Auslegung eines Sozialplans - Sozialplanabfindung - Wechselprämie
Gesetze: § 111 S 3 Nr 1 BetrVG, § 613a Abs 1 S 1 BGB
Instanzenzug: Az: 8 Ca 108/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamburg Az: 7 Sa 146/19 Urteil
Tatbestand
1Die Parteien streiten über eine Sozialplanabfindung und einen Schadensersatzanspruch.
2Die Klägerin war seit 1990 bei der Beklagten und deren Rechtsvorgängerin in deren Betrieb in H beschäftigt.
3Am vereinbarte die Rechtsvorgängerin der Beklagten, die im August 2017 auf diese verschmolzen wurde, mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat einen Sozialplan (SP). Dort heißt es auszugsweise:
4Ferner schlossen die Rechtsvorgängerin der Beklagten und der Betriebsrat am „auf Grundlage des Interessenausgleichs und Sozialplans vom sowie der darin enthaltenen Regelungen nach § 4 des Sozialplans“ eine Betriebsvereinbarung „über die Einrichtung und Durchführung eines Transferprojektes gemäß §§ 110, 111 SGB III“ (BV Transferprojekt) sowie eine „Freiwillige Betriebsvereinbarung“, welche für alle Mitarbeiter, die „auf Grundlage“ der BV Transferprojekt und des Sozialplans vom in die Transfergesellschaft übertreten, eine Wechselprämie iHv. bis zu 8.000,00 Euro vorsieht.
5Mit Ergänzungsvereinbarung vom verlängerten die Betriebsparteien die Laufzeit des Sozialplans bis zum .
6Mit Schreiben vom unterrichtete die Beklagte die Klägerin darüber, dass der Betrieb in H veräußert und infolgedessen ihr Arbeitsverhältnis im Wege eines Betriebsübergangs auf die Erwerberin übergehen werde, falls sie dem nicht widerspreche. In dem Schreiben heißt es weiter, dass die Beklagte und die Betriebserwerberin sich angesichts der anhaltenden Verlustsituation über die Erforderlichkeit eines kurzfristigen Personalabbaus einig seien. Vor diesem Hintergrund werde der Betriebserwerberin ein Betrag von bis zu 2,6 Mio. Euro für Kosten im Zusammenhang mit dem Abbau von bis zu 20 Arbeitsplätzen zur Verfügung gestellt, der für jeden dem Betriebsübergang widersprechenden Arbeitnehmer gekürzt werde.
7Die Klägerin widersprach neben 22 weiteren von insgesamt ca. 160 Arbeitnehmern der Beklagten dem Betriebsübergang.
8Am ging der H Betrieb der Beklagten auf die Betriebserwerberin über. Mit Schreiben vom kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Klägerin betriebsbedingt zum .
9Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, ihr stehe ein Anspruch auf eine Abfindung nach § 2 SP zu. Sie unterfalle dem Geltungsbereich des Sozialplans. Die Kündigung der Beklagten habe zum Verlust ihres Arbeitsplatzes geführt. Ihr Widerspruch gegen den Betriebsübergang sei unschädlich, da der Sozialplan keinen entsprechenden Ausschlusstatbestand enthalte. Überdies stehe ihr ein Schadensersatzanspruch iHv. 8.000,00 Euro zu, weil sie aufgrund pflichtwidrigen Verhaltens der Beklagten keine Wechselprämie erhalten habe. Die Beklagte sei ihrer Verpflichtung zur Einrichtung einer Transfergesellschaft nicht nachgekommen. Zudem habe sie es unterlassen, ihr den Übertritt in eine solche anzubieten.
10Die Klägerin hat - soweit für die Revision noch von Belang - beantragt,
11Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat gemeint, das Arbeitsverhältnis der Klägerin unterfalle nach dem identitätswahrenden Betriebsübergang auf die Erwerberin nicht mehr dem Geltungsbereich des Sozialplans und der weiteren Betriebsvereinbarungen.
12Das Arbeitsgericht hat der Klage hinsichtlich des Antrags zu 1. stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen beider Parteien - soweit für die Revision noch von Belang - zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren hinsichtlich des Antrags zu 2. weiter, die Beklagte erstrebt weiterhin die vollständige Klageabweisung.
