BGH Beschluss v. - VI ZB 46/14

Rechtsanwaltsverschulden bei Versäumung der Berufungsfrist: Anforderungen an die anwaltliche Fristenkontrolle

Leitsatz

Der Rechtsanwalt hat selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Fristende richtig ermittelt und eingetragen wurde, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird. Dies gilt auch dann, wenn ihm die Akte nach vorangegangener Fertigung eines Entwurfs der Berufungsschrift nur zum Zwecke der Unterschrift vorgelegt wird.

Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 519 ZPO

Instanzenzug: Az: 4 U 77/14vorgehend LG Heilbronn Az: 2 O 241/13 Sch

Gründe

I.

1Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am zugestellt worden. Hiergegen hat der Kläger mit Telefax vom Berufung eingelegt und begründet. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom darauf hingewiesen, dass die Berufung verspätet eingelegt worden sei. Der Kläger hat daraufhin mit Telefax vom beantragt, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist, hilfsweise auch gegen die Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist zu gewähren.

2Der Kläger hat geltend gemacht, sein Prozessbevollmächtigter habe den Entwurf der Berufungsschrift am diktiert und eine Abschrift an ihn, die Einholung einer Deckungszusage bei der Rechtsschutzversicherung sowie die Wiedervorlage zur Einlegung der Berufung für den verfügt. Die zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte habe die Wiedervorlagefrist weisungswidrig nicht notiert. Die Deckungszusage sei am eingegangen und dem Prozessbevollmächtigten am gemeinsam mit der Handakte und einer Ausfertigung der Berufungsschrift vorgelegt worden. Dieser habe die Berufungsschrift umgehend unterzeichnet und den Versand per Telefax an das Berufungsgericht veranlasst. Kenntnis von der Fristversäumnis habe er erst am erlangt, als ihm der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Beklagten vom zugegangen sei.

3Das Oberlandesgericht hat die Berufung und den Antrag des Klägers, ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu bewilligen, als unzulässig verworfen, weil der Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist gestellt worden sei. Die Frist habe am zu laufen begonnen, da der Prozessbevollmächtigte des Klägers an diesem Tag die Versäumung der Frist hätte bemerken müssen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt der Kläger die Aufhebung dieses Beschlusses und Wiedereinsetzung in die versäumten Fristen zur Einlegung der Berufung und Beantragung der Wiedereinsetzung, hilfsweise Zurückverweisung.

II.

4Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache wirft weder entscheidungserhebliche Fragen von grundsätzlicher Bedeutung oder zur Fortbildung des Rechts auf noch erfordert sie die Zulassung der Rechtsbeschwerde zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Der angefochtene Beschluss verletzt den Kläger weder in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) noch in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip).

51. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Klägers zu Recht als unzulässig verworfen, da der Wiedereinsetzungsantrag nicht innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist gestellt wurde.

6a) Nach § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist die Wiedereinsetzung innerhalb einer zweiwöchigen Frist zu beantragen. Diese Frist beginnt, sobald das der Fristwahrung entgegenstehende Hindernis behoben ist (§ 234 Abs. 2 ZPO). Das ist der Fall, sobald die bisherige Ursache der Verhinderung beseitigt oder das Weiterbestehen des Hindernisses nicht mehr unverschuldet ist (Senat, Urteil vom - VI ZR 104/76, VersR 1977, 643, 644; Beschlüsse vom - VI ZB 23/75, VersR 1976, 962, 963; vom - VI ZR 286/01, VersR 2002, 637; BGH, Beschlüsse vom - XI ZB 33/03, VersR 2006, 426, 427; vom - VIII ZB 81/10, NJW 2011, 1601 Rn. 9; vom - XII ZB 88/11, MDR 2011, 1208).

7b) Das Hindernis bestand hier darin, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei Einlegung der Berufung den Ablauf der Berufungsfrist nicht bemerkt hatte. Dieses Hindernis entfiel nicht erst mit dem Eingang des Hinweises des Beklagten auf den Fristablauf am , sondern schon in dem Moment, in dem der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt die Versäumung der Berufungsfrist hätte bemerken müssen (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 2/75, VersR 1975, 860 f.; vom - VI ZR 286/01, VersR 2002, 637; BGH, Beschlüsse vom - X ZB 3/03, NJW-RR 2005, 923; vom - V ZB 29/08, juris Rn. 5, 6; vom - XII ZB 88/11, MDR 2011, 1208, jeweils mwN). Das war am der Fall, als ihm die Sache zur Unterzeichnung der Berufungsschrift vorgelegt wurde.

