigung einen bemessungsneutralen Umstand als erschwerend zugrunde gelegt. Auch die rechtliche Würdigung (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ist damit fehlerhaft (stRspr; vgl. BVerwG 6 C 134.81 - BVerwGE 68, 338 <339> sowie zuletzt etwa BVerwG 2 B 35.13 - NVwZ-RR 2014, 314 Rn. 19).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2014:121114B2B67.14.0
Fundstelle(n):
XAAAI-50240