Restitutionsklage: Zulässigkeit der Einführung eines neuen Streitgegenstands; Inanspruchnahme eines Mitgesellschafters durch einen Gesellschafter aufgrund einer Auseinandersetzungsrechnung bei ursprünglicher Geltendmachung eines Anspruchs der Gesellschaft gegen diesen als Dritten im Vorprozess
Leitsatz
1. Es ist unzulässig, mit der Restitutionsklage einen neuen Streitgegenstand einzuführen.
2. Die Geltendmachung eines Anspruchs der Gesellschaft gegen einen Gesellschaftsschuldner als Dritten durch einen Gesellschafter beruht auf einem anderen Anspruchsgrund als dessen Inanspruchnahme als Mitgesellschafter durch einen Gesellschafter aufgrund einer Auseinandersetzungsrechnung.
Gesetze: § 253 Abs 1 Nr 2 ZPO, § 580 Nr 7 Buchst b ZPO
Instanzenzug: Az: 15 U 3962/17vorgehend LG München I Az: 40 O 25553/14
Tatbestand
1Die Kläger sind Rechtsnachfolger und Testamentsvollstrecker des im November 2008 verstorbenen Dr. S. . Dieser war Gesellschafter der Fachmarkt M. GbR, vormals der H. GbR. Geschäftsführender Gesellschafter war der im Mai 2017 verstorbene Ehemann der Beklagten L. .
21984 hatten sich die G. mbH und R. zu der H. GbR zusammengeschlossen. Mitgesellschafter war auch L. . Der Gesellschaftsvertrag sah in § 8 vor, dass jeder Gesellschafter berechtigt sei, seinen Gesellschaftsanteil durch privatschriftlichen Vertrag ganz oder teilweise an einen Mitgesellschafter oder einen Dritten abzutreten. Die Abtretung an Dritte, die nicht Gesellschafter seien, bedürfe der Zustimmung der Gesellschafterversammlung, die jedoch nur aus wichtigem Grund verweigert werden dürfe. Zur Abtretung sei ein schriftlicher Vertrag des Veräußerers und des Erwerbers und der Angabe des Namens und der Anschriften der Vertragsteile erforderlich. Für die Gesellschaft galt die Abtretung erst mit Eingang der Ausfertigung des Vertrags als erfolgt. Dr. S. und L. schlossen im Mai 2003 einen Gesellschaftsvertrag, in dem sie den Gesellschaftsvertrag der H. GbR als für ihr Gesellschaftsverhältnis maßgeblich bezeichneten. Die Gesellschaft trug den Namen Fachmarkt M. GbR. Die Geschäftsanteile hielten nach dem Ausscheiden der übrigen Gesellschafter zu 45 % L. und zu 55 % Dr. S. . Die Gesellschaft erwarb ein Grundstück mit einem Gewerbeobjekt. 2007 wurde das Grundstück durch L. und Dr. S. , letzterer vertreten durch seinen Betreuer, zum Kaufpreis von 4.191.696 € veräußert. Nach Tilgung und Lastenfreistellung war noch ein Betrag in Höhe von 770.300 € vom Käufer an die Fachmarkt M. GbR auf deren Konto Nr. bei der Kreissparkasse M. zu überweisen. Am ging diese Zahlung auf dem Konto ein. Am überwies L. einen Teilbetrag in Höhe von 737.000 € auf das Konto Nr. bei der Sparkasse M. . Inhaberin des Kontos war die Beklagte. Das Konto wurde in der Buchhaltung der Gesellschaft ebenfalls als ein Buchungskonto der Gesellschaft geführt.
3Die Kläger machten in der Nachfolge des verstorbenen Dr. S. einen Anteil in Höhe des Geschäftsanteils von 55 % von der Zahlung von 770.300 € gegen die Beklagte geltend. Gestützt wurden die Ansprüche auf Bereicherung sowie unerlaubte Handlung im Hinblick auf eine behauptete Zusammenarbeit der Beklagten mit ihrem Ehemann und ehemaligen Gesellschafter und Geschäftsführer und sowie darauf, dass aufgrund der Liquidation der Gesellschaft die Kläger als Gesellschafter berechtigt seien, die Forderungen gegen die Beklagte unmittelbar geltend zu machen.
