Schuldspruch im Strafverfahren wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung: Abgrenzung der verminderten Schuldfähigkeit von der Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störung/erhebliche Alkoholisierung
Gesetze: § 20 StGB, § 21 StGB, § 250 Abs 2 Nr 1 StGB, § 260 Abs 4 S 1 StPO
Instanzenzug: LG Rostock Az: 12 KLs 239/11 - 3 - 424 Js 24121/11
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung in drei Fällen, versuchter schwerer räuberischer Erpressung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, und wegen gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen zur Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
21. Da der Angeklagte - wie das Landgericht zutreffend erkannt hat - im Fall II. 3. a der Urteilsgründe eine versuchte und im Fall II. 3. c der Urteilsgründe eine vollendete Tat nach § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB begangen hat, hat der Senat den Schuldspruch dahin klargestellt, dass der Angeklagte insoweit der versuchten bzw. vollendeten besonders schweren räuberischen Erpressung schuldig ist; denn die von § 260 Abs. 4 Satz 1 StPO geforderte rechtliche Bezeichnung der Straftat erfordert eine Kennzeichnung der begangenen Qualifikation (BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 297/09, NStZ 2010, 101; vom - 3 StR 186/12).
32. Der Schuldspruch im Fall II. 1 der Urteilsgründe hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
4Nach den Feststellungen warf der stark alkoholisierte Angeklagte eine geöffnete volle Bierflasche nach einem Paketzusteller der DHL. Zwar gelang es dem Geschädigten, mit einer Abwehrbewegung zu verhindern, dass die Flasche ihn am Kopf traf. Jedoch zerbrach sie an seinem linken Unterarm und verursachte dort mehrere Schnittwunden, die genäht werden mussten. Wegen einer maximalen Blutalkoholkonzentration von 2,71 ‰ hat das Landgericht, gestützt auf das Gutachten eines rechtsmedizinischen Sachverständigen, dem es sich angeschlossen hat, insoweit ohne nähere Ausführungen eine erhebliche Verminderung der Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht ausgeschlossen.
5a) Eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung, wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat, während die Schuld des Angeklagten nicht gemindert wird, wenn er ungeachtet seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns zum Tatzeitpunkt tatsächlich eingesehen hat. Die Voraussetzungen des § 21 StGB sind in den Fällen der verminderten Einsichtsfähigkeit nur dann zu bejahen, wenn die Einsicht gefehlt hat und dies dem Täter vorzuwerfen ist. Fehlt dem Täter aus einem in § 20 StGB genannten Grund die Einsicht, ohne dass ihm dies zum Vorwurf gemacht werden kann, ist auch bei verminderter Einsichtsfähigkeit nicht § 21 StGB, sondern § 20 StGB anwendbar, so dass in diesen Fällen ein Schuldspruch ausscheidet (st. Rspr.; vgl. etwa , NStZ-RR 2008, 106; Urteil vom - 4 StR 222/89, BGHR StGB § 21 Einsichtsfähigkeit 5 jeweils mwN).
6b) Danach kann der Schuldspruch - da das Urteil insoweit jegliche Erörterung vermissen lässt und das Landgericht jedenfalls auch auf die Einsichts-fähigkeit des Angeklagten abgestellt hat - keinen Bestand haben; denn es bleibt die Möglichkeit offen, dass der Angeklagte die Tat in schuldunfähigem Zustand begangen hat. Es bedarf hier somit keiner näheren Betrachtung, ob die gleichzeitige Annahme von fehlender Einsichts- und Steuerungsfähigkeit im Rahmen der Prüfung der §§ 20, 21 StGB stets rechtsfehlerhaft ist (vgl. , NStZ 1995, 226 mwN).
73. Die Ablehnung der Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt begegnet ebenfalls durchgreifenden Bedenken.
8Die Jugendkammer hat ihre Entscheidung pauschal damit begründet, dass eine chronische körperliche Abhängigkeit von Alkohol oder eine eingewurzelte intensive Neigung, Alkohol im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht bestehe; zudem sei es nicht zu Entzugserscheinungen in der Untersuchungshaft gekommen.
9Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen einen unzutreffenden Maßstab angelegt hat. Das Fehlen von Entzugserscheinungen ist für das Vorliegen eines Hangs im Sinne des § 64 StGB nur begrenzt aussagefähig. Die beim Absetzen von Rauschmitteln auftretenden Entzugserscheinungen kennzeichnen eine physische Abhängigkeit. Diesen Grad der Neigung zum Rauschmittelkonsum muss der Täter für die Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt aber nicht erreicht haben (, StV 2008, 405 f.).
104. Der Wegfall des Schuldspruchs im Fall II. 1 der Urteilsgründe entzieht der verhängten Jugendstrafe die Grundlage. Der Senat weist insoweit im Übrigen darauf hin, dass sich deren Höhe nach § 18 Abs. 2 JGG vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten bemisst. Die Urteilsgründe müssen deshalb erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt und bei der Bemessung der Jugendstrafe das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abgewogen worden ist (st. Rspr.; vgl. , NStZ-RR 2012, 186, 187 mwN).
115. Das neue Tatgericht wird daneben auch über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt neu zu verhandeln und zu entscheiden haben. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (, BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch den Tatrichter auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (, BGHSt 38, 362). Im Falle der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt wird § 5 Abs. 3 JGG zu beachten sein.
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Fundstelle(n):
YAAAI-10275