BAG Urteil v. - 5 AZR 10/21

Tarifliches Zusatzgeld - Reichweite eines durch Formularvertrag begründeten Anspruchs auf Gehaltsanpassung

Gesetze: § 611a Abs 2 BGB, § 1 TVG

Instanzenzug: Az: 1 Ca 1090/19 Urteilvorgehend Landesarbeitsgericht Hamm (Westfalen) Az: 12 Sa 2016/19 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über restliche Vergütung für das Jahr 2019 in Höhe eines tariflichen Zusatzgeldes.

2Der Kläger ist seit dem Jahr 1994 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin - jeweils Unternehmen der Automobilzulieferindustrie - als Operator Biegetechnik beschäftigt. Sein regelmäßiger Bruttomonatsverdienst, der sich aus Grundgehalt und Leistungszulage zusammensetzt, betrug zuletzt 4.040,56 Euro. Der Kläger ist nicht Mitglied der IG Metall. Die Beklagte ist - ebenso wie ihre Rechtsvorgängerin - Mitglied im Arbeitgeberverband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen ohne Tarifbindung. Eine Bezugnahme auf Tarifverträge ist im Arbeitsvertrag des Klägers nicht enthalten.

3Bis in das Jahr 1997 erhöhte die Rechtsvorgängerin der Beklagten - jeweils nach gesonderter Entscheidung und zeitlich versetzt zu Entgelterhöhungen im Tarifbereich der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen - die Grundgehälter ihrer Arbeitnehmer um den jeweiligen Prozentsatz der Tarifsteigerungen. Etwaige in den Entgeltabkommen geregelte Pauschalbeträge gab sie hingegen nicht weiter. Vor dem Hintergrund wirtschaftlicher Schwierigkeiten vereinbarte sie im März 2010 mit dem Betriebsrat ein „Konzept über Sanierungsbeiträge der Belegschaft“. Darin heißt es ua.:

4Am schloss die Rechtsvorgängerin der Beklagten mit dem Kläger - wie auch mit weiteren Arbeitnehmern - eine „Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag“ (iF ZV 2010), in der Folgendes vereinbart ist:

5Am schlossen der Verband der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens e.V. und die IG Metall Bezirksleitung Nordrhein-Westfalen ein neues, erstmals zum kündbares ERA-Entgeltabkommen (iF EA 2018). Darin vereinbarten sie für Januar bis März 2018 die Fortgeltung der bisherigen Entgelttabelle, für März 2018 einen Pauschalbetrag von 100,00 Euro und mit Wirkung ab eine Erhöhung der Monatsgrundentgelte um 4,3 %. Ebenfalls am schlossen die Tarifvertragsparteien den am in Kraft getretenen „Tarifvertrag Tarifliches Zusatzgeld“ (iF TV T-ZUG) sowie einen Änderungstarifvertrag (iF ÄTV), der ua. den Einheitlichen Manteltarifvertrag vom (iF EMTV) betraf. Im TV T-ZUG ist - auszugsweise - geregelt:

6Am vereinbarten die Tarifvertragsparteien einen Manteltarifvertrag (iF MTV 2018), der am in Kraft trat und den EMTV ersetzte. In § 25 MTV 2018 heißt es:

7Die Beklagte gab seit dem Jahr 2013 die Tariflohnerhöhungen einschließlich vereinbarter Pauschalbeträge an den Kläger weiter. Jedoch leistete sie bei Fälligkeit im Juli 2019 weder das T-ZUG (A) noch das T-ZUG (B).

8Mit seiner Klage begehrt der Kläger - nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung - weitere Vergütung für das Jahr 2019 in Höhe der tariflichen Zusatzgelder. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei arbeitsvertraglich zur Zahlung des T-ZUG (A) und T-ZUG (B) verpflichtet. Es handele sich um eine Tariferhöhung in Gestalt einer Einmalzahlung iSv. § 1 Abs. 7 ZV 2010. Das tarifliche Zusatzgeld sei, wie Äußerungen der Tarifvertragsparteien im Zusammenhang mit dem Tarifabschluss 2018 belegten, mit Zugeständnissen bei den prozentualen Erhöhungssätzen „erkauft“ worden.

