Instanzenzug: Az: 27 Ca 11869/10 Zwischenurteilvorgehend Landesarbeitsgericht München Az: 2 Sa 392/11 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten in einem Zwischenstreit über die Frage, ob die Beklagte der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen ist.
2Die Beklagte ist eine Bildungseinrichtung, in der Kinder von Bediensteten der Europäischen Patentorganisation in München unterrichtet werden. Sie wurde auf der Grundlage des Zusatzprotokolls vom (BGBl. 1978 II S. 994) zum Protokoll über die Gründung Europäischer Schulen vom (BGBl. 1969 II S. 1301) errichtet. Die Gründung der Europäischen Schulen geht auf die am von den Staaten Belgien, Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden unterzeichneten Satzungen zurück (BGBl. 1965 II S. 1041). Seit dem gilt die Satzung der Europäischen Schulen vom (ABl. EG L 212 vom S. 3 - BGBl. 2003 II S. 459; „SES“), die außer von den Mitgliedstaaten ua. von der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft unterzeichnet wurde.
3In der SES ist ua. die Organisation der Europäischen Schulen geregelt. Gemeinsame Organe sind der Oberste Rat, der Generalsekretär, die Inspektionsausschüsse und die Beschwerdekammer. An den Europäischen Schulen unterrichten Lehrer, die von den Mitgliedstaaten abgeordnet oder zugewiesen sind, sowie Lehrbeauftragte.
4Die SES lautet auszugsweise:
5Die Beschäftigungsbedingungen der von den Mitgliedstaaten nach Art. 3 Abs. 2 SES abgeordneten oder zugewiesenen Lehrer sind in dem auf der Grundlage von Art. 12 Ziff. 1 SES erlassenen Statut des abgeordneten Personals der Europäischen Schulen („StaPES“) geregelt. Dieses bestimmt auszugsweise:
6Zusätzlich zu den - auch als Hauptpersonal bezeichneten - abgeordneten Lehrern können die Direktoren der Europäischen Schulen sogenannte Lehrbeauftragte anstellen. Rechtsgrundlage ist das vom Obersten Rat erlassene Statut für die vor dem beschäftigten Lehrbeauftragten („Altes Statut“). Dieses lautet auszugsweise:
7Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem als Lehrbeauftragter tätig. Die Beschäftigung erfolgte aufgrund jährlich befristeter, jeweils vom Direktor unterzeichneter Arbeitsverträge. Der vorletzte Lehrauftrag vom sah eine Laufzeit vom bis , der letzte Lehrauftrag vom eine solche für die Zeit vom bis vor.
8In § 13 des Lehrauftrags vom heißt es:
9§ 10 des Lehrauftrags vom hat folgenden Wortlaut:
10Mit der am beim Arbeitsgericht eingegangenen Befristungskontrollklage hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass die angerufene deutsche Gerichtsbarkeit und nicht die bei den Europäischen Schulen gebildete Beschwerdekammer über die Wirksamkeit der Befristungen seines Arbeitsverhältnisses zu entscheiden habe. Die Europäischen Schulen genössen keine Immunität für Befristungskontrollbegehren angestellter Lehrbeauftragter.
11Der Kläger hat beantragt
12Die Beklagte hat ihren Antrag auf Klageabweisung mit der Auffassung begründet, dass sie nicht der deutschen Gerichtsbarkeit unterworfen sei.
13Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Zwischenurteil für zulässig erklärt. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Mit der Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage als unzulässig, während der Kläger die Zurückweisung der Revision begehrt.
14Durch Beschluss vom (- 7 AZR 930/11 (A) - BAGE 145, 76 und - 7 AZR 931/11 (A) -) hat der Senat in zwei gleich gelagerten Fällen den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung über die Auslegung des Art. 27 Abs. 2 der Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen vom (SES) ersucht. In diesen Sachen hat der Gerichtshof durch Urteil vom (- C-464/13 und C-465/13 - [Oberto und O´Leary]) erkannt:
Gründe
15Die Revision der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils, zur Abänderung des Zwischenurteils des Arbeitsgerichts und zur Abweisung der Klage. Die Klage ist entgegen der Auffassung der Vorinstanzen unzulässig. Die angerufene deutsche Gerichtsbarkeit ist nach § 20 Abs. 2 GVG ausgeschlossen. Die Beklagte genießt als Teil der zwischenstaatlichen Organisation der Europäischen Schulen für den hier vorliegenden Streitgegenstand Immunität. Für die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Befristung des vom Direktor der Beklagten mit dem Kläger abgeschlossenen Arbeitsvertrags ist nach Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 SES ausschließlich die Beschwerdekammer der Europäischen Schulen berufen.
