Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Verschulden des Prozessbevollmächtigten bei Einlegung eines unstatthaften Rechtsbehelfs; Pflicht zur rechtzeitigen Erteilung eines Hinweises an die Partei
Leitsatz
1. Wird die Frist zur Einlegung eines Rechtsmittels deshalb versäumt, weil der Prozessbevollmächtigte der Partei zuvor einen unstatthaften Rechtsbehelf - hier Anhörungsrüge - eingelegt hat, liegt hierin regelmäßig ein der Partei zuzurechnendes (§ 85 Abs. 2 ZPO), einer Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entgegenstehendes, Verschulden da von einem Rechtsanwalt erwartet wird, dass er das Rechtsmittelsystem der jeweiligen Verfahrensart kennt (im Anschluss an Senatsurteil vom - VIII ZR 203/91, NJW 1992, 2413 unter I 2 c, insoweit in BGHZ 119, 35 nicht abgedruckt; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZR 19/16, NZM 2016, 767 Rn. 5 f.; vom - V ZB 178/15, NJW 2017, 1112 Rn. 12).
2. Das Gericht, bei dem der unstatthafte Rechtsbehelf eingeht, ist grundsätzlich nicht verpflichtet, der Partei einen Hinweis so rechtzeitig zu erteilen, dass diese in die Lage versetzt wird, das eigentlich statthafte Rechtsmittel noch fristgerecht einzulegen (im Anschluss an BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom - 1 BvR 2147/00, NJW 2001, 1343; BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364 unter II 2 a; vom - KZR 7/08, juris Rn. 17 und vom - VIII ZB 57/15, NJW 2016, 2042 Rn. 31).
Gesetze: § 85 Abs 2 ZPO, § 233 ZPO, § 234 ZPO, § 321a Abs 1 S 1 Nr 1 ZPO, § 522 Abs 1 S 4 ZPO, § 575 Abs 1 S 1 ZPO, § 575 Abs 2 S 1 ZPO, Art 103 Abs 1 GG
Instanzenzug: LG Duisburg Az: 13 S 139/20vorgehend AG Duisburg Az: 506 C 571/20
Gründe
I.
1Die Beklagte ist Mieterin einer Wohnung der Klägerin in Duisburg. Wegen rückständiger Miete und Nebenkosten in Höhe von insgesamt 6.811,66 € nebst Zinsen erwirkte die Klägerin einen Vollstreckungsbescheid.
2In dem auf den Einspruch der Beklagten durch das Amtsgericht bestimmten Termin sind weder diese noch deren Rechtsbeistand erschienen. Das Amtsgericht hat daher den Einspruch gegen den Vollstreckungsbescheid durch ein zweites Versäumnisurteil verworfen.
3Hiergegen hat die Beklagte fristgerecht Berufung eingelegt. Diese hat das Landgericht - nach einem entsprechenden Hinweis - mit Beschluss vom als unzulässig verworfen, da die Voraussetzungen des § 514 Abs. 2 ZPO, mithin das Nichtvorliegen eines Falls schuldhafter Säumnis, durch die Beklagte mit ihrer Berufung nicht schlüssig dargelegt worden seien.
4Gegen diesen, ihrem zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am zugestellten Beschluss, hat die Beklagte am beim Berufungsgericht Anhörungsrüge erhoben. Das Berufungsgericht hat die Beklagte mit Verfügung vom , dem Prozessbevollmächtigten am zugegangen, darauf hingewiesen, dass die Anhörungsrüge wegen der gegen den Beschluss vom eröffneten Rechtsbeschwerde nicht statthaft sein dürfte.
5Mit am beim Bundesgerichtshof eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte gegen den (die Berufung als unzulässig verwerfenden) Rechtsbeschwerde eingelegt, diese begründet sowie beantragt, ihr wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
II.
6Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig.
