BGH Beschluss v. - VII ZB 7/21

Kostenfestsetzungsverfahren: Auslegung eines Prozessvergleichs über "die Kosten des Rechtsstreits" bei bereits vorliegender rechtskräftiger Entscheidung über die Kosten eines vorangegangenen selbstständigen Beweisverfahrens

Leitsatz

Zur Auslegung eines Prozessvergleichs im Kostenfestsetzungsverfahren über die "Kosten des Rechtsstreits" bei bereits vorliegender rechtskräftiger Entscheidung über die Kosten eines vorangegangenen selbstständigen Beweisverfahrens.

Gesetze: § 98 S 2 ZPO, § 494a Abs 2 ZPO, § 133 BGB, § 157 BGB

Instanzenzug: Az: 11 W 1558/20 Beschlussvorgehend LG Kempten Az: 21 OH 2005/15

Gründe

I.

1Der Antragsteller beantragte in einem selbständigen Beweisverfahren vor dem Landgericht Kempten die Beweiserhebung über angebliche Planungsfehler des Antragsgegners im Rahmen der Erbringung von Architektenleistungen für ein Bauvorhaben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Nach Durchführung der Beweiserhebung wurde der Antragsteller auf Antrag des Antragsgegners mit zur Klageerhebung binnen sechs Wochen ab Zustellung des Beschlusses aufgefordert. Nachdem eine Klageerhebung binnen der gesetzten Frist nicht erfolgt war, traf das antragsgemäß eine Kostenentscheidung gemäß § 494a Abs. 2 ZPO, wonach der Antragsteller die dem Antragsgegner entstandenen Kosten zu tragen hatte. Rechtsmittel gegen diesen Beschluss wurden nicht eingelegt.

2Mit Klageschrift vom erhob der Antragsteller Klage gegen den Antragsgegner auf Zahlung von Schadensersatz in Bezug auf die im selbständigen Beweisverfahren gegenständlichen Pflichtverletzungen aus dem Architektenvertrag der Parteien. Der Rechtsstreit wurde am durch einen Vergleich beendet, der unter anderem vorsah, dass die Kosten des Rechtsstreits zu 1/10 vom Antragsgegner und zu 9/10 vom Antragsteller zu tragen waren.

3Der Antragsgegner hat vor Erhebung der Klage durch den Antragsteller am im selbständigen Beweisverfahren einen Kostenfestsetzungsantrag gestellt, in dem die festzusetzenden Kosten nach einer mit Schriftsatz vom vorgenommenen Korrektur auf 6.663,30 € beziffert wurden. Nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens hat das Landgericht im selbständigen Beweisverfahren mit Beschluss vom die vom Antragsteller an den Antragsgegner zu erstattenden Kosten antragsgemäß auf 6.663,30 € zuzüglich Zinsen festgesetzt. Ein Rechtsmittel gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom ist nicht eingelegt worden.

4Mit Beschluss vom hat die zuständige Rechtspflegerin den Kostenfestsetzungsbeschluss vom von Amts wegen mit der Begründung aufgehoben, dieser berücksichtige nicht die im Hauptsacheverfahren ergangene Kostenentscheidung und sei daher unrichtig. Die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens seien auf der Grundlage der Kostenentscheidung des Hauptsacheverfahrens neu festzusetzen. Der Beschwerde des Antragsgegners hat die Rechtspflegerin nicht abgeholfen und die Sache dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt. Dieses hat die Beschwerde des Antragsgegners zurückgewiesen.

5Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde möchte der Antragsgegner die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache zur erneuten Entscheidung an das Beschwerdegericht erreichen.

II.

6Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.