9Der Kläger hat - sinngemäß - beantragt,

10Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

11Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter.

Gründe

12Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Beklagten zu Unrecht zurückgewiesen. Das führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO). Einer Zurückverweisung bedarf es nicht, da der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung der - in ihrer Höhe unstreitigen - Zusatzgelder. Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Zinsen.

13I. Ein Anspruch des Klägers auf die begehrten Zusatzgelder folgt nicht unmittelbar aus § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG iVm. § 2 TV T-ZUG. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts waren die Parteien im streitgegenständlichen Zeitraum nicht tarifgebunden, § 3 Abs. 1 TVG.

14II. Das zwischen der Beklagten und dem Betriebsrat vereinbarte „Konzept über Sanierungsbeiträge der Belegschaft“ scheidet als Anspruchsgrundlage aus. Dieses enthält keine normativen Regelungen, durch die der Inhalt von Arbeitsverhältnissen unmittelbar und zwingend gestaltet werden sollte. Nach ihrer unmissverständlichen Äußerung, wonach das „Konzept“ den Arbeitnehmern zur „Aufnahme in die Arbeitsverträge“ vorgeschlagen werden sollte, haben die Betriebsparteien einzelvertragliche Vereinbarungen für unerlässlich erachtet, um den vorgesehenen „Sanierungsbeiträgen“ im Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmer Wirkung zu verleihen.

15III. Der Kläger kann die begehrte Zahlung nicht aus § 611a Abs. 2 BGB iVm. § 1 ZV 2010 verlangen. Zu den Einmalzahlungen, die der Kläger nach § 1 Abs. 7 ZV 2010 „erhält“, gehören nur solche Leistungen, die eine pauschalierte Erhöhung der regelmäßigen tariflichen Entgelte darstellen. Das ergibt die Auslegung der vertraglichen Bestimmung nach den für die Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen geltenden Regelungen. Das tarifliche Zusatzgeld iSv. § 2 Nr. 2 Buchst. a), b) TV T-ZUG ist - wie die Tarifauslegung ergibt - keine solche Einmalzahlung. Es handelt sich um eine von einer pauschalierten Tariferhöhung zu unterscheidende besondere Geldleistung. Eine ergänzende Vertragsauslegung, die zu einer Verpflichtung der Beklagten führte, dem Kläger entsprechende Gelder zu zahlen, scheidet aus.

161. § 1 Abs. 7 ZV 2010 begründet eine vertragliche Verpflichtung der Beklagten zur Gehaltsanpassung, die sich auf die Weitergabe der „prozentualen Erhöhungssätze“ sowie „eventuell vereinbarte[r] Einmalzahlungen“ entsprechend den Tarifverträgen der Metall- und Elektroindustrie im Tarifgebiet Nordrhein-Westfalen bezieht. Der Begriff der „Einmalzahlungen“ stellt auf im Tarifbereich vereinbarte pauschalierte Erhöhungen der regelmäßigen tariflichen Entgelte ab.

17a) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts handelt es sich bei der ZV 2010 um einen Formularvertrag. Unabhängig davon kann der Senat nach Inhalt und äußerem Erscheinungsbild der Vereinbarung davon ausgehen, dass die dort enthaltenen Klauseln für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert wurden. Es handelt sich somit um Allgemeine Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Deren Auslegung unterliegt der vollen revisionsrechtlichen Überprüfung durch den Senat (st. Rspr., zB  - Rn. 23 mwN, BAGE 168, 122; zu den Auslegungsgrundsätzen bspw.  - Rn. 17 mwN).