Gründe
13Die Revision der Beklagten ist begründet, während die der Klägerin erfolglos bleibt. Die Klage ist insgesamt unbegründet.
14I. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung einer Abfindung aus dem Sozialplan vom . Seine Auslegung (zu den Maßstäben sh. nur - Rn. 10 mwN) ergibt, dass die Klägerin nicht dem Geltungsbereich nach § 1 Nr. 1 SP unterfällt, da sie ihren Arbeitsplatz nicht aufgrund eines - vom Sozialplan erfassten - „Personalabbaus“ verloren hat. Die Frage, ob der Sozialplan nach dem - identitätswahrenden - Betriebsübergang auf die Erwerberin noch normativ (§ 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG) für die Beklagte und die Klägerin galt, bedarf deshalb keiner Entscheidung.
151. Der Wortlaut von § 1 Nr. 1 Satz 1 SP ist allerdings nicht eindeutig. Danach gilt der Sozialplan „für alle Mitarbeiter der Gesellschaft iSd. § 5 Abs. 1 BetrVG, die aus Anlass der unternehmerischen Planung und des daraus folgenden Personalabbaus ihren Arbeitsplatz verlieren werden“. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch bedeutet „aus Anlass“ „anlässlich“ (Duden Deutsches Universalwörterbuch 9. Aufl. Stichwort „anlässlich“) oder „wegen“ (Duden Das Synonymwörterbuch 7. Aufl. Stichwort „anlässlich“). Damit erfasst der Geltungsbereich seinem Wortlaut nach nur Fälle, in denen der Arbeitsplatzverlust des Mitarbeiters - im Sinne einer doppelten Kausalität - auf einer unternehmerischen Planung und einem sich hieraus ergebenden „Personalabbau" beruht. Dies könnte dafür sprechen, dass ein Betriebsübergang, der sich auf einen bloßen Inhaberwechsel beschränkt, nicht vom Geltungsbereich des Sozialplans erfasst werden soll. Ein solcher Betriebsübergang führt - bezogen auf den betroffenen Betrieb - weder zu einem Personalabbau noch einem Arbeitsplatzverlust. Die Arbeitsverhältnisse der hiervon betroffenen Arbeitnehmer gehen lediglich auf den Erwerber über (§ 613a Abs. 1 Satz 1 BGB). Aufgrund der einleitenden Formulierung in § 1 Nr. 1 SP („Mitarbeiter der Gesellschaft“) ist jedoch auch denkbar, dass das Bezugsobjekt eines solchen Personalabbaus nicht der H Betrieb der Beklagten, sondern ihr Unternehmen sein sollte. Dies hätte zur Folge, dass auch ein Betriebsübergang als ein - für die diesem widersprechenden Arbeitnehmer zu einem Verlust ihres Arbeitsplatzes führender - „Personalabbau“ anzusehen wäre, da die Beklagte nicht mehr Arbeitgeberin der vom Betriebsübergang erfassten Arbeitnehmer ist und die im Betrieb bestehenden Arbeitsplätze nicht mehr bei ihr vorhanden sind.
162. Die Systematik des Sozialplans zeigt, dass die Betriebsparteien den Begriff des „Personalabbaus“ iSd. § 1 Nr. 1 SP betriebsbezogen verstanden haben. Von der Beklagten nach dem vollständigen Übergang ihres H Betriebs auf einen Erwerber erklärte Kündigungen sollten nicht von seinem Geltungsbereich erfasst werden, da der Arbeitsplatz dieser Arbeitnehmer nicht aufgrund einer - betriebsbezogenen - Personalabbaumaßnahme entfallen ist.
17a) Ausweislich der Präambel waren sich die Betriebsparteien darüber einig, „dass den während der Laufzeit dieser Betriebsvereinbarung vorgenommenen Maßnahmen zum Personalabbau eine einheitliche unternehmerische Planung der Gesellschaft zugrunde liegt“ und es sich damit „insgesamt um eine Betriebsänderung im Sinne des § 111 S. 3 Nr. 1 BetrVG“ handelt. Danach sollen mit dem Sozialplan diejenigen Nachteile ausgeglichen werden, die Arbeitnehmern infolge einer Einschränkung oder Stilllegung des ganzen Betriebs oder von wesentlichen Betriebsteilen (§ 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG) entstehen. Dies lässt erkennen, dass Personalabbaumaßnahmen nur solche sind, mit denen bezogen auf den H Betrieb die dort vorhandene Anzahl von Arbeitnehmern reduziert werden soll. Eine - nach dem Willen der Betriebsparteien ausgleichspflichtige - Maßnahme liegt damit weder in der vollständigen Veräußerung dieses Betriebs noch in dem Ausspruch von Kündigungen, die nach einem derartigen Betriebsübergang erfolgen, weil Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber widersprochen haben und bei der Beklagten keine Beschäftigungsmöglichkeit mehr vorhanden ist.
