Tariflicher Mehrarbeitszuschlag - Geld- und Werttransport Niedersachsen
Gesetze: § 1 TVG
Instanzenzug: Az: 13 Ca 42/09 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Niedersachsen Az: 13 Sa 1297/09 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über einen Anspruch auf tarifliche Mehrarbeitszuschläge im Zeitraum von Juli 2008 bis Januar 2009.
Die Beklagte ist ein Unternehmen des Wach- und Sicherheitsgewerbes. Der Kläger ist seit 2003 bei ihr bzw. ihren Rechtsvorgängern im Geldtransportdienst beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden im streitgegenständlichen Zeitraum kraft arbeitsvertraglicher Regelung der Mantelrahmentarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe für die Bundesrepublik Deutschland vom , gültig ab (MRTV 2006), der Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe im Lande Niedersachsen vom , gültig ab (MTV Niedersachsen 2005), und der Lohntarifvertrag für die Geld- und Wertdienste im Lande Niedersachsen vom , gültig ab , Anwendung. Die beiden letztgenannten Tarifverträge waren darüber hinaus allgemeinverbindlich. Der tarifliche Stundenlohn des Klägers betrug 12,00 Euro.
§ 6 MRTV 2006 lautet auszugsweise:
Die 3. Protokollnotiz zum MRTV 2006 hat folgenden Wortlaut:
§ 6 des Mantelrahmentarifvertrags für das Wach- und Sicherheitsgewerbe für die Bundesrepublik Deutschland vom (MRTV 2005), der im Zeitraum vom bis in Kraft war, lautete auszugsweise:
§ 8 Ziffer 1 MTV Niedersachsen 2005 bestimmt:
Gleichzeitig mit der Unterzeichnung des MTV Niedersachen 2005 am vereinbarten die Tarifvertragsparteien folgende „1. Protokollnotiz“:
8Die Beklagte zahlte bis einschließlich Juni 2008 für Arbeit ab der 174. Monatsstunde einen Mehrarbeitszuschlag von 25 %. Dies war in den vom Arbeitgeberverband Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste e. V. bis Ende des Jahres 2007 herausgegebenen Entgeltübersichten entsprechend vermerkt. In den im Jahr 2008 herausgegebenen Entgeltübersichten war eine Zuschlagspflicht erst ab der 265. Stunde angegeben.
9Der Kläger leistete im Monat Juli 2008 218,6 Stunden, im August 2008 202,38 Stunden, im September 2008 196,39 Stunden, im Dezember 2008 198,32 Stunden und im Januar 2009 176,35 Stunden. Zuletzt mit Schreiben von Oktober 2008 verlangte er ergebnislos die Zahlung von Mehrarbeitszuschlägen für die über 173 Monatsstunden hinaus geleistete Arbeit.
10Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die 1. Protokollnotiz mit einer Festlegung der Zuschlagspflicht ab der 265. Stunde sei auf den Geld- und Werttransportdienst nicht anzuwenden. Die Regelung betreffe den Wachdienst mit erheblichen Zeiten der Arbeitsbereitschaft. Zu berücksichtigen sei auch, dass der Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe im Lande Niedersachsen vom (MTV Niedersachsen 1997) durch eine Protokollnotiz vom wieder in Kraft gesetzt worden sei. Daraus sei zu entnehmen, dass dieser Tarifvertrag zur Schließung etwaiger Tariflücken weiter anwendbar sein sollte. Er sehe einen Mehrarbeitszuschlag bei Überschreitung der täglichen Regelarbeitszeit von 8 Stunden vor.