71. Das Beschwerdegericht hat die Auffassung vertreten, das Landgericht habe im Kostenfestsetzungsbeschluss vom rechtsirrig trotz der bereits im Hauptsacheverfahren getroffenen abweichenden Kostenregelung aus dem Vergleich vom auf der Grundlage des Kostenbeschlusses vom die außergerichtlichen Kosten des Antragsgegners für das selbständige Beweisverfahren gesondert festgesetzt. Unstreitig bestehe zwischen dem selbständigen Beweisverfahren und dem anschließenden Klageverfahren zwischen den Parteien Streitgegenstandsidentität. Demzufolge zählten die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens grundsätzlich zu den Kosten des Rechtsstreits. Der Kostenbeschluss vom sei zwar formal in Rechtskraft erwachsen. Die nach § 494a Abs. 2 ZPO ergangene isolierte Kostenentscheidung zu den Kosten des selbständigen Beweisverfahrens habe aber nicht unabhängig vom Ausgang des Hauptsacheverfahrens endgültig Bestand. Der Kostenbeschluss nach § 494a Abs. 2 ZPO habe nur vorläufigen Charakter und stehe unter der auflösenden Bedingung, dass in dem nach der Fristsetzung anhängig gemachten Hauptsacheprozess eine abweichende Kostengrundentscheidung ergehe.

8Eine von der Kostenfolge im Hauptsacheverfahren abweichende Kostenregelung durch Vergleich zwischen den Parteien, beispielsweise dergestalt, dass es bei der Kostenverteilung nach dem Kostenbeschluss vom verbleiben solle, fehle hier. Im gerichtlichen Vergleich vom seien die Kosten des Rechtsstreits ohne weitere Differenzierung nach einer einheitlichen Quote aufgeteilt worden.

9Die Rechtspflegerin sei trotz der formalen Rechtskraft nicht gehindert gewesen, den Kostenfestsetzungsbeschluss des aufzuheben, da diesem hier eine zum Zeitpunkt der Entscheidung durch die Kostenregelung aus dem Hauptsacheverfahren schon prozessual überholte Kostengrundentscheidung, nämlich der Kostenbeschluss des zugrunde gelegen habe. Die Akzessorietät bewirke in einem solchen Fall, dass der Kostenfestsetzungsbeschluss von Beginn an keine rechtlichen Wirkungen entfalte. Zur Beseitigung des falschen Rechtsscheins sei der Kostenfestsetzungsbeschluss aus Gründen der Rechtsklarheit (deklaratorisch) aufzuheben.

102. Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

11Der Kostenfestsetzungsbeschluss des war nicht im Hinblick auf die von den Parteien im Hauptsacheverfahren im Prozessvergleich vom getroffenen Kostenregelung aufzuheben.

12a) Grundlage der Kostenfestsetzung ist ein zur Zwangsvollstreckung geeigneter Titel (§ 103 Abs. 1 ZPO). Der im Kostenfestsetzungsverfahren nach § 104 ZPO zu erlassende Kostenfestsetzungsbeschluss füllt lediglich die Kostengrundentscheidung hinsichtlich der Höhe des zu erstattenden Kostenbetrags aus. Der Kostenfestsetzungsbeschluss ist deshalb sowohl hinsichtlich seiner Entstehung als auch seines Bestandes von der Kostengrundentscheidung abhängig. Wird sie aufgehoben oder abgeändert, verliert ein auf ihrer Grundlage erlassener Kostenfestsetzungsbeschluss im Umfang der Aufhebung oder Abänderung seine Wirkung ( Rn. 11, NJW 2013, 2438; Beschluss vom - X ZB 36/07 Rn. 5, NJW-RR 2008, 1082). Zu Recht geht das Beschwerdegericht davon aus, dass in einem solchen Fall eine auf der Grundlage einer überholten Kostengrundentscheidung erfolgte Kostenfestsetzung aus Gründen der Rechtsklarheit von Amts wegen aufzuheben wäre (vgl. Rn. 6, NJW-RR 2008, 1082; Beschluss vom - VI ZB 61/06 Rn. 5, NJW-RR 2007, 784).

13b) Die vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen rechtfertigen nicht die Annahme, der Kostenfestsetzungsbeschluss vom habe seine Wirkung verloren. Dieser ist auf der Grundlage des Beschlusses vom im selbständigen Beweisverfahren ergangen, mit dem gemäß § 494a Abs. 2 ZPO die Kosten dieses Verfahrens dem Antragsteller auferlegt worden sind. Der Kostenbeschluss vom ist nicht mit Rechtsmitteln angefochten worden und daher rechtskräftig.