18b) Etwas anderes folgt nicht daraus, dass der Sozialplan gemäß seinem § 1 Nr. 1 Satz 1 Halbs. 2 unabhängig davon gilt, „ob dem Ausspruch der Kündigung eine ggf. weitere Betriebsänderung im Sinne des § 111 BetrVG zugrunde liegt oder nicht und welches Ausmaß die Maßnahme hat“. Wie die Präambel erkennen lässt, bestand zwischen den Betriebsparteien vor Abschluss des Sozialplans zunächst Streit darüber, wie mit denjenigen Mitarbeitern verfahren werden sollte, die wegen des weiterhin schwierigen wirtschaftlichen Umfelds künftig noch vom Wegfall ihres Arbeitsplatzes am Standort H betroffen wären. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten erklärte sich in der Folgezeit mit der vom Betriebsrat insoweit erhobenen Forderung nach einer „gleichen“ Behandlung dieser Arbeitnehmer einverstanden. Das infolgedessen in Abs. 3 der Präambel dokumentierte Einvernehmen der Betriebsparteien sollte erkennbar dem Umstand Rechnung tragen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine sozialplanpflichtige Betriebseinschränkung iSd. § 111 Satz 3 Nr. 1 BetrVG, die in einem bloßen Personalabbau besteht, auf einer einheitlichen unternehmerischen Planung beruhen und eine relevante Zahl von Arbeitnehmern erfassen muss (vgl. zB - Rn. 18, BAGE 117, 296). Ausschließlich hieran knüpft die Regelung in § 1 Nr. 1 Satz 1 Halbs. 2 SP an. Sie soll - ebenso wie § 7 Nr. 1 Satz 3 SP - lediglich verdeutlichen, dass den gekündigten Arbeitnehmern ungeachtet des Umfangs des Personalabbaus eine Abfindung zusteht. Ein weitergehender Wille der Betriebsparteien, diesen einen Sozialplananspruch ohne Rücksicht darauf zu gewähren, ob ihr Arbeitsplatzverlust auf einem den Betrieb betreffenden Personalabbau beruht, kann den Formulierungen nicht entnommen werden.
19c) Auch der Umstand, dass § 5 SP einen Abfindungsanspruch nicht ausschließt, wenn Arbeitnehmer dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses nach § 613a BGB widersprechen, gebietet kein abweichendes Verständnis. Einer solchen - im Grundsatz zulässigen (vgl. zB - Rn. 28, BAGE 141, 101; - 1 AZR 575/02 - zu III 1 b aa der Gründe, BAGE 107, 100) - Bestimmung hätte es allenfalls dann bedurft, wenn der Geltungsbereich des Sozialplans auch Arbeitnehmer erfassen würde, die einem - ausschließlich in einem Inhaberwechsel bestehenden - Betriebsübergang widersprechen und wegen des hieraus resultierenden Wegfalls einer Beschäftigungsmöglichkeit gekündigt werden. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Daher lässt sich aus dem Fehlen einer derartigen Bestimmung nichts Gegenteiliges herleiten.
