BGH Beschluss v. - VI ZB 16/12

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Nachfragepflicht des Prozessbevollmächtigten nach Stellung eines Fristverlängerungsantrages

Leitsatz

Ein Prozessbevollmächtigter ist grundsätzlich nicht verpflichtet, sich innerhalb des Laufs der Berufungsbegründungsfrist bei Gericht zu erkundigen, ob sein Antrag auf Verlängerung der Frist rechtzeitig eingegangen sei und ihm stattgegeben werde.

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 520 ZPO

Instanzenzug: LG Passau Az: 4 S 120/11vorgehend AG Freyung Az: 2 C 240/11

Gründe

I.

1Der Kläger, der am zu Fall kam und sich Verletzungen zuzog, nimmt den Beklagten als Tierhalter eines Schäferhundes auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Amtsgericht hat der Klage mit Urteil vom stattgegeben. Dieses Urteil ist den erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten des Beklagten am zugestellt worden. Dagegen hat der Beklagte mit anwaltlichem Schriftsatz Berufung eingelegt. Mit einem am beim Landgericht eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz hat der Beklagte die Berufung begründet. Auf gerichtlichen Hinweis, dass die Berufungsbegründung nicht fristgerecht eingegangen sei, hat der Beklagte mit einem am beim Landgericht eingegangenen anwaltlichen Schriftsatz Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt. Zur Begründung dieses Antrags hat er ausgeführt, seine Prozessbevollmächtigten hätten am ein Schreiben zur Post gegeben, in dem sie die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist beantragt hätten. Ein solches Schreiben befindet sich nicht bei den Gerichtsakten.

2Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Berufungsbegründungsfrist sei am abgelaufen. Die Berufungsbegründungsschrift sei nicht innerhalb dieser Frist und deshalb verspätet beim Landgericht eingegangen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand könne dem Beklagten nicht gewährt werden, weil er die Berufungsbegründungsfrist nicht ohne Verschulden versäumt habe. Er müsse sich das Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen. Es könne dahinstehen, weshalb ein Schriftsatz mit einem Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nicht zu den Akten gelangt sei. Da den Prozessbevollmächtigten des Beklagten bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am eine Verlängerungsbewilligung nicht zugegangen sei, obwohl zu diesem Zeitpunkt die (angebliche) Einbringung des Antrags bereits mehr als zwei Wochen zurückgelegen habe, wäre es zwingend geboten gewesen, die Gründe dafür zu hinterfragen. Zwar werde dem ersten Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist regelmäßig stattgegeben, doch liege dem Gericht kein derartiger Antrag, über den es hätte entscheiden können, vor. Deshalb sei die Berufungsbegründungsfrist unverlängert abgelaufen. Die nunmehr abgelaufene Frist könne nicht mehr verlängert werden.

3Gegen diese Entscheidung wendet sich der Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.

41. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn eine Entscheidung des Senats ist jedenfalls zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich (§ 574 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO).

52. Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Zwar hat der Beklagte die Berufungsbegründungsfrist versäumt. Auf seinen Antrag ist ihm jedoch gemäß §§ 233, 234 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.

6a) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs verbietet es der verfassungsrechtlich gewährleistete Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip), einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f.; 88, 118, 123 ff.; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004; Senatsbeschluss vom - VI ZB 5/11, VersR 2012, 334 Rn. 6).

7b) Der Beklagte hat durch Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten W. glaubhaft gemacht, dass Frau W. am den später in Kopie zur Gerichtsakte eingereichten Schriftsatz mit dem darin enthaltenen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nach Unterzeichnung durch Rechtsanwalt W. einkuvertiert und noch am selben Tag nachmittags zur Post gebracht hat. Danach durften die Prozessbevollmächtigten des Beklagten davon ausgehen, dass der Antrag rechtzeitig vor der am ablaufenden Berufungsbegründungsfrist beim Landgericht eingehen würde. Ihnen kann nicht vorgeworfen werden, auf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vertraut zu haben, nachdem sie einen ersten Verlängerungsantrag unter Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestellt hatten (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 26/01, VersR 2001, 1579, 1580; vom - VI ZB 52/05, VersR 2006, 568 Rn. 6; vom - VI ZB 14/06, juris Rn. 6 und vom - VI ZB 65/06, VersR 2008, 234 Rn. 9). Die in der Begründung des Fristverlängerungsantrags angegebene urlaubsbedingte Abwesenheit in der Zeit vom bis zum ist ein erheblicher Grund im Sinne von § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO.

