Ordnungswidrige Besetzung des Gerichts - Abordnung eines Richters
Gesetze: § 547 Nr 1 ZPO, § 72 Abs 2 Nr 3 Alt 1 ArbGG
Instanzenzug: ArbG Dresden Az: 3 Ca 1600/13 Urteilvorgehend Sächsisches Landesarbeitsgericht Az: 7 Sa 121/14 Urteil
Gründe
1I. Die Parteien streiten über Vergütung wegen Annahmeverzugs. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. An der mündlichen Verhandlung des Berufungsgerichts vom hat Richter am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T als Vorsitzender mitgewirkt, der das anzufechtende Urteil auch unterschrieben hat. Die Beklagte wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht. Sie hat ua. gerügt, es liege der Beschwerdegrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts vor (§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG). Ihr Recht aus Art. 101 Abs. 1 GG auf den gesetzlichen Richter sei verletzt. Die Mitwirkung des Richters am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T in der erkennenden Kammer des Landesarbeitsgerichts führe zu deren ordnungswidriger Besetzung, da seine Abordnung nicht den in der Rechtsprechung vorgegebenen Grenzen gerecht werde. Die Abordnung sei weder zur Erprobung erfolgt noch wegen einer nicht vorhersehbaren Überlastung des Landesarbeitsgerichts.
2II. Die Besetzungsrüge ist begründet. Der geltend gemachte absolute Revisionsgrund der nicht vorschriftsmäßigen Besetzung des Berufungsgerichts liegt vor (§ 547 Nr. 1 ZPO iVm. § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 Alt. 1, § 72 Abs. 2 Nr. 3 Alt. 1 ArbGG). Dies führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht.
31. Die Verfahrensrüge ist zulässig. Die Beklagte hat die nicht vorschriftsmäßige Besetzung des Landesarbeitsgerichts, die sie bereits ohne Erfolg vor dem Landesarbeitsgericht gerügt hatte, innerhalb der Begründungsfrist der Nichtzulassungsbeschwerde unter Darlegung der entsprechenden Tatsachen ordnungsgemäß erhoben. Einer Darlegung, dass das Berufungsurteil auf dem gerügten Verfahrensfehler beruht, bedurfte es nicht, weil das Gesetz davon ausgeht, dass in einem solchen Fall die Entscheidung stets als auf einer Verletzung des Rechts beruhend angesehen wird (§ 547 Nr. 1 ZPO).
42. Die Verfahrensrüge ist begründet.
5a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ( -; - 1 BvR 1551/95 -; - 2 BvL 27/91, 2 BvL 31/91 - zu C III 2 a der Gründe mwN, BVerfGE 87, 68; - 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 - zu B I der Gründe, BVerGE 14, 156), des Bundesgerichtshofs (ua. RiZ (R) 2/04 - zu II 2 b der Gründe, BGHZ 162, 333; - V ZB 6/94 - zu III 1 b aa der Gründe, BGHZ 130, 304; - VIII ZR 135/84 - zu II 2 der Gründe, BGHZ 95, 22; - III ZR 84/55 - BGHZ 22, 142, 145), des Bundesverwaltungsgerichts ( 8 C 19.95 - BVerwGE 102, 7) und des Bundesarbeitsgerichts ( - Rn. 34, BAGE 123, 46; - 2 AZR 187/70 -) sehen das Grundgesetz und die Gerichtsverfassung im Interesse der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit der Richter vor, dass ihr Amt grundsätzlich von bei dem betreffenden Gericht planmäßig und auf Lebenszeit ernannten Richtern ausgeübt wird. Richter sind nach Art. 97 Abs. 1 GG weisungsunabhängig; ihre sachliche Unabhängigkeit wird durch die Garantie der persönlichen Unabhängigkeit in Art. 97 Abs. 2 GG institutionell gesichert. Auch Art. 92 GG setzt als Normalfall Richter voraus, die unversetzbar und unabsetzbar sind (, 2 BvR 247/61 - zu B I der Gründe, BVerfGE 14, 156).
