Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens: Berücksichtigung der Wertungen der sektorspezifischen Entgeltregulierung; Schadensersatzanspruch eines Eisenbahnverkehrsunternehmens wegen Verstoßes des für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen maßgeblichen Entgeltsystems gegen das eisenbahnrechtliche Diskriminierungsverbot und das Missbrauchsverbot - Stationspreissystem III
Leitsatz
Stationspreissystem III
1. Bei der Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV auf das Preisverhalten eines marktbeherrschenden Anbieters von Schieneninfrastruktureinrichtungen sind die Wertungen der sektorspezifischen Entgeltregulierung (hier: § 14 Abs. 5 AEG aF) zu berücksichtigen (Bestätigung von , WuW 2020, 209 - Trassenentgelte und vom - KZR 12/15, WuW 2021, 119 - Stationspreissystem II).
2. Dem Schadensersatzanspruch eines Eisenbahnverkehrsunternehmens, der sich aus einem Verstoß des für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktureinrichtungen maßgeblichen Entgeltsystems gegen das eisenbahnrechtliche Diskriminierungsverbot und das Verbot eines Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung des Eisenbahninfrastrukturunternehmens ergibt, steht es nicht entgegen, wenn die Bundesnetzagentur dem ihr im Rahmen der Vorabprüfung angezeigten Entgeltsystem nicht widersprochen hat (Bestätigung von , WuW 2021, 119 - Stationspreissystem II).
Gesetze: Art 102 AEUV, § 33 GWB 2005, § 14 Abs 5 aF AEG
Instanzenzug: Az: KZR 72/15 Beschlussvorgehend OLG Frankfurt Az: 11 U 84/11 (Kart) Urteilvorgehend LG Frankfurt Az: 3-04 O 108/10 Urteil
Tatbestand
1Die Beklagte, eine Tochtergesellschaft der Deutsche Bahn AG, ist ein Eisenbahninfrastrukturunternehmen im Sinne des § 2 Abs. 1 Allgemeines Eisenbahngesetz (AEG). Sie unterhält etwa 5.400 Bahnhöfe in Deutschland. Die Klägerin, ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, nutzt die Bahnhöfe der Beklagten auf der Strecke von Bremerhaven nach Hamburg-Neugraben.
2Die Beklagte schließt mit Eisenbahnverkehrsunternehmen, die die von ihr vorgehaltene Infrastruktur in Anspruch nehmen wollen, jeweils Rahmennutzungsverträge über die Stationsnutzung ab. Darin nimmt sie hinsichtlich der Höhe der Nutzungsentgelte Bezug auf ihre jeweils gültige Stationspreisliste. Die Einzelnutzungen der Bahnhöfe werden in gesonderten Stationsnutzungsverträgen geregelt.
3Die Parteien schlossen mit Datum vom 10. und einen solchen Rahmenvertrag. Das Entgelt für die Nutzung der Personenbahnhöfe berechnete die Klägerin zunächst nach dem Stationspreissystem 1999 (SPS 99), das Einzelpreise für jeden von der Beklagten betriebenen Bahnhof vorsah. Zum führte die Beklagte ein neues Stationspreissystem (SPS 05) ein, dem die Bundesnetzagentur im Rahmen der Vorabprüfung nicht widersprach. Danach wurden die von den zugangsberechtigten Eisenbahnverkehrsunternehmen zu zahlenden Entgelte nach bestimmten Preiskategorien und bezogen auf die jeweiligen Bundesländer pauschal ermittelt. Die Einordnung eines bestimmten Bahnhofs in eine der sechs Stationskategorien richtete sich nach einer Vielzahl von Faktoren, zu denen unter anderem die jeweils nach Fern- und Nahverkehr unterschiedlich gewichtete Anzahl der Reisenden und der Zughalte zählte. Die Klägerin, für die das neue System zu Preiserhöhungen führte, entrichtete die Erhöhungsbeträge ab dem nur noch unter Vorbehalt.
4Mit ihrer Klage verlangt die Klägerin Rückzahlung von Teilbeträgen bereits entrichteter Stationsnutzungsentgelte für den Zeitraum von Juni bis Oktober 2006. Sie hat beantragt, die Beklagte zur Zahlung in Höhe von 53.136,54 € zu verurteilen. Das Landgericht hat der Klage - unter Abweisung eines Teils des geltend gemachten Zinsanspruchs - stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten ist ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihr auf Klageabweisung gerichtetes Begehren weiter.