Der Kläger hat beantragt,
12Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt. Sie hat die Auffassung vertreten, nach der 1. Protokollnotiz zum MTV Niedersachsen 2005 bestehe eine Zuschlagspflicht erst ab der 265. Stunde. Auf den MTV Niedersachsen 1997 könne sich der Kläger nicht berufen; dieser sei durch den MTV Niedersachsen 2005 abgelöst worden. Der frühere Tarifvertrag sei nur wieder in Kraft gesetzt worden, um einen möglichst lückenfreien Bestand tariflicher Regelungen zu gewährleisten und dadurch leichter eine Allgemeinverbindlicherklärung zu erreichen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Gründe
14Die zulässige Revision ist unbegründet. Der Kläger hat Anspruch auf einen Zuschlag von 25 % seines Stundengrundlohns für jede monatlich ab der 174. Stunde tatsächlich geleistete Arbeitsstunde nach § 6 Ziff. 1.5 MRTV 2006 iVm. § 8 Ziff. 1 MTV Niedersachsen 2005 und der 1. Protokollnotiz zum MTV Niedersachsen 2005. Dies ergibt eine Auslegung der tariflichen Vorschriften.
15I. Der Wortlaut der einschlägigen tariflichen Regelungen, von dem bei der Tarifauslegung vorrangig auszugehen ist (st. Rspr., vgl. zB - Rn. 14, ZTR 2011, 491; - 10 AZR 1035/08 - Rn. 15, AP TVG § 1 Auslegung Nr. 220), führt zu keinem eindeutigen Auslegungsergebnis. § 8 Ziff. 1 MTV Niedersachsen 2005 bestimmt lediglich die Höhe des Mehrarbeitszuschlags, legt aber nicht selbst fest, ab welcher Arbeitsstunde dieser zu zahlen ist. § 6 Ziff. 1.5 MRTV 2006 bestimmt die monatliche Regelarbeitszeit im Geld- und Werttransport mit 173 Stunden im Durchschnitt des Kalenderjahres. Diese Regelung lässt sowohl die Deutung zu, dass ein Anspruch bei Überschreitung der monatlichen Regelarbeitszeit, nämlich ab der 174. Monatsstunde besteht, als auch die Deutung, dass ein Zuschlag nur dann fällig wird, wenn bei einer kalenderjährlichen Betrachtung der monatliche Durchschnitt über 173 Stunden liegt. Die 1. Protokollnotiz zum MTV Niedersachsen 2005 legt wiederum fest, dass der Mehrarbeitszuschlag „grundsätzlich“ ab der 265. tatsächlich geleisteten Monatsarbeitsstunde fällig wird. Damit sind Ausnahmen vorgesehen. Solche Ausnahmen werden ausdrücklich für Sicherheitsmitarbeiter im Objektschutzdienst/Separatwachdienst und für Mitarbeiter in kerntechnischen Anlagen benannt. Für Mitarbeiter der Geld- und Wertdienste wird eine von § 6 Ziff. 1.5 des damals geltenden MRTV 2005 abweichende Einteilung der monatlichen Regelarbeitszeit erlaubt und auf noch zu treffende Regelungen über ein Jahresarbeitszeitkonto verwiesen.
16II. Die Systematik der tariflichen Regelung macht damit deutlich, dass Anknüpfungspunkt die regelmäßige Monatsarbeitszeit der im Geld- und Werttransport Beschäftigten ist. Andernfalls wäre die diese Beschäftigten betreffende Regelung der Protokollnotiz überflüssig. Ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschlag bei Überschreitung der monatlichen Regelarbeitszeit von 173 Stunden besteht, solange keine abweichende monatliche Regelarbeitszeit nach der 1. Protokollnotiz zum MTV Niedersachsen 2005 iVm. § 6 Ziff. 3 MRTV 2005 und der 3. Protokollnotiz zum MRTV 2006 bestimmt ist.
