BVerwG Urteil v. - 2 C 4/20

Geltung des Versorgungsfallprinzips auch für Versorgungsansprüche von Soldaten

Leitsatz

1. Der Grundsatz, dass für die Beurteilung versorgungsrechtlicher Ansprüche die Rechtslage im Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand maßgeblich ist (Versorgungsfallprinzip), gilt gleichermaßen im Beamten- wie im Soldatenversorgungsrecht.

2. Die Regelung über die Berücksichtigung von Zeiten besonderer Auslandsverwendungen bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeiten (§ 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011) gilt nicht für vor dem Inkrafttreten der Norm in den Ruhestand getretene Soldaten. Dies begegnet - auch mit Blick auf die besonderen Altersgrenzen von Soldaten und unter dem Gesichtspunkt der Altersdiskriminierung - weder verfassungs- noch unionsrechtlichen Bedenken.

Gesetze: § 25 Abs 2 S 3 SVG vom , § 48 Abs 1 S 1 VwVfG, § 51 Abs 5 VwVfG, § 51 Abs 1 Nr 1 VwVfG, § 15 Abs 1 S 1 SVG vom , § 63c Abs 1 SVG vom , § 4 Abs 2 BeamtVG, § 13 Abs 3 S 1 BeamtVG, § 1 AGG, § 3 Abs 2 AGG, § 10 S 1 AGG, § 10 S 3 Nr 4 AGG, Art 2 Abs 2 EGRL 78/2000, Art 4 Abs 1 EGRL 78/2000

Instanzenzug: Sächsisches Oberverwaltungsgericht Az: 2 A 1193/18 Urteilvorgehend Az: 3 K 2358/17 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger, ein Soldat im Ruhestand, beantragt das Wiederaufgreifen des Verfahrens und die Neufestsetzung seines Ruhegehalts unter doppelter Berücksichtigung seiner vor dem liegenden Zeiten besonderer Auslandsverwendungen.

2Der Kläger stand seit Oktober 1990 im Dienst der Beklagten, seit Januar 1993 als Berufssoldat, zuletzt als Stabsfeldwebel (Besoldungsgruppe A 9 BBesO). Er absolvierte Auslandseinsätze in der Zeit von Februar bis Mai 1996 (IFOR), von November 1998 bis März 1999 (SFOR), von November 2001 bis Mai 2002 (KFOR) und vom Juni bis September 2006 (EUFOR) mit insgesamt 477 Einsatztagen. Mit Ablauf des trat er mit Erreichen der besonderen gesetzlichen Altersgrenze in den Ruhestand. Durch bestandskräftig gewordenen Bescheid vom setzte die Wehrbereichsverwaltung die Versorgungsbezüge des Klägers fest; eine besondere Berücksichtigung von Auslandszeiten erfolgte hierbei nicht.

3Im Februar 2017 beantragte der Kläger die Neuberechnung seiner Versorgungsbezüge unter doppelter Berücksichtigung sämtlicher geleisteter Auslandseinsätze. Diesen Antrag lehnte die Beklagte ab; der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg.

4Auf die dagegen gerichtete Klage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, nach Aufhebung der angefochtenen Bescheide über das Ruhegehalt des Klägers mit Wirkung ab Februar 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Der Versorgungsfestsetzungsbescheid sei ursprünglich rechtmäßig gewesen, jedoch mit Inkrafttreten des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG am rechtswidrig geworden, weil er die dort vorgesehene Berücksichtigung von Einsatzzeiten im Ausland nicht beinhalte.

5Das Oberverwaltungsgericht hat das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des durch bestandskräftig gewordenen Bescheid abgeschlossenen Verfahrens der Festsetzung seiner Versorgungsbezüge. Es spreche zwar viel dafür, dass insoweit auch Auslandseinsatzzeiten, die vor Inkrafttreten des § 63c SVG am absolviert worden seien, zu berücksichtigen seien und damit die in der Vorschrift bezeichneten Einsatzvoraussetzungen - in der Zusammenschau der vier vom Kläger absolvierten Auslandseinsätze vor und nach diesem Datum auch hinsichtlich der erforderlichen Gesamtdauer - erfüllt wären. Darauf komme es indes nicht an, weil maßgeblich für die versorgungsrechtliche Beurteilung die Rechtslage im Zeitpunkt des Eintritts des Klägers in den Ruhestand mit Ablauf des sei (sog. Versorgungsfallprinzip). Nach diesem Grundsatz richte sich die Berechnung des Ruhegehalts auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit nach dem zum Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand geltenden Recht, soweit nicht Übergangsvorschriften etwas Anderes regelten.