4Die Klage auf Zahlung von 405.350 € nebst Zinsen sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten wurde vom Landgericht abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung und die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision sind erfolglos geblieben.
5Der Insolvenzverwalter über das Vermögen des L. nahm die Beklagte vor dem Landgericht München I unter anderem in prozentualer Höhe des Gesellschaftsanteils ihres verstorbenen Ehemanns von der Zahlung von 737.000 € in Anspruch. In diesem Verfahren legte die Beklagte eine von ihr und ihrem Ehemann unterzeichnete Abtretungserklärung vom vor, wonach dieser seinen Gesellschaftsanteil an der H. GbR in voller Höhe an die Beklagte abtrete, die die Abtretung annehme. Weiter war vereinbart, dass die Abtretung nicht angezeigt werden solle. Zusätzlich hatte die Beklagte ein an Dr. S. gerichtetes Schreiben ihres Ehemanns aus 2003 vorgelegt, in dem ausgeführt ist, dass ihr verstorbener Ehemann seine Anteile an der Gesellschaft an seine Ehefrau, die Beklagte, abgetreten habe. Dieses war von Dr. S. mit "einverstanden" unterzeichnet worden.
6Unter Vorlage der Abtretungserklärung haben die Kläger die Wiederaufnahme ihres ursprünglichen Klageverfahrens im Wege der Restitutionsklage beim Berufungsgericht beantragt. Sie machen geltend, dass die von der Beklagten erst im Anfechtungsprozess des Insolvenzverwalters vorgelegte Abtretungserklärung eine ihnen günstige Entscheidung im Berufungsverfahren herbeigeführt hätte. Im Restitutionsverfahren haben sie eine Auseinandersetzungsrechnung der Gesellschaft vorgelegt. Sie errechnen sich Ansprüche in Höhe von 607.043,83 €, von denen sie mit der Restitutionsklage nur den bisher eingeklagten Teilbetrag von 405.350 € gegen die Beklagte geltend machen.
7Das Berufungsgericht hat den im Vorprozess ergangenen, die Berufung der Kläger gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts zurückweisenden Beschluss aufgehoben und das landgerichtliche Urteil teilweise abgeändert und neu gefasst. Die Beklagte hat es verurteilt, an die Kläger 271.322,51 € nebst Zinsen sowie vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zu bezahlen. Die weitergehende Klage ist abgewiesen geblieben und die weitergehende Berufung zurückgewiesen worden.
8Mit der vom Bundesgerichtshof zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter. Mit der Anschlussrevision wenden sich die Kläger gegen die teilweise Zurückweisung ihrer Berufung und verfolgen ihre Klageanträge insoweit weiter.
Gründe
9Die Revision hat Erfolg. Die Anschlussrevision bleibt ohne Erfolg.