171. Entgegen der Auffassung des Klägers sind nur die Vorschriften des MRTV 2006 (und ggf. des MRTV 2005) sowie des MTV Niedersachsen 2005 heranzuziehen. Ein Rückgriff auf die Regelungen des MTV Niedersachsen 1997 ist nicht möglich, da dieser durch den MRTV 2005 iVm. dem MTV Niedersachsen 2005 als nachfolgende Tarifregelungen abgelöst worden ist. Im Verhältnis zweier zeitlich aufeinanderfolgender gleichrangiger Tarifnormen gilt das Ablösungsprinzip (st. Rspr., zB - Rn. 50, AP TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 38 = EzA TVG § 4 Tarifkonkurrenz Nr. 21; - 10 AZR 878/06 - Rn. 18, NZA 2008, 131; vgl. - 3 AZR 74/01 - zu I 1 a der Gründe, BAGE 99, 183). Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Protokollnotiz zum MTV Niedersachsen 1997 vom . Durch diese wurde der zum gekündigte MTV Niedersachsen 1997 wieder in Kraft gesetzt. Der gleichzeitig abgeschlossene MTV Niedersachsen 2005 galt hingegen noch nicht. Mit dessen Inkrafttreten am erfolgte dann die Ablösung der wieder in Kraft gesetzten früheren tariflichen Regelung. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien eines Tarifgebiets zwei Manteltarifverträgen (teilweise) nebeneinander Geltung verschaffen wollten.
182. Die Tarifnormen des Wach- und Sicherheitsgewerbes unterscheiden zwischen verschiedenen Gruppen von Mitarbeitern, für die in Abhängigkeit von der jeweiligen Tätigkeit unterschiedliche tarifliche Regelungen gelten. Die Bestimmung der Mitarbeitergruppen findet sich in § 3 MRTV 2006, aber auch in den entsprechenden Vorgängerregelungen. Der Kläger gehört zur Gruppe der Sicherheitsmitarbeiter in Geld- und Wertdiensten (§ 3 Ziff. 6 MRTV 2006).
19Wegen der unterschiedlichen Tätigkeiten gelten für diese Mitarbeitergruppen differenzierte Arbeitszeitregelungen (§ 6 MRTV 2006). Nach allgemeinen Regelungen zur täglichen Dauer der Arbeitszeit (Ziff. 1.1) sowie zu Ruhezeiten und Kurzeinsätzen bestimmt Ziff. 1.4, dass die monatliche Regelarbeitszeit auf bis zu 264 Stunden ausgedehnt werden kann. Ziff. 1.5 macht von dieser Grundregel Ausnahmen: Für kerntechnische Anlagen wird auf die Arbeitszeitregelungen der länderspezifischen Tarifverträge verwiesen, für Angestellte und Mitarbeiter im Geld- und Werttransport wird die monatliche Regelarbeitszeit - die im Durchschnitt des Kalenderjahres zu erreichen ist - mit 173 Stunden festgelegt. Weitere Sonderregeln sind in Ziff. 2.1 für den Werkfeuerwehrdienst und den Objektschutzdienst bei der Bewachung militärischer Anlagen getroffen. Darüber hinaus lässt § 6 Ziff. 3 MRTV 2006 länderspezifisch die Festlegung abweichender monatlicher Regelarbeitszeiten und eine Entkopplung der Mehrarbeitszuschläge von den tariflich genannten Regelarbeitszeiten zu. Ebenso können in Ländertarifverträgen Regelungen zur Einrichtung von Arbeitszeitkonten getroffen werden (§ 6 Ziff. 5 MRTV 2006).
203. Was als zuschlagspflichtige Mehrarbeit iSv. § 8 Ziff. 1 MTV Niedersachsen 2005 iVm. der 1. Protokollnotiz anzusehen ist, muss daher nach der Tarifsystematik für die jeweilige Arbeitnehmergruppe spezifisch bestimmt werden.
21a) Grundsätzlich knüpfen die Tarifverträge des Wach- und Sicherheitsgewerbes an die jeweils gruppenspezifisch definierte „regelmäßige Arbeitszeit“ an, nämlich die Arbeitszeiten, in denen der Arbeitnehmer bei normalem Lauf der Dinge nach den tariflichen Vorstellungen seine Hauptleistungspflicht erfüllt (vgl. dazu - Rn. 14, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bewachungsgewerbe Nr. 19).