18b) Welche tariflichen Leistungen der Begriff der „Einmalzahlungen“ umfasst, wird in der Zusatzvereinbarung nicht näher definiert. Der Wortlaut der Klausel ist - für sich betrachtet - nicht eindeutig. Mit den Worten „prozentuale Erhöhungssätze“ knüpft die Regelung an die linearen Steigerungen der regelmäßigen Tarifentgelte an. Hiervon ausgehend liegt es, da der Ausdruck der „Einmalzahlungen“ in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Begriff der „prozentualen Erhöhungssätze“ steht und mit diesem durch die Worte „sowie eventuell vereinbarte …“ verknüpft ist, nahe, beide auf Steigerungen der regelmäßigen Entgelte im Tarifbereich zu beziehen. Gleichwohl lässt der Wortlaut der Vertragsklausel auch eine andere Lesart zu. Oftmals wird in Tarifverträgen neben einer pauschalierten Entgelterhöhung auch eine davon zu unterscheidende Sonderzahlung als „Einmalzahlung“ bezeichnet ( - Rn. 29; - 5 AZR 540/05 - Rn. 17 mwN). Für eine Einbeziehung solcher Sonderzahlungen könnte sprechen, dass § 1 Abs. 7 ZV 2010 hinsichtlich der heranzuziehenden Tarifregelungen nicht spezifisch auf die im Bereich der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen vereinbarten Entgelttarifverträge bzw. Entgeltabkommen Bezug nimmt, in denen üblicherweise für Tarifbeschäftigte lineare Entgeltsteigerungen und Pauschalzahlungen mit Überbrückungsfunktion vereinbart werden. Vielmehr wird für die weiterzugebenden Leistungen allgemein an die Tarifverträge der Branche und damit an Bestimmungen anknüpft, in denen auch von pauschalierten Entgelterhöhungen zu unterscheidende Sonderzahlungen geregelt werden.

19c) Der Inhalt des Begriffs der „Einmalzahlungen“ erschließt sich jedoch aus dem Kontext, in dem § 1 Nr. 7 ZV 2010 steht, sowie aus der bei Zustandekommen der Zusatzvereinbarung bestehenden erkennbaren Interessenlage.

20aa) Nach ihrer Präambel wurde die Zusatzvereinbarung „aufgrund der zwischen dem Arbeitgeber und dem Betriebsrat erfolgten Vereinbarung vom bezüglich der Arbeitszeit und Vergütung für die Jahre 2010 bis 2013“ geschlossen. Daraus wurde für einen verständigen Arbeitnehmer ohne Weiteres deutlich, dass die Vereinbarung der Verwirklichung des von den Betriebsparteien entwickelten „Konzepts über Sanierungsbeiträge der Belegschaft“ diente und vor dessen Hintergrund zu lesen ist.

21bb) In dem „Konzept“ sind - nach Tätigkeitsgruppen getrennt - verschiedene „Sanierungsbeiträge“ der AN aufgeführt, in deren Anschluss mehrere „Gegenleistungen“ der Beklagten genannt sind, darunter „ab 2013“ eine „Anbindung an die Entgeltentwicklung der Metall- und Elektroindustrie“. Der anschließende Klammerzusatz „gemeint sind die prozentualen Erhöhungen sowie gegebenenfalls vereinbarte Einmalzahlungen“ hat offenkundig zum Ziel, den Umfang der „Anbindung“ an die Entwicklungen im tariflichen Entgeltbereich sachlich zu begrenzen. Andernfalls hätte es seiner nicht bedurft. Dem wird die Auslegung des Begriffs der „Einmalzahlungen“ nur gerecht, wenn hierunter - ebenfalls in einem eingrenzenden Verständnis - lediglich pauschalierte Erhöhungen der regelmäßigen Entgelte und nicht auch davon zu unterscheidende Geldleistungen verstanden werden. Das gilt umso mehr als es bei den Einmalzahlungen im Konzept der Betriebsparteien um „Gegenleistungen“ für einen Gehaltsverzicht der Arbeitnehmer geht, und Sonderzahlungen, soweit sie - wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld - von den Sanierungsbeiträgen betroffen sind, sowohl im Rahmen der von den Betriebsparteien aufgelisteten „Gegenleistungen“ als auch in § 1 ZV 2010, und zwar in Abs. 6 der Bestimmung, eine gesonderte Regelung erfahren haben.