71. Sie wurde nicht innerhalb der mit der Zustellung des die Berufung verwerfenden Beschlusses des Landgerichts beginnenden und am endenden Monatsfrist (§ 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO) eingelegt. Die erhobene Gehörsrüge hindert den Eintritt der formellen Rechtskraft nicht (vgl. Senatsbeschluss vom - VIII ZB 80/20, juris Rn. 15 mwN). Dies stellt auch die Beklagte nicht in Frage.
82. Der Beklagten ist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren (§ 233 ZPO), da sie nicht ohne Verschulden an der Einhaltung dieser Fristen gehindert war. Ihr zweitinstanzlicher Prozessbevollmächtigter, dessen Verschulden der Beklagten zuzurechnen ist (§ 85 Abs. 2 ZPO), hat die Fristen zur Einlegung und Begründung der Rechtsbeschwerde (§ 575 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO) schuldhaft verstreichen lassen.
9a) Zu den - nicht auf sein Büropersonal übertragbaren - Aufgaben eines Rechtsanwalts gehört es, Art und Umfang des gegen eine gerichtliche Entscheidung einzulegenden Rechtsmittels zu bestimmen. Dabei wird vom Rechtsanwalt, an den insoweit hohe Sorgfaltsanforderungen zu stellen sind, die Kenntnis des Rechtsmittelsystems der Zivilprozessordnung erwartet (vgl. BGH, Beschlüsse vom - V ZB 172/13, NJW 2014, 2503 Rn. 9; vom - V ZB 178/15, NJW 2017, 1112 Rn. 12; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 233 Rn. 50, Stichwort Rechtsirrtum [Anwalt] unter c). Zugleich ist es seine Aufgabe, alle gesetzlichen Anforderungen an die Zulässigkeit des danach bestimmten Rechtsmittels in eigener Verantwortung zu prüfen und dafür Sorge zu tragen, dass dieses Rechtsmittel innerhalb der jeweils gegebenen Rechtsmittelfrist bei dem zuständigen Gericht eingeht (vgl. Senatsbeschluss vom - VIII ZR 19/16, NZM 2016, 767 Rn. 6 mwN; vgl. auch Senatsurteil vom - VIII ZR 203/91, NJW 1992, 2413 unter I 2 c, insoweit in BGHZ 119, 35 nicht abgedruckt).
10b) Dem ist der Prozessbevollmächtigte der Beklagten nicht gerecht geworden. Denn statt eine Rechtsbeschwerde durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt einlegen zu lassen hat er gegen den die Berufung als unzulässig verwerfenden Beschluss des Landgerichts eine unstatthafte Anhörungsrüge erhoben.
11Nach § 321a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO ist die Anhörungsrüge nur statthaft, wenn ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Endentscheidung nicht gegeben ist. Diese Voraussetzung lag hier (offensichtlich) nicht vor (vgl. auch Senatsurteil vom - VIII ZR 10/03, NJW 2004, 1598 unter II 1 a; BT-Drucks. 15/3706, S. 15). Denn gegen einen Beschluss des Berufungsgerichts, mit welchem die Berufung - wie hier - gegen ein zweites Versäumnisurteil der Vorinstanz als unzulässig verworfen wird (zu den Anforderungen an eine Berufungsbegründung im Fall des § 514 Abs. 2 Satz 1 ZPO vgl. , BGHZ 112, 367, 371; Beschluss vom - XI ZB 11/19, NJW-RR 2020, 575 Rn. 8), ist nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO die Rechtsbeschwerde statthaft. Auch dies muss einem Rechtsanwalt bekannt sein (vgl. , NJW 2021, 784 Rn. 8).