Gründe
5Die Revision führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6I. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
7Der Klägerin stehe nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB ein Anspruch auf Rückzahlung von Teilbeträgen bereits entrichteter Stationsentgelte zu. Die Bestimmung der im streitbefangenen Zeitraum vertraglich geschuldeten Entgelte seitens der Klägerin halte einer Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB nicht stand und sei daher unverbindlich. Eine Überprüfung am Maßstab des § 315 BGB sei weder durch die Vorschriften des Allgemeinen Eisenbahngesetzes noch durch diejenigen der Eisenbahninfrastruktur-Benutzungsverordnung ausgeschlossen. Die Klägerin habe die Billigkeit der geforderten Entgelte nicht hinreichend dargelegt. Aus ihrem Vortrag ergebe sich bereits nicht, dass das Stationspreissystem 2005 als solches den gesetzlichen Anforderungen des § 14 Abs. 5 AEG in der ab dem geltenden Fassung (im Folgenden: aF) entspreche. Es spreche zwar viel dafür, dass ein Kategoriepreismodell für die Bemessung der Stationsnutzungsentgelte nicht grundsätzlich unzulässig sei. Die konkrete Ausgestaltung des SPS 05 sei jedoch nicht mit der Anforderung vereinbar, einen nicht missbräuchlichen und diskriminierungsfreien Zugang zu den Stationen zu ermöglichen. Zwar bestünden gegen die von der Beklagten vorgetragenen Kriterien der Kategorieeinteilung, insbesondere die hohe Gewichtung des Fernverkehrs und die Bildung einer besonderen Kategorie 4 für S-Bahnhöfe mit einfacher Ausstattung aber hoher Frequentierung, keine grundlegenden Bedenken. Trotz mehrfach ergänztem Vortrag intransparent und nicht nachvollziehbar sei aber die Ermittlung der konkreten Preise für die verschiedenen Kategorien in den einzelnen Bundesländern. Die dargestellte Preisermittlung aus den durch die Anzahl der gewichteten Halte dividierten Gesamtkosten lasse allerdings einen Kostenbezug erkennen, und schlüssig erscheine auch die Zuordnung projektbezogener Zuschüsse der öffentlichen Hand. Die weitere Ableitung der tatsächlichen Kategoriepreise im Wege einer "iterativen Simulation" sei indessen sachlich nicht gerechtfertigt und intransparent. Die Beklagte habe eingeräumt, dass die vorgenommene "Preisglättung" nicht rechnerisch darstellbar, sondern ergebnisorientiert vorgenommen worden sei. Dies genüge den gesetzlichen Vorgaben nicht und reiche nicht aus, um ein diskriminierungsfreies System zu begründen. Wähle die Beklagte kein bundesweit einheitliches, sondern hinsichtlich jeder Kategorie länderbezogenes System, erscheine es willkürlich, im Ergebnis Kosten aus einem Bundesland durch Erlöse aus anderen auszugleichen, zumal nicht nur die Herleitung der Anpassung dunkel bleibe, sondern auch das Ergebnis fragwürdig erscheine. So führe die Preisglättung dazu, dass für die von der Klägerin genutzten Kategorien 3 und 5 in Bremen im Jahr 2006 der Erlös der Beklagten mehr als das Doppelte der Kosten betrage. Auch mit dem erklärten Ziel der Beklagten, entsprechend den vorgesehenen jährlichen Steigerungen der Regionalisierungsmittel in keinem Bundesland eine Steigerung von mehr als 1,5 % zu erzielen, sei dies nicht zu rechtfertigen.
8II. Diese Ausführungen halten der rechtlichen Überprüfung in einem entscheidenden Punkt nicht stand. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann der mit der Klage verfolgte Zahlungsanspruch nicht bejaht werden.
9Als rechtsfehlerhaft erweist sich die Annahme des Berufungsgerichts, die von der Beklagten erhobenen Stationsentgelte seien am Maßstab der individuellen vertraglichen Billigkeit im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB zu überprüfen. Wie der Gerichtshof der Europäischen Union (Urteil vom - C-489/15, EuZW 2018, 74 - CTL Logistics) nach Verkündung des Berufungsurteils ausgesprochen hat, steht die Richtlinie 2001/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Zuweisung von Fahrwegkapazität der Eisenbahn, die Erhebung von Entgelten für die Nutzung von Eisenbahninfrastruktur und die Sicherheitsbescheinigung (im Folgenden: Richtlinie 2001/14/EG), insbesondere im Hinblick auf die Vorschriften des Art. 4 Abs. 5 und des Art. 30 Abs. 1, 3, 5 und 6, der Anwendung einer nationalen Regelung wie derjenigen des § 315 BGB entgegen, die eine - von der durch die Richtlinie vorgesehenen Überwachung durch eine Regulierungsstelle unabhängige - Überprüfung von Wegeentgelten auf ihre Billigkeit im Einzelfall und deren Abänderung durch die Zivilgerichte zulassen. Die vom Gesetz nicht ausdrücklich angeordnete Überprüfung der Trassenentgelte am Maßstab des § 315 BGB und die gerichtliche Neufestsetzung eines billigen Entgelts haben daher, wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat (, WuW 2020, 209 Rn. 34 - Trassenentgelte, vom - KZR 12/15, WuW 2021, 119 = N&R 2021, 56 Rn. 13 f. - Stationspreissystem II; vom - KZR 60/16, WuW 2021, 365 Rn. 16 - Stornierungsentgelt II), zu unterbleiben.
