Streitwertfestsetzung im Patentnichtigkeitsverfahren: Berücksichtigungsfähigkeit von Wertänderungen nach Klageerhebung; Angemessenheit der Reduzierung des Streitwerts in der Berufungsinstanz - Nichtigkeitsstreitwert IV
Leitsatz
Nichtigkeitsstreitwert IV
1. Für die Festsetzung des Streitwerts im Patentnichtigkeitsverfahren sind Wertänderungen, die nach Erhebung der Klage bzw. Einlegung des Rechtsmittels eingetreten sind, grundsätzlich unerheblich. Zu berücksichtigen sind jedoch Erkenntnisquellen, die zwar erst nach dem maßgeblichen Stichtag zutage getreten sind, aber ein neues Licht auf die Wertverhältnisse an diesem Tag werfen.
2. Wenn in der Berufungsinstanz des Nichtigkeitsverfahrens nicht mehr über den gesamten erstinstanzlichen Streitgegenstand zu entscheiden ist, kann es angezeigt sein, für die zweite Instanz einen niedrigeren Streitwert festzusetzen. Eine solche Reduzierung ist jedoch in der Regel nicht angemessen, wenn die Unterschiede im Streitgegenstand weder für ein anhängiges oder bereits abgeschlossenes Verletzungsverfahren noch für den sonstigen Wert des Streitpatents von erkennbarer Bedeutung sind.
Gesetze: § 40 GKG, § 51 Abs 1 GKG
Instanzenzug: Az: X ZR 26/20 Urteilvorgehend Az: 4 Ni 84/17 (EP) Urteil
Gründe
1Die Gegenvorstellung gibt keine Veranlassung zu einer Abänderung der Streitwertfestsetzung.
2I. Die Klägerin hat die Nichtigerklärung eines Patents beantragt, wegen dessen Verletzung die Beklagte sie gerichtlich in Anspruch genommen hat.
3Das Patentgericht hat das Streitpatent teilweise für nichtig erklärt und der Beklagten 90 % der Kosten auferlegt. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.
4Das Patentgericht hat den Streitwert für die erste Instanz auf 13,95 Millionen Euro festgesetzt. Hierbei hat es sich an der Festsetzung des Streitwerts in dem unter anderem auf Unterlassung und Feststellung der Schadensersatzpflicht gerichteten Verletzungsrechtsstreit orientiert. Diesen hatte das Oberlandesgericht in Abänderung der erstinstanzlichen Festsetzung zuletzt auf 11,16 Millionen Euro festgesetzt.
5Der Senat hat den Streitwert für beide Instanzen des Nichtigkeitsverfahrens auf 21,5 Millionen Euro festgesetzt. Hierbei hat er sich am Streitwert eines zweiten Rechtsstreits orientiert, in dem die hiesige Beklagte gestützt auf das ihr günstige Urteil im ersten Prozess Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 17.155.957,51 Euro begehrt.
6Mit ihrer Gegenvorstellung strebt die Beklagte eine Festsetzung des Streitwerts auf 4,375 Millionen Euro, hilfsweise auf 13,95 Millionen Euro für die erste Instanz und auf 19,35 Millionen Euro für die zweite Instanz an.
7II. Die Festsetzung des Streitwerts für beide Instanzen entspricht auch mit Rücksicht auf die Begründung der Gegenvorstellung der Beklagten unverändert billigem Ermessen im Sinne des § 51 Abs. 1 GKG.
81. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt dem Streitwert des Betragsverfahrens indizielle Bedeutung für den Streitwert beider Instanzen des Nichtigkeitsverfahrens zu.
9a) Wie die Beklagte im Ansatz zu Recht geltend macht, ist für den Streitwert des Patentnichtigkeitsverfahrens nach der Rechtsprechung des Senats im Allgemeinen der gemeine Wert des Patents bei Erhebung der Klage bzw. der Einlegung der Berufung zuzüglich des Betrags der bis dahin entstandenen Schadensersatzforderungen maßgeblich; dieser Betrag ist in der Regel um einen Zuschlag von 25 % zu erhöhen, um der Eigennutzung Rechnung zu tragen (, GRUR 2011, 757 Rn. 2 f. - Nichtigkeitsstreitwert I).
10Hieraus ergibt sich, dass Wertänderungen, die nach Erhebung der Klage bzw. Einlegung des Rechtsmittels eingetreten sind, grundsätzlich unerheblich sind. Zu berücksichtigen sind jedoch Erkenntnisquellen, die zwar erst nach dem maßgeblichen Stichtag zutage getreten sind, aber ein neues Licht auf die Wertverhältnisse an diesem Tag werfen.
11b) Die Höhe des von der Beklagten geltend gemachten Zahlungsanspruchs ist ein Umstand, in dem sich der Wert des Streitpatents im Zeitpunkt der Erhebung der Nichtigkeitsklage widerspiegelt.
12Für den Wert des Streitpatents war bereits bei Erhebung der Nichtigkeitsklage von Bedeutung, dass aus dem Patent Ansprüche gegen die Klägerin geltend gemacht werden können. Der Wert dieser Ansprüche ist deshalb bereits für den erstinstanzlichen Streitwert des Nichtigkeitsverfahrens maßgeblich. Dass seine volle Höhe erst durch die Bezifferung des Schadensersatzanspruchs zutage getreten ist, hat nicht zu einer Wertänderung geführt, sondern nur eine neue Erkenntnisquelle zur Verfügung gestellt.
13Ob und in welchem Umfang ein Teil des von der Beklagten geltend gemachten Schadens erst nach Erhebung der Nichtigkeitsklage entstanden ist, bedarf keiner Aufklärung. Mangels besonderer Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass vor Eintritt des jeweiligen Schadens dem ebenfalls geltend gemachten Unterlassungsanspruch ein entsprechender Wert zugekommen ist.
142. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist eine Reduzierung des Streitwerts auch nicht deshalb veranlasst, weil in zweiter Instanz nur noch über eine eingeschränkte Fassung des Streitpatents zu entscheiden war.
15Der Umstand, dass in der Berufungsinstanz des Nichtigkeitsverfahrens nicht mehr über den gesamten erstinstanzlichen Streitgegenstand zu entscheiden ist, kann es zwar angezeigt sein lassen, für die zweite Instanz einen niedrigeren Streitwert festzusetzen. Eine solche Reduzierung ist jedoch in der Regel nicht angemessen, wenn die Unterschiede im Streitgegenstand weder für ein anhängiges oder bereits abgeschlossenes Verletzungsverfahren noch für den sonstigen Wert des Streitpatents von erkennbarer Bedeutung sind.
16Im Streitfall ist nicht ersichtlich, dass die von der Klägerin nicht angefochtene teilweise Abweisung der Nichtigkeitsklage relevante Auswirkungen auf die Erfolgsaussichten im Verletzungsrechtsstreit oder auf den sonstigen Wert des Streitpatents hat. Deshalb ist es angemessen, den Streitwert für beide Instanzen auf denselben Betrag festzusetzen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:141221BXZR26.20.0
Fundstelle(n):
FAAAI-04228