22cc) Für ein enges Verständnis des Begriffs der „Einmalzahlungen“ im Sinne pauschalierter Erhöhungen der regelmäßigen Entgelte spricht zudem, dass die Beklagte sich vor der Vereinbarung des „Konzepts“ und der ZV 2010 bei der Anhebung der Grundgehälter ihrer Arbeitnehmer zwar an den Tarifabschlüssen in der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen orientiert hatte, sie entsprechende Anpassungen der mit ihren Arbeitnehmern unabhängig vom Tarifgefüge vereinbarten Grundgehälter jedoch nur unregelmäßig und lediglich bezogen auf lineare Entgeltsteigerungen vorgenommen hatte. Vor diesem Hintergrund ging es den Betriebsparteien, soweit nach ihrem Sanierungskonzept ab dem Jahr 2013 eine „Anbindung“ an die tarifliche Entgeltentwicklung erfolgen sollte, ersichtlich darum, einen durch individuelle Vereinbarungen umzusetzenden Rechtsanspruch der Beschäftigten auf Gehaltsanpassung zu etablieren, der eine uneingeschränkte Weitergabe von Tariflohnerhöhungen - sowohl in zeitlicher Hinsicht als auch dem Umfang nach, dh. einschließlich etwaiger Interimszahlungen - gewährleistet. Dann aber muss sich der Begriff der „Einmalzahlungen“ zwingend auf pauschalierte Erhöhungen der regelmäßigen Entgelte im Tarifbereich beziehen. Dafür, dass sich die nicht tarifgebundene Beklagte zu einer weitergehenden vergütungsrechtlichen „Gleichstellung“ ihrer Arbeitnehmer hat verpflichten wollen, fehlt es demgegenüber - sowohl im Konzept der Betriebsparteien als auch in der zwischen den Parteien getroffen Zusatzvereinbarung zum Arbeitsvertrag - an Anhaltspunkten.

23d) Der Auslegung des Begriffs der „Einmalzahlungen“ in § 1 Abs. 7 ZV 2010 als pauschalierte Tariflohnerhöhung steht die Unklarheitenregelung in § 305c Abs. 2 BGB, gemäß derer Zweifel bei der Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen, nicht entgegen. Nach Auslegung der Klausel verbleiben keine nicht zu behebenden Zweifel. Ein Verstoß gegen § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB liegt nicht vor. Die Auslegungsbedürftigkeit einer Klausel bedeutet nicht zugleich deren Intransparenz (st. Rspr., zB  - Rn. 27, BAGE 154, 93).

242. Danach unterfallen das T-ZUG (A) und das T-ZUG (B) nicht dem Begriff der Einmalzahlungen iSv. § 1 Abs. 7 ZV 2010. Bei den tariflichen Zusatzgeldern iSv. § 2 Nr. 2 Buchst. a) und Nr. 2 Buchst. b) TV T-ZUG handelt es sich nicht um pauschale Erhöhungen des für eine bestimmte Zeitspanne geschuldeten regelmäßigen Entgeltbetrags, sondern um eine davon zu unterscheidende tarifliche Leistung. Das ergibt die Auslegung der Tarifregelungen (zu den für Tarifverträge maßgeblichen Auslegungsgrundsätzen und zur in der Revisionsinstanz uneingeschränkten Nachprüfbarkeit der durch das Berufungsgericht vorgenommenen Auslegung einer Tarifnorm vgl.  - Rn. 20, 21 mwN).

25a) Die Tarifvertragsparteien haben die umstrittenen Gelder in einem eigenständigen, erstmals im Februar 2018 abgeschlossenen Tarifvertrag geregelt und als „tarifliches Zusatzgeld“ bezeichnet. Bereits dies lässt erkennen, dass es sich um eine besondere Geldleistung jenseits der regelmäßigen Vergütung handelt (zu dieser Einordnung  - Rn. 22).