10I. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass die Restitutionsklage statthaft und im Übrigen zulässig sei. Der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO liege vor. Die Kläger stützten ihre Klage auf Urkunden, die die Beklagte im Anfechtungsprozess des Insolvenzverwalters über das Vermögen ihres verstorbenen Ehemanns vorgelegt habe und die die Kläger in diesem Verfahren in die Lage versetzen, einen Ausgleichsanspruch gegen die Beklagte als Mitgesellschafterin der Fachmarkt M. GbR auf der Grundlage einer vereinfachten Auseinandersetzungsrechnung geltend zu machen. Die Kläger seien ohne Verschulden außerstande gewesen, den Restitutionsgrund zu einem früheren Zeitpunkt geltend zu machen. Eine Änderung des Streitgegenstands sei mit der Restitutionsklage nicht verbunden. Der Klageantrag sei identisch geblieben. Es liege ein einheitlicher Lebenssachverhalt vor. Für die Festlegung des Streitgegenstands mache es keinen Unterschied, auf welche Anspruchsgrundlage der Anspruch gestützt werde, ob aus Bereicherungsrecht bzw. unerlaubter Handlung oder aufgrund gesellschaftsrechtlicher Auseinandersetzung. Dabei werde nicht verkannt, dass die Beklagte in unterschiedlicher Funktion verklagt werde und zwar ursprünglich als außenstehende Dritte und nunmehr als Mitgesellschafterin. Das sei jedoch lediglich für die Frage der einschlägigen Anspruchsgrundlage von Bedeutung. Hinzu komme, dass es aus Sicht des Berufungsgerichts naheliege, dass eine eigenständig erhobene Klage wegen entgegenstehender Rechtskraft als unzulässig hätte abgewiesen werden müssen. Der ursprüngliche Rechtsstreit werde deshalb mit der neuen Urkunde fortgesetzt. Die Restitutionsklage sei auch begründet. Die Beklagte habe im Prozess zugestanden, dass sie durch Abtretung des Gesellschaftsanteils ihres verstorbenen Ehemannes mit Zustimmung des einzigen Mitgesellschafters Dr. S. Gesellschafterin der Fachmarkt M. GbR geworden sei. Die Klage gegen die Beklagte sei im Hinblick auf einen gesellschaftsrechtlichen Ausgleichsanspruch in Höhe von 271.322,51 € begründet. Weitergehende Ansprüche stünden den Klägern nicht zu.
11II. Die Revision ist begründet. Die Restitutionsklage der Kläger ist unzulässig, weil sie nicht statthaft ist. Es ist unzulässig, mit der Restitutionsklage einen neuen Streitgegenstand einzuführen. Die Kläger haben im Restitutionsverfahren den Streitgegenstand ausgewechselt.
121. Gemäß § 580 Nr. 7 Buchst. b ZPO findet eine Restitutionsklage statt, wenn die Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Für die Feststellung, ob die nachträglich aufgefundene Urkunde eine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde, sind außer der Urkunde nur der Prozessstoff des Vorprozesses und die im Zusammenhang mit der Urkunde vom Restitutionskläger neu aufgestellten Behauptungen zu berücksichtigen (, BGHZ 38, 333; Urteil vom - II ZR 211/81, WM 1983, 959). Die Wiederaufnahme, zu der nach § 578 Abs. 1 ZPO auch das Restitutionsverfahren gehört, ermöglicht ausnahmsweise die Anfechtung rechtskräftiger Urteile, wenn diese mit gravierenden Mängeln behaftet sind. Der Vorprozess wird dazu weitergeführt (§ 590 Abs. 1 ZPO). Die Auswechslung des Klagegrundes geht über das mögliche Vorbringen neuer Tatsachen und Behauptungen im Rahmen des Vorprozesses hinaus. Mit dem Austausch des Klagegrundes und neuen Klageanträgen wird der Ausgang des früheren Verfahrens nicht in Frage gestellt. Der Rechtsstreit wird nicht fortgeführt, sondern wird in der Gestalt eines neuen Verfahrens mit einem anderen Streitgegenstand begonnen. Es ist deshalb nicht zulässig, den Streitgegenstand in dem sogenannten zweiten Verfahrensabschnitt auszuwechseln, in dem zu prüfen ist, ob die vom Revisionskläger neu vorgebrachte Urkunde, hätte er sie schon im Vorprozess beigebracht, eine günstigere Entscheidung hätte herbeigeführt haben können (, juris Rn. 5 zur Nichtigkeitsklage unter Bezugnahme auf das zum Restitutionsverfahren ergangene , WM 1983, 959).
132. Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts haben die Kläger nicht nur die neu zur Verfügung stehende Urkunde vorgelegt, um damit den ursprünglichen Prozess gewinnen zu wollen, sondern sie haben den Streitgegenstand im Restitutionsverfahren ausgetauscht.