14aa) Es kann dahinstehen, ob eine nachträglich im Hauptsacheverfahren vom Gericht getroffene Kostenentscheidung stets einen im selbständigen Beweisverfahren ergangenen Kostenbeschluss gemäß § 494a Abs. 2 ZPO, der formell rechtskräftig ist, abändert und dieser unter der auflösenden Bedingung steht, dass im Hauptsacheverfahren keine abweichende Kostenentscheidung ergeht (vgl. LG Kleve, Beschluss vom - 6 T 34/96, NJW-RR 1997, 1356, BeckOK ZPO/Kratz, Stand: , § 494a Rn. 12; a.A. , MDR 2015, 482, juris Rn. 8; , BauR 2008, 1350 = NZBau 2009, 38, juris Rn. 8; , OLGR 1997, 38, juris Rn. 8; MünchKommZPO/Schreiber, 6. Aufl., § 494a Rn. 8). Denn eine solche gerichtliche Kostenentscheidung ist im Hauptsacheverfahren nicht ergangen. Dieses ist vielmehr durch einen Prozessvergleich der Parteien beendet worden. Es bedarf darüber hinaus keiner Entscheidung, ob eine in einem Prozessvergleich getroffene Regelung über die Kosten des Rechtsstreits überhaupt dazu führen kann, dass ein auf der Grundlage einer zuvor ergangenen rechtskräftigen Kostenentscheidung erlassener Kostenfestsetzungsbeschluss gegenstandslos wird (vgl. dazu , JurBüro 1989, 1421, juris Rn. 4).

15bb) Auch wenn man die letztgenannte Frage bejahte, ist die Annahme des Beschwerdegerichts rechtsfehlerhaft, zu den Kosten des Rechtsstreits gehörten im vorliegenden Fall die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens, die bereits Gegenstand der rechtskräftigen Kostenentscheidung vom waren. Ob der im Prozessvergleich vom vereinbarten Kostenregelung der Parteien diese Bedeutung zukommt, ist durch Auslegung des Vergleichs nach §§ 133, 157 BGB zu ermitteln.

16(1) Die Auslegung des Prozessvergleichs hat vom Wortlaut der Erklärung auszugehen. Der Parteiwille muss danach zumindest andeutungsweise im Wortlaut der vergleichsweise getroffenen Kostenregelung zum Ausdruck gekommen sein (vgl. Rn. 11, BauR 2021, 1006; Beschluss vom - VI ZB 24/16 Rn. 9, NJW 2017, 1887; Beschluss vom - I ZB 3/12 Rn. 14, MDR 2014, 800; Urteil vom - I ZR 101/97, NJW-RR 2001, 614, juris Rn. 53 m.w.N.).

17Die von dem Beschwerdegericht vorgenommene Auslegung des gerichtlichen Vergleichs der Parteien ist im Rechtsbeschwerdeverfahren jedenfalls darauf überprüfbar, ob gesetzliche oder allgemein anerkannte Auslegungsregeln, die Denkgesetze oder allgemein anerkannte Erfahrungssätze verletzt worden sind oder ob die Auslegung auf einem gerügten Verfahrensfehler beruht ( Rn. 8, NJW 2017, 1887; Beschluss vom - V ZB 241/10 Rn. 13, juris; vgl. zum Revisionsverfahren: , NJW 2000, 1942, juris Rn. 18; Urteil vom - VII ZR 116/94, BauR 1995, 697, juris Rn. 12). Die Frage, ob Prozessvergleiche in einem weitergehenden Umfang, nämlich unbeschränkt und selbständig ausgelegt werden können (so , BAGE 42, 244, juris Rn. 30; offengelassen Rn. 22, BauR 2021, 1183; Beschluss vom - VI ZB 24/16 Rn. 8, NJW 2017, 1887; Beschluss vom - V ZB 241/10 Rn. 13, juris; Urteil vom - XI ZR 22/12 Rn. 34, NJW 2013, 1519; Urteil vom - VIII ZR 214/04, NJW-RR 2005, 1323, juris Rn. 17; Urteil vom - I ZR 101/97, NJW-RR 2001, 614, juris Rn. 52, jeweils zum Revisionsverfahren), bedarf keiner Entscheidung, weil sich die Auslegung schon aufgrund der beschränkten Nachprüfung als rechtsfehlerhaft erweist.