6Mit seiner Revision beantragt der Kläger,

das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom sowie den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über die Versorgungsbezüge des Klägers mit Wirkung ab Februar 2017 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden und dabei die Einsatzzeiten des Klägers vom bis , vom bis , vom bis und vom bis als doppelt ruhegehaltfähig zu berücksichtigen und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom zurückzuweisen.

7Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt den Antrag der Beklagten.

Gründe

9Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 VwGO). Der entscheidungserhebliche Rechtssatz des Berufungsurteils, dass sich das Entstehen und die Berechnung des Ruhegehalts eines Soldaten nach dem zum Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand geltenden Rechts richtet, soweit nicht Übergangsvorschriften etwas Anderes regeln, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.

101. Der Kläger hat nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG keinen Anspruch auf Wiederaufgreifen des durch Bescheid vom bestandskräftig abgeschlossenen Verfahrens der Festsetzung seiner Versorgungsbezüge, weil sich die der Festsetzung dieser Versorgungsbezüge zugrundeliegende Rechtslage nicht nachträglich zu seinen Gunsten geändert hat. Die mehr als drei Jahre nach Bestandskraft des Versorgungsfestsetzungsbescheids aufgrund des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgung bei besonderen Auslandsverwendungen (Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz) vom (BGBl. I S. 2458 - SVG 2011) am in Kraft getretene Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG ändert die Rechtslage nicht nachträglich zugunsten des Klägers.

11a) Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 SVG in der Bekanntmachung der Neufassung vom (BGBl. I S. 3054 - SVG 2009) besteht nach Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand Anspruch auf Ruhegehalt. Das Ruhegehalt wird auf der Grundlage der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge und der ruhegehaltfähigen Dienstzeit berechnet (§ 16 SVG 2009). Entsprechende Regelungen enthalten die inhaltsgleichen Bestimmungen in § 4 Abs. 2 und 3 BeamtVG. Maßgeblich für die Beurteilung der versorgungsrechtlichen Ansprüche eines Soldaten und Beamten ist danach die Rechtslage im Zeitpunkt seiner Zurruhesetzung (sog. Versorgungsfallprinzip). Dieser Grundsatz entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ( u.a. - BVerfGE 145, 249 Rn. 8) ebenso wie der ständigen höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung im Versorgungsrecht der Soldaten und Beamten (vgl. 2 B 86.95 - juris Rn. 8, Urteile vom - 2 C 29.08 - Buchholz 239.1 § 14a BeamtVG Nr. 5 Rn. 9 und vom - 2 C 22.10 - Buchholz 239.1 § 5 BeamtVG Nr. 20 Rn. 8, Beschluss vom - 2 B 13.12 - juris Rn. 9 und Urteil vom - 2 C 1.19 - BVerwGE 169, 336 Rn. 24 ff.; 4 B 2.10 - juris Rn. 21 f.; VGH Mannheim, Urteil vom - 4 S 791/16 - DGVZ 2018, 188 Rn. 13; 3 ZB 15.2632 - juris Rn. 9; OVG Schleswig, Urteil vom - 2 LB 17/15 - juris Rn. 26; - juris Rn. 22). Daran hält der Senat fest.