26b) Der tarifliche Gesamtzusammenhang und der sich daraus erschließende Sinn und Zweck des tariflichen Zusatzgeldes bestätigen diesen Befund.

27aa) Zwar weist das Zusatzgeld, wie das Landesarbeitsgericht im Ausgangspunkt zutreffend gesehen hat, durchaus Bezüge zur Arbeitsleistung des Beschäftigten und zur Höhe des regelmäßigen Tarifentgelts auf. So wird es nach § 2 Nr. 1 Abs. 1, Abs. 2 TV T-ZUG je Kalenderjahr gezahlt und im Austrittsjahr des Beschäftigten anteilig gekürzt. Für Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis geruht hat, besteht kein Anspruch auf die Leistung. Gemäß § 2 Nr. 2 Buchst. a) TV T-ZUG beträgt das T-ZUG (A) 27,5 % des nach § 14 Nr. 1 Abs. 3 EMTV zu ermittelnden monatlichen regelmäßigen Arbeitsentgelts bzw. der regelmäßigen Ausbildungsvergütung. Das T-ZUG (B) iSv. § 2 Nr. 2 Buchst. b) TV T-ZUG beläuft sich, nachdem es für das Jahr 2019 als Pauschalbetrag festgelegt wurde, ab dem Jahr 2020 auf 12,3 % des jeweils gültigen Grundentgelts der EG 8. Weder die Festsetzung eines einheitlichen Betrags für das Jahr 2019 noch die Anknüpfung an das Entgelt einer bestimmten Entgeltgruppe widersprechen grundsätzlich der Annahme, das Zusatzgeld habe gegenleistungsbezogenen Vergütungscharakter (vgl.  - Rn. 16).

28bb) Das tarifliche Zusatzgeld honoriert aber nach der Stichtagsregelung in § 2 Nr. 1 Abs. 1 TV T-ZUG zugleich eine vom Arbeitnehmer gezeigte Betriebstreue. Danach haben Anspruch auf das Zusatzentgelt Beschäftigte, die jeweils am 31. Juli eines Kalenderjahres in einem Arbeitsverhältnis stehen und zu diesem Zeitpunkt dem Betrieb sechs Monate angehört haben. Auch wenn nur ein geringes Maß an Betriebszugehörigkeit verlangt wird, handelt es sich doch um eine Leistung, die sich von einem rein gegenleistungsbezogenen Vergütungsbestandteil unterscheidet. Für die Charakterisierung als besondere Geldleistung spricht zudem die in den manteltariflichen Regelungen zugunsten der Arbeitnehmer eingeführte Option, unter bestimmten Voraussetzungen statt des Zusatzgeldes (A) eine festgelegte Anzahl von freien Tagen in Anspruch nehmen zu können.

29c) Der Einordnung des T-ZUG (A) und des T-ZUG (B) als von einer pauschalierten Entgelterhöhung zu unterscheidenden besonderen Geldleistung stehen die Äußerungen der Tarifvertragsparteien zum Tarifabschluss 2018 nicht entgegen, soweit sie dort - nach den bindenden Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (§ 559 Abs. 2 ZPO) - das tarifliche Zusatzgeld „als einen der vier Bausteine beim Entgelt“ bezeichnet haben. Das gilt ungeachtet dessen, dass außerhalb des Tarifvertrags getätigte Äußerungen der Tarifvertragsparteien bei der Auslegung einer Tarifbestimmung allenfalls Berücksichtigung finden können, wenn das aus Wortlaut, Sinn und Zweck sowie tariflichem Gesamtzusammenhang ergebende Verständnis - anders als hier - kein eindeutiges Ergebnis zeigt (vgl.  - Rn. 23). Der in den Äußerungen gebrauchte Begriff des „Entgelts“ ist weiter als der des regelmäßigen Tarifentgelts. Insoweit verdeutlichen die vom Landesarbeitsgericht herangezogenen Erklärungen nur, dass die Tarifparteien das Zusatzgeld bei der sich aus ihren Abschlüssen ergebenden finanziellen Gesamtbelastung eingerechnet haben. Seine Charakterisierung als pauschalierte Entgeltsteigerung rechtfertigt sich daraus nicht. Entsprechendes gilt, soweit das Berufungsgericht unter Verweis auf die Entstehungsgeschichte des TV T-ZUG angenommen hat, das tarifliche Zusatzgeld habe „statt einer normalen Tabellenerhöhung ab dem Jahr 2019“ gezahlt werden sollen. Dieser Aspekt mag belegen, dass die Tarifvertragsparteien wegen der Einführung des tariflichen Zusatzgeldes und der damit verbundenen finanziellen Belastungen für Unternehmen auf eine zusätzliche Steigerung der regelmäßigen Entgelte verzichtet haben. Er führt aber ebenso wenig dazu, dass die tariflichen Zusatzgelder als integraler Bestandteil der Erhöhung der regelmäßigen Tarifentgelte und damit als „Einmalzahlungen“ iSv. § 1 Abs. 7 ZV 2010 anzusehen wären.