10III. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Das Urteil ist daher aufzuheben (§ 562 ZPO) und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
111. Wie der Senat für entsprechende Sachverhalte bereits ausführlich begründet hat, ist die Vorschrift des Art. 102 AEUV im Streitfall anwendbar (BGH, WuW 2020, 209 Rn. 28 ff. - Trassenentgelte; WuW 2021, 119 Rn. 18 f. - Stationspreissystem II). Das Berufungsgericht hat jedoch - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - nicht geprüft, ob und inwieweit das Preisverhalten der Klägerin einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellt, die Bestimmung der Stationspreise nach den ebenfalls uneingeschränkt anwendbaren Vorschriften der §§ 134, 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB, § 33 GWB in der seit dem geltenden Fassung (nachfolgend: aF) (teilweise) unwirksam sind (vgl. BGH, WuW 2021, 119 Rn. 72 - Stationspreissystem II) und die Klageforderung daher begründet ist. Da das Berufungsgericht hierzu keine umfassenden Feststellungen getroffen hat und der Senat auf Grundlage des festgestellten Sachverhalts in der Sache auch nicht selbst entscheiden kann, ist sie nicht zur Endentscheidung reif und an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
122. Eine Aussetzung des Revisionsverfahrens in entsprechender Anwendung der Vorschrift des § 148 ZPO ist im Hinblick auf das Vorabentscheidungsersuchen des Kammergerichts an den Gerichtshof der Europäischen Union vom (WuW 2021, 178 ff.) nicht geboten. Entgegen der Auffassung der Revision stellt sich in diesem Zusammenhang nicht die vom Kammergericht dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegte Frage, ob es mit der Richtlinie 2001/14/EG vereinbar ist, wenn ein Zivilgericht "unabhängig von der Überwachung durch die Regulierungsstelle die Höhe der verlangten Entgelte nach den Maßstäben von Art. 102 AEUV und/oder des nationalen Kartellrechts überprüf[t]".
13a) Mit der Anwendung des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV sowie der darauf bezogenen Normen des nationalen Rechts durch die Zivilgerichte ergibt sich im Streitfall weder in materiell-rechtlicher noch in verfahrensrechtlicher Hinsicht ein Konflikt mit der Richtlinie 2001/14/EG.
14aa) Ungeachtet des Umstandes, dass es sowohl im Unionsrecht wie auch im nationalen Recht an einem gesetzlich normierten Anwendungsausschluss des Art. 102 AEUV sowie der Vorschriften der §§ 134, 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB, § 33 GWB aF fehlt (BGH, WuW 2020, 209 Rn. 21 ff., 32 ff. - Trassenentgelte; WuW 2021, 119 Rn. 19 ff., 38 - Stationspreissystem II), ergeben sich in materiell-rechtlicher Hinsicht für die Wahrung eines diskriminierungsfreien Zugangs zur Eisenbahninfrastruktur aus Art. 102 AEUV im Wesentlichen gleichlautende Vorgaben wie aus der Richtlinie 2001/14/EG. Darüber hinaus ist anerkannt, dass regulierungsrechtliche Vorgaben bei der Prüfung des Verhaltens eines Infrastrukturunternehmens am Maßstab des Art. 102 AEUV zwingend zu berücksichtigen sind (BGH, WuW 2020, 209 Rn. 44 - Trassenentgelte; WuW 2021, 119 Rn. 34 - Stationspreissystem II).
15bb) In verfahrensrechtlicher Hinsicht lassen sich weder dem Unionsrecht noch dem nationalen Recht Vorschriften entnehmen, nach denen die Zivilgerichte Ansprüche wegen eines Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens durch ein bestimmtes Entgelt oder Entgeltsystem nur und erst dann prüfen und zuerkennen dürfen, wenn die Regulierungsstelle (oder das deren Entscheidungen überprüfende Verwaltungsgericht) das betreffende Entgelt oder Entgeltsystem für nach den Maßstäben des Eisenbahnregulierungsrechts für rechtswidrig befunden hat (BGH, WuW 2020, 209 Rn. 37 - Trassenentgelte; WuW 2021, 119 Rn. 38 ff. - Stationspreissystem II).