12Der Anwendung des Versorgungsfallprinzips steht insbesondere nicht entgegen, dass ein Versorgungsfestsetzungsbescheid - unabhängig davon, ob er nach § 49 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG oder der inhaltsgleichen Regelung in § 46 Abs. 1 Satz 1 SVG 2009 ergangen ist - ein Dauerverwaltungsakt ist ( 2 C 13.11 - BVerwGE 143, 230 Rn. 15 zu einem nach § 49 BeamtVG ergangenen Versorgungsfestsetzungsbescheid). Denn die Regel, dass Dauerverwaltungsakte nach der im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehenden Sach- und Rechtslage zu beurteilen sind, steht unter dem Vorbehalt abweichender gesetzlicher Bestimmungen ( 8 B 62.11 - Buchholz 310 § 113 Abs. 1 VwGO Nr. 39 Rn. 13). Eine solche abweichende Bestimmung enthält die mit § 4 Abs. 2 BeamtVG inhaltsgleiche Regelung des § 15 Abs. 1 Satz 1 SVG 2009, die festlegt, dass grundsätzlich nach Eintritt oder Versetzung in den Ruhestand Anspruch auf Ruhegehalt besteht. Damit erklärt das Gesetz die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu Beginn des Ruhestands für die Berechnung des Ruhegehaltsanspruchs nach § 16 SVG 2009 für maßgeblich (vgl. OVG Magdeburg, Beschluss vom - 1 L 112/18 - juris Rn. 5).

13b) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Regelung über Zeiten einer besonderen Auslandsverwendung gemäß § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011.

14aa) Dem Wortlaut von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 kann keine Regelung dahingehend entnommen werden, dass abweichend vom Versorgungsfallprinzip eine doppelte Berücksichtigung besonderer Auslandsverwendungen bei der Bemessung der Versorgungsbezüge auch dann erfolgen soll, wenn der Versorgungsfall bereits vor dem Inkrafttreten der Vorschrift - am - eingetreten ist. Im Versorgungsrecht der Soldaten wie dem der Beamten finden sich zahlreiche Übergangsregelungen, die jeweils ausdrücklich als solche bezeichnet sind (vgl. etwa §§ 94 ff. SVG und §§ 69 ff. BeamtVG). Eine solche Regelung findet sich in Bezug auf den zeitlichen Geltungsbereich von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 nicht. Sie ist auch nicht in der Bezugnahme auf die Legaldefinition der "besonderen Auslandsverwendung" in § 63c Abs. 1 SVG 2009 enthalten.

15Im Übrigen gibt es im Beamtenversorgungsrecht eine Parallelvorschrift zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011, nämlich § 13 Abs. 3 Satz 1 BeamtVG. Auch diese Vorschrift ist mit Wirkung vom - damals als § 13 Abs. 2 Satz 3 BeamtVG - in das Gesetz eingefügt worden. Wenn für Beamte, die vor diesem Stichtag in den Ruhestand versetzt wurden, diese Vorschrift wegen des Versorgungsfallprinzips nicht zur Anwendung kommt, dann muss dies wegen derselben Rechtslage in gleicher Weise auch für Soldaten gelten.

16bb) Auch die gesetzliche Systematik rechtfertigt kein abweichendes Ergebnis. Aus den Regelungen über die Höhe des Ruhegehalts nach § 26 Abs. 2 und 3 SVG 2009 ergibt sich nicht, dass der Gesetzgeber die sich aus dem Erreichen der besonderen Altersgrenzen für Soldaten ergebenden Nachteile im Verhältnis zur Versorgungsrechtslage von Beamten bei Erreichen der für sie geltenden allgemeinen Altersgrenze ausgleichen wollte. Denn auch das Beamtenrecht kennt besondere Altersgrenzen, im Bundesrecht etwa für Polizeivollzugsbeamte nach § 5 Abs. 1 und 2 BPolBG oder für Feuerwehrbeamte nach § 51 Abs. 3 BBG die Vollendung des 60. bis 62. Lebensjahres. Auch dem Landesbeamtenrecht sind besondere Altersgrenzen nicht fremd, etwa für Polizeivollzugsbeamte und Beamte des Vollzugsdienstes und des Werkdienstes im Justizvollzug und des Abschiebungshaftvollzugsdienstes (vgl. etwa § 114 Abs. 1 und 2, § 117 Abs. 1 LBG NRW, § 112 Abs. 1 HBG, § 36 Abs. 3 LBG BW, 62. Lebensjahr) sowie für Feuerwehrbeamte (vgl. bspw. § 116 Abs. 3 LBG NRW, § 113 HBG, § 36 Abs. 3a LBG BW, 60. Lebensjahr). Für diese Beamtengruppen kennt das Versorgungsrecht der Beamten dem Versorgungsrecht der Soldaten in § 26 SVG 2009 inhaltlich entsprechende Ausgleichsregelungen (vgl. im Bundesrecht § 48 BeamtVG und im Landesrecht etwa § 56a LBeamtVG NRW, § 21 HBeamtVG und § 76 LBeamtVG BW).

