BVerwG Beschluss v. - 5 AV 3/21

Bindungswirkung eines (einfach) fehlerhaften Verweisungsbeschlusses; hier: Rückerstattung von Elternbeiträgen für Kinderbetreuung

Gesetze: § 53 Abs 1 Nr 5 VwGO, § 53 Abs 3 S 1 VwGO, § 173 S 1 VwGO, § 40 Abs 1 VwGO, § 17a Abs 2 S 3 GVG

Instanzenzug: VG Frankfurt (Oder) Az: 6 K 592/20 Beschluss

Gründe

I

1Die Kläger machen im Ausgangsrechtsstreit die Rückzahlung von dem Beklagten, einem privatrechtlichen Verein, für die Betreuung ihrer Kinder erhobener Elternbeiträge sowie die Erteilung der Auskunft über die Ermittlung der Höchstbeiträge und deren Kalkulation geltend.

2Das Amtsgericht Bernau bei Berlin, vor dem die Kläger ursprünglich Klage erhoben haben, hat nach Anhörung der Beteiligten mit nicht angefochtenem Beschluss vom den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) verwiesen.

3Das Verwaltungsgericht hat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es sich für unzuständig halte, weil der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten und nicht zu den Verwaltungsgerichten eröffnet sei. Mit Beschluss vom hat es den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und das Bundesverwaltungsgericht zur Bestimmung der Zuständigkeit angerufen.

II

41. Das Bundesverwaltungsgericht ist zur Entscheidung des negativen Kompetenzkonflikts zwischen dem Amtsgericht Bernau bei Berlin und dem Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) berufen.

5Gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 5 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 VwGO wird ein negativer Kompetenzkonflikt zwischen Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit von dem Gericht entschieden, das den beteiligten Gerichten übergeordnet ist. Zwar ist diese Vorschrift auf den Kompetenzkonflikt zwischen einem Verwaltungsgericht und einem Amtsgericht weder unmittelbar anwendbar noch gibt es für einen solchen Fall an anderer Stelle eine gesetzliche Regelung. Diese Regelungslücke ist aber - im Einklang mit der Rechtsprechung anderer oberster Gerichtshöfe des Bundes - in der Weise zu schließen, dass dasjenige oberste Bundesgericht den negativen Kompetenzkonflikt zwischen den Gerichten verschiedener Gerichtszweige entscheidet, das einem der beteiligten Gerichte übergeordnet ist und zuerst angegangen wird ( 6 AV 1.21, 6 AV 2.21 - NVwZ-RR 2021, 740 f.). Denn obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den bestrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine Zuständigkeitsbestimmung in Analogie zu § 53 Abs. 1 Nr. 5 VwGO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit geboten, wenn es in einem Verfahren zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der in Frage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten (vgl. - MDR 2013, 1242 zu § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO). Eine solche Situation ist vorliegend gegeben. Sowohl das Amtsgericht Bernau bei Berlin als auch das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) haben entschieden, dass der Rechtsweg zu ihnen unzulässig sei.

62. Für eine Entscheidung über die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche ist das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) zuständig. Zwar ist für die gerichtliche Geltendmachung dieser Ansprüche der Zivilrechtsweg eröffnet (2.1). Der (fehlerhafte) Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Bernau bei Berlin entfaltet jedoch gemäß § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG Bindungswirkung (2.2).

72.1 Für die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche ist der Zivilrechtsweg eröffnet. Es handelt sich um eine bürgerliche Rechtsstreitigkeit im Sinne von § 13 GVG. Beteiligte des Verfahrens sind mit den Klägern und dem Beklagten, einem nicht mit öffentlich-rechtlichen Handlungsbefugnissen ausgestatteten privatrechtlichen Verein, zwei Privatrechtssubjekte. Der Streit ist auch auf der Grundlage zivilrechtlicher Normen zu entscheiden, nämlich anhand des zwischen den Beteiligten geschlossenen Betreuungsvertrags und der Vorschriften des BGB. Ohne Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass § 17 Abs. 3 KitaG BB öffentlich-rechtliche Vorgaben für die Bemessung der Elternbeiträge enthält. Soweit diese Vorschrift im Rahmen des klageweise geltend gemachten Anspruchs zu berücksichtigen sein sollte, stellte die Anwendung dieser Norm (lediglich) eine vom Zivilgericht zu beurteilende Vorfrage dar und führte nicht zu einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Diese liegt auch nicht deshalb vor, weil der Beklagte mit dem Betrieb einer Kindertagesstätte Aufgaben der öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII wahrnimmt. Bei der Bestimmung des Rechtswegs kann von der öffentlichen Aufgabe nicht auf den öffentlich-rechtlichen Charakter ihrer Ausführung geschlossen werden ( 7 B 120.89 - Buchholz 310 § 40 VwGO Nr. 244 S. 28).

