Arbeitslohn bei Übernahme der Beiträge zu einer Berufshaftpflichtversicherung angestellter Rechtsanwälte durch den Arbeitgeber
Leitsatz
NV: Übernimmt ein Rechtsanwalt die Versicherungsbeiträge seiner angestellten Rechtsanwälte, die im Außenverhältnis nicht für eine anwaltliche Pflichtverletzung haften, liegt Arbeitslohn regelmäßig nur in Höhe des übernommenen Prämienanteils vor, der auf die in § 51 Abs. 4 BRAO vorgeschriebene Mindestversicherungssumme entfällt und den die Rechtsanwälte zur Erfüllung ihrer Versicherungspflicht nach § 51 Abs. 1 Satz 1 BRAO benötigen.
Gesetze: EStG § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1; BRAO § 51 Abs. 4;
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1 Streitig ist, ob Beiträge des Arbeitgebers für eine „Höherversicherung“ angestellter (und als solche im Briefkopf aufgeführter) Rechtsanwälte in der Berufshaftpflichtversicherung auch insoweit zu Arbeitslohn führen, als sie den auf die in § 51 Abs. 4 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) vorgeschriebene Mindestversicherungssumme entfallenden Beitragsanteil überschreiten.
2 Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei.
3 Er hat für die Kanzlei eine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung mit einer Versicherungssumme für Vermögensschäden je Versicherungsfall von 1 Mio. € und einer Jahreshöchstleistung von 2 Mio. € abgeschlossen. Versicherte Personen waren im Streitzeitraum u.a. die angestellten (und als solche im Briefkopf aufgeführten) Rechtsanwälte des Klägers.
4 Die Versicherungsbeiträge der angestellten Rechtsanwälte trug im Streitzeitraum in voller Höhe der Kläger, ohne sie der Lohnsteuer zu unterwerfen.
5 Nach einer Lohnsteuer-Außenprüfung für den Zeitraum von Januar 2011 bis Dezember 2014 (Streitzeitraum) beurteilte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt —FA—) die Übernahme der Beiträge zu der Berufshaftpflichtversicherung der angestellten Rechtsanwälte durch den Kläger in voller Höhe als Arbeitslohn. Gemäß § 51 BRAO bestehe eine Pflicht zum Abschluss der Versicherung. Auch eine Versicherung über die Mindestdeckungssumme hinaus habe nicht zur Folge, dass das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers am Abschluss der Berufshaftpflichtversicherung als unerheblich zu qualifizieren sei. Die individuelle Versicherungspflicht nach § 51 BRAO werde auch durch eine vom Arbeitgeber abgeschlossene Gruppenversicherung erfüllt, bei der die angestellten Rechtsanwälte als versicherte Personen namentlich genannt seien. Eine Aufteilung der Versicherungssumme nach Mindestdeckungssumme und überschießender Summe sei nicht vorzunehmen. Die Nachversteuerung erfolge aufgrund der Vereinbarung mit dem Arbeitgeber im Rahmen der Lohnsteuer-Außenprüfung. Entsprechend dieser Rechtsauffassung erließ das FA den angefochtenen Haftungsbescheid über Lohnsteuer und sonstige Lohnabzugsbeträge für den Streitzeitraum.
6 Die nach erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage wies das Finanzgericht (FG) mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 979 veröffentlichten Gründen ab.
7 Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.
8 Er beantragt sinngemäß,
das sowie die Einspruchsentscheidung des FA vom aufzuheben und den Lohnsteuer-Haftungsbescheid vom insoweit abzuändern, als dieser auf dem Ansatz von Arbeitslohn beruht, der 540 € pro Anwalt und Jahr übersteigt.
9 Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Gründe
II.
10 Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Stattgabe der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
11 1. Zur Begründung verweist der Senat zunächst auf seine amtlich veröffentlichten Urteile vom in Sachen VI R 11/18 (BFHE 270, 475, BStBl II 2021, 352) und VI R 12/18 (BFHE 270, 484, BStBl II 2021, 356).
