Besteuerung von Betreuungs- und Pflegeleistungen; Anerkennung des Leistenden als soziale Einrichtung
Leitsatz
1. NV: Wenn die Kosten für Pflegeleistungen nicht von Einrichtungen der sozialen Sicherheit „vergütet“ werden, sondern die zu pflegende Person selbst aus eigenen Mitteln für die Pflegeleistungen aufzukommen hat, kann nicht von einer Übernahme der Kosten durch soziale Einrichtungen gesprochen werden; dies gilt auch, wenn der Leistungsempfänger die für seine Pflege eingesetzten Mittel aus einer Altersrente bezogen hat.
2. NV: Setzt der Leistungsempfänger seine Altersrente zur Finanzierung von Pflegekosten ein, liegt darin keine explizite Entscheidung der Kasse zugunsten der Kostenerstattung von Pflegeleistungen, mithin auch keine Anerkennung des Leistenden als „andere Einrichtung mit sozialem Charakter“.
Gesetze: UStG a.F. § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l; UStG a.F. § 4 Nr. 16 Satz 2; MwStSystRL Art. 132 Abs. 1 Buchst. g;
Instanzenzug:
Tatbestand
I.
1 Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) betrieb im 1. Kalendervierteljahr 2018 (Streitzeitraum) u.a. eine Seniorenbetreuung. Seine Leistungen umfassten die Grundpflege alter und pflegebedürftiger Menschen, in der Regel solcher mit einer Einstufung in den Pflegestufen I bis V, sowie die Haushaltsführung als häusliche Krankenpflege. Für das Erbringen der Pflegeleistungen setzte der Kläger regelmäßig angestellte Arbeitskräfte ein, zum großen Teil examinierte Fachkrankenschwestern.
2 Im Falle einer festgestellten Pflegestufe erstatteten die Kranken- oder Pflegekassen die betreffenden Kosten bis zur Höhe des nach der jeweiligen Pflegestufe möglichen Höchstbetrags für ambulante Pflegeleistungen. Diese Kostenerstattung deckte allerdings nicht in mindestens 25 % der Fälle ganz oder zum überwiegenden Teil das von den Patienten dem Kläger geschuldete Entgelt. Verträge mit Krankenversicherungen nach den §§ 132 und 132a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch und §§ 72 und 77 des Elften Buches Sozialgesetzbuch waren nicht abgeschlossen.
3 Der Kläger beanspruchte für seine Leistungen die Steuerbefreiung des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l des Umsatzsteuergesetzes in der für den Streitzeitraum geltenden Fassung (UStG a.F.; nunmehr § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. m UStG). Bei der Bemessung der ganz oder zum überwiegenden Teil durch Träger der Sozialversicherung vergüteten Beträge seien auch die von den Patienten eingesetzten, von ihnen aus der gesetzlichen Rentenversicherung bezogenen Leistungen einzubeziehen.
4 Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt —FA—) hingegen sah die betreffenden Leistungen als steuerpflichtig an und erließ am für den Streitzeitraum einen entsprechenden Änderungsbescheid über Umsatzsteuer. Den Einspruch des Klägers wies das FA mit Einspruchsentscheidung vom als unbegründet zurück.
5 Das Niedersächsische Finanzgericht (FG) wies die Klage mit Urteil vom - 11 K 319/19 ab.
6 Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers wegen Nichtzulassung der Revision, mit der er die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—) sowie das Erfordernis einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) geltend macht.
Gründe
II.
7 Die Beschwerde ist unbegründet.
8 1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO.
9 a) Der Kläger sieht es als in dem angestrebten Revisionsverfahren zu klärende Rechtsfrage an, „ob auch die mittelbar durch die Patienten erbrachten Leistungen, die aus Mitteln der gesetzlichen Rentenversicherung für die Pflegeleistung aufgewendet werden, unter den Begriff der ´Leistung mit Mitteln von Trägern sozialer Einrichtungen`“ nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG a.F. fallen.
10 b) Eine Rechtsfrage ist indes nicht klärungsbedürftig, wenn sich die Antwort ohne weiteres aus dem Gesetz ergibt oder die Rechtsfrage offensichtlich so zu beantworten ist, wie es das FG getan hat, die Rechtslage also eindeutig ist (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom - I B 37/17, BFH/NV 2018, 841, Rz 12; vom - XI B 71/18, BFH/NV 2019, 1329, Rz 10; vom - I B 3/20, BFH/NV 2021, 648, Rz 11; jeweils m.w.N.).