22Die 1. Protokollnotiz zum MTV Niedersachsen 2005, die nach ihrem Regelungsinhalt selbst Tarifcharakter besitzt (vgl. zu den Voraussetzungen: - Rn. 18) und die Frage der Mehrarbeitszuschläge näher regelt, folgt dabei der Systematik der unterschiedlichen Arbeitnehmergruppen im MRTV 2005 und MRTV 2006. Nach der Wiederholung der Regelung des § 8 Ziff. 1 MTV Niedersachsen 2005 korrespondiert ihr zweiter Absatz mit der gemäß § 6 Ziff. 1.4 MRTV 2005/MRTV 2006 möglichen Ausdehnung der monatlichen Regelarbeitszeit auf bis zu 264 Stunden und lässt insoweit eine Zuschlagspflicht erst ab der 265. Stunde entstehen. Dies gilt („grundsätzlich“) für alle Mitarbeiter, die nicht in den nachfolgenden Regelungen ausgenommen werden. Dies sind die Sicherheitsmitarbeiter im Objektschutzdienst/Separatwachdienst (§ 3 Ziff. 2 MRTV 2005/MRTV 2006), bei denen ein Anspruch bis erst ab der 289. Monatsarbeitsstunde bestand, und die Mitarbeiter in kerntechnischen Anlagen. Für Letztere wird auf § 5 Ziff. 5 MTV Niedersachsen 2005 verwiesen, der als Anknüpfungspunkt den jeweiligen Schichtplan bestimmt. Die Regelung in der 1. Protokollnotiz zum MTV Niedersachsen 2005 stimmt insoweit mit § 6 Ziff. 1.5 Abs. 3 MRTV 2005 bzw. § 6 Ziff. 1.5 Abs. 1 MRTV 2006 überein, die für diese Beschäftigtengruppe ebenfalls auf die länderspezifischen Regelungen verweisen.
23Auch für Mitarbeiter der Geld- und Wertdienste normiert Abs. 5 der 1. Protokollnotiz zum MTV Niedersachsen 2005 eine Ausnahme zu der Regelung in Abs. 2. Abs. 5 der 1. Protokollnotiz zum MTV Niedersachsen 2005 lässt eine abweichende Einteilung der monatlichen Regelarbeitszeit gegenüber § 6 Ziff. 1.5 MRTV 2005/MRTV 2006 zu. Damit wird die grundsätzliche Anknüpfung an diese Regelarbeitszeit zum Ausdruck gebracht; andernfalls bedürfte es nicht der Öffnung für eine Abweichung. Eine solche abweichende Einteilung könnte beispielsweise darin liegen, in bestimmten Monaten des Jahres eine höhere und in anderen Monaten eine niedrigere Regelarbeitszeit festzulegen oder einen anderen Anknüpfungszeitpunkt als das Kalenderjahr zu wählen. Die nähere Ausgestaltung legt die Protokollnotiz, abgesehen von dem Hinweis auf zu treffende Regelungen über ein Jahresarbeitszeitkonto, nicht fest. Zwar flexibilisiert § 6 Ziff. 1.5 MRTV 2005/MRTV 2006 die Arbeitszeit bereits insofern, als die monatliche Regelarbeitszeit nur im Durchschnitt des Kalenderjahres erreicht werden muss. Dies erlaubt dem Arbeitgeber, in einzelnen Monaten auch eine geringere Anzahl von Arbeitsstunden abzurufen, ohne dass der Arbeitnehmer einen Anspruch auf die Leistung von 173 Stunden hätte, sofern nur im Durchschnitt eines Kalenderjahres diese Stundenzahl erreicht wird. Diese Flexibilisierungsregelung sagt aber noch nichts über die Frage aus, wann Mehrarbeitszuschläge zu leisten sind, und schließt nicht aus, dass beim Abruf einer höheren Stundenzahl - und damit einer erhöhten tatsächlichen Belastung für den Arbeitnehmer (vgl. dazu - Rn. 15, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bewachungsgewerbe Nr. 19) - ein Anspruch auf einen