30d) Da es sich somit bei den tariflichen Zusatzgeldern begrifflich nicht um Einmalzahlungen iSv. § 1 Abs. 7 ZV 2010 handelt, kann im vorliegenden Streitfall offenbleiben, ob andernfalls zumindest die in § 4 TV T-ZUG geregelte Möglichkeit, aus wirtschaftlichen Gründen mit Zustimmung der Tarifvertragsparteien das T-ZUG (B) ganz oder teilweise nicht zur Auszahlung zu bringen oder dessen Auszahlung zeitlich zu verschieben, einer Verpflichtung der Beklagten zur Weitergabe der Zahlungen entgegenstünde, wie die Revision meint. Gleiches gilt im Hinblick auf die nach § 3 TV T-ZUG bestehende Verknüpfung des T-ZUG (A) mit dem Freistellungsanspruch nach § 3d EMTV bzw. § 25 MTV 2018.

313. Ein Anspruch des Klägers auf Weitergabe des T-ZUG (A) und T-ZUG (B) ergibt sich nicht aus einer ergänzenden Auslegung von § 1 Abs. 7 ZV 2010.

32a) Voraussetzung für eine ergänzende Vertragsauslegung ist, dass die Vereinbarung eine Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit aufweist. Allein der Umstand, dass ein Vertrag für eine bestimmte Fallgestaltung keine Regelung enthält, bedeutet noch nicht, dass es sich um eine planwidrige Lücke handelt. Von einer Planwidrigkeit kann nur dann die Rede sein, wenn der Vertrag eine Bestimmung vermissen lässt, die erforderlich wäre, um den ihm zugrunde liegenden Regelungsplan zu verwirklichen, mithin ohne Vervollständigung des Vertrags eine angemessene, interessengerechte Lösung nicht zu erzielen ist (st. Rspr., zB  - Rn. 42 mwN). Letzteres gilt auch im Fall der Unwirksamkeit einer Vertragsklausel und einer dadurch entstandenen Lücke (vgl.  - Rn. 30 mwN, BAGE 168, 54).

33b) Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Die ZV 2010 ist durch den Abschluss des TV T-ZUG nicht nachträglich lückenhaft geworden. Die in § 1 Abs. 7 ZV 2010 begründete Verpflichtung der Beklagten zur Gehaltsanpassung bezog sich von Anfang an - ersichtlich bewusst - nur auf die Weitergabe von Steigerungen der regelmäßigen tariflichen Entgelte. Es gibt keine Hinweise darauf, dass nach der bei Vertragsschluss bestehenden Interessenlage der Parteien die Vereinbarung von besonderen Geldleistungen wie nach § 2 TV T-ZUG für den Inhalt der Vertragsklausel von Bedeutung gewesen wäre.

34IV. Die Kosten des Rechtsstreits hat nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Kläger zu tragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2021:210721.U.5AZR10.21.0

Fundstelle(n):
BB 2022 S. 51 Nr. 1
NJW 2022 S. 10 Nr. 1
AAAAH-96332