14a) Gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO wird der Streitgegenstand durch das Rechtsschutzbegehren (Antrag) und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund) bestimmt, aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet. Zum Anspruchsgrund sind alle Tatsachen zu rechnen, die bei einer natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden und den Sachverhalt seinem Wesen nach erfassenden Betrachtung zu dem zur Entscheidung gestellten Tatsachenkomplex gehören, den eine Partei zur Stützung ihres Rechtsschutzbegehrens vorträgt. Vom Streitgegenstand werden damit alle materiell-rechtlichen Ansprüche erfasst, die sich im Rahmen des gestellten Antrags aus dem zur Entscheidung unterbreiteten Lebenssachverhalt herleiten lassen. Das gilt unabhängig davon, ob die einzelnen Tatsachen des Lebenssachverhalts von den Parteien vorgetragen worden sind oder nicht (st. Rspr., , BGHZ 209, 168 Rn. 27 mwN). Allerdings können verschiedene materiell-rechtliche Ansprüche auch dann, wenn sie wirtschaftlich auf das Gleiche gerichtet sind und der Kläger die Leistung einmal verlangen kann, unterschiedliche Streitgegenstände aufweisen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Ansprüche sowohl in ihren materiell-rechtlichen Voraussetzungen als auch in ihren Folgen verschieden sind. Entscheidend ist, ob sich die dem jeweiligen Anspruch zugrundeliegenden Lebenssachverhalte in wesentlichen Punkten unterscheiden oder ob es sich nur um marginale Abweichungen handelt, die bei natürlicher Betrachtung nach der Verkehrsauffassung keine Bedeutung haben (, ZIP 2021, 255 Rn. 13 mwN).
15b) Die der geltend gemachten Haftung zugrundeliegenden Lebenssachverhalte im Vorprozess und im Restitutionsverfahren unterscheiden sich so wesentlich, dass bei diesen Ansprüchen kein einheitlicher Streitgegenstand angenommen werden kann.
16Die Kläger haben im Vorprozess die Beklagte als außerhalb der Gesellschaft stehende Dritte, als Gesellschaftsschuldnerin bzw. als Mittäterin einer unerlaubten Handlung in Anspruch genommen. Es handelte sich um eine Haftung im Außenverhältnis, die sich nach dem Rechtsverhältnis der Beklagten gegenüber der Gesellschaft richtete. Die Kläger hatten insoweit (erfolglos) geltend gemacht, die der Gesellschaft zustehende Forderungen im eigenen Namen geltend machen zu können bzw. dass die Beklagte bei der Entgegennahme der Zahlung vom Gesellschaftskonto kollusiv mit ihrem Ehemann zusammengewirkt habe. Nunmehr machen sie mit der vorgelegten Urkunde geltend, dass die Beklagte Mitgesellschafterin und aufgrund der im Restitutionsverfahren zusätzlich vorgelegten Auseinandersetzungsrechnung zur Zahlung verpflichtet sei. Der von den Klägern im Restitutionsverfahren geltend gemachte und vom Berufungsgericht zugesprochene Ausgleichsanspruch betrifft das Innenverhältnis der Gesellschaft und damit einen anderen Sachverhalt, weil er in wesentlichen Punkten abweicht. Für den Innenausgleich sind allein die Regelungen im Innenverhältnis insbesondere des Gesellschaftsvertrags von Bedeutung. Der Ausgleichsanspruch im Innenverhältnis setzt die Begründung der Gesellschafterstellung der Beklagten, mindestens eine einfache Auseinandersetzungsrechnung und insbesondere inhaltlich die Abrechnung der darin einzustellenden Positionen voraus. Einer auf die Auseinandersetzung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts gestützten Klage, hätte im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsgerichts nicht die Rechtskraft der Entscheidungen im Vorprozess entgegengestanden.
17III. Die Anschlussrevision ist unbegründet, da ihr Erfolg die Zulässigkeit der Restitutionsklage voraussetzt.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2021:030821UIIZR283.19.0
Fundstelle(n):
DB 2021 S. 2483 Nr. 42
DStR-Aktuell 2021 S. 11 Nr. 37
NJW 2021 S. 10 Nr. 37
NJW-RR 2021 S. 1650 Nr. 24
WM 2021 S. 1702 Nr. 35
ZIP 2021 S. 1835 Nr. 35
GAAAH-87660