Online-Nachricht - Donnerstag, 19.08.2021

Verfahrensrecht | Umstellung einer vorbeugenden Unterlassungsklage in eine Feststellungsklage (BFH)

Eine vorbeugende Unterlassungsklage kann nach ihrer Erledigung als Feststellungsklage zulässig bleiben, wenn es prozessökonomisch sinnvoll ist, die maßgebliche Rechtsfrage in dem bereits anhängigen und aufwändig betriebenen Verfahren zu klären (; veröffentlicht am ).

Sachverhalt: Die Klägerin betreibt eine Apotheke. Neben Erlösen, die sie über die GmbH (Rezeptabrechnungsstelle) abrechnete, überwiesen Kunden Beträge auf ihr Bankkonto. Darüber hinaus erzielte die Klägerin Bareinnahmen aus Rezeptzuzahlungen und dem freien Verkauf von Waren.

Im Rahmen einer Außenprüfung stellte die Prüferin Unregelmäßigkeiten fest. Das FA forderte die Klägerin deshalb zur Vorlage der Daten der Rezeptabrechnungsstelle für jedes einzelne Rezept in digitaler Form auf. Da die Klägerin dieser Aufforderung nicht nachgekommen war, wiederholte das FA seine Aufforderung und kündigte an, die einzelnen Rezepte unmittelbar bei der Rezeptabrechnungsstelle anzufordern, wenn die Klägerin die Unterlagen nicht vorlege. Auch dieser wiederholten Aufforderung ist die Klägerin nicht nachgekommen.

Sie stellte beim FG einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zur Feststellung der Unzulässigkeit des angekündigten Auskunftsersuchens an die Rezeptabrechnungsstelle. Diesen verwarf das FG als unzulässig. Das beabsichtigte Auskunftsersuchen an die Rezeptabrechnungsstelle stelle einen Verwaltungsakt dar, gegen den sich die Klägerin durch Einlegung eines Einspruchs wenden könne, so dass sie des einstweiligen Rechtsschutzes gem. § 114 FGO nicht bedürfe. Auch könne das FG keine Untersagungsanordnung aussprechen, da dies eine endgültige Regelung darstelle.

Die Klägerin erhob daraufhin Sprungklage "wegen Androhung eines Auskunftsersuchens bei einem Dritten". Weil das FA seine Zustimmung hierzu verweigert hatte, wurde die Sprungklage als Einspruch behandelt. Das FA verwarf diesen als unzulässig, da kein Verwaltungsakt vorliege. Die hiergegen erhobene Klage wegen des "beabsichtigten Auskunftsersuchens" sah das FG zwar als zulässig an, da es sich um eine vorbeugende Unterlassungsklage handele. Die Klage sei aber unbegründet ().

Der BFH hat die Revision als unbegründet zurückgewiesen:

  • Zwar hat sich die zulässigerweise erhobene vorbeugende Unterlassungsklage während des Revisionsverfahrens durch das zwischenzeitlich tatsächlich umgesetzte Ersuchen erledigt. Dies führt allerdings nicht zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses und damit zur Unzulässigkeit der Revision. Vielmehr ist die Klägerin berechtigt, ihr Klagebegehren, die Rechtswidrigkeit der Androhung des Auskunftsersuchens feststellen zu lassen, im Wege einer allgemeinen Feststellungsklage gem. § 41 Abs. 1 FGO weiterzuverfolgen.

  • Eine vorbeugende Unterlassungsklage kann nach ihrer Erledigung als Feststellungsklage zulässig bleiben, wenn es prozessökonomisch sinnvoll ist, die maßgebliche Rechtsfrage in dem bereits anhängigen und aufwändig betriebenen Verfahren zu klären. Der Kläger ist trotz Schaffung vollendeter Tatsachen in dem noch nicht rechtskräftig entschiedenen Verfahren zu halten.

  • Gegen die Androhung eines Auskunftsersuchens an Dritte gem. § 93 Abs. 1 Satz 3 AO ist sowohl eine vorbeugende Unterlassungsklage als auch einstweiliger Rechtsschutz nach § 114 FGO möglich.

  • Ein Auskunftsersuchen der Finanzbehörde gem. § 93 Abs. 1 Satz 3 AO ist bereits möglich, wenn es aufgrund konkreter Umstände angezeigt ist, weitere Auskünfte auch bei Dritten einzuholen.

  • Die Klägerin hatte dem FA im Rahmen der Außenprüfung die angeforderten Daten der Rezeptabrechnungsstelle für jedes einzelne Rezept vorzulegen. Diese Daten sind für die Besteuerung erheblich, da sie aus Sicht des FA erforderlich waren, um die Kalkulationsdifferenzen aufzuklären. Da die Klägerin sich weigerte, dem FA die geforderten Daten zur Verfügung zu stellen, obwohl sie dazu gem. § 93 Abs. 1 AO i. V. mit § 200 Abs. 1 Satz 2 AO verpflichtet gewesen ist, durfte sich das FA gem. § 93 Abs. 1 Satz 3 AO an die Rezeptabrechnungsstelle als Dritte wenden.

Anmerkung von Honorarprofessor Dr. Gregor Nöcker, Richter im X. Senat des BFH:

Wirkt der Steuerpflichtige bei der Aufklärung eines Sachverhalts nicht mit, so kann sich das Finanzamt gem. § 93 Abs. 1 Satz 3 AO an Dritte wenden. Allerdings ist grundsätzlich zunächst der Steuerpflichtige selbst um Auskunft zu ersuchen (vgl. dazu ).

Die Auskunftspflicht des Steuerpflichtigen ergibt sich aus § 93 Abs. 1 AO, in der Außenprüfung ergänzt durch § 200 Abs. 1 Satz 2 AO. Sie gilt selbst dann, wenn der Steuerpflichtige das Auskunftsersuchen als unsinnig ansieht, solange (objektiv) davon ausgegangen werden kann, dass das Finanzamt im Rahmen seiner Prognoseentscheidung die Auskunft zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen für möglich halten darf. Einwendungen des Steuerpflichtigen gegen die Art und Weise der sich hieraus ergebenden steuerlichen Folgen, insbesondere auch bei aus seiner Sicht fehlerhafter Kalkulation, sind gegen die Schätzung und damit gegen den sie umsetzenden Steuerbescheid vorzubringen.

Soweit Auskunftsersuchen an Dritte betroffen sind, ist dem Steuerpflichtigen umfassender Rechtsschutz zu gewähren. Dies bedeutet, dass er sich schon gegen die Androhung des Auskunftsersuchens als Vorbereitungshandlung wehren kann. Da insoweit anders als beim Auskunftsersuchen an den Dritten selbst (vgl. dazu ) kein Verwaltungsakt vorliegt, ist einstweiliger Rechtsschutz nach § 114 FGO zu beantragen. Dies stellt der BFH ausdrücklich klar.

In der Hauptsache ist eine vorbeugende Unterlassungsklage zu erheben, die sich im Fall eines zwischenzeitlich ergangenen Auskunftsersuchens zwar erledigt, aber in Form der Feststellungsklage nach § 41 Abs. 1 FGO ausnahmsweise zulässig bleibt. So wird sichergestellt, dass der Steuerpflichtige nicht nachträglich „ohne Not um die Früchte des bisherigen Prozesses gebracht werden“ kann (so auch , Buchholz 310 § 161 VwGO Nr. 69 S. 9).

Quelle: ; NWB Datenbank (RD)

Fundstelle(n):
NWB MAAAH-87162