6Der Einsatz von nicht planmäßigen Richtern bei einem Gericht ist deshalb auf das zwingend gebotene Maß zu beschränken. Die Notwendigkeiten, die eine solche Verwendung rechtfertigen, können in den einzelnen Gerichtszweigen, bei den einzelnen Gerichten und bei ihren Kammern oder Senaten örtlich und zeitlich verschieden sein; daher hängt es von den jeweiligen besonderen Umständen ab, ob und in welchem Maß im Einzelfall die Besetzung der erkennenden Gerichte mit nicht planmäßigen Richtern zulässig ist. In jedem Fall muss es sich um unumgängliche Bedürfnisse der Rechtspflege handeln. Das Grundgesetz beschränkt eine solche Verwendung auf das zwingend gebotene Maß (, 2 BvR 247/61 - zu B I der Gründe, BVerfGE 14, 156).
7Ein zwingender Grund für den Einsatz planmäßiger Richter unterer Gerichte in Abordnung an obere Gerichte ist die Eignungserprobung ( - Rn. 7 mwN; - 2 BvR 628/60, 2 BvR 247/61 - zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 14, 156). Die Notwendigkeit, Nachwuchs heranzubilden oder Beurteilungsgrundlagen für ein richterliches Beförderungsamt zu schaffen, erlaubt die Heranziehung auch solcher Richter an ein Gericht, die nicht planmäßige Richter dieses Gerichts sind ( - Rn. 7 mwN; - 2 BvR 2269/93 -; - 1 BvR 1551/95 -; - 1 BvL 13/52, 1 BvL 21/52 - zu IV 2 b der Gründe, BVerfGE 4, 331).
8Zudem liegen zwingende Gründe für einen Einsatz nicht planmäßiger Richter an oberen Gerichten vor, wenn vorübergehend ausfallende planmäßige Richter, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden kann, vertreten werden müssen oder wenn ein zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall aufzuarbeiten ist. Auch in solchen Fällen ist die Verwendung von nicht planmäßigen Richtern nicht gerechtfertigt, wenn die Arbeitslast des Gerichts deshalb nicht bewältigt werden kann, weil es unzureichend mit Planstellen ausgestattet ist, oder weil die Justizverwaltung es verabsäumt hat, offene Planstellen binnen angemessener Frist zu besetzen (, 2 BvR 247/61 - zu B I 1 der Gründe, BVerfGE 14, 156).
9b) Danach war, wie sich aus der vom Revisionsgericht eingeholten dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts ergibt, die Kammer 7 des Landesarbeitsgerichts im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom sowie im Verkündungstermin am , in dem das anzufechtende Urteil ergangen ist, nicht ordnungsgemäß besetzt.
10aa) Aus der dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts geht hervor, dass das Sächsische Landesarbeitsgericht grundsätzlich nach den Berechnungen des Personalbedarfsberechnungssystems (PEBB§Y) mit sieben Vorsitzenden einschließlich des Präsidenten und des Vizepräsidenten ausreichend besetzt ist. Die Geschäftsverteilungspläne 2007 bis 2014 weisen dementsprechend bei neun Kammern jeweils mindestens sieben als planmäßig mit Vorsitzenden Richtern/Richterinnen besetzte Kammern aus. Danach spricht nichts dafür, dass die Arbeitslast des Landesarbeitsgerichts im Geschäftsverteilungszeitraum 2014 wegen fehlender oder offener Planstellen nicht bewältigt werden konnte und die hier zu beurteilende Abordnung vor dem Hintergrund eines derartigen Mangels aufzufassen wäre.
11bb) Aus der dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts geht weiter hervor, dass Richter am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T vom bis zum mit seiner vollen Arbeitskraft (1,0 AKA) an das Sächsische Landesarbeitsgericht abgeordnet war. Seine Abordnung wurde zum zunächst bis zum mit seiner halben Arbeitskraft (0,5 AKA) verlängert. Im Übrigen (0,5 AKA) nimmt er seine Aufgaben als ständiger Vertreter des Direktors beim Arbeitsgericht C wahr. Aus dem Geschäftsverteilungsplan 2015 ergibt sich, dass eine weitere Verlängerung mit halber Arbeitskraft (0,5 AKA) bis zum erfolgt ist.
12Richter am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T war nach den jährlichen Geschäftsverteilungsplänen 2013 bis 2014 und den dazu ergangenen Änderungsbeschlüssen zunächst der Kammer 7 zugeordnet, mit Wirkung vom (auch) der Kammer 8, in den Jahren 2014 und 2015 der Kammer 7.