11 c) Dies ist hier der Fall. Auf der Grundlage der einschlägigen Vorschriften sowie der dazu bereits ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des BFH ist die vom Kläger aufgeworfene Frage eindeutig zu verneinen.
12 aa) Nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG a.F. sind die Leistungen der Einrichtungen, bei denen die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 25 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung oder den weiteren in dieser Vorschrift angeführten Trägern ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet werden, unter den weiteren Voraussetzungen des § 4 Nr. 16 Satz 2 UStG a.F. steuerfrei. Dieser Satz 2 bestimmt, dass Leistungen i.S. des § 4 Nr. 16 Satz 1 UStG a.F., die von Einrichtungen nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. b bis l UStG a.F. erbracht werden, befreit sind, soweit es sich ihrer Art nach um Leistungen handelt, auf die sich die Anerkennung, der Vertrag oder die Vereinbarung nach Sozialrecht oder die Vergütung jeweils bezieht.
13 bb) § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG a.F. (nunmehr § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. m UStG) beruht unionsrechtlich auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Danach befreien die Mitgliedstaaten „eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden“.
14 cc) Für den Kläger kommt lediglich eine Begünstigung als „andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtung mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtung“ in Betracht.
15 (1) Die Voraussetzungen und Modalitäten der Anerkennung als soziale Einrichtung werden in Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL nicht festgelegt; vielmehr ist es Sache des innerstaatlichen Rechts eines jeden Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann (vgl. dazu EuGH-Urteile Les Jardins de Jouvence vom - C-335/14, EU:C:2016:36, Rz 32 ff.; Finanzamt D vom - C-657/19, , Rz 43; , BFHE 258, 517, Rz 39; vom - XI R 20/16, BFHE 262, 220, Rz 49).
16 (2) Zu den im Einklang mit dem Unionsrecht für die Anerkennung als soziale Einrichtung maßgeblichen Gesichtspunkten gehört u.a. die Übernahme der Kosten für die fraglichen Leistungen zum großen Teil durch Krankenkassen oder durch andere Einrichtungen der sozialen Sicherheit (vgl. dazu EuGH-Urteile Kügler vom - C-141/00, EU:C:2002:473, Rz 58; Zimmermann vom - C-174/11, EU:C:2012:716, Rz 31; Les Jardins de Jouvence, EU:C:2016:36, Rz 35; Finanzamt D, , Rz 44; z.B. , BFHE 256, 550, Rz 29; in BFHE 258, 517, Rz 40; in BFHE 262, 220, Rz 50).
17 (3) Wenn —wie im Streitfall— die Kosten für die betreffenden Leistungen nicht in dem von § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG a.F. (nunmehr § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. m UStG) bestimmten Umfang von Einrichtungen der sozialen Sicherheit „vergütet“ werden, sondern die zu pflegende Person selbst aus eigenen Mitteln für die Pflegeleistungen aufzukommen hat, kann insoweit nicht von einer Übernahme der Kosten durch soziale Einrichtungen gesprochen werden. Daran vermag auch nichts zu ändern, dass der betreffende Leistungsempfänger die für seine Pflege eingesetzten Mittel ggf. aus einer Altersrente bezogen hat. Setzt der Leistungsempfänger seine Altersrente zur Finanzierung von Pflegekosten ein, liegt darin keine explizite Entscheidung der Kasse zugunsten der Kostenerstattung von Pflegeleistungen (vgl. EuGH-Urteil Finanzamt D, , Rz 51), mithin im Streitfall auch keine Anerkennung des Klägers als „andere Einrichtung mit sozialem Charakter“.
18 2. Da das Erfordernis einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 1 FGO) ein Unterfall des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung ist, kommt die Zulassung der Revision zur Fortbildung des Rechts aus denselben Gründen nicht in Frage (vgl. z.B. allgemein BFH-Beschlüsse vom - XI B 113/19, BFHE 268, 480, BStBl II 2020, 476, Rz 24; vom - XI B 17/20, BFH/NV 2021, 185, Rz 13).
19 3. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO).
20 4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 2 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
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ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2021:B.010621.XIB27.20.0
Fundstelle(n):
BFH/NV 2021 S. 1378 Nr. 11
DStR-Aktuell 2021 S. 10 Nr. 37
NJW 2021 S. 2991 Nr. 40
UStB 2021 S. 356 Nr. 11
YAAAH-88652