8aa) Nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat der Rechtsanwalt selbständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Fristende richtig ermittelt und eingetragen wurde, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 23/75, VersR 1976, 962, 963; vom - VI ZB 2/91, VersR 1991, 1269; vom - VI ZB 2/92, NJW 1992, 1632; vom - VI ZR 286/01, VersR 2002, 637; vom - VI ZB 41/06, VersR 2007, 858 Rn. 6; vom - VI ZB 4/11, juris Rn. 6; vom - VI ZB 76/11, VersR 2013, 645 Rn. 7; , MDR 2014, 1337 Rn. 8).

9bb) Dies gilt entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt den Fristablauf ursprünglich selbst berechnet oder ob er die routinemäßige Fristberechnung und Fristenkontrolle einer zuverlässigen und sorgfältig überwachten Bürokraft übertragen hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom - IV ZR 57/59, VersR 1959, 814, 815; vom - VIII ZB 38/91, VersR 1992, 1153; vom - IV ZB 41/03, VersR 2005, 96; Urteil vom - III ZR 47/14, MDR 2014, 1337 Rn. 11). Denn die Pflicht des Prozessbevollmächtigten, den Fristablauf bei der Vorbereitung einer fristgebundenen Prozesshandlung selbständig zu überprüfen, beruht darauf, dass die sorgfältige Vorbereitung der Prozesshandlung stets die Prüfung aller gesetzlichen Anforderungen an ihre Zulässigkeit einschließt. Diese Aufgabe ist von der Fristberechnung und Fristenkontrolle zu unterscheiden, die lediglich der rechtzeitigen Vorlage der Akten zum Zweck ihrer Bearbeitung durch den Rechtsanwalt dienen (Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 23/75, VersR 1976, 962, 963; vom - VI ZB 52/12, juris Rn. 9; BGH, Beschlüsse vom - IV ZB 41/03, VersR 2005, 96; Urteil vom - III ZR 47/14, MDR 2014, 1337 Rn. 11).

10cc) Die Pflicht, den Fristablauf selbständig zu prüfen, besteht entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch dann, wenn die Akte dem Prozessbevollmächtigten nach vorangegangener Fertigung eines Entwurfs der Berufungsschrift nur zum Zwecke der Unterschrift vorgelegt wird (BGH, Beschlüsse vom - III ZB 18/75, VersR 1976, 342; vom - XII ZB 120/93, juris Rn. 10; vgl. Senat, Beschluss vom - VI ZR 286/01, VersR 2002, 637; Xa ZB 34/08, VersR 2010, 646 Rn. 8). Denn die Bearbeitung ist erst dann abgeschlossen, wenn der fristgebundene Schriftsatz vom Rechtsanwalt unterzeichnet und zur Weiterleitung an das Gericht freigegeben worden ist.

11dd) Ohne Erfolg verweist die Rechtsbeschwerde für ihre gegenteilige Ansicht auf den Beschluss des IX. Zivilsenats vom (IX ZB 83/00, VersR 2002, 211, 212). In dem zugrunde liegenden Fall waren dem Anwalt die Akten nicht im Zusammenhang mit der Einlegung der Berufung, sondern zur Information über den Erhalt des Berufungsauftrags vorgelegt worden. Der IX. Zivilsenat hat dagegen keinen Zweifel daran gelassen, dass der Anwalt die notierte Frist auf ihre Richtigkeit hätte überprüfen müssen, wenn ihm die Akten - wie im Streitfall - zur Bearbeitung der Berufung vorgelegt worden wären.

12c) Die Wiedereinsetzungsfrist lief damit gemäß § 222 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB am ab, so dass der am gestellte Wiedereinsetzungsantrag verspätet war.

132. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Wiedereinsetzungsfrist scheitert daran, dass der Kläger die Wiedereinsetzungsfrist nicht unverschuldet versäumt hat. Er muss sich das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.

143. Da der Kläger die Berufungsfrist nicht gewahrt hat, hat das Berufungsgericht die Berufung zu Recht als unzulässig verworfen.

Galke                         Diederichsen                          Pauge

             von Pentz                              Offenloch

Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:


Fundstelle(n):
KAAAI-24453