13In der dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts heißt es: „Die Reduzierung der Arbeitsanteile des Richters am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T zum erfolgte, um zeitgleich auch der Richterin am Arbeitsgericht M eine Erprobungsabordnung zu ermöglichen.“ Die Abordnung der Richterin am Arbeitsgericht M zur Erprobung erfolgte laut der dienstlichen Auskunft für den Zeitraum bis . Weiter heißt es in der dienstlichen Auskunft: „Die Abordnung des Herrn T erfolgte ebenfalls zur Erprobung. Jedenfalls ab Juli 2014 bestand sie auch aufgrund einer befürchteten vorübergehenden Überlastung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts, so dass Herrn Ts Abordnung zum Sächsischen Landesarbeitsgericht zu 0,5 AKA nochmals verlängert wurde.“ Dazu heißt es, ab April 2014 habe sich eine unvorhergesehene Überbelastung des Sächsischen Landesarbeitsgerichts abgezeichnet, weil zwei Vorsitzende krankheitsbedingt auszufallen drohten, was bei nur sieben Vorsitzenden Richterstellen nicht durch die Vertreter ausgeglichen werden könne. Vor diesem Hintergrund sei die „weitere Abordnung des Herrn T unabdingbar gewesen“. Allerdings hätten sich die Befürchtungen längerfristiger Ausfälle der beiden Kollegen bis zum Jahresende 2014 als unbegründet erwiesen. An anderer Stelle heißt es, Herrn T, der aufgrund seiner positiven Entwicklung für eine Stelle als Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht in Betracht komme, „sollte die Möglichkeit der Erprobung, insbesondere einer weiteren Bewährung in der zweiten Instanz gegeben werden.“
14cc) Zwingende Gründe für einen Einsatz des Richters am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T am Sächsischen Landesarbeitsgericht ab dem sind nicht dargelegt worden.
15(1) Aus der dienstlichen Auskunft des Sächsischen Landesarbeitsgerichts geht für die Verlängerung ab dem der zuvor bereits ein Jahr in Vollzeit zur Erprobung erfolgten Abordnung nicht hervor, dass auch sie zur Erprobung erfolgt ist. Bezogen auf den Verlängerungszeitraum reicht allein ein „auch“ (jedenfalls „ab Juli 2014 bestand sie auch aufgrund einer befürchteten vorübergehenden Überlastung“) nicht aus, um mit der gebotenen Eindeutigkeit von einer Eignungserprobung ausgehen zu können. Auch sind tatsächliche Umstände dafür nicht aufgezeigt worden. Eine „weitere Bewährung in der zweiten Instanz“, für die ebenfalls keine tatsächlichen Umstände angeführt worden sind, kann nicht als zwingender Grund iSd. Vorgaben angesehen werden.
16(2) Auch ein anderer zwingender Grund ist für die Verlängerung ab dem nicht erkennbar.
17(a) Eine Erprobungsabordnung eines anderen Richters, auch wenn diese in Teilzeitbeschäftigung erfolgt, ist an sich kein zwingender Grund, der eine Besetzung in Abordnung der anderen Hälfte der Vorsitzendenstelle tragen kann.
18(b) Allein die Befürchtung, es werde vermutlich zu einem vorübergehenden Ausfall planmäßiger Richter kommen, deren Arbeit von den im Geschäftsverteilungsplan bestimmten Vertretern dann neben den eigenen Aufgaben nicht bewältigt werden könnte, reicht nicht aus. Abgesehen davon, dass sich eine solche Situation nach der dienstlichen Auskunft (erst) ab April 2014 abzeichnete, während der Geschäftsverteilungsplan für 2014 mit der durchgängigen Besetzung der Kammer 7 durch Richter am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T bereits im Dezember 2013 beschlossen worden ist, ist allein die Befürchtung eines durch die regelmäßige Vertretung nicht auffangbaren Ausfalls planmäßiger Richter kein zwingender Grund, sondern erst eine solcherart eingetretene Situation.
19(c) Ein aufzuarbeitender - also bereits tatsächlich bestehender - zeitweiliger außergewöhnlicher Arbeitsanfall ist nicht dargelegt worden.
20dd) Auf den mit der Beschwerde gerügten Gesichtspunkt der Teilabordnung kommt es nach allem nicht mehr an.
21III. Wegen der im Jahre 2015 fortbestehenden Abordnung des Richters am Arbeitsgericht als ständiger Vertreter des Direktors T, für die ein zwingender Abordnungsgrund nicht erkennbar ist, macht der Senat von der Möglichkeit der Zurückverweisung an eine andere Kammer des Landesarbeitsgerichts Gebrauch.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2015:180615.B.8AZN881.14.0
Fundstelle(n):
CAAAI-21667