16I. Das Vorliegen der deutschen Gerichtsbarkeit ist eine in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachtende Prozessvoraussetzung. Nach § 20 Abs. 2 GVG erstreckt sich die deutsche Gerichtsbarkeit nicht auf zwischenstaatliche Organisationen, soweit sie nach den allgemeinen Regeln des Völkerrechts, aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen oder sonstiger Rechtsvorschriften von ihr befreit sind. Eine danach gegebene Immunität stellt ein Verfahrenshindernis dar. Sie führt zur Abweisung der Klage als unzulässig (vgl. - zu II 1 der Gründe mwN).
17II. Die Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 GVG sind erfüllt. Die Beklagte ist Teil einer zwischenstaatlichen Organisation. Sie ist aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarung von der staatlichen Gerichtsbarkeit in dem durch Art. 27 Abs. 2 SES bestimmten Umfang befreit. Darunter fallen Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der Befristung von Arbeitsverträgen, die der Direktor der Schule mit Lehrbeauftragten abschließt.
181. Die Institution der „Europäischen Schulen“ ist eine zwischenstaatliche Organisation mit Völkerrechtspersönlichkeit ( (A) - Rn. 15 mwN, BAGE 145, 76; - Rn. 25 mwN, BGHZ 182, 10). Ihre Gründung beruht auf einer völkerrechtlichen Übereinkunft mehrerer Mitgliedstaaten der Europäischen Union ( - [Hurd] Rn. 20, Slg. 1986, 29). Es handelt sich bei den Europäischen Schulen um ein System besonderer Art, das durch ein internationales Abkommen eine Form der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und der Union verwirklicht (vgl. - [Miles ua.] Rn. 39, Slg. 2011, I-5105; - C-464/13 und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 32). Die einzelne Schule nimmt an der Völkerrechtspersönlichkeit der Institution der „Europäischen Schulen“ teil ( - Rn. 25, aaO).
192. Als zwischenstaatliche Organisation regelt die Institution der „Europäischen Schulen“ ihre innerorganisatorischen Angelegenheiten selbst ( - Rn. 25, BGHZ 182, 10). Die Befreiung einer internationalen Organisation und ihrer Untergliederungen von der nationalen Gerichtsbarkeit des Sitzstaates wird regelmäßig im Rahmen der Gründungsabkommen oder gesonderter Privilegienabkommen geregelt. Zwischenstaatliche Organisationen können insgesamt oder in Teilen auf das Privileg der Befreiung von der staatlichen Gerichtsbarkeit verzichten. Ein Immunitätsverzicht kann für einen konkreten Rechtsstreit durch Abgabe einer entsprechenden Erklärung oder auch generell in einem völkerrechtlichen Abkommen erfolgen ( - zu II 3 der Gründe mwN; Geimer Internationales Zivilprozessrecht 7. Aufl. Rn. 828, 629).
20Die ursprüngliche Satzung der Europäischen Schulen aus dem Jahr 1957 sah keinen eigenen Rechtsweg vor. Die Vertragsparteien haben jedoch mit der Satzung aus dem Jahr 1994 ein eigenes, internes Rechtsschutzverfahren eingeführt. Sie haben den Umfang der von ihnen in Anspruch genommenen Immunität in Art. 27 Abs. 2 und Abs. 7 SES positiv geregelt. Nach Art. 27 Abs. 2 SES besitzt die Beschwerdekammer der Europäischen Schulen nach Ausschöpfung des Verwaltungswegs erst- und letztinstanzlich die ausschließliche Zuständigkeit bei Streitigkeiten, die die Anwendung der Vereinbarung auf die darin genannten Personen - mit Ausnahme des Verwaltungs- und Dienstpersonals - betreffen. Die Voraussetzungen und die entsprechenden Durchführungsbestimmungen für diese Verfahren sind ua. in den Beschäftigungsbedingungen für das Lehrpersonal bzw. der Regelung für die Lehrbeauftragten festgelegt ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 40). Demgegenüber unterliegen „andere Streitigkeiten“, bei denen die Schulen Partei sind, nach Art. 27 Abs. 7 SES der Zuständigkeit der nationalen Gerichte, insbesondere in Zivil- und Strafsachen.
213. Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der Befristung von Arbeitsverträgen mit Lehrbeauftragten fallen in die Zuständigkeit der Beschwerdekammer nach Art. 27 Abs. 2 SES. Dies ergibt die dem Gerichtshof vorbehaltene, von diesem im Rahmen des Vorabentscheidungsersuchens des Senats in den gleich gelagerten Fällen vorgenommene Auslegung der in der SES getroffenen Regelungen ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary]).
22a) Über die Auslegung der Verträge und über die Gültigkeit und Auslegung der Handlungen der Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union entscheidet der Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV (vgl. und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 31; (A) - Rn. 17, BAGE 145, 76). Ein vom Rat der Europäischen Union gemäß Art. 217 AEUV und Art. 218 AEUV geschlossenes Abkommen für die Europäische Union stellt eine Handlung eines Unionsorgans im Sinne von Art. 267 Abs. 1 Buchst. b AEUV dar. Die Bestimmungen eines solchen Abkommens sind ab dessen Inkrafttreten Bestandteil der Unionsrechtsordnung. Der Gerichtshof ist in dem durch diese Rechtsordnung gesteckten Rahmen zur Vorabentscheidung über die Auslegung des Abkommens befugt ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 29). Dies gilt auch für ein internationales Abkommen wie die Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen, die auf der Grundlage von Art. 235 des EG-Vertrags (danach Art. 308 EG, jetzt Art. 352 AEUV) von den hierzu durch den Beschluss 94/557/EG, Euratom des Rates vom betreffend die Ermächtigung der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft zur Unterzeichnung und zum Abschluss der Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen (ABl. EG L 212 vom S. 1) ermächtigten Europäischen Gemeinschaften erlassen wurde ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 30).
23b) Der Gerichtshof hat die SES als Bestandteil des Völkervertragsrechts insbesondere unter Berücksichtigung von Art. 31 des Wiener Übereinkommens ausgelegt. Danach kommt es darauf an, wie ein Vertrag nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Licht seines Ziels und Zwecks zu verstehen ist (vgl. - [Brita] Rn. 43, Slg. 2010, I-1289; - C-464/13 und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 37, 60 bis 62). Außerdem ist nach Art. 31 Abs. 3 Buchst. b des Wiener Übereinkommens bei der Auslegung eines Vertrags jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht, zu berücksichtigen ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 38). Danach kann eine spätere Übung bei der Anwendung eines Vertrags Vorrang vor dem eindeutigen Vertragswortlaut haben, wenn in dieser Übung die Übereinstimmung der Parteien zum Ausdruck kommt ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 61 mwN).
24c) Nach der vom Gerichtshof aufgrund des Vorabentscheidungsgesuchs des Senats in den gleich gelagerten Fällen vorgenommenen Auslegung gehören Befristungskontrollklagen von Lehrbeauftragten zu den in Art. 27 Abs. 2 SES genannten Streitigkeiten, für welche die Beschwerdekammer der Europäischen Schulen ausschließlich zuständig ist (vgl. und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 70).
25aa) Lehrbeauftragte sind nicht von der Regelung des Art. 27 Abs. 2 SES ausgenommen. Anders als das von der Anwendung der Regelung ausgeschlossene Verwaltungs- und Dienstpersonal gehören sie zu den in dieser Vorschrift genannten Personen (vgl. und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 40 f.).