18(2) Das Beschwerdegericht hat seine Auffassung, wonach die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens im vorliegenden Fall von der im Vergleich getroffenen Regelung über die "Kosten des Rechtsstreits" mit umfasst waren, darauf gestützt, dass diese Kosten nach richtiger Auffassung von einer gerichtlichen Kostenentscheidung bei gleicher Sachlage umfasst gewesen wären und die Parteien, wenn sie eine abweichende Kostenregelung hätten treffen wollen, dies im Prozessvergleich hätten klarstellen müssen. Das Beschwerdegericht berücksichtigt dabei nicht hinreichend, dass sich im Hinblick auf den von ihm dargestellten Meinungsstreit zu der Frage, ob die Kosten des selbständigen Beweisverfahrens auch dann Teil der Kosten des Hauptsacheverfahrens sind, wenn im selbständigen Beweisverfahren bereits eine rechtskräftige Kostenentscheidung ergangen ist, im Zeitpunkt des Vergleichsschlusses am kein allgemeines Verständnis ausgebildet hatte, das zur Auslegung einer von den Parteien vergleichsweise getroffenen Regelung über die Kosten hätte herangezogen werden können. Es besteht daher keine Grundlage für die Annahme des Beschwerdegerichts, dass zu den Kosten des Rechtsstreits, über die in einem gerichtlichen Vergleich keine gesonderte Regelung getroffen worden ist, stets auch dann die Kosten eines vorausgegangenen selbständigen Beweisverfahrens gehören, wenn in diesem eine Kostenentscheidung gemäß § 494a Abs. 2 ZPO ergangen und diese rechtskräftig ist. Eine solche Auslegungsregel existiert im Hinblick auf den dargestellten Meinungsstreit (siehe oben II. 2. b) aa) nicht.

193. Die angefochtene Entscheidung kann daher keinen Bestand haben. Auf die Rechtsmittel des Antragsgegners sind sowohl der angefochtene Beschluss des Beschwerdegerichts als auch des Landgerichts aufzuheben. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden, weil weitere Feststellungen nicht zu erwarten sind, die Aufhebung der Entscheidung nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Rechts auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und die Sache nach dem festgestellten Sachverhalt zur Endentscheidung reif ist, § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO.

20Die Auslegung des Vergleichs unter Berücksichtigung der Wertung des § 98 Satz 2 ZPO ergibt, dass die dem Antragsgegner im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten nicht von der Kostenregelung im Vergleich vom erfasst waren. § 98 Satz 2 ZPO bestimmt, dass die Kosten des durch Vergleich erledigten Rechtsstreits bei Fehlen einer anderweitigen Vereinbarung als gegeneinander aufgehoben gelten, soweit nicht über sie bereits rechtskräftig erkannt ist. Danach ist ein Prozessvergleich regelmäßig dahin auszulegen, dass ohne ausdrückliche Regelung der Parteien rechtskräftige Kostenentscheidungen durch den Vergleich nicht abgeändert werden (vgl. Rn. 12 m.w.N., NJW 2017, 1887; , NJW 2021, 306). So liegt der Fall hier.

21Die Parteien haben im Vergleich über diese Kosten keine eigenständige Regelung getroffen, sondern sie dort nicht erwähnt. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegner die zu seinen Gunsten ergangene Kostenentscheidung im selbständigen Beweisverfahren zur Disposition stellen wollte, sind nicht ersichtlich. Da ein Abweichen von der bereits ergangenen rechtskräftigen Kostenentscheidung vom einem Verzicht des Antragsgegners auf die ihm hierdurch entstandene Rechtsposition gleichkäme, sind an die Annahme eines solchen rechtsgeschäftlichen Willens des Antragsgegners hohe Anforderungen zu stellen. Ohne eine dementsprechende Regelung im Vergleich kann der vereinbarten Kostenverteilung bei objektivem Verständnis nicht der Inhalt beigelegt werden, dass die Kostenentscheidung vom stillschweigend abgeändert werden und der Antragsgegner entsprechend der Kostenverteilung im Vergleich auch einen Teil seiner im selbständigen Beweisverfahren entstandenen Kosten selbst tragen sollte.

III.

22Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:271021BVIIZB7.21.0

Fundstelle(n):
NJW 2022 S. 628 Nr. 9
WM 2022 S. 2000 Nr. 41
MAAAI-01664