16Sollte sich eine solche besondere Zulässigkeitsvoraussetzung für die Erhebung und Sachprüfung einer Schadensersatzklage wegen Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung eines Eisenbahninfrastrukturunternehmens aus der Richtlinie 2001/14/EG ableiten lassen, fehlte es jedenfalls an einer entsprechenden Umsetzung durch den nationalen Gesetzgeber. Ein etwaiges Umsetzungsdefizit könnte auch nicht dadurch geheilt werden, dass die Zivilgerichte die maßgeblichen anspruchsbegründenden oder -vernichtenden Normen unangewendet lassen (BGH, WuW 2020, 209 Rn. 38 - Trassenentgelte; WuW 2021, 119, 41 - Stationspreissystem II). Denn die Verpflichtung der mitgliedstaatlichen Gerichte, das nationale Recht unionsrechtskonform auszulegen, findet nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ihre Grenze darin, dass sie nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem dienen darf (, Slg. 2005, I-5285 Rn. 47 - Pupino; vom - C-486/18, NZA 2019, 1131 Rn. 38 - Praxair MRC; vom - C-143/18, WM 2019, 1919 Rn. 38 - Romano; s.a. , NJW 2012, 669, 670; , WM 2019, 2164 Rn. 22; Beschluss vom - XI ZR 198/19, ZIP 2020, 865 Rn. 12; Urteil vom - VIII ZR 78/20, NJW 2021, 1008 Rn. 26). Vor diesem Hintergrund kommt eine richtlinienkonforme Auslegung nur nach Maßgabe des nach innerstaatlichem Recht methodisch Erlaubten in Betracht (BVerfG, NJW 2012, 669, 670; , BGHZ 201, 101 Rn. 20; vom - IV ZR 440/14, BGHZ 215, 126 Rn. 24; vom - II ZR 244/17, BGHZ 221, 325 Rn. 21).
17Die Richtlinie 2001/14/EG selbst, die sich an die Mitgliedstaaten richtet, kann den Schadensersatzanspruch eines Eisenbahnverkehrsunternehmens weder ausschließen, noch kann sie unmittelbar weitere materiell- oder verfahrensrechtliche Voraussetzungen für seine Geltendmachung und Durchsetzung begründen; insbesondere kann sie keine Beschränkungen vorsehen, die - wie im Streitfall - auf den faktischen Ausschluss eines solchen Anspruchs hinauslaufen. Auch wenn eine Richtlinie unter bestimmten Umständen unmittelbare Ansprüche eines Privaten gegen den Staat begründen vermag, kann sie entsprechend der Kompetenzordnung der Union weder Verpflichtungen Privater begründen noch ihnen Ansprüche nehmen, die ihnen das nationale Recht einräumt (BGH, WuW 2020, 209 Rn. 38 - Trassenentgelte, mwN).
18b) Die Zuerkennung von kartellzivilrechtlichen Schadensersatzansprüchen dient zudem in materiell-rechtlicher Hinsicht der zumindest teilweisen Herstellung eines primärrechts- und richtlinienkonformen Zustands. Dies beruht darauf, dass die Bundesnetzagentur zum maßgeblichen Zeitpunkt zu einer substantiellen Kontrolle der Stationsnutzungsentgelte auf ihre Kostenorientierung und ihre nicht diskriminierende Ausgestaltung nicht in der Lage war (BGH, N&R 2021, 56 Rn. 36, 41 - Stationspreissystem II). Insofern können zivilrechtliche Ansprüche auch im Hinblick auf das Richtlinienziel und zentrale Kriterium für die Berechnung und Erhebung der Wegeentgelte, allen Eisenbahnverkehrsunternehmen einen gleichen und nicht diskriminierenden Zugang zu bieten und den Bedürfnissen aller Nutzer und Verkehrsarten soweit wie möglich gerecht und in nicht diskriminierender Weise zu entsprechen (EuGH, EuZW 2018, 74 Rn. 46 f. - CTL Logistics; , WRP 2019, 470 - Stationspreissystem I), nicht mit der Begründung verneint werden, die Klägerin habe es versäumt, bei der Bundesnetzagentur nach § 14f Abs. 2 AEG aF eine Überprüfung der Stationsentgelte anzuregen (vgl. auch BGH, N&R 2021, 56 Rn. 41 - Stationspreissystem II). Eine behördliche Kontrolle ist auch nicht nachholbar, weil der Bundesnetzagentur eine nachträgliche und damit rückwirkende Regulierung aus Rechtsgründen (BGH, WuW 2021, 119 Rn. 37 - Stationspreissystem II), aber auch faktisch aufgrund der Vielzahl der bereits vollständig abgewickelten Vertragsbeziehungen und der durch den Zeitablauf weiter erschwerten Ermittlung der Entgeltbemessungsgrundlagen nicht möglich ist.