26bb) Eine Vereinbarung über die Befristung des Arbeitsverhältnisses in dem zwischen der Schule und dem Lehrbeauftragten geschlossenen Vertrag stellt nach der Vorabentscheidung des Gerichtshofs eine den Lehrbeauftragten „beschwerende Entscheidung“ im Sinne von Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 SES dar, über deren Rechtswirksamkeit die Beschwerdekammer zu entscheiden hat ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 45 bis 56).
27(1) Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 SES enthält zwar keine Definition des Begriffs „beschwerende Entscheidung“ ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 46). Die verschiedenen Sprachfassungen unterscheiden sich in der Verwendung dieses Begriffs, wobei einige von ihnen, ua. die spanische, die englische, die französische und die italienische Fassung, Begriffe wie „un acto“, „any act“, „un acte“ und „un atto“ verwenden, deren Bedeutung über die des in der deutschen Fassung verwendeten Begriffs „Entscheidung“ hinausgeht ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 47). Da es nach dem fünften Spiegelstrich des vierten Erwägungsgrundes in der Präambel der SES zu den Zielen dieser Vereinbarung gehört, einen „angemessenen Rechtsschutz“ des Lehrpersonals und der sonstigen unter die Satzung fallenden Personen gegenüber Entscheidungen des Obersten Rates oder der Verwaltungsräte zu gewährleisten ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 48), ist einer weiten Auslegung des Begriffs „beschwerende Entscheidung“ der Vorzug zu geben ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 49).
28(2) Das Statut der Lehrbeauftragten, das ua. die Voraussetzungen und die Durchführungsbestimmungen für die Verfahren vor der Beschwerdekammer regelt, sieht in Ziff. 3.2 im Einklang mit Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 2 SES vor, dass Art. 80 StaPES auch für die Lehrbeauftragten gilt. Art. 80 Abs. 1 StaPES ist ähnlich formuliert wie Art. 91 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (Verordnung [EWG, Euratom, EGKS] Nr. 259/68 des Rates vom [ABl. EG L 56 vom S. 1]), wonach der Gerichtshof der Europäischen Union für alle Streitsachen zwischen der Union und einer Person, auf die dieses Statut Anwendung findet, über die Rechtmäßigkeit einer diese Person beschwerenden Maßnahme im Sinne von Art. 90 Abs. 2 des Statuts zuständig ist. Dort erfasst der Begriff „beschwerende Maßnahme“ nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs alle Maßnahmen, die geeignet sind, unmittelbar eine bestimmte Rechtslage zu beeinträchtigen (vgl. ua. - [Strack/Kommission] Rn. 62 mwN). Darunter fällt beispielsweise auch der Beschäftigungsvertrag zwischen einer Hilfskraft und der Kommission (vgl. - [Castagnoli/Kommission] Rn. 11, Slg. 1987, 3281; - C-464/13 und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 54). Dementsprechend ist auch der Einstellungsvertrag eines Lehrbeauftragten an einer Europäischen Schule als „beschwerende Entscheidung“ im Sinne von Art. 80 StaPES anzusehen. Dies gilt insbesondere, wenn es um einen Bestandteil des Vertrags geht, der - wie seine Dauer, die sich unmittelbar aus der Anwendung von Ziff. 2 Buchst. a des „Alten Statuts“ ergibt - durch das anwendbare Recht vorgegeben ist (vgl. und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 55).
