BGH Beschluss v. - IX ZB 86/18

Vollstreckbarerklärung eines italienischen Urteils: Prüfung der Entscheidungsaufhebung im Ursprungsstaat

Gesetze: Art 34 EGV 44/2001, Art 35 EGV 44/2001, Art 44 EGV 44/2001, Art 45 Abs 1 EGV 44/2001, § 15 Abs 1 AVAG, § 574 Abs 1 S 1 Nr 1 ZPO, § 574 Abs 2 ZPO

Instanzenzug: OLG Rostock Az: 1 W 62/17vorgehend LG Stralsund Az: 6 O 182/17

Gründe

I.

1Mit Urteil der Corte d’Appello di Milano Nr. 2672/2016 vom wurde die Antragsgegnerin in Italien gesamtschuldnerisch neben einer italienischen Gesellschaft zum Ausgleich eines Nutzungsausfallschadens in Höhe von 210.000 € sowie zur Zahlung von Verfahrenskosten von 9.515 € verurteilt. Mit Beschluss vom hat der Vorsitzende einer Zivilkammer des Landgerichts das Urteil für vollstreckbar erklärt. Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer dagegen gerichteten Rechtsbeschwerde möchte die Antragsgegnerin erreichen, dass der Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel zurückgewiesen wird.

II.

2Die Rechtsbeschwerde ist als unzulässig zu verwerfen.

31. Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung richtet sich nach den Vorschriften der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (fortan: EuGVVO aF). Die Klage des Antragstellers im Ausgangsprozess ist vor dem erhoben worden. Gemäß Art. 66 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) gilt deshalb noch altes Recht. Daneben sind die Vorschriften des Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetzes (AVAG) vom in der Fassung vom (BGBl. I S. 2146) entsprechend anzuwenden (, WM 2018, 1658 Rn. 9 mwN).

42. Das Beschwerdegericht hat ausgeführt: Die von der Antragsgegnerin vorgebrachten Einwendungen ließen Versagungsgründe nach Art. 45 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 34, 35 EuGVVO aF nicht erkennen. Mit ihrem Einwand der fehlenden örtlichen Zuständigkeit der Mailänder Gerichte könne die Antragsgegnerin gemäß Art. 45 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit Art. 35 Abs. 1 und Abs. 3 EuGVVO aF nicht gehört werden. Die hier maßgebliche Vorschrift des Art. 6 EuGVVO aF befinde sich in Abschnitt 2 der EuGVVO aF, so dass Art. 35 Abs. 1 EuGVVO aF nicht anwendbar sei. Art. 35 Abs. 3 EuGVVO aF stelle ausdrücklich klar, dass die Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats, unbeschadet der Bestimmungen des Absatzes 1, nicht nachgeprüft werden dürfe und die Vorschriften über die Zuständigkeit nicht zur öffentlichen Ordnung (ordre public) im Sinne des Art. 34 Nr. 1 EuGVVO aF gehörten.

5Die Zuerkennung eines Nutzungsausfallschadens in Höhe von 210.000 € verstoße nicht gegen den deutschen ordre public. Dass Nutzungsausfallschäden nicht erstattungsfähig seien, sei kein ausnahmslos geltender Rechtssatz des deutschen Zivilrechts. Vielmehr werde im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung ein Nutzungsausfall bei bestimmten Lebensgütern durchaus anerkannt, beispielsweise bei Kraftfahrzeugen oder Wohnungen. Eine Prüfung, ob die Höhe der zuerkannten Nutzungsentschädigung angemessen sei, sei im Verfahren der Erteilung einer Vollstreckungsklausel gemäß Art. 45 Abs. 2 EuGVVO aF nicht anzustellen.

63. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß Art. 44 EuGVVO aF in Verbindung mit § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist jedoch nach § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 2 ZPO unzulässig, weil sie nicht aufzeigt, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

7a) Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. Die von der Rechtsbeschwerde geltend gemachten Grundsatzfragen stellen sich im Streitfall nicht.

8aa) Die Rechtsbeschwerde ist nicht deshalb zulässig, weil das für vollstreckbar erklärte Urteil der Corte d’Appello di Milano Nr. 2672/2016 vom durch Urteil der Corte Suprema di Cassazione vom , zugestellt am , aufgehoben worden ist.

9In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist geklärt, dass die Gerichte des Vollstreckungsstaats im Verfahren der Vollstreckbarerklärung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens uneingeschränkt zu prüfen haben, ob und gegebenenfalls inwieweit die ausländische Entscheidung im Ursprungsstaat aufgehoben worden ist. Eine im Ursprungsstaat aufgehobene Entscheidung kann im Inland nicht anerkannt und demzufolge auch nicht zur Vollstreckung zugelassen werden, weil die ausländische Entscheidung im Exequaturstaat keine stärkeren Rechtswirkungen entfalten kann als im Ursprungsstaat (vgl. , NJW 1980, 2022; vom - XII ZB 174/04, BGHZ 171, 310 Rn. 15; vom - IX ZB 143/07, NJOZ 2010, 1477 Rn. 6; vom - XII ZB 234/15, NJW 2016, 248 Rn. 11).

10Schwebt das Verfahren der Vollstreckbarerklärung in der Rechtsmittelinstanz, kann die Aufhebung der ausländischen Entscheidung im Ursprungsstaat nur dann berücksichtigt werden, wenn das Rechtsmittel zulässig ist. Für die nach § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde bedarf es deshalb eines Zulässigkeitsgrunds gemäß § 15 Abs. 1 AVAG, § 574 Abs. 2 ZPO. Ein solcher folgt nicht allein aus der Aufhebung der ausländischen Entscheidung im Ursprungsstaat. Der aus dem Vollstreckungstitel Verpflichtete kann seine Rechte im Verfahren nach § 27 AVAG wahren (vgl. , NJW-RR 2010, 1079 Rn. 9).

11bb) Es bedarf keiner Klärung des Anwendungsbereichs von Art. 35 Abs. 3 EuGVVO aF. Die von der Antragsgegnerin für grundsätzlich bedeutsam erachtete Frage, ob das in Art. 35 EuGVVO aF verankerte Verbot der Nachprüfung der Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsmitgliedstaats bei einem Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK entfällt (vgl. Rauscher/Leible, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 4. Aufl., Art. 45 Brüssel-Ia-VO Rn. 74 mwN), stellt sich im Streitfall ersichtlich nicht. Worin ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK begründet liegen sollte, zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf.

12b) Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nicht zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erforderlich. Der von der Antragsgegnerin geltend gemachte Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) liegt nicht vor.

13Das Beschwerdegericht hat sich mit dem Vorbringen der Antragsgegnerin befasst, wonach in der Zuerkennung eines Nutzungsausfallschadens in Höhe von 210.000 € ein Verstoß gegen den deutschen ordre public liege. Unter Zugrundelegung der richtigen Maßstäbe hat es den geltend gemachten Verstoß abgelehnt. Dass dabei der Vortrag der Antragsgegnerin zur Schadenshöhe unberücksichtigt geblieben sein könnte, lässt sich nicht mit hinreichender Gewissheit feststellen (vgl. , BGHZ 154, 288, 300 f).

14Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 577 Abs. 6 Satz 3 ZPO abgesehen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2020:090720BIXZB86.18.0

Fundstelle(n):
KAAAH-87180