Haftungsinanspruchnahme des Geschäftsführers einer GmbH bei Auszahlung der Nettolöhne, Unterlassen des Lohnsteuereinbehalts
und Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH vor dem Fälligkeitszeitpunkt der Lohnsteuer
Leitsatz
1. Falls die zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung der vollen Löhne einschließlich des Steueranteils nicht ausreichen,
darf der GmbH-Geschäftsführer die Löhne nur gekürzt auszahlen und muss aus den übrig gebliebenen Mitteln die darauf entfallende
Lohnsteuer an das Finanzamt abführen. Das gilt auch dann, wenn zwar vor dem gesetzlichen Fälligkeitszeitpunkt der Lohnsteuer
beim Insolvenzgericht ein Antrag eines Gläubigers auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH eingegangen
ist und der Insolvenzverwalter später möglicherweise eine tatsächliche erfolgte Lohnsteuerabführung nach §§ 129 ff. InsO anfechten
hätte können, jedoch die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. die tatsächliche Eröffnung des Insolvenzverfahren
erst nach dem Fälligkeitszeitpunkt erfolgt sind.
2. Die Haftung ist auch nicht ausgeschlossen, wenn die Nichtzahlung der fälligen Steuern in die dreiwöchige Schonfrist fällt,
die dem Geschäftsführer zur Massesicherung ab Feststellung der Zahlungsunfähigkeit gemäß § 15a Abs. 1 Satz 1 InsO a. F. (bis
zum Inkrafttreten der InsO: § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG) eingeräumt ist.
3. Es ist von einem zumindest grob fahrlässigen Verhalten (Unterlassen) des Geschäftsführers im Hinblick auf die Verletzung
der Abführungsverpflichtung der Lohn- und Annexsteuern zum Fälligkeitstag auszugehen, wenn ihm aufgrund seiner mehrjährigen
Geschäftsführertätigkeit klar sein muss, dass die personal- und lohnintensive Geschäftstätigkeit der GmbH umfängliche monatliche
Anmeldungs- und Abführungsverpflichtungen gegenüber den Sozialkassen und dem Betriebsstättenfinanzamt nach sich zieht, und
wenn die GmbH gleichwohl erkennbar ihre sozial- und steuerrechtlichen Pflichten fortlaufend nicht korrekt erfüllt hat, sodass
kein einmaliges, sondern fortgesetztes Fehlverhalten des Geschäftsführers vorliegt.
Fundstelle(n): GmbH-StB 2022 S. 219 Nr. 7 LAAAI-04560
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FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 28.09.2021 - 4 K 4006/21
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