12Daher hätte der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte der Beklagten die rechtzeitige Beauftragung eines bei dem Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalts zur fristgerechten Einlegung einer solchen Rechtsbeschwerde veranlassen müssen, um auf diese Weise das angefochtene Urteil unter anderem wegen der vermeintlichen Gehörsverletzungen zur Überprüfung zu stellen (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
13c) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde entfällt das für die Fristversäumung ursächliche Verschulden des Instanzbevollmächtigten der Beklagten nicht wegen eines mitwirkenden Fehlers des Gerichts. Soweit die Rechtsbeschwerde meint, das Berufungsgericht habe die Beklagte zu spät auf die Unstatthaftigkeit der Anhörungsrüge hingewiesen und es versäumt, seinen Hinweis bereits so rechtzeitig vor Ablauf der Monatsfrist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde zu erteilen, dass für die Beklagte noch die Möglichkeit bestanden hätte, fristgerecht Rechtsbeschwerde einzulegen, wird verkannt, dass eine derartige Hinweis- und Fürsorgepflicht des Berufungsgerichts vorliegend nicht bestanden hat.
14aa) Ein Gericht ist nur unter besonderen Umständen dazu gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens der Partei entgegenzuwirken. Denn einer gerichtlichen Fürsorgepflicht sind im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz Grenzen gesetzt (vgl. BVerfG, NJW 1995, 3173, 3175; BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776 unter III 1 b aa; vom - V ZB 71/20, NJW-RR 2021, 1317 Rn. 7; jeweils mwN). Es darf allerdings nicht sehenden Auges zuwarten, bis die Partei Rechtsnachteile erleidet (vgl. BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 9/04, NJW-RR 2004, 1364 unter II 2 a; vom - V ZB 71/20, aaO). Dabei ist es jedoch grundsätzlich nicht zu beanstanden, wenn der Richter die Zulässigkeitsvoraussetzungen eines Rechtsmittels beziehungsweise hier des Rechtsbehelfs nach § 321a ZPO nicht zeitnah nach dessen Eingang, sondern erst bei der Bearbeitung des Falls und gegebenenfalls nach Ablauf der Fristen überprüft (vgl. BVerfG, NJW 2001, 1343; BGH, Beschlüsse vom - VI ZB 9/04, aaO; vom - KZR 7/08, juris Rn. 17; vom - VIII ZB 57/15, NJW 2016, 2042 Rn. 31).
15bb) Hiernach war das Berufungsgericht - entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde - nicht verpflichtet, die Statthaftigkeit der Anhörungsrüge bereits unmittelbar nach deren Einlegung und insbesondere noch vor Ablauf der Monatsfrist des § 575 Abs. 1 Satz 1 ZPO zu prüfen. Die Erteilung des Hinweises erst nach Ablauf der Frist zur Einlegung der Rechtsbeschwerde stellt daher keinen das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausschließenden Fehler des Gerichts dar. Dass das Berufungsgericht mit der Erteilung seines Hinweises sehenden Auges bis zum Fristablauf zugewartet hätte, ist von der Beklagten nicht dargelegt worden (vgl. zu dieser Darlegungsobliegenheit , juris Rn. 7).
16cc) Zu Unrecht beruft sich die Beklagte schließlich auf die Weiterleitungspflicht des unzuständigen, bereits mit der Sache befasst gewesenen Gerichts bezüglich einer Rechtsmittelschrift (vgl. hierzu BGH, Beschlüsse vom - VIII ZB 125/04, NJW 2005, 3776 unter III 1 b aa; vom - VI ZB 37/16, NJW-RR 2018, 314 Rn. 5; jeweils mwN). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Die Beklagte hat beim zuständigen Berufungsgericht ausdrücklich eine (unstatthafte) Anhörungsrüge erhoben. Sie hat damit nicht ein an sich gegebenes Rechtsmittel bei einem unzuständigen Gericht eingelegt, sondern vielmehr einen ersichtlich nicht eröffneten Rechtsbehelf gewählt. Eine Umdeutung in eine - mangels Einhaltung der Form- und Fristerfordernisse unzulässige - Rechtsbeschwerde kam daher nicht in Betracht, so dass eine Weiterleitung an den Bundesgerichtshof nicht in Frage gestanden hat (vgl. auch , aaO Rn. 5).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2022:110122BVIIIZB37.21.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2022 S. 346 Nr. 5
VAAAI-03537