17cc) Aus der Entstehungsgeschichte zum Einsatzversorgungs-Verbesserungsgesetz, mit dem § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG im Dezember 2011 in das Soldatenversorgungsgesetz eingefügt wurde, lassen sich ebenfalls keine Anhaltspunkte für eine Erstreckung des zeitlichen Anwendungsbereichs auf bereits im Ruhestand befindliche Soldaten entnehmen. Die Begründung des Gesetzentwurfs (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 14) erweist sich insoweit als unergiebig, weil sie zur Frage der zeitlichen Geltung des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG insgesamt keine Angaben enthält. Auch der Einzelbegründung zu § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG (vgl. BT-Drs. 17/7143 S. 15) lässt sich keine Aussage zum zeitlichen Anwendungsbereich, mithin auch keine Anordnung der Rückwirkung auf bereits im Ruhestand befindliche Soldaten entnehmen.

18dd) Eine andere Auslegung legen schließlich auch Sinn und Zweck von § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 nicht nahe. Das gilt insbesondere für die von der Revision angeführten Gesichtspunkte der Altersdiskriminierung und der Verletzung des Gleichbehandlungsgebots (Art. 3 Abs. 1 GG) im Hinblick auf die besonderen Altersgrenzen für Berufssoldaten nach § 45 Abs. 2 SG. Die unterschiedliche versorgungsrechtliche Behandlung von vor Inkrafttreten der Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 im Verhältnis zu den nach dem in den Ruhestand getretenen Berufssoldaten ist sachlich gerechtfertigt. Denn sie knüpft nicht an das jeweilige Alter der Soldaten im Ruhestand an, sondern an den unterschiedlichen Zeitpunkt ihres Eintritts in den Ruhestand - vor oder nach dem . Das schließt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG ebenso aus wie eine unmittelbare Diskriminierung wegen des Alters nach §§ 1 und 3 Abs. 1 AGG und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG vom zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. L 303 S. 16), ungeachtet der Frage, ob diese Richtlinie auf Soldaten anzuwenden ist (vgl. Art. 3 Abs. 4 RL 2000/78/EG, § 24 AGG, siehe dazu MüKoBGB/Thüsing, 9. Aufl. 2021, § 24 AGG Rn. 6 f.).

19Auch für eine mittelbare Diskriminierung der Soldaten nach §§ 1 und 3 Abs. 2 AGG und Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 200o/78/EG - unterstellt diese Vorschriften seien auf Soldaten überhaupt anwendbar (dagegen 1 WB 25.15 - NZWehrr 2015, 255 <256>) - ist nichts ersichtlich. Die besonderen Altersgrenzen - hier für Berufssoldaten nach § 45 Abs. 2 SG - stellen zwar eine mittelbare Benachteiligung wegen des Alters im Sinne von § 3 Abs. 2 AGG dar. Nach § 10 Satz 1 AGG ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters indes zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. § 10 Satz 3 AGG enthält eine - nicht abschließende - Aufzählung von Tatbeständen, wonach derartige unterschiedliche Behandlungen gerechtfertigt sein können. Nach § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG ist dies der Fall bei der Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für die Mitgliedschaft oder den Bezug von Altersrente oder von Leistungen bei Invalidität einschließlich der Festsetzung unterschiedlicher Altersgrenzen im Rahmen dieser Systeme für bestimmte Beschäftigte oder Gruppen von Beschäftigten und die Verwendung von Alterskriterien im Rahmen dieser Systeme für versicherungsmathematische Berechnungen. In dem der Gesetzgeber den in Nr. 4 geregelten Tatbestand in die Rechtfertigungsgründe des § 10 Satz 3 AGG eingeordnet hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass er die Festsetzung von besonderen Altersgrenzen für die Zurruhesetzung aufgrund besonderer körperlicher Belastungen der Dienstverrichtung als grundsätzlich objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel i.S.v. § 10 Satz 1 AGG gerechtfertigt ansieht.