Zuschlag entsteht. Erst Abs. 5 der 1. Protokollnotiz zum MTV Niedersachsen 2005 lässt eine Veränderung der den Mehrarbeitszuschlag auslösenden monatlichen Regelarbeitszeit zu und damit eine Abweichung von den Regelungen des MRTV 2005. Nur bei dieser Auslegung kommt der Protokollnotiz Bedeutung zu. Die niedersächsischen Tarifvertragsparteien haben damit im Grundsatz von der Öffnungsklausel des § 6 Ziff. 3 MRTV 2005 Gebrauch gemacht, ohne dass es allerdings im konkreten Fall zu einer solchen abweichenden Einteilung oder zu Regelungen über ein Jahresarbeitszeitkonto gekommen ist. Die nach § 6 Ziff. 3 MRTV 2005 zulässige Entkopplung der Mehrarbeitszuschläge von den Regelarbeitszeiten ist nicht erfolgt. Soweit von der Öffnungsklausel aber kein Gebrauch gemacht wurde, bleibt es für die Mitarbeiter der Geld- und Wertdienste beim Anknüpfungspunkt der monatlichen Regelarbeitszeit von 173 Stunden für die Bestimmung des Beginns der Mehrarbeit. Aus dem Hinweis auf zu treffende Regelungen über ein Jahresarbeitszeitkonto wird im Übrigen auch deutlich, dass die Zahlung des Mehrarbeitszuschlags nach der bestehenden Regelung nicht jahresbezogen bestimmt werden sollte. Eine solche Auslegung zieht auch keine der Parteien in Betracht.
24b) Einer solchen Auslegung steht die Rechtsprechung des Vierten Senats ( - 4 AZR 126/03 -) zur Auslegung der Zuschlagsregelung des MTV Niedersachsen 1997 für die Mitarbeiter in kerntechnischen Anlagen nicht entgegen. Der Fall betraf eine andere Beschäftigtengruppe und unterschied sich im Übrigen dadurch, dass § 6 Ziff. 3 Buchst. d MTV Niedersachsen 1997 lediglich von einer „monatlichen Arbeitszeit“ sprach. Gerade aus dem Fehlen des Wortes „regelmäßig“ schloss der Vierte Senat, dass ein Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Mehrarbeit fehlte. Hinzu kam, dass die Tarifnormen für Mitarbeiter in kerntechnischen Anlagen - wie auch heute - einen Anspruch an die Überschreitung des Schichtplans geknüpft hatten.
25c) Das gefundene Auslegungsergebnis wird durch die Tarifgeschichte gestützt. Bereits der MTV Niedersachsen 1997 sah unterschiedliche Anknüpfungspunkte für verschiedene Arbeitnehmergruppen vor, allerdings weitgehend bezogen auf die tägliche Arbeitszeit (vgl. zB § 6 Ziff. 2 und Ziff. 4 MTV Niedersachsen 1997). Die tarifliche Neuregelung lässt insofern einen deutlich flexibleren Einsatz der Mitarbeiter zu und löst Zuschläge grundsätzlich erst dann aus, wenn auf den Monat bezogen eine Überschreitung der regelmäßigen Arbeitszeit vorliegt. Dass die Tarifvertragsparteien über diese Flexibilisierung hinaus für Mitarbeiter im Geld- und Werttransportdienst jeglichen Mehrarbeitszuschlag beseitigen wollten, liegt nicht nahe. Eine solche faktische Beseitigung läge aber vor, folgte man der Interpretation der Beklagten. Eine Arbeitszeit von 265 Stunden pro Monat kann ein Mitarbeiter im Geld- und Werttransportdienst ohne Verstoß gegen die Regelungen des Arbeitszeitgesetzes nicht erreichen, da Arbeitsbereitschaft bei dieser Tätigkeit - anders als bei anderen Beschäftigtengruppen - nicht anfällt.