19IV. Im wiedereröffneten Berufungsrechtszug wird das Berufungsgericht die gebotene Prüfung nach Art. 102 AEUV, §§ 134, 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB, § 33 GWB aF nachzuholen haben. Dabei wird es Folgendes zu berücksichtigen haben:
201. Die Beklagte ist Normadressatin des Missbrauchsverbots nach Art. 102 AEUV. Daran bestehen im Streitfall keine Zweifel (vgl. bereits BGH, N&R 2021, 56 Rn. 42, 49 - Stationspreissystem II).
212. Das Berufungsgericht wird die Bemessung der von den Eisenbahnverkehrsunternehmen nach dem Stationspreissystem 2005 zu zahlenden Stationsnutzungsentgelte, welche es bereits mit rechtsfehlerfreien - und im Kern mit der Beurteilung der Bundesnetzagentur in ihrem im Urteil des Senats vom (N&R 2021, 56 Rn. 58 f. - Stationspreissystem II) erörterten Bescheid vom (Anlage A 31) übereinstimmenden - Erwägungen als in Widerspruch zu § 14 Abs. 5 AEG aF stehend bewertet hat, auch als Missbrauch dieser marktbeherrschenden Stellung ansehen können.
22Die Anwendung eines keinen rationalen Kriterien folgenden und in sich unschlüssigen Preissystems, das die untereinander im Wettbewerb stehenden Nutzer einer unentbehrlichen Infrastruktur infolge dieses Preissystems unterschiedlichen Zugangsbedingungen für die Infrastrukturnutzung unterwirft, stellt eine sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung dieser Nutzer im Sinne des Art. 102 Abs. 2 Buchst. c AEUV dar. Dies gilt auch für die unterschiedliche Behandlung von Eisenbahnverkehrsunternehmen bei der Anwendung eines Preissystems für die Eisenbahninfrastrukturnutzung (näher: BGH WuW 2021, 119 Rn. 51 ff., 63 f. - Stationspreissystem II). Mit ausführlichen und zutreffenden Erwägungen, die auch von der Revision unbeanstandet geblieben sind, hat das Berufungsgericht angenommen, das Stationspreissystem 2005 stehe im Widerspruch zu den Entgeltbestimmungen des § 14 Abs. 5 AEG aF. Die Ermittlung der konkreten Preise für die verschiedenen Kategorien des Preissystems seien weder transparent noch nachvollziehbar. Insbesondere ein Kostenausgleich zwischen den Bundesländern erscheine willkürlich. Die erfolgte Preisglättung sei rechnerisch nicht nachvollziehbar, sondern vielmehr ergebnisorientiert vorgenommen worden, was die Beklagte eingestanden habe. Das Berufungsgericht hat daraus zutreffend abgeleitet, dass die Beklagte damit ihrer Verpflichtung nicht entsprochen habe, der Klägerin einen nicht missbräuchlichen und diskriminierungsfreien Zugang zur Infrastruktur zu gewähren. Auf Grundlage dieser Feststellungen wird das Berufungsgericht dieses - bereits gegen Entgeltvorschriften des Allgemeinen Eisenbahnrecht verstoßende - Preisverhalten auch als einen Missbrauch nach Art. 102 AEUV qualifizieren können (vgl. bereits BGH, N&R 2021, 56 Rn. 58 f. - Stationspreissystem II).
233. Für die sich danach gegebenenfalls anschließende Prüfung, ob und in welcher Höhe die von der Klägerin gezahlten Entgelte von denjenigen abweichen, die ohne ein missbräuchliches Verhalten der Beklagten vereinbart worden wären, wird sich das Berufungsgericht mangels anderweitiger geeigneter Anhaltspunkte auf die in der Vergangenheit auf Basis des Stationspreissystems 99 in Rechnung gestellten Entgelte stützen können (BGH, N&R 2021, 56 Rn. 73 ff. - Stationspreissystem II).
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:220621UKZR72.15.0
Fundstelle(n):
WM 2022 S. 1454 Nr. 29
MAAAH-93441