29cc) Die Anwendung von Art. 27 Abs. 2 SES auf Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der Befristung von Arbeitsverträgen mit Lehrbeauftragten scheitert nicht daran, dass die Befristung als beschwerende Maßnahme in dem zwischen dem Direktor der Schule und dem Lehrbeauftragten geschlossenen Arbeitsvertrag vereinbart wird und Entscheidungen des Direktors der Schule in Art. 27 Abs. 2 SES nicht ausdrücklich erwähnt werden. Vielmehr erfasst Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 SES nach dem Verständnis des Gerichtshofs eine Vereinbarung über die Befristung eines Arbeitsverhältnisses, die der Direktor der Europäischen Schule in Ausübung seiner Befugnisse getroffen hat ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 57 bis 76). Dies kommt zwar im Wortlaut dieser Bestimmung nicht zum Ausdruck. Danach fällt nur eine Streitigkeit über eine „vom Obersten Rat oder vom Verwaltungsrat einer Schule … getroffene … Entscheidung“ in die Zuständigkeit der Beschwerdekammer. Nach Auffassung des Gerichtshofs ergibt sich der Anwendungsbereich des Art. 27 Abs. 2 SES auch auf Entscheidungen des Direktors aber zum einen daraus, dass nach Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 2 SES die Voraussetzungen für ein Verfahren vor der Beschwerdekammer und die entsprechenden Durchführungsbestimmungen ua. in den Beschäftigungsbedingungen für das Lehrpersonal bzw. der Regelung für die Lehrbeauftragten festgelegt sind ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 59). Zum anderen hat der Gerichtshof in Anwendung von Art. 31 des Wiener Übereinkommens der Übung durch die Rechtsprechung der Beschwerdekammer bei der Anwendung des Art. 80 StaPES den Vorrang vor dem entgegenstehenden Wortlaut des Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 SES eingeräumt (vgl. und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 60 bis 64). Die Beschwerdekammer ist nach Art. 80 StaPES, auf den Ziff. 2 Buchst. b „Altes Statut“ verweist, für Streitigkeiten zwischen den Direktionsbehörden der Europäischen Schulen und Mitgliedern des Personals über die Rechtmäßigkeit einer Letztere beschwerenden Entscheidung ausschließlich zuständig. Wie insbesondere aus Art. 7 letzter Satz SES in Verbindung mit Art. 21 Abs. 2 SES sowie aus Art. 6 Buchst. a StaPES hervorgeht, gehört der Direktor einer Europäischen Schule zu deren Direktionsbehörden. Auf der Grundlage von Art. 80 StaPES entwickelte sich die Rechtsprechung der Beschwerdekammer, nach der es möglich ist, Rechtsbehelfe gegen beschwerende Entscheidungen der Direktionsbehörden der Europäischen Schulen einzulegen. Diese Rechtsprechung hat der Gerichtshof als spätere, von den Parteien der SES unbeanstandete und deshalb als stillschweigend gebilligte Übung angesehen. Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 1 Satz 1 SES steht daher einer Einstufung von Entscheidungen der Direktionsbehörden der Europäischen Schulen als grundsätzlich unter die genannte Bestimmung fallend nicht entgegen (vgl. und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 65 bis 67).
30dd) Diese Auslegung von Art. 27 Abs. 2 SES beeinträchtigt nicht den Anspruch der Betroffenen auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 71 bis 75). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs erfüllt die Beschwerdekammer der Europäischen Schulen alle Merkmale, anhand deren eine Einrichtung als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV beurteilt werden kann. Dazu gehören ua. die gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ihr ständiger Charakter, die obligatorische Gerichtsbarkeit, das streitige Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit ( und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 72). Außerdem hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass nach Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union der Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes nicht das Recht auf Zugang zu zwei Gerichtsinstanzen umfasst, sondern nur zu einem Gericht (vgl. - [Sánchez Morcillo und Abril García] Rn. 36; - C-464/13 und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 73). Soweit der Gerichtshof in der Rechtssache Miles ua. ( - Rn. 43 bis 45, Slg. 2011, I-5105) ausgeführt hat, er sei nicht für die Beantwortung einer von der Beschwerdekammer der Europäischen Schulen gestellten Frage zuständig, weil es sich bei ihr nicht um ein „Gericht eines Mitgliedstaats“ im Sinne von Art. 267 AEUV handele, hat er gleichzeitig anerkannt, dass eine Möglichkeit oder sogar eine Verpflichtung der Beschwerdekammer vorstellbar sei, im Rahmen einer Streitigkeit zwischen an eine Europäische Schule abgeordneten Lehrern und dieser den Gerichtshof anzurufen, wenn allgemeine Grundsätze des Unionsrechts anzuwenden sind, allerdings hinzugefügt, dass es Sache der Mitgliedstaaten sei, das durch die derzeit geltende Vereinbarung über die Satzung der Europäischen Schulen eingeführte System des gerichtlichen Rechtsschutzes zu reformieren (vgl. und C-465/13 - [Oberto und O´Leary] Rn. 74).
31III. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:120815.U.7AZR143.12.0
Fundstelle(n):
WAAAI-21724