20Das alles ist mit Unionsrecht vereinbar. Denn für die besondere Altersgrenze von Mitgliedern der Berufsfeuerwehr und Verkehrspiloten hat der EuGH (jeweils Große Kammer, Urteile vom - C-229/08, Wolf - NVwZ 2010, 244 Rn. 41 und vom - C-447/09, Prigge u.a. - NZA 2011, 1039 Rn. 67) entschieden, dass es im Fall der Verkehrspiloten wesentlich ist, dass sie insbesondere über besondere körperliche Fähigkeiten verfügen, da körperliche Schwächen in diesen Berufen beträchtliche Konsequenzen haben können und diese Fähigkeiten unbestreitbar auch mit zunehmendem Alter abnehmen. Daraus folgt, dass für die Ausübung dieser Berufe das Vorhandensein besonderer körperlicher Fähigkeiten als eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung i.S.v. Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG angesehen werden kann und dass diese Fähigkeiten altersabhängig sind. Diese Rechtsprechung zu den besonderen körperlichen Fähigkeiten, derer Feuerwehrmänner und Verkehrspiloten bedürfen, lässt sich ohne Weiteres auf die an Berufssoldaten zu stellenden besonderen körperlichen Anforderungen übertragen.

21Für die versorgungsrechtliche Anknüpfung an den Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand sprechen schließlich zwei weitere rechtliche Gesichtspunkte. Zum einen ist dies die Rechtsklarheit, die den betroffenen Soldaten und Beamten eine Prüfung ihres Versorgungsanspruchs erleichtert. Zum anderen vermittelt die Anknüpfung an den konkreten Zeitpunkt des Eintritts in den Ruhestand sowohl den Soldaten und Beamten wie auch ihren Dienstherrn Rechtssicherheit.

222. Der Kläger hat des Weiteren keinen Anspruch auf die beanspruchte Neuregelung seiner Versorgung im Wege eines Wiederaufgreifens im weiteren Sinne gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG. Die Beklagte ist, unabhängig von der Frage ihres Rechtsfolgeermessens, schon deshalb nicht zu einer Neuentscheidung über seine Versorgung verpflichtet, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG nicht vorliegen. Der bestandskräftig gewordene Versorgungsfestsetzungsbescheid vom ist nicht rechtswidrig (geworden). Er entspricht vielmehr - wie unter 1. dargelegt - der im Zeitpunkt des Eintritts des Klägers in den Ruhestand geltenden Rechtslage. Der Bescheid hat danach die Zeiten besonderer Auslandsverwendungen nicht bis zum Doppelten als ruhegehaltfähige Dienstzeit berücksichtigt. Die hierfür erforderliche rechtliche Grundlage ist vielmehr mit § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 nur für solche Soldaten geschaffen worden, die nach dessen Inkrafttreten am in den Ruhestand eingetreten sind. Zwar kann diese differenzierte zeitliche Anwendung der Vorschrift des § 25 Abs. 2 Satz 3 SVG 2011 dazu führen, dass Zeiten besonderer Auslandsverwendungen von Soldaten, die - zugespitzt - im selben Auslandseinsatz im selben Zeitraum verwendet wurden, bei dem einem, vor dem in den Ruhestand eingetretenen Soldaten nur einfach berücksichtigt werden, bei einem anderen, nach dem in den Ruhestand eingetretenen Soldaten hingegen doppelt. Dies ist aber aus den oben unter 1 b) dd) genannten Gründen rechtlich nicht zu beanstanden.

233. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2021:090921U2C4.20.0

Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 10 Nr. 7
IAAAI-02257