Erfolgreicher Eilantrag zur Verfahrenssicherung in einer Zivilsache nach fachgerichtlicher PKH-Versagung: Wirkungsloserklärung gesetzter Fristen, einstweilige Untersagung der mündlichen Verhandlung bzw der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
Gesetze: Art 3 Abs 1 GG, Art 20 Abs 3 GG, § 32 Abs 1 BVerfGG, § 114 Abs 1 S 1 ZPO
Instanzenzug: Az: 1 U 20/19 Beschlussnachgehend Az: 2 BvR 1514/21 Einstweilige Anordnungnachgehend Az: 2 BvR 1514/21 Stattgebender Kammerbeschluss
Gründe
1 Zur Verfahrenssicherung werden im Verfahren vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe - 1 U 20/19 - gesetzte Fristen zur Stellungnahme für den Beschwerdeführer einstweilen für wirkungslos erklärt und die Durchführung eines Termins zur mündlichen Verhandlung gemäß § 32 Abs. 1 und Abs. 2 BVerfGG bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt.
2 1. Das Bundesverfassungsgericht kann einen Zustand durch einstweilige Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Bei der Prüfung, ob die Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG gegeben sind, ist wegen der weittragenden Folgen einer einstweiligen Anordnung regelmäßig ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 55, 1 <3>; 82, 310 <312>; 94, 166 <216 f.>; 104, 23 <27>; 106, 51 <58>).
3 Als Mittel des vorläufigen Rechtsschutzes hat die einstweilige Anordnung auch im verfassungsgerichtlichen Verfahren die Aufgabe, die Schaffung vollendeter Tatsachen zu verhindern; sie soll auf diese Weise dazu beitragen, Wirkung und Bedeutung einer erst noch zu erwartenden Entscheidung in der Hauptsache zu sichern und zu erhalten (vgl. BVerfGE 42, 103 <119>). Deshalb bleiben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Maßnahme vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht, es sei denn, die Hauptsache erwiese sich als von vornherein unzulässig oder offensichtlich unbegründet (vgl. BVerfGE 89, 38 <43 f.>; 103, 41 <42>; 118, 111 <122>; stRspr). Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, so hat das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich lediglich im Rahmen einer Folgenabwägung die Nachteile abzuwägen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber in der Hauptsache Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 105, 365 <371>; 106, 351 <355>; 108, 238 <246>; 125, 385 <393>; 132, 195 <232 f. Rn. 87>; stRspr).
4 2. Nach diesen Maßstäben ist eine einstweilige Anordnung zu erlassen.
5 a) Die Verfassungsbeschwerde ist weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Es erscheint vielmehr möglich, dass die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts Karlsruhe, mit der der Antrag des Beschwerdeführers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für den zweiten Rechtszug zurückgewiesen wurde, diesen in seinen Rechten aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Es erscheint jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass das Oberlandesgericht in seiner Entscheidung die Anforderungen an die Darlegung der Bedürftigkeit des Beschwerdeführers überspannt hat. Dafür spricht insbesondere, dass der bereits seit Jahren grundsicherungsberechtigte Beschwerdeführer bei insoweit gleicher wirtschaftlicher Lage sowohl bereits in erster Instanz als auch im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren vor dem Bundesgerichtshof Prozesskostenhilfe erhalten hat sowie dessen Rückfragen zu seinem dort gestellten Antrag offenbar zufriedenstellend beantworten und Zweifel beseitigen konnte (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom - 1 BvR 1975/18 -, Rn.14 ff. m.w.N.).
6 b) Die nach § 32 Abs. 1 BVerfGG erforderliche Folgenabwägung geht zugunsten des Beschwerdeführers aus. Die Folgen, die einträten, wenn der Beschwerdeführer in der Berufungsinstanz nicht (mehr) anwaltlich vertreten wäre, wiegen schwerer als die Folgen, die entstünden, wenn der Fortgang des Verfahrens einstweilen untersagt bliebe, sich später aber herausstellte, dass es ohne Rechtsverstoß hätte durchgeführt werden können. Im erstgenannten Fall wäre es dem Beschwerdeführer zwar unter Umständen - auch ohne vollständige inzidente Prüfung der angegriffenen Entscheidung zur Gewährung von Prozesskostenhilfe - rechtlich möglich, die Auswirkungen einer gegebenenfalls in rechts- und verfassungswidriger Weise unterlassenen Beiordnung eines Rechtsanwalts im Hauptsacheverfahren über eine Nichtzulassungsbeschwerde beziehungsweise die Revision, etwa wegen rechtsfehlerhafter Anwendung von Präklusionsvorschriften oder einer rechtsfehlerhaft angenommenen schuldhaften Säumnis, zu korrigieren. Die für eine diesbezüglich verlässliche Beurteilung erforderliche Prognose des weiteren Verlaufs des Berufungsverfahrens, der nicht zuletzt auch vom Verhalten aller anderen Prozessbeteiligten abhängig ist, sowie des Entscheidungsausgangs, insbesondere nach der auch in der Hauptsache erfolgten Aufhebung und Rückverweisung durch den Bundesgerichtshof, ist aber derzeit nicht möglich. Zum jetzigen Zeitpunkt erscheint ein Rechtsmittelverlust infolge der Ablehnung von Prozesskostenhilfe und der damit versagten Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten jedenfalls nicht ausgeschlossen. Dieses Risiko ist dem Beschwerdeführer in Anbetracht der Gesamtumstände des vorliegenden Einzelfalls nicht zuzumuten. Demgegenüber kann das Berufungsverfahren, sollte sich die angegriffene Entscheidung als verfassungsmäßig erweisen, zu einem lediglich späteren Zeitpunkt fortgeführt werden.
Auf diese Entscheidung wird Bezug genommen in folgenden Gerichtsentscheidungen:
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2021:rk20210903.2bvr151421
Fundstelle(n):
MAAAH-89025