203. Sinn und Zweck des Sozialplans bestätigen dieses Auslegungsergebnis.
21a) Sozialplänen kommt typischerweise eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion zu (vgl. - Rn. 15, BAGE 165, 336; - 1 AZR 595/14 - Rn. 17, BAGE 153, 333). Es sollen diejenigen wirtschaftlichen Nachteile ausgeglichen werden, die den Arbeitnehmern im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung entstehen. Wie § 112 Abs. 5 Satz 2 Nr. 2 BetrVG verdeutlicht, bedarf es keines Ausgleichs für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn dem Arbeitnehmer ein zumutbarer anderer Arbeitsplatz - der auch in der Möglichkeit der Weiterarbeit bei einem Betriebserwerber liegen kann (vgl. - zu II 2 der Gründe) - angeboten wird. Anhaltspunkte für die Annahme, die Betriebsparteien hätten abweichend hiervon die Nachteile auch solcher Arbeitnehmer ausgleichen wollen, die gekündigt werden, weil sie nach einem - ausschließlich in einem Inhaberwechsel bestehenden - Betriebsübergang dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf den Betriebserwerber widersprechen, sind nicht ersichtlich. Ausweislich der Präambel soll der Sozialplan vielmehr gewährleisten, dass alle zukünftig aufgrund unternehmensexterner oder -interner Faktoren „vom Wegfall ihres Arbeitsplatzes am Standort H noch betroffenen Mitarbeiter hinsichtlich der Milderung der daraus folgenden wirtschaftlichen Nachteile gleichbehandelt werden“. Dies zeigt, dass es den Betriebsparteien ausschließlich um den Ausgleich solcher Nachteile ging, die aufgrund eines Arbeitsplatzwegfalls am Standort H entstehen. Solche Nachteile sind bei einem Betriebsübergang, bei dem lediglich der Inhaber des Betriebs wechselt, regelmäßig nicht gegeben.
22b) Aus dem Umstand, dass die Klägerin - so das Landesarbeitsgericht - mit ihrem Widerspruch lediglich ihr aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1 GG resultierendes Grundrecht ausgeübt hat, welches für abhängig Beschäftigte die Vertragsfreiheit gerade im Bereich beruflicher Betätigung garantiert (vgl. - Rn. 70, BVerfGE 128, 157), ergibt sich nichts Abweichendes. Die Betriebsparteien können wirtschaftliche Nachteile ausgleichen, die sich aus einem solchen Widerspruch ergeben, sie sind hierzu aber nicht verpflichtet (vgl. zB - Rn. 28, BAGE 141, 101).
234. Soweit das Landesarbeitsgericht im Übrigen angenommen hat, aus Nr. 11 des Informationsschreibens vom ergebe sich, dass ein nach dem Sozialplan ausgleichspflichtiger Personalabbau auch durch das Ausscheiden von Arbeitnehmern aus dem Betrieb infolge Widerspruchs gegen den Betriebsübergang erfolgen könne, verkennt es, dass dem - ohnehin erst Jahre nach Abschluss des Sozialplans gefertigten - Schreiben der Beklagten für die Auslegung des von den (damaligen) Betriebsparteien geschlossenen Sozialplans keine Bedeutung zukommen kann.
24II. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagte in Höhe der Wechselprämie zu. Es fehlt schon an einer Vertragspflichtverletzung seitens der Beklagten (§ 280 Abs. 1 iVm. § 241 Abs. 2 BGB). Diese war weder verpflichtet, eine Transfergesellschaft zu errichten, noch der Klägerin den Übertritt in eine solche anzubieten.
251. Auf § 4 SP kann die Klägerin ein entsprechendes Begehren schon deshalb nicht stützen, weil sie nicht unter den Geltungsbereich des Sozialplans (§ 1 Nr. 1 Satz 1 SP) fällt.
262. Gleiches gilt für die BV Transferprojekt. Diese erfasst nach ihrem § 1 Abs. 1 Satz 2 nur Arbeitnehmer, die während der Laufzeit des Sozialplans durch Abschluss eines dreiseitigen Vertrags aus dem Unternehmen ausscheiden. Wie die einleitende Formulierung („auf Grundlage des … Sozialplans vom sowie der darin enthaltenen Regelungen nach § 4 des Sozialplans“) erkennen lässt, betrifft dies nur Arbeitnehmer, die nach § 4 SP einen Anspruch auf Übertritt in eine Transfergesellschaft haben. Daran fehlt es im Streitfall.
273. Nichts anderes gilt für die „Freiwillige Betriebsvereinbarung“. Auch diese setzt einen Übertritt „auf Grundlage des Sozialplans vom “ und damit einen Anspruch nach § 4 SP voraus. Ein solcher steht der Klägerin nicht zu.
28III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:091121.U.1AZR278.20.0
Fundstelle(n):
BB 2022 S. 563 Nr. 10
DB 2022 S. 814 Nr. 13
NJW 2022 S. 10 Nr. 12
SAAAI-04656