8Dass in Streitigkeiten der vorliegenden Art der Zivilrechtsweg eröffnet ist, ist - worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat - zwischenzeitlich auch in der Rechtsprechung namentlich des Brandenburgischen Oberlandesgerichts geklärt ( - juris Rn. 18 und vom - 11 U 187/18 - juris Rn. 6; vgl. ferner OVG 6 B 9.20 - juris Rn. 23 f.).

92.2 Ungeachtet der Eröffnung des Zivilrechtswegs ist das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) aufgrund des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom zuständig.

10Gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG ist ein Verweisungsbeschluss für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs bindend. Die Voraussetzungen, unter denen ein Verweisungsbeschluss eines Gerichts ausnahmsweise keine Bindungswirkung entfaltet, hat das Bundesverwaltungsgericht jüngst zusammengefasst: Die in § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG angeordnete Bindungswirkung tritt auch bei einem fehlerhaften Verweisungsbeschluss ein, etwa wenn der Rechtsweg zu dem verweisenden Gericht entgegen dessen Rechtsauffassung gegeben war oder das Gericht den Verweisungsbeschluss entgegen § 17a Abs. 4 Satz 2 GVG nicht begründet oder unter Verletzung des rechtlichen Gehörs getroffen hat. Mit Rücksicht auf die in § 17a GVG eröffnete Möglichkeit, einen Verweisungsbeschluss in dem in § 17a Abs. 4 Satz 3 - 6 GVG vorgesehenen Instanzenzug überprüfen zu lassen, kann die gesetzlich angeordnete Bindungswirkung eines unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden. Das ist nur dann der Fall, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann ausgegangen werden, wenn die Entscheidung bei verständiger Würdigung nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist ( 6 AV 1.21, 6 AV 2.21 - NVwZ-RR 2021, 740 <741>).

11Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Bernau bei Berlin vom erweist sich nicht als in dieser Weise qualifiziert fehlerhaft. Das Amtsgericht hat das Vorliegen einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit im Sinne von § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO mit der Begründung angenommen, dass die streitgegenständlichen Ansprüche öffentlich-rechtlichen Normen unterlägen. Der Sache nach hat es damit Bezug genommen auf die Ausführungen des Beklagten im Schriftsatz vom , mit dem dieser im Sinne des § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG die Zulässigkeit des von den Klägern beschrittenen Zivilrechtswegs gerügt und u.a. ausgeführt hat, die Kläger stützten ihren Anspruch auf §§ 15, 17 KitaG BB. Insoweit hat das Amtsgericht verkannt, dass in Brandenburg die Rechtsbeziehungen zwischen den Personensorgeberechtigten eines Kindes und dem privaten Träger einer Kindertagesstätte privatrechtlich ausgestaltet ( - und vom - 11 U 187/18 - juris; vgl. ferner OVG 6 B 9.20 - juris Rn. 23 f.) und sich aus dieser Rechtsbeziehung ergebende Ansprüche daher ausschließlich im Zivilrechtsweg zu verfolgen sind. Soweit in diesem Zusammenhang für die Bemessung der privatrechtlich vereinbarten Elternbeiträge öffentlich-rechtliche Vorschriften wie etwa § 17 Abs. 2 und 3 KitaG BB als gesetzliche "Preisregelungen" ( - juris Rn. 23) entscheidungserheblich sein sollten, hätte das Amtsgericht deren Anwendung in eigener Zuständigkeit prüfen müssen. Damit befand sich das Amtsgericht im Kern (lediglich) in einem Rechtsirrtum über die Reichweite der eigenen Prüfungskompetenz und -pflicht. Ein solcher Irrtum macht den Verweisungsbeschluss nicht unverständlich und offensichtlich unhaltbar. Dies indiziert auch der Umstand, dass das Verwaltungsgericht nach Eingang der Sache bei ihm mit der Sachbearbeitung begonnen hat, indem es den Beklagten mit der Eingangsverfügung vom (GA Bl. 123), präzisiert durch Verfügung vom (GA Bl. 205), zur Klageerwiderung aufgefordert sowie ihm hinsichtlich des Auskunftsbegehrens Auflagen erteilt hat, und sodann, nachdem es die Beteiligten mit Verfügung vom hierzu angehört hat, noch etwa ein Jahr benötigt hat, die Sache dem Bundesverwaltungsgericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorzulegen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:121121B5AV3.21.0

Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 1330 Nr. 18
JAAAI-04043