12 Danach ist die Einbeziehung des angestellten und zivilrechtlich nicht haftenden „Briefkopfanwalts“ in den über die Mindestversicherungssumme hinausgehenden Versicherungsschutz einer Sozietät allein dem Umstand geschuldet, dass für die Sozien durch Anwendung der Durchschnittsleistung (hier in § 12 Abs. 2 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen) im Versicherungsfall keine Unterdeckung entsteht. Insoweit besteht in Bezug auf die Einbeziehung eines zivilrechtlich nicht haftenden „Briefkopfanwalts“ in den Versicherungsschutz ein ganz überwiegend eigenbetriebliches Interesse der Sozietät an der versicherungsrechtlich benötigten Höherversicherung und der hierdurch abgedeckten Versicherungssumme. Deshalb liegt Arbeitslohn auch im Falle der „Höherversicherung“ regelmäßig nur in Höhe des übernommenen Prämienanteils vor, der auf die in § 51 Abs. 4 BRAO vorgeschriebene Mindestversicherungssumme entfällt, wenn die/der angestellte Rechtsanwältin/Rechtsanwalt im Außenverhältnis nicht für eine anwaltliche Pflichtverletzung haftet. Gleiches gilt für die/ den angestellte/angestellten Rechtsanwältin/Rechtsanwalt einer Einzelkanzlei.
13 2. Da das FG bindend festgestellt hat (§ 118 Abs. 2 FGO), dass die angestellten Rechtsanwälte im Streitfall als solche auf dem Briefkopf ausgewiesen waren, kommt deren zivilrechtliche Haftung aus Anwaltsvertrag (Scheinsozienhaftung) vorliegend nicht in Betracht. Ihre Einbeziehung in den von dem Kläger versicherungsrechtlich benötigten, über die Mindestversicherungssumme hinausgehenden Versicherungsschutz erfolgte in dessen ganz überwiegend eigenbetrieblichem Interesse. Insoweit scheidet die Annahme von Arbeitslohn aus. Der Umstand, dass der Kläger in seiner Kanzlei nur „höherversicherte“ Rechtsanwälte beschäftigt, steht dem nicht entgegen. Er kann insbesondere —entgegen der Auffassung des FA— kein eigenes Interesse der angestellten Rechtsanwälte an einem über die Mindestversicherungssumme hinausgehenden Versicherungsschutz begründen. Denn zivilrechtlich haftet der angestellte Rechtsanwalt, der als solcher auf dem Briefkopf aufgeführt ist, im Außenverhältnis für anwaltliche Fehler nicht. Hierfür hat vielmehr der mandatierte Arbeitgeber —hier der Kläger— einzustehen. Die Einbeziehung des angestellten und zivilrechtlich nicht haftenden „Briefkopfanwalts“ in den über die Mindestversicherungssumme hinausgehenden Versicherungsschutz ist allein dem Umstand geschuldet, dass bei einem etwaigen Versicherungsfall durch Anwendung der versicherungsrechtlichen Durchschnittsleistung keine unter Umständen betriebsgefährdende Unterdeckung entsteht.
14 3. Entsprechendes gilt, soweit ein angestellter Rechtsanwalt im Falle einer (selbständigen) Anwaltstätigkeit außerhalb der Sozietät —hier der Kanzlei des Klägers— von der Höherversicherung profitieren könnte. Denn insoweit handelt es sich bei dem Vorteil um einen bloßen (nicht lohnsteuerbaren) Reflex der originär eigenbetrieblichen Tätigkeit des Arbeitgebers (vgl. Senatsurteile in BFHE 270, 475, BStBl II 2021, 352, Rz 40, und in BFHE 270, 484, BStBl II 2021, 356, Rz 26).
15 4. Die Vorentscheidung, die von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, kann daher keinen Bestand haben. Der Klage war nach den vorgenannten Grundsätzen vielmehr in dem beantragten Umfang —der Prämienanteil, der auf die in § 51 Abs. 4 BRAO vorgeschriebene Mindestversicherungssumme entfällt, steht der Höhe nach zwischen den Beteiligten nicht im Streit— stattzugeben.
16 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2021:U.151221.VIR32.19.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2022 S. 412 Nr. 5
DStR-Aktuell 2022 S. 6 Nr. 10
KÖSDI 2022 S. 22682 Nr. 4
NJW 2022 S. 10 Nr. 13
NJW 2022 S. 1478 Nr. 20
StuB-Bilanzreport Nr. 7/2022 S. 277
FAAAI-05735