8c) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts waren die Prozessbevollmächtigten des Beklagten auch nicht verpflichtet, sich vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist über eine Verlängerung dieser Frist durch Nachfrage bei Gericht zu vergewissern.

9aa) Den Prozessbevollmächtigten einer Partei trifft im Regelfall kein Verschulden an dem verspäteten Zugang eines Schriftsatzes, wenn er veranlasst, dass der Schriftsatz so rechtzeitig in den Briefkasten eingeworfen wird, dass er nach den normalen Postlaufzeiten fristgerecht bei dem Gericht hätte eingehen müssen. Wenn dem Prozessbevollmächtigten keine besonderen Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können, darf er darauf vertrauen, dass diese eingehalten werden (st. Rspr., vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 60/02, VersR 2004, 354, 355; BGH, Beschlüsse vom - VII ZB 2/00, juris Rn. 6; vom - II ZB 15/97, VersR 1998, 1301, 1302). Er ist dann auch nicht gehalten, sich vor Fristablauf durch Rückfrage bei der Geschäftsstelle des Gerichts von einem rechtzeitigen Eingang zu überzeugen (BVerfGE 79, 372, 375 f.; BVerfG, NJW 1992, 38; Senatsbeschluss vom - VI ZB 60/02, aaO; BGH, Beschlüsse vom - XII ZB 155/07, VersR 2009, 1096 Rn. 10; vom - IX ZB 238/08, juris Rn. 10). Denn der Prozessbevollmächtigte ist bereits in besonderem Maße verpflichtet, für eine zuverlässige Ausgangskontrolle zu sorgen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom - VI ZB 25/11, juris Rn. 9). Dann kann er regelmäßig nicht auch noch gehalten sein, den Eingang seiner Schriftsätze bei Gericht zu überwachen (BVerfGE 79, 372, 375 f.; BVerfG, NJW 1992, 38; Senatsbeschluss vom - VI ZB 28/11, juris Rn. 7; , aaO Rn. 10).

10bb) Eine Nachfragepflicht kommt nur ausnahmsweise in Betracht, wenn hierfür ein konkreter Anlass besteht (BVerfGE 42, 120, 126 f.; BVerfG, NJW 1992, 38, 39; , aaO Rn. 11). Ein solcher konkreter Anlass besteht nicht schon dann, wenn der Anwalt in der noch laufenden Berufungsbegründungsfrist noch keine auf seinen Schriftsatz bezogene Verfügung des Gerichts erhält. Denn allein daraus müssen sich ihm noch keine Zweifel aufdrängen, dass sein Schriftsatz nicht bei Gericht eingegangen sein könnte (Senatsbeschluss vom - VI ZB 28/11, aaO Rn. 8). Eine Erkundigungspflicht wird nur durch eine solche Mitteilung des Gerichts ausgelöst, die unzweideutig ergibt, dass etwas fehlgelaufen ist (BVerfG, NJW 1992, 38, 39; , aaO Rn. 11). Die Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtigten würden überspannt und der Zugang zu den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert, wenn man in derartigen Fällen verlangen würde, Erkundigungen über den Verbleib seines Schriftsatzes einzuholen (BVerfG, NJW 1992, 38, 39).

11d) Nach diesen Grundsätzen waren die Prozessbevollmächtigten des Beklagten vorliegend nicht verpflichtet, sich innerhalb des Laufs der Berufungsbegründungsfrist bei Gericht zu erkundigen, ob der Verlängerungsantrag rechtzeitig eingegangen sei und ihm stattgegeben werde (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 52/05, aaO und vom - VI ZB 65/06, aaO; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 6/86, VersR 1986, 787, 788 und vom - VIII ZB 24/98, VersR 1999, 1559, 1560).

12e) Da den Beklagten somit kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist trifft und die versäumte Rechtshandlung mit dem am beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz innerhalb der insoweit maßgeblichen Frist von einem Monat (§ 234 Abs. 1 Satz 2, § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO) nachgeholt worden ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und dem fristgerecht gestellten Wiedereinsetzungsantrag stattzugeben.

Zoll                                                Diederichsen                                                               Pauge

                          Stöhr                                                              von Pentz

Fundstelle(n):
FAAAI-33450