26d) Die Auslegung entspricht auch Sinn und Zweck der Gewährung eines Mehrarbeitszuschlags. Mehrarbeitszuschläge sollen in der Regel besondere Belastungen ausgleichen. Eine tarifvertragliche Bestimmung, die den Anspruch auf Mehrarbeitszuschlag allein davon abhängig macht, dass über ein bestimmtes Monatssoll hinaus gearbeitet wird, bezweckt regelmäßig, eine grundsätzlich zu vermeidende besondere Arbeitsbelastung durch ein zusätzliches Entgelt auszugleichen (vgl. - Rn. 15, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bewachungsgewerbe Nr. 19). Dieser Sinn wäre nicht erreicht, wenn für die Mitarbeiter im Geld- und Werttransportdienst ein Ausgleich von Mehrarbeit faktisch nicht gegeben wäre, obwohl sie über die tariflich bestimmte monatliche regelmäßige Arbeitszeit hinaus Arbeitsleistungen erbringen.
27Die Auffassung der Revision, § 8 Ziff. 2 MTV Niedersachsen 2005 gewähre bereits einen Zuschlag von 35 % für nicht gewährte Freischichten und kombiniert mit dem Mehrarbeitszuschlag würde sich ein ungewöhnlich hoher Zuschlag von 60 % ergeben, überzeugt nicht. Die beiden Zuschläge betreffen unterschiedliche Fallkonstellationen und unterschiedliche Erschwernisse. Da die Freischichten gemäß § 8 MRTV 2005 bzw. § 7 MRTV 2006 pro Woche zu gewähren sind, führt der Ausfall einer Freischicht wegen der monatlichen Betrachtung der Regelarbeitszeit keineswegs zwingend zum Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge. Im Übrigen ist in § 8 Ziff. 8 MTV Niedersachsen 2005 ausdrücklich festgelegt, in welchen Fällen keine Zusammenrechnung von Zuschlägen vorzunehmen ist; die Zuschläge nach Ziff. 1 und Ziff. 2 gehören nicht dazu. Letztlich ist darauf hinzuweisen, dass der MTV Niedersachsen 1997 für den Fall der nicht gewährten Freischichten einen Zuschlag von 50 % vorsah. Beim Zusammentreffen mit Mehrarbeit ergab sich damals sogar ein Zuschlag in Höhe von 75 %.
28e) Da Wortlaut, systematischer Zusammenhang und sonstige Auslegungsgesichtspunkte zu einem zweifelsfreien Ergebnis führen, bedurfte es keiner Einholung einer Tarifauskunft (vgl. - Rn. 32, ZTR 2010, 417; - 10 AZR 138/02 - zu II 2 b cc der Gründe, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 245 = EzA BGB 2002 § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 3). Eine Tarifauskunft darf zudem nicht auf die Beantwortung der prozessentscheidenden Rechtsfrage gerichtet sein ( - Rn. 23; - 4 AZR 247/98 - zu I 2.3.1 der Gründe, BAGE 92, 229).
29III. Die Rüge, das Landesarbeitsgericht habe seine Hinweispflicht nach § 139 ZPO verletzt, ist unzulässig. Die Beklagte trägt nicht vor, was sie im Fall der Erteilung eines Hinweises noch vorgetragen hätte. Fehlt solcher Vortrag, so lässt sich nicht absehen, ob die Erfüllung der (vermeintlichen) Hinweispflicht zu einem anderen Ergebnis hätte führen können (vgl. - Rn. 22 mwN, BAGE 117, 14).
30IV. Die Anzahl der im Streitzeitraum tatsächlich geleisteten Stunden und die Höhe des dem Kläger daraus zustehenden Mehrarbeitszuschlags ist zwischen den Parteien unstreitig. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB.
V. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Revision gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.
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TAAAI-19276